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Zweytes Kapitel.
Das Scandal


Pastor Selsam saß auf seinem Sorgsell, an andern Orten Großvaterstuhl, im Elsaß aber das Faulbelzel genannt, und rauchte seine Pfeife Taback: am Tische saß Jungfer Sibylle, und nähete am Zeuge für ihr zu erwartendes Kind, als der Consistorialbote von Gießen eintrat und dem Herrn Pastor das große Schreiben einhändigte. Der Pastor wollte sofort das Schreiben öffnen, aber der Bote hinderte ihn daran, und forderte erst seine Bezahlung, nämlich dreyßig Kreutzer.

Je nun, mein Freund, sagte der Pastor, ich werde Ihn schon bezahlen: laß Er mich doch erst das Ding lesen.

Bote. Ah nicht rühr an, Herr Pastor: erst Geld her, und dann lesen Sie ins Henkers Namen bis übermorgen.

Pastor. Er ist ja gewaltig mißtrauisch!

Bote. Muß ich nicht? Neulich bracht' ich auch ein Schreiben an den Pfaffen zu Großenlinden; der nahms und las es, und darnach hatte der Lump kein Geld. Ich mußte abziehen, und habe noch nichts. Ein gebranntes Kind scheut's Feuer: also bezahlen Sie.

Pastor. Hier mein Freund! ( giebt ihm Geld) Aber unter uns gesagt, Er ist ein grober Mann.

Bote. Meinetwegen mag ich auch ein grober Esel seyn, wenn ich nur meine Moneten habe. Adjes Herr Pastor ( ab).

Der Pastor öffnete das Schreiben und las es durch. Hm, hm, das ist doch kurjos, sagte er! Aber was ist zu machen? Sibylle, Sie muß aus dem Haus.

Sibylle. Ich, Herr Pastor! Ih, warum dann? Sie haben mir ja versprochen, mich nicht zu verstoßen?

Pastor. Wohl habe ich das, und würde auch gewiß Wort gehalten haben: aber das Consistorium will es anders, und ich muß gehorchen.

Der Pastor erklärte hierauf die Macht des Consistoriums über die Pastores, und Sibylle sahe ein, daß er sie nicht behalten könne, da die gestrengen Herren zu Gießen anderes verordneten: sie gab sich, freylich mit vielen Thränen und Seufzern drein, und auf den Rath des Pastors ging sie fort, um sich im Dorfe ein Logis auszumachen, wo sie ihre Woche halten könnte.

Sie ging zum Cantor Schönleben, und bat ihn, ihr ein Stübchen einzuräumen; dieser erklärte, daß das Schulhaus eben so wie das Pfarrhaus eine geistliche Wohnung sey, und durch eine unehlige Niederkunft nicht besudelt werden dürfe. Der Richter Töffel Kreutzdaus wies sie gleichfalls ab, und schalt sie eine Pfaffenhure über die andere: weinend ging Sibyllchen zum Schöppen Jobsen Bierlümmel, welcher eben aus der Schenke kam, wo er sich besoffen und sein Geld verloren hatte. Wegen des Verlustes und der aus der Zänkerey entstandenen Prügeley war Bierlümmel ausserordentlich aufgebracht, ob er gleich nie bey guter Laune war: denn heitere gute Laune findet sich bey versoffenen Leuten sehr selten, bey zänkischen Spielern aber gar nicht. Bierlümmel hatte schon bey seiner Zuhausekunft Frau und Kinder zum Haus hinausgejagt, und schickte sich eben an, nach der Schenke zurück zu kehren und da sein Glück von neuem zu probiren, als ihm die arme Sibylle auf der Treppe vor der Hausthüre entgegen kam.

Was will Sie, fragte Jobsen Bierlümmel mit barscher Stimme.

Sibylle. Ach, lieber Herr Schöppe, ich habe eine gar große Bitte an Ihn.

Bierlümmel. Na, mach Sie's kurz: ich hab' da keine Zeit, Maulaffen feil zu tragen.

Sibylle. Mein Herr, der Herr Pastor, läßt Ihn bitten, mir doch ein Stübchen in seinem Hause zu vermieten – Er weiß, in welchen Umständen ich bin, und im Pfarrhaus kann ich nicht bleiben.

