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Was granzt Sie denn, Jungfer Sibylle? sprach der Herr Pastor Selsam zu Kirchberg und klopfte seine Pfeife auf den Ofen aus. Jungfer Sibylle antwortete keine Sylbe, und fuhr fort zu granzen.
Kurjos, sagte Herr Selsam, Sie weiß wohl selbst nicht, warum Sie granzt? Sprech' Sie doch! Ich meyn's, Gott weiß es, recht gut mit ihr: entdeck' Sie mir Ihren Kummer, vielleicht daß ich helfen kann.
Sibylle ( schluchzend). Ach Herr Pastor, was mir fehlt, kann kein Mensch gut machen.
Pastor ( sehr ruhig). Nun dann müssen wir beten, daß es der liebe Gott thut, bey dem kein Ding unmöglich ist. Sag' Sie immer Sibylle, was Ihr ist!
Sibylle. Ach, lieber Herr Pastor – ich bin – ich bin ( schluchzt).
Pastor. Nun, was ist Sie denn, Sibylle?
Sibylle. Ach ich bin – ein armes ( weint heftig) unglückliches Mädchen.
Pastor ( zündet seine Pfeife an). Sey Sie nicht undankbar gegen den lieben Gott, Sibylle. Der liebe Gott ernährt alle Creatur, da er dem Fleisch seine Speise und dem Vieh sein Futter giebt, den jungen Raben sogar, die den Herrn anrufen, wie's im Psalm heißt. Reich machen will Gott nicht jedermann: was würde das auch werden, wenn jedermann reich wäre? Wer würde arbeiten wollen? Was Sie anbelanget, Sibylle, so hat Sie ja Ihr Brodt und Ihre Kleider, und Ihre Arbeit ist doch bey mir auch nicht so arg. Sterbe ich einmal, so erbt Sie noch etwas von mir. Will Sie mehr?
Sibylle. Ach, liebster Herr Pastor, ich habe darüber keine Klage. Ach, wenn ich nur nicht so unglücklich wäre!
Pastor. Nun, was ist denn mit Ihr?
Sibylle. Lieber Herr Pastor, in an – ach – in andern Umständen.
Pastor ( legt die Pfeife auf den Tisch und steht auf). Was sagt Sie, Sibylle? Sie wäre schwanger?
Sibylle ( schluchzend). Ach – ja – lieber Herr Pastor!
Pastor. Hm, hm, so was hätte ich doch von Ihr nicht gedacht! Mit welchem Bauernburschen hat Sie denn zu thun gehabt?
Sibylle. Ach Gott, es war kein Bauernbursche.
Pastor. Je nun, so muß es ein Soldat gewesen seyn, und dann wärs desto schlimmer. So ein Kerl wischt sich das Maul, und dahin geht er.
Sibylle. Ach, so ists alle nicht. Bey der letzten Kirchenvisitation –
Pastor. Was, bey der Kirchenvisitation? Ich will doch nicht hoffen, daß der Herr Superintendent Quodammodarius – Ja, ja, der ist so ein Vocativus! Ich kann ihn gar nicht leiden wegen seiner Zoten, die er unaufhörlich reißt. Kein rechter Christ soll faul Geschwätz aus seinem Munde gehen lassen, wie der heilige Apostel befahl, und wenn ein großer Geistlicher Zoten reißt, wie ein Musketier auf der Hauptwache, so ists noch scandalöser. Ja, ja, wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über. Der Herr Superintendent wird wohl –
Sibylle. Ach nein, es war nicht der Herr Superintendent – es war der Herr Candidat Simon –
Pastor. Der Candidat Simon, das Factotum des Superintendenten? Ja, ja, nun geht mir ein Licht auf. Der Schleichhans, der von nichts als von Moral und Tugend spricht, und alle Ketzer widerlegt, und auf die Neuerer schimpft wie ein Rohrsperling! Das sind mir die rechten Kerle – Aber, was ist nun zu tun? Sie muß doch einen Vater zu Ihrem Kinde haben. Ich werde an den Superintendenten schreiben: oder besser, ich rede mit ihm. Künftige Woche reise ich nach Gießen, da will ich die Sache incaminiren.
Sibylle. Sie jagen mich doch nicht aus Ihrem Hause, Herr Pastor?
