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»Leicht verdiente fünfzig Pfund,« sagte Hopford vor sich hin, als er auf der Suche nach einem Auto die Straße hinaufging. »Ich habe den Burschen immer für verdächtig gehalten, obgleich die Zeitungen so viel Wesens aus ihm machen. Er will also, daß die Leute denken, Mrs. Hartsilver habe den Diebstahl begangen oder wenigstens ihre Hand mit im Spiele gehabt. Was kann er nur gegen sie haben?«
Da kein freies Auto zu sehen war, beschloß er zu Fuß zu gehen. Seine Gedanken jagten einander. Aber alles, was ihm einfiel, löste das Rätsel nicht, das ihn beschäftigte. Plötzlich kam ihm ein Einfall. Konnte nicht eine andere Frau mit im Spiel sein? Eine Frau, die auf Mrs. Hartsilver eifersüchtig war?
Sofort kam ihm Jessica Mervyn-Robertsons Name auf die Lippen. Ja, so mußte es sein! Da sie keinen ihrer Gäste verdächtigen konnte, benutzte sie die Gelegenheit, um den Verdacht auf die Frau zu lenken, die mit ihr an Schönheit und Reichtum wetteiferte und ihr ein Dorn im Auge sein mußte. Es war ihr nicht schwer geworden, Stapleton für den Gedanken einzunehmen, und er hatte bei diesem Interview, sofort versucht, ihren Wunsch zu erfüllen.
So weit war die Sache klar. Aber als echter Reporter fühlte Hopford instinktiv, daß er an ein Geheimnis gerührt hatte. Und diesem Geheimnis wollte er auf die Spur kommen.
Keinen Augenblick hatte er daran gedacht, Stapletons Andeutungen für seine Zeitung zu verwerten. Erstens schienen sie ihm höchst zweifelhaft, und zweitens lag es nicht in seinem Charakter, für Geld den Ruf einer Frau zu ruinieren.
Nein, die anderen fünfzig Pfund würde er niemals zu sehen bekommen, dachte er mit einem leisen Seufzer, als er sein Redaktionsbüro betrat.
»Hallo, was ist los?« fragte ihn ein Kollege, der neben ihm zu arbeiten pflegte.
»Ach, halt' den Mund!« war die verdrießliche Antwort. Er hatte sich auf seinen Stuhl niedergelassen. »Ich bin todmüde.«
»Das bin ich auch, ohne darum zu stöhnen, wie du!« gab ihm sein Kollege zurück. »Und doch hätte ich das Recht dazu, nachdem ich über eine Leichenschau und zwei Feuerbestattungen – an einem Nachmittag – berichtet habe.«
Hopford lachte.
»Ganz gleich,« sagte er. »Gestern hast du zwei Mannequinrevuen beigewohnt und die eine war im Badekostüm. Das hast du mir selbst erzählt. Du brauchst dich also nicht zu beklagen.«
Einige Minuten schwiegen beide und schrieben eifrig ihre Berichte.
»Eigenartig – dieser Selbstmord, was?« bemerkte Hopfords Freund, legte seinen Füllfederhalter beiseite und ordnete die Bogen seines Berichtes.
»Was für ein Selbstmord?« fragte Hopford, ohne sich im Schreiben stören zu lassen.
»Hast du nichts davon gehört? In allen Klubs wird davon gesprochen, obgleich keine Abendzeitung darüber berichtet hat. Ich habe im Junior-Carlton-Club, wo ich zu Abend speiste, Einzelheiten erfahren. Lord Froissart gehörte diesem Klub an.«
»Froissart! Nicht möglich! Er hat sich das Leben genommen?« rief Hopford und unterbrach seine Arbeit.
»Ja. Man fand seine Leiche heute Abend um sechs am Fuß der Felsen in Bournemouth.«
Am nächsten Morgen stand der Bericht in allen Blättern. Lord Froissart hatte, so hieß es, sein Haus in Queen Anne's Gate, wie gewöhnlich, um elf Uhr vormittags verlassen. Kurz vor zwölf hatte er seinen Rechtsanwalt aufgesucht und war von dort zu Fuß in die Londoner Privatagentur gegangen, wo er mit Mr. Alix Stothert eine Besprechung hatte. Dann nahm er den Lunch bei Frascati ein und fuhr mit dem Drei-Uhr-Zuge nach Bournmouth. Hier hatte man ihn nicht mehr gesehen, bis seine Leiche am Fuß der hohen Klippen von Kindern aufgefunden wurde, deren Eltern die Polizei herbeigerufen hatten.
