Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Auf einmal saß ich in einem großen Zimmer

viele Kinder saßen, wie ich, in Bänken, eins neben dem andern. Eine Frau mit einem schwarzen Kleid und einem Tuch über dem Kopf stand an einem Tisch. Sie hatte ein Stöckchen in der Hand. Alle Kinder konnten sagen, was die Frau ihnen vorsprach, bloß ich nicht. Ich war ganz kalt und wollte heraus, aber die Kinder, die neben mir saßen, ließen mich nicht vorbei. Da hab ich geweint, aber die Hände hielt ich, wie die Frau es gesagt hatte und wie die andern Kinder sie auch hielten, gefaltet auf das Brett vor mir. Ich war bang und kalt, bis die Frau auf einmal sagte: »Kleiner, warum weinst du?«

Da lachten alle Kinder, aber ich mußte bloß noch mehr weinen. Da kam die Frau zu mir, und weil ich nicht aufhörte zu schreien, gab sie mir eine große, rote Blume in die Hände.

Das nützte aber nichts, ich weinte immer weiter. Ich wußte gar nicht, wo ich war. Da liefen die Kinder alle heraus, bloß ich nicht. Die Frau stand an der Tür und rief mich, aber ich blieb sitzen. Sie kam zu mir und fragte mich, wie ich heiße. Ich wußte nichts, als daß ich kalt war und nach Hause wollte. Sie nahm mich bei der Hand und brachte mich heraus. Als ich nicht ruhig sein wollte, nahm sie aus der Tasche, die ich umhängen hatte, ein Butterbrot, sie steckte es mir in den Mund. Ich biß aber nicht. Sie gab es mir in die Hand. Nun saß ich da auf einer Bank, vor mir spielten viele Kinder, auch meine Schwester Maria war dabei, aber sie lief und tanzte mit den andern im Kreis. In der einen Hand hielt ich die Rose, in der andern das Butterbrot. Auf einmal kam ein Kind vorbei, riß von der Rose ein Blatt ab, warf es mir ins Gesicht und lief weiter. Ich wußte gar nicht, was das alles sein sollte, ich blieb sitzen, die Kinder kamen in einer Reihe an mir vorbei, rissen jedes ein Blatt aus der Rose und als ich nur noch den Stiel in der Hand hatte, pflückten sie ein Stück von dem Brot ab. Auch diese Stückchen warfen sie mir an den Kopf. Ich blieb sitzen und weinte. Als ich nur noch die Kruste und den Stengel in der Hand hielt, da tanzten alle Kinder vor mir und sangen etwas, was ich nicht verstand. Ich war kalt und weinte.

Als die Frau wiederkam, rannten sie alle zu ihr: »Der Heini, der Heini!« schrien sie und liefen vor mir her, die Frau kam und sagte: »Ich bin Schwester Eufemia und du bist in der Verwahrschule, du mußt lustig sein wie die andern Kinder und deine Schwester.«

Ich fror so, daß ich kaum mehr gehn konnte; als die Pause vorbei war, bin ich wieder in die Schule gebracht worden, aber ich schlief mit dem Kopf auf der Bank ein.

Erst als ich bei Mutter in der Küche war, konnte ich wieder sprechen.

Ein paar Tage später hatten wir Kindtaufe.

»Er geht in die Kinderbewahrschule,« sagte der Vater zu einem Mann, »aber er will nicht. Na, wenn wir die neue Werkstatt haben, dann nehm ich ihn mit. Da kann er was lernen, was Zweck hat.«


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