Pastor. Behüte Gott, ich will Sie nicht zur Verzweiflung bringen: Sie könnte gar Ihr armes Kind umbringen.
Sibylle ging getröstet vom Pastor an ihre Arbeit, und dieser nahm seinen Hut und Stock, und ging aufs Feld, um zu überlegen, was er für das arme Ding thun könnte. Sibylle sah den Pastor weggehen, und lief zur Nachbarsfrau, um dieser gleichfalls ihre Umstände zu entdecken. Die Nachbarsfrau entdeckte die Sache weiter, und ehe zwey Stunden vergingen, wußte das ganze Dorf das Geheimniß des Pfarrhauses.
Der Cantor Schönleben zu Kirchberg war ein Erzsaufaus, und saß alle Tage in der Schenke, wo er mit den Bauern Solo und Daus um Daus spielte, sich mit ihnen sehr oft herumkatzbalgte, und endlich taumelnd nach Hause zog. Der Pastor koramirte ihn wegen dieses ärgerlichen Lebens öfters derb herunter, und drohte ihm stets, die Sache ans Consistorium zu berichten, unterließ es aber immer aus der ihm natürlichen Gutherzigkeit. Der Cantor aber erboßte sich über den Pastor und suchte eine Gelegenheit, sich an ihm wegen der häufigen Pillen zu rächen, die er ihm zugeteilt hatte. Seine Saufbrüder, welche der Pastor öfters abkanzelte, waren gleichfalls gegen den guten Mann aufgebracht, und ließen sich vom Cantor leicht bewegen, folgendes Schreiben an den Superintendenten Quodammodarius zu Gießen zu unterschreiben, welches der Cantor concipirt und mundirt hatte.
Allerhochwürdigster und Achtbarer, Hoch- und Tiefgelehrtester, Hochedelgeborner, Gnädiger und Dienstfreundlicher Herr Generalsuperintendent!
Ew. Excellenz Hochwürden müssen wir die Endesunterschriebenen mit bangem Herzen und zerschlagenem Geiste vorstellen, wie daß unser Herr Pastor Selsam der hiesigen christlichen Gemeinde ein gar großes Scandalium, Aergerniß und Stein des Anstoßes giebt; gestalten derselbe wohlbenannte Herr Pastor Selsam eine Köchin hat, oder Haushälterin, Namens Anna Sibylla Eulerin, welche sich zu ihrer größten Schande, Unglück, Schaden und Schimpf in gesegneten Umständen befindet. Alldieweilen aber ein solcher Caseus und Vorfall der ganzen Gemeinde ein großes Scandalium und Aergerniß giebt, maßen das Gerücht geht, als wenn der Herr Pastor Selsam, als welcher caelebs oder ohne Frau ist, gar leicht selbst in eigner geistlicher Person in Verdacht gerathen könnte, als wenn durch sein Zuthun die Jungfer Sibylla in das große Unglück der gesegneten Umstände gerathen, als bitten wir Ew. Magnificenz Hochwürden unterthänigst, gedachtem Herrn Pastor anzubefehlen, die gedachte Jungfer Sibylla aus dem Pfarrhause zu removiren und wegzuschaffen, und also die Priesterwohnung von der Unreinigkeit zu reinigen. Sind übrigens mit aller Dienstfreundlichkeit und hoher Gewogenheit wie auch Affection
Ew. Magnificenz Hochwürden
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Herr Quodammodarius, der Superintendent, haßte den Pastor Selsam, weil dieser Seine Hochwürden einst ermahnt hatte, doch nicht stets zu hackschen und mit der großen Glocke zu läuten: deswegen freute er sich, dem alten Mann wehe thun zu können, und resolvirte sofort auf das kauderwelsche Gesudel des Cantors Schönleben, daß die Jungfer Sibylle aus dem Pfarrhaus gebracht werden sollte, und zwar Angesichts dieses, wie's im Schreiben hieß; ferner sollte der Pastor Selsam sich nächsten Sessionstag, würde seyn der 12te anni et mensis currentis, vor einem Hochlöblichen Consistorio zu Gießen stellen, auf die ihm vorzulegenden Fragen gebührend antworten und das Weitere erwarten.