Joseph von Lauff
Die Seherin von der Getter
Joseph von Lauff

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5

Eine Stunde später.

Alle Geladenen hatten sich eingefunden, standen in angeregten Gruppen zusammen, Emmerich Dinklage bei den benachbarten Gutsherren, während Bernd, Ohm Gideon und Fritz Garke ein Grüppchen für sich bildeten. Hüben und drüben heiteres Plaudern, Jagdgeschichten und ähnliche Dinge, und Gideon holte das Blaue vom Himmel herunter und log, daß sich die Balken bogen, daß selbst den Revierförster von Hiltrup und Amelsbüren die Lust anwandelte, seinen Schrotbeutel zu ziehen, um diesem Barnum in grüner Watt eins über den Bregen zu hauen. Aber er mußte sich eingestehen: »Mensch, gegen diesen Paderborner Husaren a. D. bist du nur ein Talgstumpf, eine ausgeschossene Büchse, ein Lied ohne Worte . . .« und da die Damen des Hauses noch fehlten, hatte Gideon Zeit und Muße genug, immer neue Mären aufzutischen: von Hummern, die er in der Emscher gefischt und die, gesotten und angerichtet, wie allerliebste kleine Domschweizer von der pompösen Assiette fortgeschnurrt seien. Dagegen konnte Fritz Garke nicht an, denn Hummern hatte er in seinem ganzen tatenreichen Leben noch niemals gesehen. O heilige Einfalt! Nein, gegen diesen Aufschneider war gar nichts zu machen. Er übertrumpfte sie alle.

Die weite Halle duftete nach Harz und frischem Tannengrün.

Das matte Dämmern und Scheinen des Mittags war einer blendenden Helle gewichen. Alles Stumpfe und Graue, das Düstere und Unheimliche der Diele verlor sich unter dem Licht der Hirschgeweihkrone, die just über der ovalen und sorglich gespreiteten Tafel niederschwebte und alle Gegenstände mit satten und lebenswarmen Farben umkleidete. Der Urväterhausrat bekam Blut und Adern. Das rauhe Getäfel inkarnierte sich, und was als Bildwerk an den verräucherten Wänden hing: Männer und Frauen aus der Wiedertäuferzeit und solche mit Allongeperücken und Schönpflästerchen schienen aus ihrem Rahmen zu treten, um mit steifer Grandezza über den vielhundertjährigen Estrich zu schreiten. Das Altfränkische des Hofes schrumpfelte ein, das Feudale des Anwesens beherrschte immer mehr die Stunde, und die aufgepflöckten, mit Patina übersponnenen Waldhörner erinnerten sich längstvergangener Tage, begannen zu singen, weltfern, wie aus einem stillen Behagen heraus, und hauchten ihr märchenhaftes ›Halali‹ wie silberne Bänder durch die verwandelte Halle.

»Hift, hift, hallo!«

Aber nur Sonntagskinder vernahmen die Stimmen, nur solche, die es verstanden, Verklungenes wieder ins Leben zu rufen.

Emmerich Dinklage horchte auf und strich sich etliche Male über die Schläfen.

Das verhaltene Waldhornblasen tönte weiter und weiter.

Gideon hörte nichts davon; er war gerade dabei, eine neue Lügenente aus dem Röhricht aufzustöbern, als seine Zunge still stand, wie die Sonne still stand zu Gibeon auf Josuas Geheiß, als er die Könige der Amoriter schlug zu Beth Horon mit der Schärfe des Schwertes.

Johanna Altrogge, von etlichen Mägden begleitet, war eingetreten, jetzt ländlich gekleidet, ein geklöppeltes Häubchen auf den blauschwarzen Haaren, verlockender als etliche Stunden zuvor, mit lauten Ohrgehängen und der ganzen Anmut eines verführerischen Menschenkindes. Unter ihrer Führung wurden diverse Flaschen zwischen die Gedecke gestellt und die letzten Anordnungen vorgenommen.

Ungezwungen und in sachlicher Weise waltete sie ihres Amtes.

Dem Paderborner kam die Sprache zurück. Wie ein Magyar wiegte er sich selbstgefällig in den Hüften. Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte er den martialischen Schnurrbart. Sein Lapis lazuli kokettierte dabei wie ein schmachtendes Auge.

»Dunnerwetter noch mal! Du, Bernd, wen hast du da ins Garn gekeschert? Allerhand Achtung, so was ist also noch zwischen euern münsterländischen Heidschnucken zu haben? Gratuliere! Und ich setze meine beste Vollblutstute dagegen . . .«

»Du hast ja keine.«

»Hatte sie aber, und das dürfte genügen. Weißt du, mit der da wär' es ein leichtes, in der Wüste Ziegel zu streichen.«

Ein wasserhelles Tröpfchen begann sich auf seiner Unterlippe zu bilden.

»Wen meinst du denn eigentlich?«

»Aber ich bitte dich, Junge!«

Der Gutsherr sah hin.

Ein rascher, aber heißer Blick flog ihm zu.

Fritz Garke flüsterte ihm einige Worte ins Ohr.

»Ei was!« sagte Bernd. Dann rief er: »Fräulein Johanna!«

Zögernd, aber geschmeidig wie eine Weidengerte, trat sie näher.

»Herr Travelmann.«

»Nun, Fräulein Johanna, wie kommen denn Sie auf den Gutshof?«

»Ich wurde für heute abend verpflichtet.«

»So, so! und wie geht's denn dem Vater?«

»Immer mehr ins Stille und Tote hinein.«

»Ach was?! und sitzt nicht mehr auf Anstand, um meine Böcke und Löffelmänner ins himmlische Paradeis zu befördern? Merkwürdig!«

Er lachte hell auf.

