Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Kesselreinigen

Wenn wir einige Wochen keine Arbeit und kein Geld mehr hatten, nahmen wir Dampfkesselreinigungen an, die schmierigste und schlechteste Arbeit, die es wohl geben kann. An den hohen Festtagen, zu Kirmes oder Fastnacht nahmen wir uns sechs oder acht noch ärmere Teufel als wir, und verdienten uns etwas. Wir bekamen zusammen 100 Mark für zwei Tage und zwei Nächte. Dafür schlugen und schabten wir den Stein von den Kesselwänden und Flammrohren, holten aus den glühheißen Feuergängen den Ruß, der in Kisten aus den engen Löchern herausgeschleift wurde. Den Kopf mit Tüchern umwickelt, einen Priem im Maul, daumendick und fingerlang, ging es in die Gänge, auf Händen und Füßen, die Nase in Wolken von Ruß voran. Dagegen war das Reinigen des Kesselinnern eine wahre Wohltat, trotzdem die Ausdünstung von 10 Mann in 50 bis 60 Grad feuchter Hitze, der Qualm der Öllampen die Luft verpestete. Was waren unsere Kollegen manchmal für Brüder! Verschnapst und versoffen, ohne Rand und Band, die nur wegen der paar Mark, die sie schon während der Arbeit in Schnaps umsetzten, mittaten. Einmal hatten sie um Mitternacht schon alles Brot, mit billigster Wurst und Zwiebeln belegt, aufgegessen. Zu kaufen gab es nichts mehr. Da schilderte ein heruntergekommener Kellner die Speisesäle der Hotels, in denen er serviert, die Speisen, die er auf seinem Tablett herantrug, die verschiedensten Weinsorten, von denen er die Reste getrunken, Sekt und Champagner, der die Reichen lustig machte. Das brachte die armen Kerle in Wut. Länger als ein Festmahl der Reichen dauern konnte, schwelgten sie in den Genüssen der Rache, die sie doch einmal nehmen würden. Da wurden Foltern ausersonnen, wie sie das Mittelalter aus Mangel an technischen Apparaturen nicht hervorbringen konnte. Die Kesselputzer würden das reiche Pack natürlich erst in Massen in die Dampfkessel sperren. In die hundert Kubikmeter wurden mindestens dreihundert Mann hineingequetscht; auf die großen Schwungräder der Dampfmaschine würden die dicksten Kapitalisten gebunden, die kleineren auf die Riemscheiben und Transmissionen, in alle Dampfkessel und Bleicherkessel würden sie gestopft, vor alle Krempel und Reißmaschinen gebunden, kurz und gut, alles, was jetzt nur Baumwolle und Webmaterial sei, das würde nun Menschenmaterial sein. Die Herren Richter müßten als Heizer und Maschinisten fein aufpassen, daß auch alles in guter Ordnung vor sich gehe, und hinter jedem Richter kam ein Kesselputzer mit einer Peitsche. Die Herren Ingenieure und Betriebsleiter, denen nie ein Kessel sauber genug gefegt sei, die müßten diese Kessel anheizen und aus dem Blut und Schleim ihrer Freunde Dampf machen, Dampf, bis die Kessel glühten. Dann würden die Ventile aufgedreht und mit dem Heulen der Kochenden, dem Dampf aus Schweiß und Unrat der vor Angst und Hitze Verreckenden triebe die große Maschine und schwänge die fettesten Kapitalisten rund. Das ganze Gesokes müßte an den Rädern und Scheiben, an allen Maschinen halbtot geschwungen werden und dann könne man ja, wenn es Spaß mache, die ganze Kiste anzünden.

Eher sei die Gesellschaft doch nicht zur Einsicht zu bringen; vielleicht könnte man das in jeder Stadt zum heilsamen Anschauungsunterricht einmal machen, um die andern gefügig zu kriegen. Denn dann käme erst die rechte Rache: alle, aber auch alle die Reichen müßten arbeiten. Wie die Gefangenen bei Anstaltskost und ständiger Behandlung mit der Peitsche, immer wieder aufgefüttert und immer wieder vermöbelt, bis es nicht einem Einzigen mehr einfiele, Geld und Eigentum zu erraffen. All der Hunger, der hunderte Jahre lang von den Armen gelitten, all die Schmerzen und Leiden, die durch den Hunger gekommen, die müßte das reiche Volk einmal in einem Jahr durchmachen.

Eines Tages saßen wir in der Schlosserei von Brands Tuchfabrik, ein Kohlenschürger aus Geistenbeck stand langsam auf und schrie. Die zusammengeballten Fäuste vor den Augen zitterten wie im Krampf, er fand vor Raserei keine Worte, endlich brach es mit furchtbarer Stimme los: »Noch nie im Leben hab ich was gesagt, noch nie im Leben hab ich geglaubt, es ginge noch mehr Menschen so wie mir, ich hab geglaubt, ich war der schlechteste Kerl auf der Welt, weil, weil, weil... ich das reiche Pack hasse. Ich müßte jetzt den Herrn haben, hier in den Fäusten, hier, hierhin würde ich ihn hauen, durch dieses Sieb würd ich ihn treiben, mit einem Hammer würd ich so lange auf ihn schlagen, bis er in dem Kessel läge, eine Suppe von Blut und Knochenbrei, nicht ein einzig Knöchlein soll ganz bleiben. So klein will ich ihn schlagen, daß mein Rotziger ihn als Blutwurstsuppe mit dem Löffel essen könnte, ha, hätt ich jetzt den Chef, den Herrn Fabrikbesitzer Brand, der mit der dicken Fresse und den fetten Händen!«

Ich glaubte, der Kohlenschürger sei wahnsinnig geworden. Er stand vor einem Farbapparat, auf dem ein Sieb mit vielen hundert Löchern lag, er wirbelte mit den Fäusten darauf herum, daß der Kessel wie eine hohle Trommel rasselte. Er muß sich seine Fäuste zu Brei schlagen, dachte ich.

Als dieser Wutanfall vorbei war, erzählte er ganz ruhig und vernünftig. Er müsse ab und zu seine Wut einmal auslassen. »Das letztemal war es auf einem Ball in der Wickrather Gegend. Da hatten die Bauern auf einmal zu fressen und zu saufen angefangen. Ein paar Arbeiter, die da waren, gaben sich ein Zeichen, einer war in den Keller gegangen und hatte das Licht abgedreht. Dann in den Tanzsaal hinein, mit Karrenstiepen, zweihändig drauf. Es waren ja alles reiche Bauern. Einen kriegte ich unter die Hände, dem drückte ich die Luft ab, der schlug lang hin, ich über ihn. Ich hab' seinen Kopf so lang mit den Fäusten verhauen, bis sie mir weh taten und ich nicht mehr konnte. Da war das Licht wieder an, jeder schleifte Verwundete mit heraus, bloß ich saß auf dem Kerl und schlug. Auf einmal merkte ich, daß er keinen Ton von sich gab: das ist Leichenschändung, dachte ich. Wie ich seinen Kopf sah, mußte ich lachen! Wie gekocht sah der aus. Da rief ich den Wirt und sagte: hier liegt noch einer!«

Alles schwieg. Der Schürger sprach weiter: »Ich krieg keinen Schnaps, ich krieg kein Fleisch, die sechs Kinder fressen alles fort. Verdammt, ich muß auch einmal ein Vergnügen haben. Aber das nächstemal verdresch ich keinen dummen Bauern, das nächstemal greif ich mir einen von den dicken, vollgefressenen Fabrikherren!«


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