Joseph von Lauff
Die Seherin von der Getter
Joseph von Lauff

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11

Das Fest kann beginnen.

Als die beiden auf den Flur hinaustraten, wollte die animierte Stimmung des Paderborners noch immer nicht zur Ruhe kommen, obgleich das Freifräulein von Boeselager ermahnte, die Kontenance zu bewahren, und Ludgerus Hölscher dringend darauf hinwies, das Erzählte in den Schornstein zu schreiben, sich umzustellen und seine Gedanken auf den Ernst und die Weihe des heiligen Abends zu richten.

Es fruchtete wenig.

Ohm Gideon wieherte und lärmte weiter wie ein Remontehengst.

»Grandios! Über alles Erwarten. Ich kannte die Sache. Aber mit dieser Verve und Grazie durfte sie nur ein Kanzelredner, ein gediegener Erzähler an den Mann bringen. Ein Fettnäpfchen hätte Mühe gehabt, sie feiner zu bekleckern.«

»Menagiere dich, Gideon! Du sprichst, als wärest du im Hauskamisol.«

»Tu' ich und will ich. Aber das war ja, um auf die Cheopspyramide zu klettern. Ein Königreich für diese Schnupftabaksdose!«

Er klopfte sich auf die Schenkel, daß es sich wie ein Trommelfeuer anhörte.

»Nein, dieser Maximilian Friedrich, Bischof zu Münster! Der veritabelste Salomo. Ein ulkiges Haus, das! Dem Mann ist ein Denkmal zu setzen, mit Steingirlanden und Posaunenengeln. Und erst diese Gräfin in ihrer Predullig und dem fidelen Liebeskitzel zwischen den Rippen! Das reinste Donauweibchen, 'n Mittelding zwischen 'nem Rosenkranz und 'ner unersättlichen Kruke. Das ging einem ja wie Schnepfendreck über die Seele. Ha, ha, ha, ha! Gratuliere, Hochwürden! Gratuliere und meinen gehorsamsten Beifall.«

Die Stimme versandete.

Dafür ertönte der silberne Ton der freundlichen Klingel zum andern.

Im ganzen Hause war ein Duft nach harzigen Fichtennadeln und Wachskerzen, ging die Heimlichkeit auf Zehenspitzen, um die Menschwerdung des Himmelsfürsten anzukündigen. Seine Vorboten hatten bereits die Ställe aufgesucht und die Raufen bestellt, waren zu Knechten und Mägden gepilgert und hatten gesagt: »Macht frohe Gesichter; denn heut ist gekommen der Herr, der da erschienen ist, zu richten die Lebendigen und die Toten.« Sie standen als feurige Perlen und Diamanten über der Getter, zogen bereifte Litzen durch die Weltenräume, spiegelten sich in den Schneewehen wider, und es machte den Eindruck, als wenn irgendwo ein zartes Klingeln tönte, ein Klingeln von überirdischen Schellen, als käme der heilige Christ in einem lautlosen Schlitten gefahren, um Unheil und Mißwende abzuhalten und die Geschenke des ewigen Jerusalems wie goldene Mannakörner zu verstreuen . . . und verstohlenerweise: sie hatten das grüne Geäst umsponnen und ein Stück des Himmelreichs durch die duftigen Zweige gewunden.

Wie das strahlte und glänzte!

Hoch und hehr, in ihrer ganzen Lieblichkeit und feiertägigen Andacht erhob sich die Fichte.

Alle umgaben sie: solche, die dem Hause dienten, und solche, die ihm verwandt und zugetan waren: Hochwürden, das Freifräulein, Ohm Gideon, Johanna, Fritz Garke, Hövelkamp, Jans Schwarte und sonst noch, was in Küche und Keller regierte oder mit Karst und Spaten über die Felder zog und die Schollen fein säuberlich nebeneinander legte, Männlein und Weiblein, ernste Gesichter und frohe Gesichter und solche, die bereits das ewige Leuchten zu sehen wähnten . . . aber alle überragt von Frau Judith, die, wie immer schwarz gekleidet und ein Samthäubchen auf den straffgescheitelten Haaren, neben Hochwürden stand, den Blick starr auf den Eingang gerichtet, als erwarte sie von dort das Alpha und Omega ihres Lebens.

»Nun kommt meine Stunde,« sagte sie zu Ludgerus Hölscher. »Meine Augen mögen sich schließen; denn ich habe nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu wünschen. Ich empfinde das, was der fromme Simeon zu Jerusalem im Tempel empfand, als Maria erschien, um zwei Turteltauben zu opfern. Daß mir diese Freude noch wurde, ist eine Fülle des Glücks, der ich fast zu erliegen glaube. Und wenn es einträfe, man könnte kein schöneres Sterben haben. Doch jetzt zur Sache. Sind Sie vorbereitet, Hochwürden?«

»Ich bin es, Frau Travelmann, und gerade wie Sie: auch ich bin fröhlich im Geiste und danke Ihnen, daß Sie mich auserwählten, Träger der Botschaft zu sein, die uns alle beseligt,« und siehe: in diesem Augenblick tat sich die Tür auf, und Bernd und Emmerich traten Hand in Hand zu den Harrenden, geblendet und überrascht von allem, was sich ihnen aufdrängte, und bevor sie sich von ihrem Erstaunen erholten, klang ihnen von denen auf Getter die Weihnachtslegende, das alte Lied entgegen, das schon ihre Altvordern über die Dawert gesungen hatten:

