Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.
Eulerkapper


Nulla calamitas sola, sagt ein altes lateinisches Sprichwort, und das will auf gut deutsch so viel sagen: der Teufel kommt nie allein ins Haus, er hat immer noch ein Anhängsel bey sich. So gings auch unserm Euler.

Auf der Oelmühle bey Gießen saßen einst die Brüder des Amicistenordens beysammen und kommerschirten: indem trat ein Kerl herein, welcher an seiner ganzen Figur hinlänglich zeigte, daß er ein Halbmeister, oder zu deutsch ein Schinderknecht sey. Meine Herren, sagte er, ich glaube, Sie sind ohne Vorurtheile, und wage es daher, Sie um eine Gabe anzusprechen. Auf der Reise ist mir das Geld ausgegangen, und ich bin blank wie eine Kirchenmaus.

Der Kerl spricht gut, sagten die Studenten, solche Kerle müssen wir haben. Komm' hieher Kalaber! kriegst Geld; da trink einmal. Aber erzähle uns auch von Deiner Lebensgeschichte etwas.

Sehr gerne, erwiderte der Halbmeister. Sehn Sie, meine Herren, ich bin meines Handwerks eigentlich ein Schornsteinfeger, auch Feuermauerkehrer und Feuerrüpel genannt: ich lief weit und breit herum, und kam endlich nach Gießen, wo ich sogar ein Quasivater eines jetzigen akademischen Lehrers werden mußte, oder vielmehr gerne ward, weil man mir brav Geld gab. Hier erzählte der Kerl, welcher jener Kapper war, den wir schon aus den ersten Kapiteln dieser Geschichte kennen, den Hergang, wie wir ihn schon gelesen haben. Er habe sich nachher um sein Quasisöhnchen dann und wann erkundigt, weil er immer in der Nähe, in Gießen, Marburg, Homburg, Wetzlar und Friedberg conditionirt habe, und da habe er dessen Schicksale genau erfahren.

Was, schrien die Studenten, Kerl, ist das, was Du sagst, auch wahr?

So wahr, als Gott lebt!

Kerl, lügst Du, der Teufel soll Dich holen.

Er wirds deßwegen gewiß nicht: denn ich lüge nicht.

Kerl, wenns wahr ist, wir geben Dir zehn Thaler.

Dann hab' ich diese schon in der Tasche.

Kannst Du's denn beweisen?

Allerdings! Kommen Sie nur mit nach Kirchberg zum Pastor. Dort steht alles im Kirchenbuch.

Allons nach Kirchberg, nach Kirchberg!

Der Pastor zu Kirchberg wollte anfänglich das Kirchenbuch nicht aufschlagen: als sich aber Kapper zu dem Vater des Kindes von Jungfer Sibyllchen legitimirte, und versprach, die Gebühren zu entrichten, schlug er das Kirchenbuch auf, und gab einen Taufschein, wodurch alles ins hellste Licht gesetzt wurde.

Jubelnd zogen nun die Studenten nach Gießen zurück, zahlten dem Kapper seine zehn Thaler, traktirten ihn stattlich, und behielten ihn die Nacht über bey sich. Den folgenden Tag schickte der Senior der Amicisten folgende Zeilen auf einen großen Bogen geschrieben an den Magister.

Wohlgeborner, Hochgelahrter Herr, Hochzuverehrender Herr Magister.

Da eine ansehnliche Gesellschaft hiesiger Studirenden Ew. Wohlgeboren eine überaus angenehme Nachricht zu bringen hat, so ersuchen wir Dieselben, uns heute eine Stunde zu bestimmen, wo wir die Ehre haben können, Ihnen unsere Aufwartung zu machen. Wir verharren mit aller Hochachtung

Ew. Wohlgeboren
gehorsamste Diener,
Franz Friedrich Schläger,
im Namen der Gesellschaft.

Gießen, den –

Magister Euler gerieth in Exstase, als er dieses Billet las; er schrieb sogleich an Herrn Schläger zurück, daß es ihm angenehm seyn würde, wenn die Herren ihn den Nachmittag um zwey Uhr auf eine Tasse Kaffee beehren wollten.