»Na ja, seine Schrote und Posten waren gar nicht so übel.«

Sie schwieg.

»Überhaupt die Barthlemes-Schrote! Aber lassen wir das. In Kanaan soll man nicht geizen, und Barthlemes Altrogge wußte den besten Hasenpfeffer zu machen. Das entschuldigt vieles . . . und Sie, Sie bleiben auf Getter?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Warum nicht?«

Seine Neugierde war erregt. Er betrachtete sie mit halbgeschlossenen Lidern. Allerdings, sie hatte sich weidlich verändert. Vor Jahren noch, da war ihr schmächtiger Körper rank und eckig wie der eines Knaben gewesen. Jetzt aber: hatte die sich herausgemustert! Alles fest und kernig und doch von gerundeter Weichheit, mit milchweißen Armen. Und erst die ausgesprochenen Formen! Kleine Wunder für sich, die heimlichen Künderinnen des erwachenden Weibes . . . und hinter den perlreinen Zähnen, da saß etwas wie das lockende Girren von Turteltauben. Alles in allem: Rasse, Hingebung, mit einem kleinen Einschlag von allerliebster Frechheit.

»Nun, Fräulein Johanna, warum nicht?«

»Weil ich mich noch nicht zurechtfinden kann,« versetzte sie hastig. »Andermanns Brot bekömmt nicht, und die Stufen einer fremden Treppe steigen sich schwer.«

»Auch eine Ansicht. Wenigstens offen und ehrlich gesprochen. Im übrigen . . .«

Er wurde abgelenkt.

Irgendwo wurde ihr Name gerufen.

Da ging sie.

Ohm Gideon äugelte ihr nach, hob sich auf Zehenspitzen und kniff verschmitzt die Lichter zusammen.

»Du! – die muß man in Beobachtung halten. Toujours en vendette!«

»Ich nicht. Haus Getter bleibt rein.«

Ein Schnipfen mit Daumen und Mittelfinger.

»Völlig unklare Begriffe von Welt und Leben, mein Söhnchen. Auch du, mein Brutus?! Geh' in ein Kloster, Ophelia, auf daß du auf dem Pfade der Tugend nicht strauchelst. Aber recht wirst du haben, du Gesalbter im heiligen Stand der Ehe. Deine Politur darf nicht leiden. Ich will dein Schädling nicht werden. Keineswegs. Das geb' ich dir schriftlich, mit 'nem notariellen Siegel darunter. Nur, ich möchte gehorsamst bemerken: unter ›man‹ kann man auch andere Leute verstehen. Zum Beispiel . . . ich trage der Sehnsucht banges Empfinden im Herzen, und so ganz nebenher und in Parenthese gesprochen: das Mädel, das soeben verduftete, hat Anlage dazu, mit Würde und Weihe den getragenen und verbuhlten Tanz der Araber zu lernen. Diese Hüften, nebst den beigehörigen Sächelchen! Indessen – nichts für ungut, mein Bester.«

Der Gutsherr hielt ihn von sich ab.

»Und Satanas führte den Herrn auf die Höhe eines hohen Berges . . . Sünder!«

»Ich beuge mein Haupt, stolzer Sigambrer.«

Der Kleine legte ihm den Arm um die Schulter.

»Bernd, wir sind allzumal Sünder, allzumal Sünder! Schieß' nicht, ich bin die Taube, und Tauben sind harmlose Tierchen. Aber jetzt, Augen rechts und Hacken zusammen! Dunnerwetter noch mal! – der Travelmannsche Schmuck! Frau Hille . . . Achtung, die Herren!«

Eine Bewegung entstand.

Von Judith geleitet, erschien die junge Gutsherrin.

Neben dem Kamin, dessen Scheite plötzlich laut wurden, blieben sie stehen.

Die Alte war freudig erregt. Ein leises Kopfnicken, und die sonst so strengen und abweisenden Blicke ruhten wie verklärt und mit dem Ausdruck innigster Liebe auf Hille.

Diese, einfach gekleidet, im Juwel ihrer Flechtenkrone, hielt die Augen still und fragend auf die Anwesenden gerichtet. Keine Fiber zuckte bei ihr, sie errötete nicht, ihre keusche Ruhe verließ sie auch jetzt nicht, wo ihr die Worte auf den Lippen standen: »Er ist über deine Schwelle getreten.« Sie war wie ein Rätsel. Immer wieder fesselte sie, diese versonnene Frau, in der sich die Linien des Mädchens und die einer Vollerblühten vereinigten, diese Frau, mit dem feinen Tuch um die Schultern, dem schlichten Tuch, das Schätze von Kostbarkeiten verhüllte, solche, die man begehrt, selbst auf dem Gange zum Tode, und solche, die in ihrer allesumfassenden Strenge nach den Sternen wiesen. Das Leidende in ihr hatte dem elfenbeinernen Antlitz nichts von seiner Schönheit genommen, obgleich es zu sprechen schien: »Erinnert mich nicht an verflossene Tage, sie tun mir weh.« Um ihren halbentblößten Hals war ein Scheinen und Gleißen: der Travelmannsche Schmuck – ein Kleinod seltenster Art, das Meister Ludgerus tom Rinke, ein westfälischer Benvenuto Cellini, in vollendeter Arbeit aus Gold, Hirschgrandeln und Edelsteinen geschweißt und zusammengestellt hatte.

