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Das erste, welches unser Held der Reforme unterwarf, waren die großen Stiefeln und der Burschenhut; beyde wurden mit solchen vertauscht, wie sie die Herren Professoren in Schilda zu tragen pflegten. Sein Hauswirth freute sich über diese Metamorphose, und führte seinen Freund, wie er ihn stets nannte, in allen Gesellschaften ein, die ihm selbst offen standen. Aller Orten gefiel Euler, denn er war freygebig, ließ Collationen anstellen, und führte die Damen spatzieren. Freylich benahm er sich hiebey sehr linkisch, als gewesener Renommist, auch entfuhren ihm zu Zeiten gewisse Kernausdrücke, z. B. die Mamsell ist, Gott strafe mich, kein Hund; er hat Manschetten; meine Pfeife ist auf dem Mist, u. d. gl.; aber wegen seines Geldes nahm man das Ding nicht so genau: denn statt 400 Thaler mußte ihm nun der Herr Curator 800 jährlich schicken, wofür er für 1000 Thaler Quittungen remittirte.
Endlich gingen die ewig langen Osterferien in Schilda zu Ende, und Herr Euler mußte sich Collegia wählen. Sein Wirt hatte ihn ermahnt, sich in allen Fächern der Gelehrsamkeit umzusehen, er wählte also folgende Lectionen:
Vormittags
von 7-8 Polemik.
von 8-9 Pandecten.
von 9-10 Staatsrecht.
Nachmittags
von 3-4 Pathologie.
von 4-5 Metaphysik.
Dabey nahm er noch einen Lehrer in der englischen Sprache an. Auf jeder andern Universität würde eine solche Wahl der Lehrstunden äußerst lächerlich seyn gefunden worden, aber Euler war zu Schilda, und da fiel es gar nicht auf, selbst Professor Simon hatte nichts dagegen einzuwenden.
Das erste halbe Jahr ging zu Ende; Euler hatte fürchterlich hinter den Büchern gelegen, hatte keine Lehrstunde versäumt, und jedes Mal richtig wiederholt; er wußte also von allem etwas, ungeachtet er auch nicht die geringste gründliche Kenntniß hatte.
Im zweyten halben Jahre hörte unser Freund das Staatsrecht, die Kirchenhistorie, das Accouchement, die Botanik, und lernte Spanisch; im dritten halben Jahr endlich nahm er die Algebra, die Homiletik, die Casuistik vor, hörte ein Collegium über die arabische Grammatik, und hielt sich einen italiänischen Lehrmeister.
Beyher las er eine Menge gelehrter Zeitungen, nämlich alle die, welche damals herauskamen; alle neuen Bücher, die Aufsehen machten, kaufte er sich, und bekam dadurch ein solches Chaos von Wissenschaften in den Kopf, daß er papageyartig von allen Dingen, welche in die gelehrten Kenntnisse einschlagen, räsonniren konnte. In allen Gesellschaften, wohin er kam, führte er das Wort, und schwatzte alles so bunt durcheinander, daß kluge Leute weggingen, daß aber die Unwissenden da standen, und den gelehrten Euler als ein Licht der ersten Größe anstaunten, und sich vor ihm beugten.
Bisher ging alles recht gut; Euler lebte unter seinen Büchern, und im Umgang mit Gelehrten, welche seines Beutels nöthig hatten, und kümmerte sich um die ganze Welt weiter nicht. Aber jetzt kam auch die Periode, daß ihm Mosjeh Amor, auf griechisch Eros genannt, einen schlimmen Streich spielte. Als Renommist hatte Euler zwar dann und wann mit einer Aufwärterin oder einer Gassennymphe ächt burschikos gescherzt, auch war er in der Real- und Verbal-Zotologie gar kein Neuling; aber Liebe war ihm stets fremd geblieben, und kein Mädchen hatte ihn wirklich gerührt. In Schilda trieb er bloß Wissenschaften, zwar auf eine sehr verkehrte Weise, aber doch con amore, und wer ernsthafte Wissenschaften con amore treibt, der bleibt meistens frey von den Rührungen der Liebe.
Doch lang geborgt, ist nicht geschenkt; und so trafs auch bey unserm Freund Euler ein.
Die Frau Professorin, die Hauswirthin des Helden der Geschichte, hatte eine Schwester, die an einen Stadthäscher in der Residenz verheirathet war. Der Herr Nepp, oder Häscher starb, und hinterließ Frau und Kind in dürftigen Umständen: in der Residenz war alles gar sehr theuer, und da es in Schilda wohlfeiler zu leben war, auch der Herr Professor seiner Frau Schwägerin freyes Quartier versprochen hatte, so zog sie zu ihrer Schwester ins Haus.