»Es fiel ein Himmels-Taue
In eine Jungfrau, fein;
Es war kein' bess're Fraue
Für solches Kindelein.
Obschon du hast geboren,
Bleibst dennoch eine Maid.
O Jungfrau auserkoren,
Preis wird dir allezeit.
Bald sprach vom Himmelsthrone
Ein Engel Joseph an:
O Joseph, Davids Sohne,
O du recht frommer Mann,
Bei deiner Braut verbleibe,
Die dir vermählet ist,
Gott hat in ihrem Leibe
Dies Wunder zugerüst't.
Es fiel ein Himmels-Taue
In eine Jungfrau, fein;
Es war kein' bessre Fraue
Für solches Kindelein.«

Leise und schüchtern angestimmt, erhob sich das Lied allmählich in seiner ganzen Glorie und Herrlichkeit und rauschte auf starken Flügeln durch den weiten Raum, wo die von der Getter gemeinsam tafelten, Verabredungen trafen, Eide schworen, ihre Leute verpflichteten und die Toten aufbahrten. Als die Weise verzitterte, die Hände sich falteten und eine atemlose Stille eintrat, neigte Ludgerus Hölscher das Haupt, hob es wieder und begann eindringlich zu sprechen: »Stimmen der Verheißung, Stimmen aus dem Jenseits. O, daß sie kämen, o, daß ich sie überall fände! Mir ist so, als wäre der Vermittler in unsere Mitte getreten. Mir ist so . . .? Nein, er ist wirklich und wahrhaft allgegenwärtig. Er ist unter uns. Er lächelt. Er öffnet die Lippen. Er redet. Und also spricht der Herr, der geboren wurde aus Maria der Jungfrau, zu Bethlehem im jüdischen Lande: Was steht ihr und harrt ihr am Scheidewege?! Seid nicht ängstlich, rüstet euch, greift zum Muschelhut und betet an den Stationen der Erkenntnis. Ihr, die ihr Leid traget um der Gerechtigkeit willen – kommt nur, ich will euch erquicken. Ihr, die ihr in Zweifel und Argwohn gegeneinander lebet, folget mir und reicht euch die Hände. Wo da Ängste und Nöte waren, sie werden dahingehen wie der Rauch von einem Brandaltar, des Feuer kein gottwohlgefälliges Feuer. Und ihr, die ihr hofftet, die ihr Verlangen truget nach der Quelle heißen Gewährens – ihr ginget nicht abwegig, denn erfüllt soll werden, was der Erfüllung harrte und das Werden ersehnte. Lieblich und schön sein, tut es allein nicht. Ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben. Ihm sei die Ehre, denn seine Knospe wird aufspringen wie der Kelch der Christrose unter Kälte und Winterweh. Bernd, du bist der Letzte des Stammes. So Gott will, du bist es gewesen. Der Schmuck der Travelmänner wurde aus der Truhe gehoben. Unter ihm pocht ein reines Herz, und ein Frauenmund verkündet dir schamhaft: Ich bin gebenedeit unter den Weibern. Amen.«

Er trat zur Seite und mit ihm Frau Judith, und siehe: unter dem hellen Baum stand Hille, einer Königin ähnlich, den Schmuck um Hals und Nacken gelegt, als Diadem die blonde Flechtenkrone, weiß wie ein Lilienblatt, die Lippen rot und brennend wie die Blüte einer Feuerbohne. Und ihre Augen! Ach, diese Augen . . .

»Dein Geschenk,« sagte Frau Judith.

Ein verhaltener Aufschrei.

»Hille, Hille! kannst du vergeben . . .?!«

Unter der Fichte hatte der wilde Travelmann seine schönste Weihnacht gefunden.

Wohin man auch hörte, überall war ein stilles Weinen und Schluchzen. Das Edelfräulein drückte ihr Spitzentuch gegen die Lippen. Hövelkamp suchte den gestrigen Tag, ohne seiner habhaft zu werden. Verstört spielte er an seinen Knöpfen herum und stammelte vor sich hin: »Gott Verdammich, einen so in die Rührung zu stoßen.« Selbst Ohm Gideon verlor seine militärische Straffheit – ein Komödiant, der auf sein Stichwort wartete. Die Lider wurden ihm schwer. Dicke Tropfen rannen ihm über die Wangen.

Vergebens kramte er in seinem Anekdotenvorrat nach einer muntern Sache, um sie wie ein Fasanenhähnchen aufschnurren zu lassen. Nichts stöberte hoch, bis es ihm selber zu dumm wurde und er in sich hineinzürnte: »Gideon, Haltung. Keine Liaison mit der Rührseligkeit. Nicht stieselig werden. Aus! Fertig!«

Die Hacken klappten zusammen.

Nur eine blieb steinern. Johanna. Dunkle Ringe um die Augen, die kurz zuvor noch nicht dagewesen waren, stierte sie auf Hille und Bernd. Sie sah nur die beiden. Alles andre um sie war schwimmende Nacht, ein Gewirr von grauen und ziehenden Fäden.