Um zwey Uhr zogen nun dreyßig Studenten unter Herrn Schlägers Anführung in des Magisters Wohnung, und hatten den Halbmeister Kapper in ihrer Mitten. Sie fanden den Herrn Magister und die Frau Magisterin in Gallakleidern in der Putzstube und die Tassen auf dem großen Tische aufgepflanzt. Nun begann Herr Schläger folgende Rede:

Hochzuverehrender Herr Magister und Frau Magisterin!

Durch den glücklichsten Zufall von der Welt, haben wir Dero Herrn Vater und Schwiegervater, den gegenwärtigen Herrn Kapper, Halbmeisterknecht, entdeckt. Wir nehmen uns die Freyheit, denselben Herrn Halbmeisterknecht Ihnen vorzustellen, und hoffen, daß Dieselben unsre Bemühungen als einen Beweis unsrer Hochachtung gegen Dieselben ansehen werden.

Lange Pause! Endlich hob der Magister an: Was, meine Herren, was sind Sie für Leute? Wollen Sie mich narren?

Kapper. Nicht doch, lieber Sohn, die Herren haben ganz Recht. Ich bin Dein Vater.

Magister. Der Teufel ist Er! Ein Hallunke ist Er, pack Er sich, oder –

Kapper. Nun was denn? Sohn, versündige Dich nicht. Du bist mein Kind. Ich habe Dich gezeugt. Willkommen, Frau Tochter!

Magisterin. Weg von mir, Niederträchtiger!

Kapper. Seyn Sie doch nicht so böse! Sie sind ja doch meine herzallerliebste Frau Tochter. Ach, ich muß Sie küssen. ( Die Magisterin stößt den alten Halbmeisterknecht wüthend wie eine Furie zurück; der Halbmeisterknecht fällt gegen den großen Tisch, dieser kippt um, Kaffee- und Milchkannen und Tassen nebst Zwieback und Bretzeln gehen da unter einander.)

Magister. Das soll Euch theuer zu stehen kommen. Wartet nur ( ab).

Magisterin. Verfluchtes Lumpengesindel! ( ab).

Schläger. Hier ist für uns weiter nichts zu thun. Werden ja sehen, wie die Komödie ausgehen wird. ( alle ab.)

Der Magister lief spornstreichs zum Prorector, und erzählte ihm die gewaltige Beschimpfung, welche ihm war angethan worden. Der Prorector fand die Beleidigung einer zur Universität gehörigen Person enorm, und beschloß den folgenden Tag ein General-Concilium zu halten. Dieß ging vor sich, und alle Studenten, welche an dem Scandal Theil genommen hatten, wurden vorgefordert. Sie erschienen alle, und man sah es ihnen am Gesicht an, daß sie sich nicht fürchteten.

Die Session nahm ihren Anfang, und die Herren wurden hereingerufen. Sie leugneten auch kein Wort von dem ganzen Vorgang, und beriefen sich darauf, daß sie alles haarklein beweisen könnten. Die Herren vom Concilium steckten die Köpfe zusammen, der Kanzler forderte die Beweise, und Schläger legte den Taufschein des Pastors von Kirchberg vor. Die Herren erstaunten, und einige fingen an zu behaupten, hierunter müsse durchaus ein falsum stecken.

Nun trat Herr Superintendent Quodammodarius auf, und sagte: sein Gewissen treibe ihn an, Gott die Ehre zu geben, und zur Steuer der Wahrheit zu sagen, daß die Herren Recht hätten, und daß der Halbmeisterknecht, ehemaliger Schornsteinfegergeselle, allerdings der Herr Vater des Herrn Magisters Euler sey. Euler habe seine Mutter geheißen, aber er müsse eigentlich Kapper heißen, da sein Vater so hieße.

Nun hätte man das Gelächter auf dem akademischen Senat hören sollen! Gratulire zur Acquisition einer Namensvermehrung, Herr Magister, sagte ein junger Professor: jetzt mögen Sie sich immer Eulerkapper schreiben.

Der Senat ging auseinander, und niemand war mißvergnügt, als der Magister Eulerkapper: denn von nun an wollen wir ihm diesen Namen immer geben.


 << zurück weiter >>