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Obgleich mehrere Wochen vergangen waren, hatte man doch nichts von Jessicas gestohlenen Wertsachen entdecken können. Aus bestimmten Gründen hatte sie verhindert, daß der Diebstahl in den Zeitungen erwähnt wurde, und auch die Londoner Privatagentur schien diesmal zu versagen.
Inzwischen wurden bereits Vorbereitungen für den großen Ball getroffen, den Aloysius Stapleton und Archie La Planta in der Alberthalle geben wollten, und da Mrs. Mervyn-Robertson es vorzog, bei dieser Gelegenheit nicht als Gastgeberin aufzutreten, so war eine andere hochgestellte Persönlichkeit dafür gewonnen worden.
Es wurde erwartet, daß ganz London erscheinen würde, und da der Ball zum besten einer wohltätigen Spende veranstaltet wurde, so waren alle Zeitungen um die Wette bemüht, ihn in das rechte Licht zu sehen.
»Wenn ich einen Privatball daraus gemacht hätte,« bemerkte Stapleton eines Abends zu Jessica, »so hätte er mich eine ungeheure Summe gekostet und Hunderte, die jetzt Karten gekauft haben, hätten nicht daran gedacht, es zu tun. Dein Rat war vortrefflich. Um einen Erfolg damit zu haben und ihn aus den Taschen der anderen zu bezahlen mußte man ein Wohltätigkeitsfest daraus machen, die Zeitungen spaltenlange Märchen darüber drucken lassen und bekanntgeben, was für betitelte Persönlichkeiten hinkommen und was für hochgestellte Frauen die Gäste empfangen würden. Die Nachfrage ist so groß, daß wir den Verkauf der Karten bald einstellen werden. Wie wirst du dich anziehen?«
»Die Frage kommt zu spät. Eins kann ich dir sagen – mein Kostüm wird dich überraschen.«
»Ich liebe Ueberraschungen nicht.«
»Das weiß ich. Aber ich habe meine Gründe dafür, um dich auf deinem »Wohltätigkeitsball« überraschen zu wollen,« sagte sie lachend. »Das wirst du später verstehen. Weißt du übrigens, was Cora Hartsilver und ihre werte Freundin tragen werden?«
»Keine Ahnung. Wie sollte ich? Aber warum interessiert dich das?«
»Es interessiert mich sogar in hohem Grade. Wenn du das nicht begreifst, so habe ich von deinem Scharfsinn eine zu hohe Meinung gehabt.«
Sie lachte von neuem mit ihrer tiefen Altstimme.
Jessica und Cora Hartsilver hatten sich in der Zwischenzeit mehrfach auf Gesellschaften getroffen, und obgleich sie sich äußerlich gut zu stehen schienen, wußte doch jede von ihnen, daß die andere sie haßte. Ja, bei einem Lunch in Mayfair, an dem beide teilnahmen, war es sogar zu scharfen Bemerkungen von jeder Seite gekommen.
Durch einen Journalisten, den sie zufällig auf einer Ausstellung kennen lernte, hatte Cora erfahren, daß Mrs. Mervyn-Robertson und Stapleton alle Hebel in Bewegung setzten, um zu verhindern, daß der Diebstahl in den Zeitungen bekannt gemacht würde. Sie und ihre Freundin zerbrachen sich den Kopf darüber, warum die Angelegenheit vertuscht werden sollte.
Auch Captain Preston hatte davon gehört. Der Journalist, der Harry Hopford hieß und lange Zeit mit ihm in Flandern gedient hatte, war ihm in London wieder begegnet. So erfuhr Preston, daß einige Reporter durch Geldgeschenke dazu bewogen worden waren, nichts über den Diebstahl verlauten zu lassen.
Eines Nachmittags stattete Harry Hopford auch Stapleton einen Besuch ab, um näheres über den großen Ball zu erfahren, der bereits überall das Tagesgespräch bildete. Neugierig wie alle Journalisten lenkte er die Unterhaltung geschickt auf den Juwelendiebstahl in Mrs. Mervyn-Robertsons Hause und fragte Stapleton, ob die Nachforschungen Erfolg gehabt hätten.