Der englische Gruß war bei ihr.

Er belebte das stolze Gehänge, die Perlen und Grandeln. Sie flüsterten ihn.

Auch Judith sprach diesen Gruß still vor sich hin, horchte darauf wie auf das ahnungsvolle Säuseln eines befruchteten Kornfeldes, das sich geheimnisvoll gegen den tiefen Horizont wellte. Immer wieder bewunderte sie die Würde und Majestät eines gesegneten Weibes im Weibe. Sie betete an, sie war in Andacht versunken, sie stand wie in einem Wehen von heiligen Schwingen und wähnte das Stammeln eines heißen Dankes zu hören: »Dein Wille geschehe.«

Dann fand sie sich in die Wirklichkeit zurück, in den Lärm und das verklungene Horrido des Sankt Hubertustages.

Sie trat unter die Anwesenden.

»Nach alter Sitte und als Älteste hier auf diesem Grund und Boden: Weidmannsheil, meine Herren!«

»Weidmannsdank!«

Alle umdrängten sie. Ohm Gideon als erster. Prompt und wie aus der Pistole geschossen gab er eine seiner gewagtesten Jagdgeschichten zum besten.

Gleichzeitig machte Hille einen Schritt zum Kamin hin. Anmut und Hoheit verließen sie nicht, obgleich sie sich nicht ganz zu beherrschen vermochte. Liebe Erinnerungen nahmen sich bei den Händen und schaukelten durch ein Meer von Blumen und nickenden Halmen. Der Wald von Darfeld rauschte mit sonoren Psalmen herüber.

Zwei Männer kamen auf sie zu. Bernd und Emmerich Dinklage.

»Du, ich wollte dir eine Freude bereiten. Ein Wegmüder kommt zu dir. Er wünscht geborgen zu sein.«

»Herr Gott!« fuhr sie auf. »Mutter sagte es schon. Vielleicht gegen deinen Willen, Bernd. Aber die Stunde ging mit ihr durch.«

Sie hob den Kopf. Ihr Antlitz war weiß geworden.

»Emmerich, ich begrüße dich herzlichst. Du machtest uns allen eine innige Freude.«

Ihre Brust kam ins Stürmen. Sonst blieb sie gefaßt, ohne ihren Halt zu verlieren.

Er beugte sich nieder. Sein Mund berührte ihre Fingerspitzen.

»Hille, du bist immer gütig gewesen. Auch heute.«

»Warum sollte ich nicht? Du bist doch kein Fremder.«

»Ah!« sagte er aufatmend. »Auch der Freund noch von früher?«

»Der bleibst du.«

Ihre Stimme war zuversichtlich und fest.

»Ich danke dir, Hille. Madonna von Darfeld, in deinem Schatten ist gut sein. Du bist stolzer und freier geworden.«

Ein greises Haupt fuhr herum. Jemand trat näher.

Das harte Klingen des Krückstockes ließ sich vernehmen.

»Das macht das Leben auf Getter,« erwiderte Judith. »Emmerich, es wird auch Ihnen wohltun. Alte Sitten, alte Gewohnheiten! Sie sind besser und bekömmlicher als die auf den griechischen Inseln. Daran läßt sich nicht deuteln. Die hiesigen Eichen rauschen gesunder als die verstaubten Oliven von Leukas. Westfälisches Blut will westfälische Sonne. Und nun Ihre Hand. Gut so. Der Griff ist derselbe geblieben.«

»Der Mann auch,« gab er mit Überzeugung zurück.

»Friede mit diesem Mann,« versetzte sie, »und was sein Geist dem feurigen Süden abgewann, damit mag er unsern kalten Norden erwärmen. So ist uns allen geholfen. Eine alte Frau segnet Sie. Das hat noch keinem geschadet.«

Ihre Rechte fühlte sich an heiße Lippen gezogen.

Sie glaubte eine Träne zu spüren.

»Emerich, nicht so.«

Sie legte ihren Arm in den seinen.

»Kommen Sie, wir wollen den Anfang machen.«

Als sie der Tafel zuschritten, trat ihr der Gutsherr entgegen.

»Mutter, zuvor eine Frage.«

Sie sah ihn bedeutungsvoll an.

»So eilig, Bernd? Aber es sei. Dem Herrn von der Getter sei die Frage verstattet.«

»Du,« sagte er mit einer gewissen Erregung, »seit unserm Hochzeitstage trug sie den Schmuck nicht. Jetzt, in dieser Stunde, zum erstenmal wieder. Warum gerade heute?«

Ihre Blicke erweiterten sich. Die Iris schimmerte wie aus Stahl geschmiedet.

»Warum wohl?! Ganz einfach. Emmerich zu Ehren, mir zur Freude und dir zur Verheißung. Dies möge dir für heute genügen. Warte ab! Gedulde dich! Frage nicht weiter! Die Stunde wird kommen. Da schlägt ein Stern die Augen auf. Er hat eine Botschaft für dich. Weihnachten ist die Zeit der Geschenke. Also, gib dich zufrieden. Um so größer ist die spätere Weihe.«

Da wandte sich Bernd.

