Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XVII.
»Niemand darf es erfahren.«

Prestons Diener, der unter seinem Befehl in Frankreich gedient hatte und seinen Herrn vergötterte, war zu dem Hausboot zurückgekehrt, aber weder Preston noch Yootha ließen sich blicken.

Um sieben hatte er das Essen bereitet, wie ihm befohlen war, und begann wieder mit dem Feldstecher des Hauptmanns Ausschau zu halten.

Plötzlich legte ein Boot an, sein Insasse stieg aus und kam an Bord.

»Ist Captain Preston da?« fragte er gutgelaunt.

»Ich soll bei ihm speisen?«

»Bei ihm speisen, Sir?«

»Ja, hat er Ihnen nichts gesagt?«

»Er ist seit vier Uhr fort, Sir. Er und Miß Hagerston waren zum Tee eingeladen und sind noch nicht zurückgekehrt. Es ist ein wichtiger Brief für ihn da.«

»Ich habe sie beim Tee getroffen,« sagte er nach einer Weile, »und sie luden mich ein, mit ihnen zu speisen. Das ist mir unbegreiflich. Ich will auf jeden Fall hier warten.

»Wenn es Ihnen recht ist. Sir. Er kann nicht lange ausbleiben, da er Sie eingeladen hat.«

Johnson streckte sich auf einem Liegestuhl aus und begann durch Prestons Fernglas den Strom auf und ab zu suchen.

Um acht kam der Diener wieder.

»Darf ich Ihnen nicht das Essen bringen, Sir?« fragte er besorgt. »Captain Preston wäre ungehalten, wenn ich Sie warten ließe. Er ist immer pünktlich wie ein Uhrwerk und muß aufgehalten worden sein. Wir haben hier keinen Fernsprecher ...«

»Ich danke Ihnen. Ich will noch ein wenig warten. Wenn er um halb neun nicht da ist, bringen Sie mir etwas zu essen, da ich jetzt nirgends mehr speisen kann.«

»Sehr wohl, Sir,« sagte der Diener und zog sich leise zurück.

Aber um halb neun und auch um halb zehn waren Preston und Yootha noch nicht zurückgekehrt. Johnson hatte um neun ein leichtes Mahl zu sich genommen und war dann fortgefahren.

Die Besorgnis des treuen Burschen stieg von Minute zu Minute. Immer wieder betrachtete er den geheimnisvollen Brief, den ein Herr in weitem Flanellanzug ihm übergeben hatte und überlegte hin und her.

Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit zurück, und manche gefahrvolle Stunde, die er mit seinem Herrn in Frankreich überstanden hatte, kam ihm wieder in den Sinn.

Er war vor Müdigkeit beinahe eingeschlummert, als er seinen Namen rufen hörte. Es war schon elf Uhr. Er sprang auf.

»Ja, Sir? Sind Sie es? Doch nichts passiert, Sir?« Im Mondschein konnte er. Preston und Miß Hagerston unterscheiden, die am Ufer standen.

»Sind Sie allein, Tom?« fragte Preston. Seine Stimme hatte einen ungewohnten Klang.

»Ja, Sir. Doktor Johnson war hier, Sir. und da Sie nicht zurückkamen, brachte ich ihm etwas zu essen.«

»Das war recht, Tom.«

Nachdem er Yootha einige Worte zugeflüstert hatte, ließ er sie am Ufer stehen und kam allein an Bord.

»Tom,« sagte er mit unterdrückter Stimme, »Miß Hagerston befindet sich in einer unangenehmen Lage. Wir haben Mrs. Hartsilver verfehlt, mit der sie nach London zurückfahren sollte. Es ist nirgends ein Bett zu haben, und der letzte Zug schon lange fort. Es bleibt Miß Hagerston nichts anderes übrig, als die Nacht hier zu verbringen, aber Sie verstehen, daß niemand es erfahren darf. Wie machen wir es nun?«

Tom rieb sich das Kinn. Dann sagte er schnell: »Ich kann auf dem Verdeck schlafen, Sir. Die Nacht ist wunderschön. Wenn Sie meine Kabine nehmen wollen, könnte Miß Hagerston ganz ungestört in Ihrer Kabine schlafen.«

Preston überlegte.

»Das ist wohl die einzige Lösung, sagte er endlich. »Aber, wie gesagt – niemand darf es erfahren.«

»Niemand wird es erfahren, Sir.«

Preston rief Yootha an Bord und setzte ihr alles auseinander. Sie sah sehr blaß und bekümmert aus und folgte ihm willenlos. Er küßte sie.

»Ruh' dich aus, Liebling,« sagte er, »morgen wird alles wieder gut sein. Gute Nacht!«

Er hatte versucht, ihr Mut zuzusprechen, aber als er allein war, fühlte er sich selbst wie gebrochen.