»Ich weiß es wirklich nicht« erwiderte Stapleton eilig. »Wie sollte ich auch?«
»Ich dachte, Sie wüßten es,« bemerkte Hopford in ruhigem Ton. »Sie sind ja mit der Dame bekannt und waren in der Nacht, als der Diebstahl verübt wurde, in ihrem Hause beim Souper anwesend.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Die Presse ist im allgemeinen über diese Dinge unterrichtet.«
»Die Presse scheint mir zuweilen eine verdammte Pest zu sein,« fuhr Stapleton auf. »Ich kann gar nicht begreifen, warum die Zeitungen über jedes Verbrechen ellenlange Berichte bringen. Solche Berichte können nur das größte Unheil anrichten – das größte Unheil sag' ich Ihnen.«
»Die Zeitungen würden die Berichte nicht drucken, wenn das Publikum sie nicht lesen wollte,« erwiderte Hopford in sicherem Ton. »Sie sollten das Publikum tadeln, Mr. Stapleton, nicht die Presse.«
»Es ist doch kein Wort über den Diebstahl in den Zeitungen erschienen?« fragte Stapleton mit einem eigentümlichen Blick auf den jungen Reporter.
»Soviel ich weiß, kein Wort.«
Stapleton schwieg einen Augenblick und schien nachzudenken.
»Sind Sie zuweilen in Geldverlegenheit, mein junger Freund?« fragte er plötzlich.
Hopford lachte.
»Zeigen Sie mir den Journalisten, der es nicht wäre,« erwiderte er. »Wieso?«
»Angenommen, ich wollte Ihnen Zeit und Mühe vergüten –?«
»Nun?«
»Well, die Sache steht so – übrigens, wie war Ihr Name?«
»Hopford – Harry Hopford.«
»Kommen Sie, Hopford – nehmen Sie eine Zigarre und setzen Sie sich her. Nun also, ich wäre in der Lage, Ihnen von Zeit zu Zeit nützlich zu sein – mit anderen Worten, Ihnen pekuniär auszuhelfen, wenn Sie Ihrerseits meinen Vorschlag annehmen und zugleich voll« Verschwiegenheit bewahren. Denken Sie nicht, daß ich irgend etwas Schreckliches von Ihnen verlangen will. Durchaus nicht,« sagte er lächelnd.
»Das ließe sich vielleicht machen,« erwiderte Hopford in nachdenklichem Ton, während er sich dem Genuß der vortrefflichen Zigarre hingab.
»Wär' es nicht besser, Sie sagten mir genau, was Sie von mir verlangen? Ich könnte Ihnen dann sofort eine ganz offene Antwort geben. Was Sie mir auch sagen, betrachte ich natürlich als streng vertraulich.«
»Sie haben mich verstanden. Es macht mir Freude, einen jungen Mann so vernünftig reden zu hören. Also – hören Sie zu.«
Stapleton überzeugte sich mit einem Blick, daß die Tür geschlossen war und fuhr dann fort:
»Es gibt manches, was Sie für mich tun können; zunächst handelt es sich um folgendes: ich weiß so gut wie sicher, wer die Banknoten und Wertsachen bei Mrs. Mervyn-Robertson gestohlen hat. Ich habe zwar nicht die Absicht, den Namen der Dame zu nennen, aber ich kann ihn andeuten. Ich glaube, daß der Dieb eine junge Witwe ist, deren Gatte vor neun oder zehn Monaten unter tragischen Umständen starb – man fand ihn tot im Bade – vielleicht erinnern Sie sich des Falles?«
»Das glaub' ich. Ich wurde ja am selben Tag in das betreffende Haus geschickt, um Näheres über die Tragödie zu erfahren. Das Haus liegt nicht weit vom Portlandplatz – hab' ich nicht recht?«
»Vollkommen.«
»Die Witwe befand sich also unter den Gästen, die Mrs. Mervyn-Robertson an diesem Abend zum Souper eingeladen hatte?«
»Nein. Sie war nicht eingeladen. Aber ich habe gute Gründe, anzunehmen, daß sie hereingelassen wurde, obwohl die Gastgeberin sie nicht gesehen hat.«
»Ist das denkbar?«
»Jawohl. Es war ein großes Gedränge. Eine Zeitlang konnte man kaum hindurch. In diesem Augenblick wurde die Witwe hereingelassen, da der Diener sie für einen geladenen Gast hielt.«