Er sah seine Frau am Arm eines benachbarten Gutsherrn. Wie sie dahinschritt! Kaum, daß sich ihre Füße bewegten, so leicht war ihr Gehen, so voller Grazie und natürlicher Freiheit. Weißen Gesichtes, roten Mundes, im Schmuck der alten Juwelen, so schritt sie still ihres Weges . . . wie die schöne Frau des Herzogs von Jülich, Kleve und Berg . . . damals, als Zinken und Pauken hofierten und die hohen Herrschaften in ihrer Residenz die frohe Fastnacht begingen . . . und die Worte fielen ihm ein:

»Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein
wird Mummenschanz gehalten . . .«

Er ließ seine gehobene Stimmung an Ohm Gideon aus und sagte: »Mir ist heute so kannibalisch wohl, als sänge mir Gottvater ein ›Deo gratias‹ aus der Donnerwolke herunter. Mummenschanz und Jägerei – alles dasselbe. Mensch, dieses Götterbehagen!«

»Glaub's schon. Und wenn ich du wäre: im Staube läge ich und sänge:

Wie gerne dir zu Füßen
stürb' ich in stummer Qual . . .«

»Schwarbelkopp!«

»Wird akzeptiert. Ich kann schon 'ne Portion Grobheit vertragen.«

Sie gingen dem Tisch zu.

Als Hille Platz nehmen wollte, fühlte sie, wie ihr der Stuhl sorgsam zurechtgerückt wurde und eine weiche Hand ihr Kleid zu glätten versuchte.

Vier Augen begegneten sich.

»Wer sind Sie?«

Da rief Judith herüber: »Ein Neuling auf Getter. Du sahst sie schon, Hille. Fräulein Johanna sucht Ruhe. Solchen, die sie brauchen, soll man eine Stätte bereiten. Ich denke in deinem Sinne zu handeln. Möglich: du findest in ihr Stütze und Hilfe.«

Hille nickte ihr zu, dann sagte sie gütig: »Fräulein Johanna, mögen Sie das bei uns finden, was Sie erhoffen!«

Sie wurde unterbrochen.

Der Krückstock klimperte auf.

Dreimal lief ein scharfes Klingen durch die weite Halle.

»Meine Herren, ich bitte!«

Alle setzten sich.

Am Kopfende der Tafel, zunächst dem Kaminfeuer, thronte die Alte, wie immer schwarz gekleidet, das Samthäubchen mit der schmalen Spitzenborte auf den straffgescheitelten Haaren. Man wähnte eine Gestalt aus der Bibel zu sehen. Zu ihrer Linken hatte Emmerich Dinklage Platz genommen. Hille saß ihm schräg gegenüber. Ohm Gideon folgte. Die Grundbesitzer und Schulten schlossen sich an. Mitten unter ihnen der Jagdherr. Fritz Garke am äußersten Ende des Tisches, etwas befangen, aber froh der heutigen Jägerei.

Am Tage des heiligen Hubertus ging's hoch her auf Getter. Auserwählte Gedecke reihten sich nebeneinander. Zweige mit roten Buchenblättern umkränzten mächtige Kristallschalen und silberne Leuchter, deren Wachslichter mit denen der Hirschgeweihkrone wetteiferten. Edle Weine dufteten in feingeschliffenen Kelchen. Und während die ersten Gläser gegeneinander klangen, die Mägde ab und zu gingen und die Suppe auftrugen, begann die Unterhaltung anregend und heiter zu werden. Nur Emmerich schwieg. Er konnte sich noch immer nicht in seine jetzige Lage hineinfinden. Dieser Wandel und Wechsel! Alles war zu plötzlich, zu unvermittelt über ihn hereingebrochen. Wünsche und Ermessungen, Vergleiche und Rückblicke irrten wie verschlagene Vögel durch seine Sinne. Sie fanden nicht Rast und mußten sich erst an das laute Treiben gewöhnen, um seßhaft und stetig zu werden. Außerdem: die Nähe Hilles bedrückte ihn. Als wäre jeder Blick auf sie ein unzartes Fragen gewesen, vermied er es, ihr stilles und weltabgekehrtes Antlitz zu suchen.

Anders Ohm Gideon.

»Prost, Bernd! Dunnerwetter, du verstehst schon zu leben! Just so süperb wie'n Than von Glamis nach 'nem Moorhühnertreiben.«

»Warst du denn schon mal auf 'nem schottischen Hochsitz?«

»Das weniger, Bernd. In Wirklichkeit nicht. Aber auf Flügeln eines Paderborner Husaren. Das tut die nämlichen Dienste. Es bleibt dabei: die ganze Aufmachung – genau so wie auf so 'nem fashionablen Castle. Löffelerbsen und die anderen Schosen. Das heißt Wohltun. Jawohl, ja. Mensch, du bist noch immer derjenige, welcher, wenn auch auf deinen früheren Schießfesten . . . Ich meine: du bist üppiger und nobler geworden.«

Er hob sein Glas und klimperte mit seinem Lapis lazuli an den Edelkristall.

»Gab's früher nicht. Deine Phiolen bergen ein Stöfflein . . . ein Stöfflein sage ich dir . . .«

Mit der Zunge schlug er eine lustige Volte.

»Prima, primissima!«

»Du meinst den Burgunder?«

»Tu' ich, mein Junge.«

»Dann wisse . . .«

Bernd erhob sich. Sein Adlergesicht stand hoch über dem Tafeltuch. Der ganze Mann mit den glattrasierten Zügen war wie aus einem Guß in die Erscheinung getreten.