Und nochmals erklang es:

»Maria, Jungfrau reine,
Da Gott sein Ruh in find,
Für uns bitt' insgemeine
Zu Jesus, deinem Kind,
Daß er uns woll' einlassen
Ins Himmel-Paradeis,
Da man allzeit ohn' Maßen
Singt Lob mit Ehr' und Preis.«

Emmerich Dinklage war ans Fenster getreten, hatte einen Flügel halbwegs geöffnet . . . und fernher, ganz aus der Tiefe, riefen die Glocken von Hiltrup herüber. Da fuhr er sich über die eiskalte Stirn, hob das Haupt und sah mit nassen Augen in die Welt voller Sterne.

So war eine Stunde dahingegangen, in Freud' und Leid, unter Lächeln und glücklichen Tränen, in seliger Getragenheit. Haus Getter hatte geopfert, aus dem Vollen heraus und mit offenen Händen, von denen die Rechte nicht wußte, was die Linke verausgabte, und die beiden Frauen, die gütigen Spenderinnen von all den Kleinigkeiten, die aber dem Leben erst seinen eigenartigen Inhalt und Reiz verleihen, konnten sich kaum vor den vielen Bezeugungen heißer Dankbarkeit retten. Hövelkamp sprach erregt von ewiger Treue und war wie einer, der sich im Sonnenglanz vor der Hoftür aufgepflanzt hatte, in blauem Stahl und mit breitem Schwert, um diesen Sonnenglanz zu hüten und Tod und Teufel, betrübten und armseligen Zeiten den Eingang zu wehren. Jans Schwarte jedoch blieb stumm wie ein Karpfen. Er musterte immer wieder seine hausgesponnen Lammfellsocken, zählte unentwegt seine harten, blanken preußischen Speziestaler und stand schwer in Überlegung, ob er jetzt bald heiraten könne, während die übrigen, Knechte, Mägde und Hofjungen, wechselseitig ihre Angebinde bewunderten, Frau Judith und Hille umdrängten, sich die Nasen wischten und den Tag segneten, der sie in Verpflichtung genommen. Das Antilopengesicht schwankte zwischen himmelhochjauchzender Freude und Bitternis. Die funkelnagelneuen Transchuhe imponierten ihm mächtig. Sie waren aus bestem Rindsleder und dreifach genagelt. Dann aber wieder . . . »Die trägst du,« hatte die Alte gesagt, »nicht nur Sonntags und an den vier Hochzeiten, sondern tagtäglich, und ziehst sie erst aus, wenn du zu Bett gehst. Die strumpfigen Flurgänger sind Jungfernverderber. Verstanden?« und dann war sie zu dem blutjungen Ding mit den brandfuchsroten Haaren gegangen und hatte ihr ins Ohr geflüstert: »Lies fleißig in den ›Blüten und Perlen für christ-katholische Menschen!‹« Hierauf zeigte sie auf das erste Blatt, wo geschrieben stand: »Halte Gott vor Augen und den Riegel verschlossen, so werden dir die Knospen des Leibes nicht welken und die Perlen der Seele nicht auf und davon gehen,« und Ludgerus Hölscher nickte dazu und versenkte sich in sein Geschenk, in die Bilder des Ritters Joseph von Führich zu dem Buche ›Ruth‹, dem ›Psalter‹ und den ›Betrachtungen‹ des ewigen Thomas von Kempen. »Mir ist so,« sagte er bewegt vor sich hin, »als habe der Mann mit den Ohren der Evangelisten gehört, mit ihren Augen gesehen, mit ihrer Feder gezeichnet, so schön ist das alles, so erhaben und voller Gottesnähe, als ginge man über eine Wiese im Paradies mit leuchtenden Blumen, als da sind: Mariawindelweiß, unserer lieben Frauen Bettstroh und Siebenhämmerlein.« »Jawoll, ja,« pflichtete ihm Ohm Gideon bei, »mir ist ähnlich zumute. Nur ist die Gottesnähe mir fern.« Zur Bekräftigung dessen wippte er sich dreimal auf den Zehenspitzen hoch und ließ sich bedeutungsvoll wieder auf die Absätze zurückfallen. »Ich wallfahre anderswo hin, durch die Tabaksplantagen von Kuba, und ich freue mich dessen,« und er rauchte kalt an der opulenten Meerschaumspitze, die ihm der Hausherr als Präsent überreicht hatte. Das Freifräulein von Boeselager sah ihn vorwurfsvoll an: »Du Heide. Der Tag wird kommen, wo auch die Verstockten hellsichtig werden.« »Jawoll, ja, Stephanie, besonders dann, wenn sie 'ne Geschichte erwischen wie die von der Schnupftabaksdose.« Das graziöse Persönchen entsetzte sich: »Cri de douleur. O lala! O lala!« und sie pendelte mit ihrem silbernen Löckchen, daß man wähnte, ein zartes Wispern zu hören. Aber alle waren zufrieden und glücklich.

Und wieder war eine Viertelstunde vergangen.

Die Diele leerte sich.

