Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Der letzte Schultag kam

es war Mittwoch vor Ostern. Um acht Uhr, wie sonst, saßen wir in den Bänken, links die Jungens, rechts die Mädchen. Rosa hatte ein weiß und schwarz kariertes Kleid an, wie es die Dienstmädchen in der Stadt trugen, denn sie sollte als Mädchen gehn, weil sie schon so groß war. Es war auch besser für sie, meinte der Vater, denn so gut zu essen können Arbeitsleute ihren Kindern nicht geben. Sie war deshalb traurig und hatte wieder geweint. Nun saß sie auf der linken Bankecke, ich auf der rechten, so daß wir ganz nah beieinander waren.

Wir warteten auf den Schulrat. Der Lehrer wußte nicht, was er mit uns machen sollte, also spektakelten wir wie die Wilden.

Da, um neun Uhr rollte ein Wagen an, ein weißhaariger Priester wurde vom Kutscher in die Schule geführt.

Nun mußte zuerst der heilige Geist angerufen werden, das dauerte eine Viertelstunde. Weil die Lehrer artig auf ihre Hände sahen, steckten Rosa und ich den Fuß aus der Bank und traten uns mit viel Vergnügen. Als das die andern, die hinter uns saßen, sahen, giffelten sie und kicherten, machten es nach, aber benahmen sich so dumm, daß der Lehrer hinter den Schulrat trat und uns eine Faust machte.

Nun fing das Rechnen an. Ich konnte nicht viel, ich wußte, daß ich eine ganz falsche Antwort gab; der Lehrer stand neben der Tafel und drohte. Der Schulinspektor nickte mit dem Kopf und machte keine Einwendung, es schien, daß es ihm gefiel, weil ich so prompt antwortete. Nachher merkten wir, daß er nicht gut hörte und auch nicht sehn konnte, denn was wir auch sagten, es gefiel ihm alles sehr gut. Die Lehrer hinter ihm konnten das Lachen nicht verbergen. Der Schulrat sah sehr gütig aus, das lange weiße Haar hing in schönen Locken um seinen Kopf, seine Hände lagen lang auf den Lehnen des Sessels, er lächelte immer in die Klasse hinein, und es muß wohl der verstockteste Taugenichts gleich mir gedacht haben, daß der liebe Gott nicht freundlicher zu uns Ästern sein konnte, wie der alte Pastor es war. Wenn ein Lehrer eine Frage stellte, so winkte er einfach in die Klasse hinein, und wer es grade konnte, gab Antwort. So ging die Prüfungsstunde vorüber, es war die schönste Stunde in all den Schuljahren, die Lehrer waren zufrieden, die Schüler und der alte Herr Schulrat auch. Als wir alle bestanden hatten, sollten wir die Zeugnisse bekommen. Aber da stellte sich heraus, daß der Herr Schulrat sie vergessen hatte. Sie lagen in seinem Pastorat zu Hehn, und wer es haben wollte, der sollte es am andern Tag abholen. »Es ist wie eine Fügung des Himmels«, sagte er, »kommt nur alle zu mir, dann kann ich jedem noch den Segen für den Eintritt ins rauhe Leben geben. Ihr wißt ja wo Hehn liegt.«

Hehn lag eine Stunde über Wald und Feld weit, es war ein Wallfahrtsort, zu dem wir oft zum Beten geschickt wurden, weil die Eltern keine Zeit hatten. Die meisten Jungen hatten schon einen Entlassungsschein, auf den sie sich das Arbeitsbuch holten. Ich aber wollte den schönen Weg machen und das Zeugnis holen, Rosa trat mich verheißungsvoll auf den Fuß.

Unendlich langsam bummelten Rosa und ich nach Hause. Es war neblig geworden, die Welt war zu. Nicht zehn Schritt weit konnte man sehen, trotzdem es fast Mittag war. Wenn ich nicht mit dem Gesellen Fritz auf Reparatur hätte gehn müssen, wären wir sogleich nach Hehn gegangen. Um elf Uhr sollte ich schon zu Hause sein, der Geselle wartete auf mich. Wir verabredeten uns auf den Samstag, dann wollten wir den Weg zusammen machen.

Endlich kamen wir doch an den Wald und mußten uns trennen, wir gaben uns zum ersten Male die Hand. Nun sollten wir uns drei Tage nicht sehn, das war nicht vorgekommen, solange wir uns kannten.

Durch den Nebel rief ich ihren Namen, zaghaft rief sie meinen, ich rannte nach Hause.

Das Essen stand auf dem Tisch, das Bündel mit dem blauen Anzug lag fertig, Butterbrote waren gepackt. »Spätestens acht Uhr bist du wieder hier, Vater holt dich ab!« sagte die Mutter. »Nun mach es gut, jetzt bist du groß!«


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