»Salvete, fratres in Sancto Huberto! Nach wohlgehabter Jägerei geziemt es dem Jagdherrn, sich vom Lager zu tun und dem Schüsseltreiben eine besondere Note zu geben. Das soll hiermit geschehen. Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht! Dies zuvor, und nun meine Herren: um anderthalb Jahrhundert schraube ich die Tage zurück. Ich höre Glocken, die Glocken im Dom zu Münster. Die Geschichte von Wilderich Travelmann zwinkert mich an. Ihr kennt die Geschichte. Da steht er und hält dem morosen Kapitel die Faust vor die Stirne . . . unter Glockengeläut . . . unter dem ängstlichen Stammeln der Kleriker . . . Aber er tat, was sein Dickschädel ihm eingab. Schild und Wappen zerbrach er, aus freien Stücken heraus, nur um den Pfaffen ein Paroli zu bieten. Selbstverständlich: der Edelmann blieb, wenn auch der Edelmann in Transchuhen und Leinwandkittel. Er starb nicht. Er atmet noch heute: Wilderich redivivus, jetzt Bernd geheißen . . . und ebenso stolz und hochgemut wie seins, schlägt auch mir das Herz unter Wams und Loden. Heute besonders. Warum das? Ich sehe, und ich sehe mit Andacht. Der Travelmannsche Schmuck wurde aus der Lade gehoben. Ruhe, nur Ruhe! Sonst springt mir der Verstand aus dem Schädel. Ich warte, wenn es auch schwer fällt, aber mir ist so . . .«

Sein Blick traf Hille.

Die saß wie geistesabwesend. Ihre Lippen waren blutleer geworden.

»Gideon, merkst du was? Mit dem heutigen Tage soll es an Burgunder nicht fehlen.«

»Bravo!«

»Emmerich, und du! – gemeinsam verlebten wir unsere Jahre auf dem Paulinum zu Münster, gemeinsam bei den Kürassieren im Sattel. Dann später. Deine und meine Flinten knallten Seite an Seite im Darfelder Revier, und wenn Kampf angesagt wurde: ehrlich und sonder Helmsturz kämpften wir ihn aus, ohne nachzutragen, ohne Groll zwischen den Rippen. Das ist, als hätten wir Blut aus ein und derselben Schale getrunken. Und nun wieder hier; hast den hellenischen Staub von den Füßen geschüttelt. Ich für meine Person bin der Alte geblieben. Hier meine Arme. Nur eine Frage steht offen: Will der Freund und Bruder hinein oder der Freiherr? Aber wie dem auch sei . . .«

»Halt!« unterbrach ihn der Angeredete, »du willst doch keine Gegensätze konstruieren?!«

»Eigentlich – ja; aber ich seh': du bist derselbe geblieben, der Bruder und Freund, und somit: der Freiherr wird hiermit gestrichen. Soll denn ein Wort sein. Der Hof tut einen langen und tiefen Atemzug. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Meine Herren! Dem Treuesten der Treuen, dem Heimgekehrten, dem Helden und Wiederbeleber von Mykenä, dem Forscher von Leukas: ein läutendes Horrido!«

»Horrido, horrido!«

Ein tosender Jubel setzte ein, die Gläser klangen zusammen.

Gideon lärmte: »Brav so! Gott segne deine Worte und deine Bouteillen!«

Judith sah ihren Sohn an: »Du hast mir aus der Seele gesprochen. Ich danke dir vielmals.«

»Bernd . . .

Ein zweiter Herrenmensch reckte sich auf, gleichgeartet dem ersten, wenn auch stärker und gefesteter in sich. Mehr lauteres Gold. Im übrigen: hie Adlerauge, hie der Blick eines Falken.

»Bernd, ich sagte dir schon: Ich habe keinen Soldi in die Fontana di Trevi geworfen. Doch das unter uns. Du weißt, was ich denke. Vieles ist untergegangen, mußte versinken, nur das nicht, was einem gebietet, die Faust um die seines Trautgesellen zu klammern. Seite an Seite mit dir auf roter Erde! Wenn es auch schön ist, unter Aleppo-Kiefern und einer Kuppel voll unendlicher Klarheit zu wandeln, und wenn ich dort meines Weges ging, vernahm ich das Zittern der Saiten des Lichtgottes durch die blaßgrünen Schleier der Olivengärten, grüßten die epirotischen Berge in seltsamer Hoheit herüber. O, du Sonne Homers! Thymian und Asphodill umhüllten mich mit ihrem Weihrauch. Die Silbergewänder von Kirkes Mägden rauschten mir zu. Des jonischen Meeres Sichel glänzte in einem ewigen Blau. Träume, überall Träume! Alles Irdische ging auf und davon. Ich wähnte, auf einem anderen Planeten zu sein. Eine Loslösung von Zeit und Raum. Ein Zustand der Glückseligkeit. Mein Leid wanderte ab, denn siehe:

Plötzlich entschwand es den Blicken, und gleich der Schwalbe von Ansehn
Flog es empor

und das brachte Vergessen. Das war auf Leukas. Aber dann in Mykenä! Kalksteintrümmer nahmen mich auf. Am Löwentor pochte ich an; mir wurde aufgetan. Nur Schatten grüßten mich, die Unseligen aus dem Geschlecht der Atriden.« Seine Stimme schwoll an: »Ich habe den Toten geleuchtet, den furchtbaren Toten . . . und das war unerträglich geworden.«

Bernd stand neben ihm.