Bierlümmel. So, weil Du Nickel nicht im Pfarrhause Deinen Balg herbergen kannst, soll mein Haus dazu gut genug seyn. Reise, verfluchte Hure, oder ich trete Dir die Kaldaunen aus dem Leibe heraus.

Sibylle wollte dem aufgebrachten Flegel sein Unrecht demonstriren, und suchte ihn auf sanftere Gedanken zu bringen: aber Freund Bierlümmel gab ihr einen so heftigen Stoß, daß sie rücklings die Treppe herunter fiel. Brummend schmiß er die Hausthüre zu, ließ die Gefallene liegen, und ging nach der Schenke; Sibylle raffte sich auf und schlich unter tausend Thränen nach der Pfarrwohnung zurück.

Der Herr Pastor war zu seinem Freund und Disputirbruder, dem Pastor Tiefenbach nach Reißkirchen gegangen, und hatte den Hausschlüssel mitgenommen: die arme Sibylle konnte daher nicht ins Haus, und da sie mächtiges Bauchgrimmen empfand, so kroch sie in den Kuhstall, und warf sich auf einen Bund Stroh.

Ihre Schmerzen mehrten sich, und ihr Gestöhne wurde von einem alten Mütterchen gehört, dessen Wohnstube nur durch eine dünne Wand von dem pastorischen Kuhstatt getrennt war. Das alte Mütterchen, von Mitleid durchdrungen, eilte dahin, wo das Gestöhne herkam, und fand Sibyllchen, von welcher sie oft Brodt, Käse und Milch umsonst bekommen hatte, in den kläglichsten Umständen. Unter vielen hundert ach Herr Jeh! ach du liebe Zeit! untersuchte sie Sibyllens Umstand, und erklärte, daß ihr Stündlein gekommen sey, und daß die Kindmutter geholt werden müsse.

Nach dieser Erklärung eilte die Alte fort und kam eine Minute hernach mit der Frau Hebamme zurück. Diese machte ihre Sache so hübsch geschickt, daß Sibyllchen nach einer Stunde schon einen derben Jungen an ihrem Busen liegen hatte, und dieser Junge ist eben der Held dieser wahrhaften Historia.

Der Pastor hatte seinen Disputirbruder zu Reißkirchen nicht angetroffen: dieser war nach Gießen gegangen, um dort dem Professor Alefeld, welcher die Existenz des diabolus succubus und incubus geleugnet hatte, die Wahrheit zu sagen. Herr Selsam kehrte daher wieder zurück, und wunderte sich, als er ein Geschnatter in seinem Kuhstalle hörte, als wenn alle Gänse aus dem ganzen Dorfe darin versammelt wären. Er trat hinein, und sah nun die ganze Bescherung: Sibylle auf dem Stroh mit einem Kinde an der Brust, jammerte den Gutmüthigen in der Seele, er befahl, sie sogleich in ihr Bett zu bringen, und legte selbst Hand an. Dann wurden Weinsuppen gekocht und der Kindbetterin nach vorher gegebenem Schnapps so reichlich zugebracht Diese Unart, Wöchnerinnen zu vergiften, ist an vielen Orten noch gewöhnlich. L., daß Sibyllen würde hingefahren seyn, wenn sie nicht eine ächt Büseckerthäler Natur Sie war aus dem Büsecker Thal, unweit Gießen, zu Hause, wo die Leute, nach dem gemeinen Ausdruck, eine rechte Pferdenatur haben. L. gehabt hätte.

Indessen hatten die Herren in der Schenke gehört, was im Pfarrhofe vorgefallen war. Der Cantor Schönleben, welcher mit dem Richter Kreutzdaus und den Schöppen Bierlümmel und Rothkönig spielte, hatte eben ein Kännchen Schnapps bezahlen müssen, und war deßwegen ärgerlich. Er schmiß die Karten weg und rief: Kreutzsackerment, wir sind auch rechte Kerle, daß wir uns hersetzen, und um Nullen spielen, indeß im Pfarrhause die gröbsten Scandalia vorgehen. Der Pastor hat Befehl vom Consistorium, das Mensch aus dem Hause zu schaffen, und nun hat sie gar darin ihr Wochenbett. Schwerenoth, wenn wir das leiden, so sind wir Hunzfötter! Ja wohl sind wir Hunzfötter, erwiderten Bierlümmel und Kreutzdaus; alloh, alloh, nach dem Pfarrhause, und das Mensch auf die Gasse!

