Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XXIII.
Der Griff wird fester.

Unter den zahlreichen Engländern, die nach Jersey gefahren waren, um auf kurze Zeit dem Großstadtlärm zu entfliehen, befand sich auch Harry Hopford.

Zu seiner großen Freude erfuhr er bald, daß Cora Hartsilver, die er im stillen verehrte, seit einigen Tagen auf der Insel weilte. Auch Doktor Johnson traf er gleich darauf, und beide beschlossen, den Abend zusammen zu verbringen.

Hopford war, wie immer, in vortrefflicher Stimmung und voll von Neuigkeiten. Er war, wie er erzählte, zufällig mit Prestons Diener Tom, zusammengetroffen. Beide waren mit Preston im Felde gewesen, und der frühere Bursche hatte ihm allerhand Andeutungen gemacht, die darauf schließen ließen, daß er sich um seinen geliebten Hauptmann schwere Sorgen machte.

Hopford hatte erfahren, daß Preston immer einen geladenen Revolver bei sich trug, und daß er wahrscheinlich den Drohungen eines Erpressers ausgesetzt wäre.

»Was mich wundert,« fuhr der Journalist fort, »ist, daß mir das gleiche Gerücht von ganz anderer Seite bestätigt wird. Ein Bankgehilfe, der mir manchen guten Wink gegeben hat, erzählte mir, daß Preston gezwungen sein könnte, einer Frau eine große Summe zu zahlen, die zugleich seltsame Dinge über Mrs. Hartsilver zu enthüllen drohte. Ist Ihnen vielleicht etwas davon zu Ohren gekommen?«

»Wäre es der Fall, so würde ich einem Journalisten doch kaum etwas davon sagen,« erwiderte Johnson lächelnd.

Hopford lachte.

»Und Sie hätten ganz recht, obwohl ich persönlich, wenn ich verspreche, eine vertrauliche Mitteilung nicht abzudrucken, mein Versprechen immer halte. Aber wir beide kennen eine Reihe von Vorgängen, die nicht aufgeklärt worden sind, und die, wie ich glaube, miteinander zusammenhängen müssen.«

»Zunächst die überraschende Reihe von Selbstmorden in diesem und im vergangenen Jahr; dann die seltsamen Geschichten, die über Mrs. Mervyn-Robertson und ihre unzertrennlichen Begleiter erzählt werden; Levi Schombergs unerwartetes Ende; die Tatsache, daß La Planta und Mrs. Mervyn-Robertson mit demselben geheimnisvollen Mittel betäubt worden sind; das Halsband, das auf dem Ball in der Alberthalle verloren und wiedergefunden wurde, und so weiter.«

»Alles das würde ich gerne aufklären, und ich will zu diesem Zweck bald nach Paris fahren.«

»Nach Paris?« rief Johnson erstaunt aus.

»Ja,« erwiderte Hopford, »es handelt sich um folgendes. Ich habe in der Redaktion des »Matin« einen guten Freund. Ein außerordentlich kluger Bursche, wie geschaffen, um solche Rätsel herauszubringen. Er war vor kurzem in London und ich erzählte ihm von den Selbstmordepidemien in der Londoner Gesellschaft. Er zeigte das größte Interesse, meinte, das könnte auch den »Matin« interessieren, und wir beschlossen, die Sache gemeinsam zu versuchen. Mein Chef glaubt zwar nicht, daß wir Erfolg haben werden, hat mir aber doch den Urlaub bewilligt.«

»Wo wohnen Sie in Paris?« fragte Doktor Johnson nach einer Weile.

»Ich bin bisher immer im Brightonhotel in der Rue de Rivoli abgestiegen. Aber mein Freund wohnt in Montmartre. Ich hoffe etwas in Clichy zu finden. Warum?«

»Ein Freund von mir, ein Nervenarzt, interessiert sich nebenbei sehr für Ihre Art Arbeit und hat ein fabelhaftes Talent, verborgene Zusammenhänge herauszufinden. Der Mann hat ein nettes, kleines Appartement in der ziemlich schmutzigen Rue des Petits Champs. Ich weiß, daß er Sie gerne bei sich aufnehmen wird, und Sie werden vielleicht mit ihm zusammen manches herausbringen. Wir haben in Hongkong zusammen gewohnt, als ich dort Arzt war, und später wurde er mein Vertreter in Shanghai.«

»In Shanghai?« rief Hopford aus. »Ich hatte ganz vergessen, daß Sie in Hongkong gelebt haben.«

»Mein Freund kennt in Shanghai jedes Haus. Soll ich Ihnen eine Empfehlung an ihn mitgeben?«

Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, Johnson,« sagte Hopford hocherfreut. »Und wenn er mich aufnimmt, würde ich gerne bei ihm wohnen. Haben Sie vielleicht in Shanghai einen gewissen Fobart Robertson gekannt?«

»Das glaub' ich!« rief Johnson aus. »Ein Abenteurer schlimmster Sorte. Er heiratete –«

Er hielt inne.

»Mrs. Mervyn-Robertson!« sagte Hopford erregt.

»Das habe ich nicht gesagt,« erwiderte Johnson, ein wenig verlegen.

»Nicht gesagt, aber gemeint!« rief Hopford triumphierend. »Das ist großartig! Alles scheint zu stimmen. Jetzt möchte ich wissen, ob Sie dort im Osten irgendwo noch einen anderen Mann gekannt haben, der Macmahon hieß? Lord Froissart hat dessen Witwe, Mrs. Macmahon, sein ganzes Vermögen hinterlassen.«

»Ja. Macmahon lebte ebenfalls eine Zeitlang in Shanghai, sowie ein Weinhändler Julius Stringborg, dessen Frau das bewußte Halsband auf dem Ball in der Alberthalle verlor, wie Sie sich erinnern werden. Aber alle diese Dinge werden Sie, wie gesagt, viel genauer von meinem Freunde in Paris erfahren können. Bevor Sie Jersey verlassen, will ich Ihnen einen Brief an ihn mitgeben.«

»Das ist furchtbar nett von Ihnen, Johnson,« sagte Hopford im Ton tiefster Dankbarkeit. »Sie haben keine Ahnung, wie gerne ich hinter alle diese Mysterien kommen möchte, sowohl aus persönlicher Neugier als auch dem natürlichen Bedürfnis, mir eine Sensation für mein Blatt zu verschaffen.«

»Wenn Sie wieder irgendein Gerücht hören sollten, das Mrs. Hartsilver betrifft,« sagte Johnson plötzlich in gleichgültigem Ton, »so lassen Sie es mich bitte im Vertrauen wissen.«

»Selbstverständlich,« erwiderte Hopford mit einem scharfen Blick auf den Arzt. Die Besorgnis, die in Johnsons Ton lag, war dem aufmerksamen Journalisten nicht entgangen. Sofort hatte er erkannt, daß der Arzt ein Interesse für die junge Witwe haben mußte.

»Ja,« wiederholte er leise vor sich hin, als er sich von Doktor Johnson getrennt hatte und langsam in sein Hotel zurückschlenderte. »Ein tiefes Interesse!«


 << zurück weiter >>