»Du, im Weinkelch ersäufe das Böse!«

»Ich will!« rief ihm Emmerich zu. »Ich grüße die Heimat und dich und die Getter und alles, was dein ist. Im roten Burgunder, ich ersäufe die Schatten und hebe das Leben, das pulsende Leben auf den Schild. Es lebe das Leben!«

»Es lebe, es lebe!«

Und das Leben ging weiter. Die ernsten Augenblicke, die die Rede Emmerichs heraufbeschworen hatte, versandeten allmählich, verloren sich, um schließlich ganz zu zerfließen. Die Atreussöhne störten nicht weiter. Das Säuseln in den Olivengärten ließ nach. Ein kräftiges Rauschen begann. Es war das von westfälischen Eichen, die ihre Wipfel rüttelten und rote Blätter verstreuten: der derbe Atemzug der engeren Heimat. Ohm Gideons Schnurren und Schwänke taten ein übriges. Sie gehörten dazu wie das Krätschen der Häher zwischen den Fuchsperücken der Vorgehölze. Auch Judith folgte ihm mit sichtlichem Interesse, verstand er es doch, selbst den trockensten Dingen eine feuchtfröhliche Seite abzugewinnen und sie mit den pikantesten Sülzen und Saucen aufzutischen . . . und als dann noch sein Leibgericht erschien, blütenweißes Sauerkraut, mit geräucherten Mettwürsten garniert, purzelten seine launigen Späße so übermütig unter den Gästen umher, daß alle ihre helle Freude dran hatten . . . fidele Alräunchen, drollige Wurzelmännchen – als solche gaben sie sich, selbst auf die Gefahr hin, kleine weidmännische Derbheiten auf die Beine zu stellen. Alle kannten ihn, keiner nahm ihm was übel . . . Verflixter Kerl, dieser Gideon, dieser angekratzte Sproß aus dem Hause derer von Hasenklever! immer aufgeräumt und allzeit bereit, dem Griesgram ein Schnippchen zu schlagen.

Bernd prostete ihn an.

»Dein Spezielles! aber dein amtliches Sprüchlein – wo bleibt es?!«

»Contenance, Mann ohne Wappen, stolzer Freisassenhöfer. Die Paderborner Husaren satteln nicht immer. Erst die Fasanenpastete. Jawoll, ja. Aber wenn sie's tun, dann mit 'nem Awek in den Gurt und forsch über die Pläne. Lehre mich nicht reiten, mein Junge. Ich kann's schon.«

»Ich warte.«

»Dann warte.«

Gideons Gesicht brannte wie das eines Pyrotechnikers. Er war trefflich gelaunt. Durch seinen Schädel zog es wie Götterdämmerung. Er hatte ein großes Wort auf der Pfanne. Nur die richtige Zeit mußte abgepaßt werden. Mit der Andacht eines Sonnenanbeters sah er in den glühenden Kelch, um dieses Wort zu befeuern und es zum Abschuß fix und fertig zu machen. Er saß schwer in Gedanken, grübelte nach und mobilisierte, was er aus dem Schatzkästlein seiner Erinnerungen, seiner Kenntnisse und Redewendungen zu schürfen gedachte. Zeitweilig hob er den Kopf, stierte ins Leere und zwirnte dabei die Fäden des mit Mastix behandelten Schnurrbartes sacht durcheinander. Die Götterdämmerung reifte allmählich dem Stadium und der Fülle der Vollendung entgegen. Nur noch die Fasanenpastete – und das Großerwogene mußte ihm von den Lippen herunter. Er strahlte, hatte auch allen Grund dazu, denn die von der Getter verstanden es, Feste zu geben.

Auch Emmerichs Stirn heiterte auf. Nicht länger hin- und hergeworfen von der Aufeinanderfolge des Geschehens, kühler und sachlicher geworden, gingen seine Pulse in stilleren Schlägen, wandelten Betrachtungen durch sein Fühlen und Denken, die ihm das Vergangene weniger trostlos erscheinen ließen. Hinter ihm lag der Kampf, vor ihm die Pflicht, neue Schätze zu heben und das Errungene auszumünzen. Er hatte sich wiedergefunden. An Stelle der Kirchhofsrosen, waren solche mit gesunden Farben getreten. Er vermied es nicht mehr, die Blicke der Gutsherrin zu suchen, und als er sie fand, fragte sie aus ihrer freiwilligen Absonderung heraus: »Emmerich, und du bist glücklich in deinem Berufe?«

»Ich hoffe es.«

»Hoffen ist wenig.«

»Es muß sich erst zeigen, ob es mir gelingt, die heranwachsende Jugend zu fesseln und sie dorthin zu führen, wohin ich es möchte.«

»Es wird dir gelingen, denn wenn du es nicht solltest . . .«

»Du wertest mein Können zu hoch.«

»Nur als das, was es ist, und es muß ein Herrliches sein, sich als Mentor zu fühlen. Du liest über Leukas?«

»Erst im nächsten Semester. Das Sonnige verschob ich auf spätere Tage. Zurzeit liegt es mir nicht, und wenn ich auch vorhin eine freudige Note anzuschlagen versuchte – ich habe nun einmal den Toten von Mykenä geleuchtet. Das läßt sich nicht so ohne weiteres abtun, denn weißt du:

Aber indessen erschlug mir den Bruder ein andrer,
Heimlich mit Meuchelmord durch die List des heillosen Weibes . . .

Ich muß dieses Blutlicht erst bannen, dann wird auch Raum für halkyonische Gräber und das freundliche Plätschern des jonischen Meeres. Bis dahin ist es ein dumpfes Atmen und ein Suchen nach Wehem.«

Hille verstand ihn. Sie lenkte ab und gab dem Gespräch eine andere Wendung.