Immer hatte er auf Erpresser mit Verachtung herabgesehen und sich geschworen, wenn er selbst durch irgendeinen unglücklichen Zufall einem Erpressungsversuch ausgesetzt wäre, lieber alles zu wagen, als einem schurkischen Ansinnen nachzugeben.

Aber jetzt hatte er nicht sich selbst, sondern die Ehre der Frau zu schützen, die er über alles liebte, und bei dem Gedanken, wie geschickt man sie beide in ein Netz gelockt hatte, aus dem er keinen Ausweg sah, fühlte er, wie kalter Angstschweiß auf seine Stirne trat.

Tom trat zu ihm heran und übergab ihm einen dicken Brief in grauem Umschlag.

»Ein Herr hat diesen Brief um sechs Uhr überbracht,« sagte er, »und da es dringend war, bin ich Ihnen im Ruderboot nachgefahren. Aber der Herr auf dem Hausboot, wo ich Sie zu finden hoffte, sagte mir. Sie wären schon fort ...«

»Was für ein Herr?«

Tom beschrieb ihn.

»La Planta,« sagte Preston laut und runzelte die Stirn. Dann ließ er Tom auf dem Verdeck zurück und ging hinunter, um beim Schein einer Lampe den Brief zu lesen.

Der Bursche machte sich auf dem Liegestuhl ein Lager zurecht. Plötzlich stutzte er. Ihm war, als hätte er ein schweres Stöhnen gehört.

Leise stieg er die wenigen Stufen hinab, die ins Innere des Hausboots führten und blickte durch die halbgeöffnete Tür hindurch.

Preston saß, den Kopf in beide Hände vergraben, am Tisch und starrte auf die Papiere, die vor ihm ausgebreitet lagen. Tom hörte, wie er schwer atmete.

Der Diener klopfte an die Tür und trat ein.

Preston rührte sich nicht.

»Kann ich noch etwas für Sie tun, bevor ich zu Bett gehe?« fragte der Diener.

Preston gab keine Antwort. Er schien den andern nicht zu bemerken.

Tom wollte seine Frage wiederholen, als Preston zusammensank, so daß sein Kopf schwer auf den Tisch fiel.

Der Diener sprang ihm zu Hilfe. Da er einen Ohnmachtsanfall vermutete, knöpfte er den Kragen auf und brachte schnell etwas Wasser, mit dem er Stirn und Schläfen seines Herrn benetzte. Nach einigen Minuten war Preston wieder bei Bewußtsein. Er sah Tom ins Gesicht und packte seine Hand.

»Tom,« flüsterte er. »ich habe sehr – sehr schlimme Nachrichten. Vielleicht befinde ich mich bald in den größten Schwierigkeiten und Sie sind beinahe der einzige Mensch, der mir helfen kann. Darf ich mich auf Sie verlassen, Tom?«

Er sah den treuen Diener mit einem Ausdruck in den Augen an, den Tom noch nie bemerkt hatte.

»Ich denke, ja, Sir,« sagte er mit erstickter Stimme. »Fühlen Sie sich jetzt etwas besser?«

»Ja, mir ist ganz wohl. Wer hat Ihnen den Brief übergeben?«

Tom beschrieb den Mann im Flanellanzug.

»Hat er noch etwas gesagt?«

»Nein, Sir. Er sagte nur, es wäre sehr dringend und ich sollte den Brief selbst übergeben.«

Er holte aus einem Schrank eine Whiskyflasche und einen Siphon hervor und machte einen kräftigen Trank zurecht.

»Trinken Sie das, Sir,« sagte er und reichte Preston das Glas, »es wird Ihnen gut tun.«

»Ich danke Ihnen, Tom.«

Als er das Glas geleert hatte, sah Preston besser aus.

»Miß Hagerston darf nichts von meiner Ohnmacht erfahren,« sagte er.

»Nein, Sir.«

»Auch nichts von dem Brief, Tom.«

»Nein, Sir.«

»Tom, wo ist mein Revolver?«

Der Bursche warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. Aber gleich darauf gab er den Gedanken, der ihm durch den Kopf gefahren war, auf und sagte:

»Ich hab' ihn bei mir, Sir.«

»Sorgen Sie dafür, daß er immer geladen ist.«

»Ja, Sir.«

»Und jetzt können Sie zu Bett gehen, Tom. Ich hoffe. Sie werden auf dem Stuhl schlafen können.«

»Wir haben beide an schlimmeren Stellen geschlafen, Sir,« erwiderte er und lächelte bei der Erinnerung. »Geht es jetzt besser, Sir?«

»Ganz gut, Tom. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Sir.«


 << zurück weiter >>