Unter Führung Hövelkamps hatten sich die Dienenden des Hofes in die Gesindestube begeben, wo volle Bierkrüge und reichliche Schüsseln ihrer harrten. Die letzten sahen nur noch, wie die Lichter allmählich verfielen, fromm und gottergeben, mit dem wunderfeinen Knistern von Libellenflügeln, bläuliche Rauchfäden durch das duftige Geäst ziehend. Das vorletzte flackerte auf, das letzte . . . und beide vergingen. Die Fichte hüllte sich in Dunkelheit, aus der die roten und blauen Glaskugeln, die vergoldeten Äpfel und Nüsse ahnungsvoll hervorglimmerten.

Dafür aber erstrahlte die Herrschaftstafel im Glanz der Travelmannschen Aufmachung. Wie am Tage Sankt Huberti, so hatte sich Haus Getter auch jetzt aus seinem patriarchalischen und bäuerlichen Tun heraus in das kavaliermäßige umgestellt. Auserwählte Gedecke waren an Stelle der irdenen getreten. Zweige von Stechpalm mit roten Beeren zwischen den saftgrünen Blättern umkränzten hohe Kristallschalen und silberne Leuchter, deren Wachskerzen mit denen der Hirschgeweihkrone wetteiferten. Abgesehen von den benachbarten Schulten und Gutsbesitzern, die heute ihre eigene Weihnacht begingen, saßen die geladenen Gäste wie damals beim Schüsseltreiben. Stephanie von Boeselager, Hochwürden und Johanna, letztere ihrer Werktätigkeit wegen, durch die sie sich alle Herzen im Sturm erobert hatte, waren nach Rang und Würde eingereiht worden.

Fritz Garke nicht weit von Johanna. Er atmete schwer, als vernähme er irgendwoher ein verlangendes Fiepen und Schmälen. Den Windfang hoch, die Lichter offen und die Lauscher gespannt, zog er in Gedanken waldeinwärts. Die Schwüle ringsumher, die Erwartung, bald an den gestochenen Abzug schleichen zu können, machten ihn dämpfig. Trotz der Abfuhr, die er noch vor kurzem erlitten hatte, gab er seinen Pirschgang nicht auf. Das Schmaltier mußte heran, auf alle Fälle, entweder so oder so, aber es mußte ihm werden. Das Forsthaus wartete. Blut und Rasse paßten zusammen. Ähnliche Gefühle hausierten durch die verborgensten Herzensfalten des Paderborners, dessen Blick nicht von der Gestalt des jungen und verlockenden Weibes ablassen konnte. Öfters, indessen er seinen Spiegelkarpfen in Dill kunstgerecht zerteilte, zog er die gefärbten Brauen aufwärts und blitzte dazu mit seinen Kulleraugen wie ein ungrischer Feldzeugmeister am Wiegenfest Seiner apostolischen Majestät des Kaisers und Königs, während Johanna über die beiden fortsah, als wären sie Hampelmätze mit langen Gesichtern. Ein Siegesgefühl brannte in ihrem wächsernen Antlitz, das plötzlich ins Glühen geriet. Dabei zuckte ihre Oberlippe spöttisch nach oben, herausfordernd und selbstbewußt. Die Zähne kamen zum Vorschein, ebenmäßig nebeneinander gesetzt, elfenbeinfarbig wie die einer geschmeidigen Tigerkatze. Da erkannte Ohm Gideon: »Ihre Gedanken sind irgendwo, nur nicht bei dir,« und als kundiger Thebaner, der alle faulen Kompromisse haßte und jeder Zukunftsmusik fern stand, zertrat er seine Neigung zur Tochter Montezumas wie den Stiel einer Kalkpfeife, streute Asche darüber, kehrte reumütig zum delikaten Spiegelkarpfen zurück, den Gänsebraten erwartend, dessen Duft bereits die große Diele durchwölkte, aromatisch wie der eines Osterlammes auf dem Brandaltare Jehovas, berauschend wie alle Spezereien und Wohlgerüche Arabiens zusammengenommen.

Er hob sein Spitzglas.

»Auf dein Spezielles, Bernd! Dein Gastmahl ist wieder von der obersten Seite. Selbstverständlich, deine Damen sind außer Wettbewerb, stehen turmhoch über uns Sterblichen, jawoll, ja, und daher: dir das Glas, du Gesalbter des Herrn, du in Kraft selbstauferlegter Pein, Plage und Forschheit deines Altvordern Schild- und Wappenloser . . . aber man soll nicht immer das Lied vom königlichen Freisassen singen oder delikaten Spiegelkarpfen in Dill verzehren, man muß auch . . . ich meine . . . kurz, Mahnung ergeht, wie schon einmal geschehen, an Gruben-, Schleif-, Rund- und Schnittholz zu denken und die Art reden zu lassen. Sonst schlag' ich Lärm.«

Er stellte den Kelch hin, räusperte sich und zog seine mit Mastix gesteiften Schnurrbartenden zu Lanzenspitzen aus.

Dann blitzte er Fritz Garke an.

»Bitte, mich unterstützen zu wollen. Ihre Ansicht, Herr Forstrat!«

»Es wird Zeit,« sagte dieser.

»Da siehst du,« fuhr Gideon fort, »und als korrekter Beamter habe ich nur den Termin zu notieren.«

Er griff in die Seitentasche.