In dem Bericht, den Hopford als persönlicher Bekannter von Lord Froissart verfaßt hatte, standen noch einige besondere Einzelheiten. In der Nacht vor dem Unglück hatte der Verstorbene im Junior-Carlton-Club, dessen Mitglied er war, viele Briefe geschrieben. Ein Diener, den er nach den Zügen nach Bournemouth gefragt hatte, meinte, »Seine Lordschaft sei reizbar und nervös« gewesen und habe ihm beim Weggehen eine Fünfpfundnote in die Hand gedrückt, während es sonst nie vorkam, daß Lord Froissart die Klubregeln verletzte. Außerdem war dem Verfasser des Berichtes bekannt, geworden, daß Lord Froissart in der letzten Zeit wiederholt von Selbstmord gesprochen und einen Bekannten gefragt hätte, wie hoch die Felsklippen am Strande von Bournemouth wären. Bei der Leiche hatte man einen Brief an die älteste Tochter des Verstorbenen gefunden, die mit ihrem Mann, einem Teeplantagenbesitzer, in Ceylon lebte. Der Grund für die Tat konnte nur in dem schweren Schlag gesucht werden, den der Verstorbene vor Jahresfrist durch den Tod seiner Tochter erlitten hatte.
Nach einigen Tagen gab das Gericht seine gewohnte Erklärung ab, die den Selbstmord einer momentanen Geistesstörung zuschrieb, und nach vierzehn Tagen hatten die meisten die Tragödie schon vergessen.
Aber weder Captain Preston, noch Cora Hartsilver und ihre Freundin Yootha gehörten zu ihnen. Das lag nicht allein an den freundschaftlichen Beziehungen, die sie mit dem Verstorbenen verbanden. Es hatte noch seinen besonderen Grund.
Lord Froissart starb als reicher Mann. Seine einzige Erbin hätte seine älteste Tochter sein müssen. Statt dessen ging der größte Teil des Erbes in den Besitz einer Person über, die niemand zu kennen schien. Es war eine gewisse Witwe, Mrs. Timothy Macmahon in Tipperary, und das Testament war, ohne jede Prüfung, schon am Todestage selbst im Bureau der Anwälte Eton, West und Shrubsolte vollstreckt worden.
Nun hatte Preston durch seinen Diener, dessen Bruder als Schreiber in diesem Anwaltsbureau angestellt war, zufällig erfahren, daß dies zugleich die Anwälte von Jessica Mervyn-Robertson waren.
»Vielleicht bloß ein Zufall,« wie Preston wenige Tage nach Froissarts Tod zu Cora Hartsilver bemerkte, »aber doch ein eigenartiger Zufall, wenigstens in meinen Augen.«
Und als zehn Tage später Hopford bei Cora Hartsilver vorsprach und ihr von seinem Interview bei Stapleton und dessen Anschlägen gegen sie erzählte, – er hielt es für seine Pflicht, diesen Vertrauensbruch zu begehen – da erschien Stapletons Charakter in eigentümlichem Lichte.
Aber er und seine nahen Vertrauten, Archie La Planta und Jessica Mervyn-Robertson, waren nach wie vor überall zu treffen. In allen illustrierten Blättern sah man ihre Bilder und ausführliche Berichte über alles, was sie taten. Und nirgends erregte Jessica mehr Aufsehen als auf den Rennen in Ascot. Die Bilder zeigten ihre Ankunft auf dem Rennplatz. Man sah sie mit ihren Freunden spazierengehen oder im Stall den Gewinner des Goldpokals beglückwünschen. Bald lächelte sie einer Herzogin zu und drückte einem Pair die Hand, bald unterhielt sie sich mit einem ausländischen Ministerpräsidenten. Die Toiletten, die sie in der Oper, bei den Rennen oder Ausstellungen trug, waren der Gegenstand ausführlicher Erörterungen, so daß endlich auch ihre Freunde sich ernstlich zu fragen begannen, wer diese Frau war, die durch ihre Reize, ihre Persönlichkeit, ihre Schönheit, vor allem aber durch ihre verschwenderische Lebensweise in kurzer Zeit ganz London erobert hatte. Es wurde geflüstert und geheimnisvoll gelächelt, es fielen Bemerkungen über ihre Beziehungen zu Aloysius Stapleton – aber dieselben Menschen ließen sich ihre Gastfreundschaft gerne gefallen und rechneten es sich zur Ehre, zu ihren Gesellschaften eingeladen zu werden. Warum wollte sie auf dem kommenden Ball in der Alberthalle nicht die Rolle der Gastgeberin übernehmen, ja, wie es hieß, nicht einmal unter den hohen Damen figurieren, die an diesem Abend über dreitausend Gäste empfangen sollten?
Diese Frage richtete Hopford an Captain Preston. Sie beide bildeten mit Cora Hartsilver, Yootha Hagerston und George Blenkiron eine kleine Gruppe von Skeptikern, die entschlossen waren, das Geheimnis aufzudecken, das Jessica und ihre Freunde umgab.
Wenn sie gewusst hätten, welche Ueberraschung ihnen der große Ball bringen sollte, so wären sie vielleicht weniger geneigt gewesen, sich in die Angelegenheiten von Mrs. Mervyn-Robertson einzumischen, die der Abgott der Londoner Gesellschaft war.