Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Der Vater

»Wenn du nicht so faul wärst, könntest du bald Techniker sein!« sagte der Vater. »Ich wollte dich studieren lassen, aber du mochtest ja nicht! Wochenlang herumflanieren, das konntest du. Aber einmal einen Anfang machen, sich hinsetzen, rechnen lernen, zeichnen – na, das war zuviel verlangt. Hätt ich nur gesehn, daß du guten Willens gewesen wärst, so hätt ich dich gleich auf die Schule getan.«

Das sagte er mir und der Mutter ins Gesicht und er wußte genau so gut wie ich, daß er niemals im Ernst daran gedacht hatte, mich auf die Schule zu schicken. So machte er es immer, er legte sich alles so zurecht, wie er es gern hatte und wenn es auch mit der Wahrheit und Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Er redete sich die Sache so lange ein, bis er es selber glaubte, und dann galt es für richtig. Geschehnisse modelte er so lange um, bis er als Held und Sieger hervorging, wo er die größte Blamage bezogen. Er kam sich immer wie ein Heiliger vor, wir waren alle die sieben Plagen Gottes, unter deren Zuchtrute er leiden mußte. Weil Vater so war, nannte die Mutter ihn krank. Daß er, solange wie wir ihn kannten, auch körperlich krank war, fiel gar nicht mehr auf: er lebte fast nur von einem Mehlbrei, den er dreimal am Tage aß, und trank dazwischen glühheiße Milch, um seine Magenschmerzen zu überwinden. Dann saß er mit bis ans Kinn hochgezogenen Knien, die Füße auf dem Stuhl, äugte mit den stechendgrauen Augen in der Küche umher und suchte einen Grund zum Schimpfen. An manchen Tagen roch er so sauer aus dem Hals, daß wir es auf fünf Schritt weit nicht aushielten. »Der verdammte Feldzug!« sagte er dann, obgleich er stolz war, daß er drei Kriege mitgemacht hatte. Die Franzosen waren für ihn das größte Verbrechervolk auf der Welt, das noch einmal vom deutschen Heer gezüchtigt werden müßte. Bismarck sei ein Esel gewesen, daß er nur einmal die fünf Millionen Franken gefordert habe, er hätte alle zehn Jahre mit Waffengewalt so viel herausholen müssen, weil die Franzosen eine Freimaurerbande seien. Aber der Bismarck sei derselbe Freimaurer gewesen, drum stände er mit dem gottlosen Volk im Bunde. Überhaupt, die Freimaurer wären am ganzen Unglück schuld, man brauche bloß Freimaurer zu sein, um direkt reich zu werden. Einmal habe er mit seinem Vetter, der auch reich geworden war, im Gasthaus geschlafen; weil nicht viel Platz da war, in einem Bett. Mitten im Erzählen hätte er auf den »liberalen Schweinehund«, den Bismarck geschimpft, da habe der Vetter gesagt, er sei auch Freimaurer. »Was? Und ich sollte mit einem solchen Gottesleugner in einem Bett schlafen? Mit den Fußen hab ich ihn aus dem Bett gestoßen, die Tür aufgemacht, ihn auf den Flur getreten, mit dem Spazierstock ihm seine Kleider auf den Gang gereicht; so muß man mit Gottesleugnern umgehn, damit man seinen heiligen Glauben bewahren kann!« Der reiche Vetter sei in ein anderes Gasthaus gegangen und habe noch lange Zeit seine Freundschaft wieder gesucht.

Als tags darauf der Landtag gewählt wurde, zog er mit einigen Nachbarn zur Wahl und kam so furchtbar betrunken nach Haus, daß er bald tatsächlich nicht mehr stehen konnte. Er schlief einige Stunden und erwachte unter heftigem Weinen, das den ganzen Abend anhielt. »Ich hab meinen Söhnen ein schlechtes Beispiel gegeben, ich bin besoffen und meine Söhne trinken nie!« Er stöhnte endlos diesen einen Satz bis in die Nacht hinein und hatte es am andern Tag völlig vergessen.

Es war keine Überwindung, daß ich nicht trank, das Bier schmeckte mir nicht. Als kleiner Junge sah ich einmal eine volle Bierflasche auf dem Küchenschrank stehn. Schönes braunes Bier, sonst war immer alles Bier hell. Ich klappte den Verschluß herunter und trank einen langen Zug – und erbrach es wieder. Die Flasche hatte der Vater hingesetzt, um sie mit in die Werkstatt zu nehmen, sie war bis an den Rand voll mit Tran, um den Blasbalg einzufetten. Seitdem konnte ich keine Bierflasche mehr sehn, ohne daß mir übel wurde; Bier und Tran waren für mich eins geworden. Als dann die Trinkzeit kam, trank ich eben Schnaps. Weil aber bei den Gesellen so viele vom Schnaps vertierte Menschen waren und ich mich mit den ständig Betrunkenen herumschlagen mußte, bekam ich das Grausen vor der Wirkung des Fusels. Darum verspottete mich der Vater, weil ich ein Schlappschwanz sei und nicht saufen könnte. Die Mutter aber beschwor mich immer, ja keinen Schnaps zu trinken.


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