»Notizblock und Crayon sind bereit. Also wann?«

»Sagen wir in vier bis fünf Wochen,« meinte Bernd.

Ohm Gideon nickte.

»Bong! Geschrieben steht: Schätzung durch mich am 26. Jänner. Der Tag des heiligen Polykarp hat klare Augen. Die habe ich nötig. Eine Woche nachher kannst du mit dem Abtrieb beginnen. Immer fortepiano. Aber erst meine Arbeit.«

»Selbstverständlich,« lachte der Gutsherr. »Nur, wenn's beliebt, eine Arbeit ohne Bouteillen.«

»Seelenkenner! Doch später darüber. Hier wird nicht aus der Schule geplaudert.«

»Und wo soll geschlagen werden?« fragte Frau Judith.

»In der Hohen Fuhr und so weiter; dann auf dem Heidkamp in Darfeld. Kurz, aber schmerzlos.«

»Auch auf Darfeld?« warf Ludgerus Hölscher plötzlich dazwischen.

»Natürlich.«

»Doch nicht die fünf stattlichen Eichen, unter denen Annette von Droste . . .«

»Warum nicht?« gab Ohm Gideon ohne Zögern zurück.

»Ciel! Also die Lieblingsbäume, in deren Schatten meine selige Schwester . . .«

»Eben dieselben, meine Charmante. Kerniges Holz. Es wäre Baumfrevel, zu warten, bis Rotfäule eintritt. Das kann eine sachliche Verwaltung nicht verantworten. Ihre Ansicht, Herr Forstrat.«

»Die müssen Hals geben,« orakelte Fritz Garke zum andern.

»Da hörst du.«

»O mon dieu! mon dieu!« und das Freifräulein von Boeselager wuscherte erregt in ihrem Pompadour herum, entnahm ihm das mit einer siebenfältigen Krone bestickte Spitzentüchlein und tupfte sich damit trostlos die Augen.

»Dann komm' nur. Es gibt Leute, die mit einem rauhen Fidelbogen über ein trauriges, einsames Herz streichen. Ich erwarte Sheriff und Henkersknechte, aber die Lilien auf dem Sarkophag meiner heimgegangenen Schwester werden zu Disteln werden und wider dich aufstehen.«

Der Holz- und Forstkundige zuckte die Achseln, wobei er ein Stückchen Weißbrot auf die Gabel spießte und damit das letzte Restchen der Dillsauce so sauber hinwegnahm, als wäre das Züngelchen einer Miezekatze über den Teller gefahren.

»Stephanie, Geschäft ist Geschäft, und Klafter ist Klafter.«

»Du Unmensch! Du Alarmtrompeter und Mann ohne Herz! Wag's nur, und die geschändeten Eichen, die Manen der Freifrau von Darfeld . . .«

Die Märchenprinzessin zerknüllte ihr Spitzentüchlein. Vor Tränen, die in ihre Stimme hineintropften, konnte sie nicht weiter sprechen.

»Stephanie,« begütigte Emmerich, der bisher wie geistesabwesend das Plaudern der Lichter verfolgt hatte, »er wird es nicht darauf ankommen lassen.«

»Der?!« trumpfte die Erregte auf, und hinter ihren Wimpern begann es zu leuchten. »Er tut's. Ich kenne ihn doch. Er hat sich schon viel schlimmere Dinge geleistet.«

Ohm Gideon hob die kreisrunden Blicke und fragte geschäftsmäßig: »Welche zum Beispiel?«

»Auf der Senne, vor Jahren. Cherchez la femme. Damals, als du noch ein bildhübscher Mensch warst, als Dolman und Attila dich noch zierten, da ist die Tochter des Pader-Müllers um deinetwillen beinahe ins Wasser gegangen.«

»Beinahe?!«

Ohm Gideon schmunzelte, wie die ausgepichten Sünder zu schmunzeln verstehen.

»Beinahe und ähnliche Schosen! Recht wirst du haben. Als flotter Husar darf man schon derartige Sächelchen entrieren. Kein Hufeisen ist dem Mädel abhanden gekommen. Jawoll, ja, aber ich kann mir nicht helfen: Stephanie, Geschäft ist Geschäft, und Klafter ist Klafter.«

Judith schüttelte den Kopf. Ihr Krückstock machte eine unwirsche Geste.

»Ausgeschlossen,« sagte sie heftig.

Der Gemaßregelte fuhr erstaunt in die Höhe.

»Auch Sie, Frau Travelmann? Auch Sie, wo Sie doch als praktische Wirtschafterin den Nutzen von Bau-, Rund-, Schleif- und Nutzholz zu werten verstehen? Diese Sentiments! Ich komme mir vor wie'n angewurzelter Scheit unter 'ner Libanonzeder.«

»Alter Supsack,« lachte der Gutsherr, »dann wurzle man weiter. Auf Darfeld wird nicht taxiert und geschlagen.«

»Nicht?«

»Nein, und wenn ich betteln müßte.«

»Also kurz und bündig: nichts mehr zu ändern?«

»Nichts mehr.«

»So, so!« und der Paderborner mit dem behäbigen Bäuchlein und den kurzen Honwed-Beinchen ließ die Maske fallen, griemelte vergnügt vor sich hin und neigte den schönen, aber entwaldeten Eierkopfschädel.