Einige besoffene Bauern gesellten sich zu dem Cantor und dem Richter, und nun gings nach der Wohnung des Pastors. Dieser war eben im Begriff, an's hochlöbliche Consistorium zu schreiben, und sich wegen des Vorfalls mit Sibyllchen zu entschuldigen, als die rasenden Bauern, vom Cantor angeführt, eintraten und mit aller bäurischen Impertinenz und Grobheit die Exportation des Luders und der Hure, wie sie Sibyllchen schalten, aus dem Pfarr-Hause forderten.

Der Pastor stellte den Rasenden ihr Unrecht vor, und meinte, es sey doch unmenschlich, eine frische Wöchnerin aus dem Hause auf die Straße zu werfen; sie könnte ja Schaden nehmen, und gar darüber hinfahren; aber die Bauern meinten: es läge gar wenig daran, wenn so ein Nickel abführe: es sey auch besser, daß sie auf der Straße krepirte, als daß die Pfarrwohnung noch länger entheiligt würde.

Schon machten sie Anstalt, Sibyllen aus dem Bette zu reissen und weg zu transportiren. Die Weiber, welche zugegen waren, schrien Zeter Mordio, der Pastor bewaffnete sich mit seinem Filialsstocke, und stellte sich neben das Bett seiner Haushälterin, um sie gegen die Angriffe des besoffenen Cantors und seines Gefolges zu vertheidigen; aber seine Kräfte waren zu schwach, er wurde derb zurückgestoßen, und schon hatten die wüthenden Kerle die Bettdecke herunter gerissen, als der Korporal Fasian hereintrat.

Was Schwerenoth giebt's denn hier? Was ist das für ein sackermentalischer Lärmen, sagte Herr Fasian, der Husarenkorporal, welcher mit einigen andern Husaren von Stauffenberg vom Commando kam, und bey dem Pastor einen Schnapps machen wollte.

Gott Lob und Dank, rief der Pastor, und setzte seine Perücke wieder auf, welche ihm der Cantor vom Kopfe geschlagen hatte, Gott Lob und Dank, daß Sie kommen, Herr Fasian! Stehen Sie mir bey wider diese Unchristen da!

Was wollen denn die Lausebengel, die Flegel, fragte Fasian, und strich sich den Knebelbart.

Der Pastor erklärte kürzlich den status caussae.

Ey so soll ja der Teufel den Flegeln in den Magen fahren, fluchte Fasian und zog seinen Säbel! Wollen die Bengel reisen, oder ich haue ihnen Nasen und Ohren ab! Die Rökel die! So'n Saufluder von Cantor, so'n Dorfochs von Richter, und solche Schweinigel von Schöppen, wollen einen braven Mann disjustiern! Ihr kämt mir schön an, Ihr Lumpenkerle; reist, oder ich mache Euch Beine!

Der Cantor und seine Begleiter trafen die Thüre, stürzten auf der Flucht die Treppe hinunter, und kamen mit blutigen Köpfen nach der Schenke zurück. Hier saßen die beyden Husaren, welche mit dem Korporal auf Commando gewesen waren. Der Cantor und seine Gesellen sahen diese vor Wut nicht, und ergossen sich in Schimpfwörtern über den Korporal. Die Husaren, welche nicht leiden wollten, daß Schulmeisterlein und Bauern sich über ihren Korporal in Schimpfwörtern üben sollten, griffen nach Knitteln, gerbten den Schimpfern das Fell rein durch, und warfen sie zur Thüre hinaus.

Im Pfarrhause war alles ruhig geworden, und der Pastor hatte seinem Retter Fasian einen großen Schnapps geholt. Der Pastor nahm sich vor, den folgenden Tag nach Gießen zu reisen, und der Korporal versprach, gleichfalls vor dem Consistorium zu erscheinen, und die Aussage des Pastors in Hinsicht auf die Impertinenzen der Bauern und des Cantors zu bestätigen. Damit aber die Kerle nicht einen Scandal machen möchten, legte Fasian einen von seinen Husaren ins Pfarrhaus zur Sauvegarde, und ritt mit dem andern nach Gießen.


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