»Lassen wir das! Immer mehr seh' ich ein: du mußt Heimatklänge um dich haben. Die Glocken von Sankt Martini bringen sie dir. Du hast doch wieder deine alte Wohnung bezogen?«

»Ja, die in der Neubrückenstraße.«

»Also nicht weit vom Boeselagerschen Hof?«

»Ihm schräg gegenüber.«

»Und weißt du, wo Tante Boeselager jetzt ist?«

»Nein.«

»Auf Darfeld.«

»Was macht sie denn da?«

»Nach dem Tode des Vaters begann sie zu kränkeln. Münster gefiel ihr nicht mehr. Sie sehnte sich nach Erholung und Einsamkeit, und Bernd war so liebenswürdig, sie dort hausen zu lassen. Sie hofft daselbst auf ein gottwohlgefälliges Sterben. Sie möchte dereinst neben ihrer Schwester ruhen. Meine Mutter ist in Darfeld bestattet.«

»Ich weiß,« sagte er nach längerem Schweigen. Langsam fuhr er sich über die Schläfen. »Candida Pax! Ich kann es verstehen und beneide sie um den gefundenen Frieden.«

»Emmerich!«

»Nun?«

»Es wäre ihr eine helle Freude, wenn du sie dort aufsuchen würdest.«

»Meinst du?«

»Ich bin dessen sicher.«

»So werde ich hingehen.« Er trank ihr zu und sagte mit einem zarten und weichen Ton in der Stimme: »Hille, ich denke an Darfeld.«

Ihre weißen Lippen berührten den Kelchrand.

Ein hartes Klingen schreckte sie auf.

Judith hatte ein Zeichen gegeben.

Wiederum erschienen die Mägde. Frische Gedecke wurden gerichtet, und Ohm Gideon fand sich alsbald von einer majestätischen Fasanenpastete umduftet. Gleichzeitig perlte es rubinfarbig in neuen Gläsern.

»Dunnerwetter noch mal!« und mit gesättigtem Wohlbehagen wedelte er sich den köstlichen Ruch in die Windfänge, sog daran, stellte den Wein in die rechte Beleuchtung, machte etliche Zungenschläge und blinzelte schließlich zum Jagdherrn hinüber: »Bernd, darf man fragen?«

»Warum nicht? Romanée–Conti.«

»Ah . . .

Augenblicksstille . . . tiefes Bewundern . . . leises Seufzen und dann ein Bekenntnis aus Herzensgrund und mit polierten Augen: »Bernd, dieser Reichtum! Jawoll, ja. Ich staune. Ich bin den Prassern gleich. Das Gastmahl des Trimalch auf der Getter! Löffelerbsen und Sauerkohl, geräucherte Mettwurst und Fasanenpastete! Wenn auch nicht ganz edelmannsmäßig, aber . . .«

»Was ›aber‹?«

»Travelmannsch – und das wertet höher, Freisassenhöfer.«

»Das gab dir ein Gott ein.«

»Sapristi, dieses Weinchen! Es gleißt und glänzt wie Fafners Schatz auf der Gnida-Heide und schmeckt wie der Kuß eines nußbraunen Weibes.«

Er spreizte die Finger.

»O du . . .! in diesem Romanée-Conti liegt eine Krone.«

Eine satte Frauenstimme: »Ohm Gideon, so hebt die Krone!«

»Nur noch die Fasanenpastete, und ich werde, Frau Judith, ich werde, ich werde . . .« und als diese verspeist war, die Kerzen bereits tiefer brannten und wie auf ein stilles Geheiß, plötzlich und unvermittelt, ein helles Mondlicht durch die niedrigen Fenster flämmerte, erhob sich die Götterdämmerung in voller Glorie. Aus ihr trat Gideon. Da stand er, beide Schnurrbartenden zwischen den Fingerspitzen, den Straußeneikopf etwas in den Nacken geworfen, und machte sich fertig. Er räusperte sich, sah jeden einzelnen an, ließ die Arme fallen, beugte sich vor und stützte die Knöchel auf. Gleichzeitig senkten sich die Augendeckel herunter und hoben sich wieder.

»Meine Damen und Herren! Keine Rede, keine belles lettres. In den meisten Fällen sind diese Ergüsse forcierte Übungen. Jawohl, ja. Ich liebe sie nicht, weil sie gewöhnlich mit einem ›Stell' auf den Tisch die duftenden Reseden‹ beginnen und sich mit einer Hurra-Fanfare empfehlen. Militärische Schulung bevorzugt kürzere Wege. Schnittige Aperçüs liegen mir besser. Ihr wißt ja: ventre à terre und mit verhängtem Zügel geritten. Romanée-Conti! Ein Zauberwort! Es setzt die Sporen ein und fördert die Zunge. Es ist besser, durch ihn als per aquam frigidam in den Himmel und an das Ziel meiner rhetorischen Leistung zu kommen. Miles gloriosus, wie ich bin. Immer korrekt, aber hurtig! Mein Wahlspruch. Er bewegt sich gewissermaßen auf 'ner heraldischen Linie, führt zu den Unsterblichen, versenkt uns in eine purpurne Tiefe. Jawohl, ja. Ich will in den Himmel. Keine Fieberkurven, kein sinkendes Schiff im Taifun. Er hat Nerven wie Stahl und segelt wie eine stolze Fregatte. Bernd, dein Jagen war trefflich, deine Tafel noch opulenter und schöner, aber das Höchste deines irdischen und seelischen Mammons liegt in deinem Romanée-Conti geborgen. – Keinen Widerspruch, Bernd! Ich bin noch nicht fertig. – In ihm ruht das Glück deines Hauses, in ihm dein ein und alles. Romanée-Conti! Wer sucht, der findet, und ich habe gefunden. In ihm funkelt die Krone, die Krone des Heils und der Zukunft. Achtung! ich hebe die Krone . . . halte sie hoch . . . und rufe aus tiefster Seele: Die Krone der Krone! Frau Hille!«