»Denn nicht,« sagte er mit der Ergebenheit eines Peripatetikers und schüttete sich ein Glas Rotwein hinter die Binde. »Es ist jedenfalls zutunlicher, in die Wüste zu pilgern und Ziegel zu streichen, als mit Damen über Nutzholz zu plaudern. Praxis und Diarrhöe sind eben verschiedene Dinge. Ich ergebe mich in den Willen des schönen Geschlechtes beider Hemisphären.«

Bernd prustete los.

»Bravo, mein Junge! Zum Lohn dafür werden dir am Tage des heiligen Polykarp zwei Bouteillen Schätzungswasser genehmigt.«

Ohm Gideon strahlte.

»Drei, Freisassenhöfer!«

Er hob beschwörend die Hand und ließ seinen Lapislazuli glänzen.

»Zugestanden.«

»Merci!« und dann ein bewunderndes »Ah!« aus dem Munde des Unverbesserlichen, ein Schnüffeln und Schnuppern, denn auf blendenden Assietten wurden in diesem Augenblick zwei knusperige, gebräunte, mit Äpfeln und Maronen gefüllte Gänse auf die Diele getragen. Eine prächtige Schau, der sich der Ruch nach Majoran, Beifuß und Madeira gesellte.

»Sapristi!« feixte Ohm Gideon, »zwei Adelheids aus den heimischen Ställen, zubereitet nach meinem Rezept, empfangen von dem Gastronomen und großen Bratensieder Midi in Münster. Heil diesem Küchenchef! Uns aber eine fromme, selige und geruhsame Weihnacht.«

Er schwenkte sein Glas.

Alle stießen mit an. Auch das Freifräulein Stephanie von Boeselager, die allen Unmut verwand und wieder zu lächeln vermochte. Selbst Hochwürden war trefflich bei Laune. Er hatte ein feines Verständnis für den derben, emeritierten Kavalleristen, der nichts verabsäumte, der Feier auf Getter einen weinfrohen und bekömmlichen Anstrich zu geben. Ihm war viel zu verdanken, aber auch viel zu verzeihen. Er verglich ihn mit einem Traubenkern im gärenden Most, mit einer Schnuppe unter dem Himmelreich, von der man nicht wußte, woher und wohin, mit einem braven, alten Gesellen, der bereits abkandart, aber noch immer willens schien, nach neuen Funken zu greifen, um damit sein einsames und abgewirtschaftetes Herz zu erleuchten, Après nous . . . Das war es, und dennoch: mit verhängten Zügeln und dem herzlichsten Lachen von der Welt konnte dieser Draufgänger das Märchenreich der Sultanin Scheherezade durchsprengen, unter Palmen träumen, um gleich darauf wieder auf lahmem Klepper dahin zu jockeln und bei Speck und dicken Bohnen sein Dorado zu finden . . . und das versöhnte, ließ manches begreifen und über vieles hinwegsehen, das sonst Gelegenheit geboten hätte, den Kopf zu schütteln und die Nase zu rümpfen.

»Après nous . . .«

»Sie denken an Ohm Gideon,« sagte Frau Hille, die Erwägungen des geistlichen Herrn in sich aufnehmend. »Aber er meint es gut, so rauh auch die Schale.«

»Kein Zweifel,« gab Ludgerus zurück. Die welken Finger trommelten sacht gegen das Kelchglas. »Ich beurteile ihn nach seinen eigenen Schätzungstabellen. Er ist genau so wie diese. Man kann getrost darin herumblättern, ohne auf bedenkliche Ziffern zu stoßen. Keine ist anrüchig. Cum grano salis natürlich. Aber auch wie abgelagerter, brauner Portwein. Nur nicht für jeden bekömmlich.«

»Zum Wohle, Hochwürden! In die Kanne gestiegen. Wasser ist gut, aber Portwein ist besser, und das Bessere ist seit den Zeiten des alten Herrn Methusalem der Feind des Guten gewesen.«

Ohm Gideon prostete über den Tisch fort, plinkerte verschmitzt mit dem linken Auge, als wenn er andeuten wollte: »Ludgerus, wir verstehen uns beide, wissen einen feurigen Tropfen zu schätzen und lassen unsre Gnade träufeln auf solche, die noch im Irrgarten des Lebens herumtaumeln, und auf solche, die sich bereits zu den Kümmeltürken zählen. Uns kann man die schönsten Federn aus dem Steiß ziehen, und wir sind dennoch die Hähne. Jawoll, ja,« und dabei spiegelten sich die Kerzen in seinen aufgerissenen Blicken, als wären dort Flambeaus angezündet, Freudenfeuer und Zukunftsfanale, um die zu begeistern, die in dem Träger dieser Flambeaus ihren Herrn und Heiland erkannten . . . und so, unter frohen Gesichtern, dem animierten Geplauder angeregter Menschen, dem Duft der eingedunkelten Fichte und den lauten Stimmen, die aus der Gesindestube herübertönten, tat der Perpendikel in der altmodischen Kastenuhr seinen bedachtsamen Gang, rückten die Zeiger weiter und kamen allmählich in den Bereich der großen römischen Ziffer, die dem heutigen Abend Ziel und Grenze setzte.