Es versteht sich von selbst, daß die Frau Greiff – so hatte der selige Nepp geheißen – nicht unter dem Prädicat einer Frau Neppin oder Häscherin erschien: sie ließ sich Madam heißen, wie sie auch schon in der Residenz geheißen hatte: denn der Titel Madame paßt für alle Frauen, für die Königin und für die Halterin eines Bordels. Ihr Mann war aber Stadtquästor gewesen, und die Stadtquästur war, wie sie sagte, ein gar ansehnliches Amt.
Madam Greiff hatte eine Tochter von achtzehn Jahren, ein Mädchen von ganz hübschem Format, und von einfachen unverdorbenen Sitten. Euler sahe sie gleich am Tage ihrer Ankunft, und da sie ihn, ohne daß ers wußte, interessirte, so kramte er ihr viel von seiner Gelehrsamkeit aus. Das gute Minchen verstand kein Wort von allem dem Zeuge, aber sie hörte ihm doch, und zwar ohne Widerwillen zu. Euler nahm dieß für Beyfall, lobte Minchens Verstand und Einsichten, ungeachtet sie nicht ein Wort gesprochen hatte, und versprach, sich in Zukunft mit ihr mehrmals über Gegenstände dieser Art zu unterhalten, sie scheine ihm recht dazu geschaffen zu seyn, um dereinst eine Schurmann, eine Olympia Morata oder eine Dacier abzugeben u. s. w.
Den folgenden Tag früh sahe Euler das schöne Minchen im Garten spatzieren gehen. Im Augenblick war er auch da, hatte Heisters Chirurgie in der Hand, und nöthigte Minchen, sich mit ihm in eine Laube zu setzen. Minchen sperrte sich nicht, und setzte sich neben ihn. Nun öffnete Euler den dicken Quartanten und demonstrirte dem unschuldigen Mädchen alle Arten von Bruchbändern. Minchen ward über und über roth: ein anderes Mädchen würde böse geworden, und fortgelaufen seyn, aber Minchen ward nicht böse, und blieb ganz ruhig sitzen. Im Grunde hatte sie nicht Unrecht: denn Euler wollte nichts weniger als sie beleidigen, er hielt es gar nicht für unanständig, von Bruchbändern mit einem Frauenzimmer zu sprechen, hatte doch der berühmte Heister von Brüchen und Bruchbändern geschrieben, und diese Rarität in Kupfer stechen lassen.
Täglich war Euler mit Minchen zusammen, und weder der Professor noch Minchens Mutter hinderten dieses Beysammenseyn im Geringsten. Endlich nahm die Mama, welche von Eulers Umständen hinlänglich durch den Professor und dessen Frau unterrichtet war, Minchen vor. Höre, Töchterchen, sagte sie, wie gefällt Dir der Herr Euler?
Minchen. O recht gut, Mamachen; es ist ein hübscher Mensch: nur daß er zu sehr gelehrt spricht.
Mad. Greiff. Wie soll er denn anders sprechen? Die Gelehrten sprechen gelehrt: das ist ja ihr Geschäft. Sprach Dein Vater nicht auch immer von Krummschließen, vom Fangen, vom Auspfänden, vom Capitel, vom Stock und andern Sachen, die zur Nepperey gehören? – Aber daß Du Dich ja gegen niemand, weder gegen den Herrn Euler noch sonst gegen jemand verschnappst, daß Dein seliger Vater ein Nepp gewesen ist. Aber um wieder auf unsere Sache zu kommen, wie gefällt Dir der Herr Euler?
Minchen ( erröthend). Wie gesagt, recht gut.
Mad. Greiff. Und gefällst Du ihm denn auch?
Minchen. Ih Mamachen, weiß ich denn das?
Mad. Greiff. Und bist doch alle Tage mit ihm allein. – Hat er Dir denn noch nicht gesagt, daß Du ein hübsches Mädchen wärst, daß er Dir herzlich gut wäre, daß er Dich gern haben möchte?
Minchen. Nein Mamachen, von allem diesem hat Herr Euler nicht das Geringste gesagt. Er spricht bloß von Gelehrsamkeit: noch gestern erklärte er mir, wie die alten Deutschen lange vor Erschaffung der Welt ihre Bücher zusammen gerollt haben.
Mad. Greiff ( vor sich). Der Hacke muß ich eine Handhabe machen, ( laut.) Minchen, daß Du's nur weißt, Du sollst nicht mehr mit Herrn Euler allein seyn: und daß Du Dich nicht unterstehst, wider meinen Willen zu handeln.