»Könnte ich den Diener sprechen?«
»Ganz unmöglich, mein lieber Freund. Vielleicht hat auch nicht einmal der Diener sie eingelassen. Das war nur meine Vermutung. Es kann auch ein anderer Hausangestellter gewesen sein.«
»Und Sie sind sicher, daß Sie anwesend war? Sie haben Sie gesehen?«
»Nein, nein. Keine übereilten Schlüsse! Ich habe sie nicht – selbst gesehen.«
»Wer hat sie denn gesehen?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Es wäre unklug von mir.«
»Ich habe Ihnen Verschwiegenheit zugesichert.«
»Gewiß, sonst hätte ich Ihnen das alles nicht gesagt. Aber Sie wissen – Namen soll man nicht nennen. Wenn ich Namen nenne, kann ich später nicht einen Eid darauf leisten, daß ich es nicht getan habe.«
»Ich verstehe Ihren Standpunkt. Well, können Sie mir vielleicht, ohne sich zu verraten, den Grund sagen, der die betreffende Dame zu dem Diebstahl bewogen hat? War es sozusagen der Eigenwert des gestohlenen Gutes oder vielleicht ein tiefer liegendes Motiv?«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Dokumente, kompromittierende Briefe oder so etwas?«
»Ich fürchte, Ihnen auch darauf keine Antwort geben zu können. Sie verstehen, man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich habe Ihnen das alles im der Annahme mitgeteilt, daß Sie – natürlich ohne irgendetwas Bestimmtes zu behaupten – in Ihrem Blatt andeuten könnten, daß das Verbrechen von einer jungen, in der Gesellschaft wohlbekannten Witwe verübt worden ist. Sie könnten soweit gehen, hinzuzufügen, daß diese Witwe ihren Mann vor kurzer Zeit unter tragischen Umständen verloren hat, und noch einiges aus ihrer Phantasie hinzudichten, um die Sache interessanter zu machen. Auch dürfen Sie sagen, daß Ihre Mitteilungen aus vertrauenswürdiger Quelle stammen.«
»Das heißt, von Ihnen.«
»Natürlich, von wem sonst?«
»Und was sind Ihre Bedingungen?«
»Ich muß es Ihnen überlassen, einen Vorschlag in dieser Hinsicht zu machen.«
Stapleton zögerte einen Augenblick, dann sagte er:
»Würde eine Zehnpfundnote in diesem Falle Ihren Wünschen entsprechen? Nicht wahr, Sie haben den Vorteil, Ihrem Blatt eine interessante Neuigkeit zu verschaffen?«
»Und laufe der Gefahr, an die Luft gesetzt zu werden, wenn es der betreffenden Dame einfällt, eine gerichtliche Klage gegen mein Blatt zu erheben. Nein, Mr. Stapleton, ich bin nicht gesonnen, irgendetwas zu riskieren, um einen Zehner einzustecken. Wenn Sie achtzig oder hundert Pfund gesagt hätten, so würde ich vielleicht – vielleicht, sage ich, – einen Versuch machen, aber ein Zehner –«
Er erhob sich und machte Anstalten, zu gehen.
»Warten Sie einen Augenblick, Hopford, einen Augenblick,« rief Stapleton aus und versuchte den Eifer zu verbergen, mit dem er die Schulter des jungen Mannes ergriffen hatte, um ihn zurückzuhalten. »Ich bat sie, eine Summe zu nennen, vergessen Sie das nicht – ich habe keine Ahnung, was für Bedingungen in solchen Fällen üblich sind. Setzen Sie sich wieder, Ich hoffe, Ihre Wünsche erfüllen zu können.«
Mit scheinbarem Widerstreben sank der Reporter in den Stuhl zurück, von dem er sich soeben erhoben hatte und noch zehn Minuten lang unterhielten sich beide angelegentlich. Als Hopford endlich das Haus verließ, trug er in seiner Westentasche fünf neue Zehnpfundscheine und kicherte spöttisch bei dem Gedanken an Stapletons Versprechen, ihm weitere fünf Scheine einzuhändigen, sobald die »Neuigkeit« veröffentlicht wäre.