Auf Anregung des Paderborners, der immer Nägel mit ›Köpp‹ machte, und die Genüglichkeit, wie er sagte, nicht gestört wissen wollte, hatte man sich entschlossen, keinen Ortswechsel vorzunehmen, die Tafel bestehen zu lassen und den Herren die Freiheit des Rauchens zu verstatten. »Mir roochert!« und als man die gefälligen Kistchen und die bläulichen Spiritusflämmchen anpräsentierte, tat der Besitzer des vortrefflichen Bülow Krawallo einen glücklichen Seufzer, schlug die kurzen Beinchen übereinander und sagte: »Achtung, Herr Forstrat! Nun kommen die ›Extras‹, aber solche mit 'ner Bauchbinde um, wie'n Kapuzinerpater von Sankt Maria zur Wiesen. Achtung!« und mit spitzen Fingern nahm er eine der ihm angebotenen Zigarren, während Hochwürden seine Schnupftabaksdose aufklappte, hineingriff und sich den leckeren Spaniol zu Gemüte führte. So blieb man bei Tisch, traulich vereinigt, der Viertelstunden nicht achtend, die wie flinke Karnickel vorbeiflitzten.

Die Gueridons dunkelten ein. Einzelne Kerzen verlöschten. Neue wurden auf die Leuchter geschoben. Ein frischer Glanz belebte die Tafel. Unter seinem Schein schien Frau Hille reifer und schöner, wenn auch bleicher geworden. In dem Travelmannschen Schmuck, der alles hergab, was in seinem Gold und seinen Steinen wohnte, war sie aus dem Gemälde eines niederländischen Meisters gestiegen. So schien es allen, auch Hochwürden, auch Emmerich, der dicht neben ihr saß, seinen Geist zermarterte und ihn hinauspeitschte in den kalten Schnee, in die Frostnacht, in die er bald hinaus mußte, um die Getter nicht wiederzusehen . . . Weißen Gesichtes, roten Mundes, mit geöffneten Augen, im Schmuck der alten Juwelen und Grandeln – so saß sie . . . ähnlich der schönen Frau des Herzogs von Jülich, Kleve und Berg . . . damals, als Zinken und Pauken hofierten und sie in der hohen Residenz die fröhliche Fastnacht begingen . . . Das sah auch Bernd, und die Worte fielen ihm ein:

»Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein
wird Mummenschanz gehalten . . .«

Plötzlich, unvermittelt waren ihm diese Worte gekommen, just wie am Tag Sankt Huberti, als er seinen Arm in den Ohm Gideons legte, um mit diesem an die gutbestellten Schüsseln zu treten. Nur heute ganz anders als an jenem jagdfrohen Abend. Damals umkränzte die Tafel herbstliches Laub, war derbes Lachen, zitterten noch die Halalirufe durch die weite Diele, kam später die dumme Geschichte mit Barthlemes Altrogge, und heute: liebe Menschen und fromme Gedanken, der harzige Duft des Waldes ringsum die heilige Legende von der Menschwerdung des Herrn in den Nadelzweigen . . . Und dennoch: just wie vor Zeiten:

»Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein . . .«

Und da saß sein Weib, die Schöne von Darfeld, die Travelmännin, die anmutigste von allen, die er jemals gesehen . . . und drüben, nicht weit von ihm . . . Was wollte Johanna? Ihre Blicke ließen jäh von ihm ab, gingen zu Emmerich, beobachteten Hille, um wieder still und geheimnisvoll in die seinen zu tauchen. Keiner bemerkte es, selbst die Hellsichtigen nicht. Aber er sah es und es trieb ihm das Blut durch die Adern. Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein – Carne vale! Eine fröhliche Fastnacht! Wurde hier Mummenschanz gehalten und Maskenfreiheit geboten? Pauken, Trompeten, Walzerschritte, kreisende Bilder aus alten und jungen Tagen . . . und er mitten dazwischen.

Also los denn dafür!

In übermütiger Laune hob er sein Glas, trank seinen Freunden zu, seinem Weib, ließ wieder füllen und redete in Zungen, die zu gewöhnlichen Zeiten fremd bei ihm waren.

»Mon cher, du bist heute so aufgeräumt, wie ich dich niemals gesehen,« zwitscherte das Freifräulein von Boeselager ihm zu und tippte ihn an.

»Bin ich. Wie sollte es auch anders sein. Siehst du denn nicht?«

»Ah! ich versteh'. De l'abondance du coeur la bouche parle.«

»Stephanie, sie ist gebenedeit . . .«

Er verschluckte die letzten Worte, kam aber von Hille nicht los. Sein Blut rauschte. Er erfreute sich ihrer hinreißenden Schönheit, ihrer abwehrenden Ruhe und der Hoheit des Weibes im Weibe.

Immer näher rückte die Stunde des Abschieds.

Und wieder kränkelten etliche Lichter.

Hille sah sie aufgeistern und lautlos vergehen.

Scheu streifte sie Emmerich. Sie wollte sprechen, ihm noch einiges sagen, bevor er ging, um nicht wieder zu kommen. Sie konnte es nicht, vermochte keine Lippe zu regen. Das Schweigen lag dumpf und schwer wie Blei zwischen ihnen.

Sie verschränkte die Hände und dachte: »Es gibt eine Angst, eine Lebensangst, die läßt sich nicht abtun, wenigstens nicht, so lange die vergangenen Tage noch zurückleuchten. Kein Mensch kann es. Auch er nicht.

Es ist gut für ihn, daß er geht, gut für uns beide; jedenfalls besser, als den traurigen Mut zu haben, schuldig zu werden. Seine Weihnacht kommt noch. Ich bin machtlos darin und kann ihm nicht helfen. Er muß sie sich schon selber erkämpfen,« und in dieses Denken hinein sah das Mitleid und sah der Schmerz und sahen die auf Darfeld gemeinsam verlebten Tage und Stunden und sah das Abendrot, das fern über der Heide zwinkerte, unerreichbar, feierlich hingehend und von den Klängen des Ave-Läutens getragen . . . und willenlos, wie von einer zwingenden Macht getrieben, unvermögend, ihrer Selbstbestimmung eine andere Richtung zu geben, achtlos schaute sie hin . . . und ihre Augen begegneten sich, wie in geheimem Einverständnis, berührten sich wie Schmetterlingsflügel, um gemeinsam in einem lichten Glanz dahinzuschaukeln.

So kurz das alles auch war, der Freisasse hatte den Blick aufgefangen, den Blick des Schmerzes und des Mitleids, und münzte ihn um. Eine blutige Gardine wurde vorübergezogen.

»Also doch bis in die Knochen verrottet. Heilige, die nicht heilig sind, reißt man von ihren Postamenten herunter.«

Die Knöchel auf dem Tisch, fuhr er strack in die Höhe, den Geist ins Leere gepeitscht, in ein Chaos von weißen Nebeltüchern.

»Was hast du?« fragte Frau Judith.

Sie fröstelte.

»Eigentlich gar nichts,« gab er abgerissen zurück. »Ein Stoßvogel nur, einer von den wilden, unbarmherzigen . . . Eins nur tut not: die Flinte anzubacken und so 'nem Vieh 'ne Kugel zu geben. So aber: va banque!«

»Rede nicht so,« sagte die Alte. »Der Wein geht ins Blut. In kalten Winternächten soll man Maß halten.«

»Und den Angelus Silesius lesen,« meinte Hochwürden. »Ubi sunt gaudia! Ungezählte Schätze sind in diesem Büchlein verborgen. Auch solche, die Milde und Duldsamkeit predigen. Man muß sie nur heben. Sie kommen uns allen zugute. Und nun habt Dank, ihr Lieben, habt Dank! und nochmals eine gesegnete Weihnacht. Ich höre ein Glöckchen tönen.«

Draußen war Schellengeklingel und das Stampfen von Pferden.

Alle erhoben sich, nickten sich zu und rüsteten zum Aufbruch.

Nach altem Brauch und landläufiger Sitte wurde den Gästen das Ehrengeleit bis ins Freie gegeben.

So auch hier.

Auch Bernd wollte mit. Noch stand er hinter der Tafel, allein, die grauen Augen wie Tintenflecke, noch nicht Herr seiner selbst. Seine Blicke krochen hinter Emmerich und Hille her wie auf den weichen Tatzen von Raubtieren. Erst Ruhe, bevor er hinaustrat . . . und nochmals, ganz unvermittelt, glaubte er Böses zu sehen.

Da blieb er, ächzte auf und stieß einen verhaltenen Laut durch die Zähne.

»Narre von Kerl du, pfeif' nicht zu laut oder gib dir wenigstens Mühe, es unauffällig zu machen.«

Seine Faust polterte auf den Tisch.

Er griff nach dem Weinglas.

»Was willst du?«

Emmerich stand im Türrahmen – ohne Hille, das glattrasierte, energische Gesicht starr auf das seines Freundes gerichtet. Und dieses Gesicht war entstellt, trug die Spuren wilden Schmerzes; nur die kalte, unerbittliche Bronzefarbe war übrig geblieben.

»Was sollte der Stoßvogel, Bernd?«

Der Gutsherr winkte verächtlich und gab keine Antwort.

Da trat Emmerich näher und sagte: »Bernd, bevor wir scheiden, erkläre dich, bitte!«

»Hat Zeit,« kam es eisig zurück.

»Das könnte zu spät sein für einen, der noch ein Lot Charakter besitzt.«

»Dann bleibt es dabei. Ich kann mich beherrschen.«

Da flammte es gegen den Freisassen an: »Dieser Riß – er kann tief und schonungslos werden. Leb' wohl!«

Und Emmerich ging.

Bernd rührte sich nicht. Jemand kam aus einer Seitenkammer geschlichen.

Ein blutwarmer Frauenkörper war bei ihm. Gleich darauf glitt es wie ein Schlänglein davon und machte sich im Nebenzimmer zu schaffen.

Er stand noch immer hinter der Tafel, die Rechte am Weinglas, und stierte nach der Türe.

Draußen hörte er Ohm Gideon singen:

»Es diente mein tapferer Vater
In der preußischen Garde zu Fuß . . .«

Angepfählt, sah er stur auf den Eingang.

 


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