Er machte sich größer, und seine Stimme schmetterte über den Tisch wie das Signal des Stabstrompeters von den Paderborner Husaren: »Frau Hille zum andern! Frau Hille zum letzten!«

»Frau Hille!«

Erst ging der Beifall wie auf Filzpantoffeln, vor lauter Respekt und Verehrung auf weichen Filzpantoffeln, dann aber bekam er einen handlichen Schritt unter die Füße und lärmte, daß selbst die Scheiben in ein gelindes Klirren gerieten. Ehrlich war der Jubel gemeint, offen und herzlich.

Die Gefeierte konnte sich kaum retten vor allen Ovationen, die auf sie einstürmten. Selbst die schwerfälligen Schulten und Gutsnachbarn traten aus ihrer Reserve heraus und wagten es, ihr in angemessener Weise zu huldigen.

Ohm Gideon beherrschte die Situation, fühlte sich wie ein Locotenente nach gewonnener Bataille; doch als die Gutsherrin ihm liebevoll zusprach, kam er rein aus dem Häuschen.

»O diese Gnade!«

Mit zusammengeschlagenen Hacken, prompt und kerzengerade, leerte er den Rest seines Glases, wünschend, für sechs Sekunden eine Polacke zu sein, um aus dem schmalen Schuh der angebeteten Herrin trinken zu dürfen. Hierauf tippte er den Rand des Kristalls auf den Nagel.

Kein Tröpflein floß mehr.

»Eljen! Eviva!«

Seine soeben vom Stapel gelassenen Aperçüs berauschten ihn, machten ihn wirbelsinnig. Er hatte Funken und Fett und schöne Frauen vor Augen.

Da legte sich ihm die Travelmannsche Faust auf die Schulter.

»Paderborner, Abschätzungsmensch, Freund und Genosse, wer hat dir diese Worte gegeben?«

Gideon machte eine große Bewegung; warf sich in die Brust.

»Mon coeur!« rief er treuherzig, »und die Hoheit des Weibes! Du – ich glaube, ich werde den Damen gefährlich.«

Bernd prustete los.

»Meinem Weinkeller – ja; aber den Damen . . .

»Na, höre mal – du! Wie kommst du zu dieser Minderbewertung? Geh' hin und büße in Sack und Asche. Mostert auf den Kopp! Jawoll, ja. Für agrarische Fanatiker und ähnliche Kostgänger ist solche Bußfertigkeit Arkanum. Aber Spaß beiseite. Freisassenhöfer, ich schwimme. Ich und mein Bülow Krawalle fahren wie Elias in 'nem feurigen Wagen ins Jenseits. Mensch, du kennst doch mein Amen?!« und seine Stimme knatterte hoch:

»L'épée au roi,
A Dieu mon âme,
L'honneur pour moi,
Mon cœur aux dames!

Aber Schwerebrett und kein Ende! Da springt was . . .«

Der Jagdherr fühlte sich plötzlich herumgerissen.

Hilles Glas klirrte zu Boden. Auch das von Emmerich barst jammernd in Scherben. Der fließende Wein färbte das Tischzeug rot.

Gleichzeitig erloschen etliche Kerzen. Flüssiges Wachs tropfte nieder. Das Mondlicht stand hell und eigenartig hinter den Scheiben.

Das bleiche Gesicht des jungen Weibes war wie Kreide geworden.

Ein Frösteln ging um.

»Kind, was ist dir?«

»Nichts, Mutter. Ich habe nur die Empfindung: ich bin hier überflüssig geworden, hier unter den Herren. Sie wollen allein sein. Ich möchte die Feier nicht aufhalten.«

Bernd rief sie an.

»Du, mache keine Geschichten.«

Sie versuchte zu lächeln, allein dieses Lächeln war herzzerreißend. Ihre Hände zitterten. Verlorenen Auges sah sie über den Tisch hin; aber sie gab keine Antwort.

Die Geladenen drängten in Gruppen zusammen.

Bernd wurde heftiger.

»Was soll das? Ich begreife dich nicht.«

Da sprach sie kaum hörbar: »Ich redete in meinen Sinnen: Wohlan, ich will wohlleben und nur gute Tage haben.«

»Die hast du.«

»Gewiß, gewiß,« gab sie ängstlich zurück, »aber ich hatte auch Knechte und Mägde und sonstig Gesinde; ich hatte eine größere Habe an Rindern und Schafen, denn viele, die vor mir in Jerusalem gewesen waren. Das zergeht mir nun alles.«

Fassungslos sah er sie an.

»Was sollen die Sprüche?«

»Eigentlich nichts. Sie sind mir unversehens auf die Zunge getreten. Ich darf mir darüber keine Rechenschaft geben. Es ist alles so verstört um mich . . . es tastet nach mir . . .«

Sie drehte den Kopf auf die Seite. Der Schmuck blitzte unter dem Schein der tief gebrannten Kerzen. Hirschgrandeln, Gold und Steine leuchteten auf. Wehen Gesichtes sah sie nach dem Fenster.

»Mir ist so . . .. ich will es nicht sagen . . . aber ich fürchte: irgendjemand hat Hof und Garten betreten? Ich vernahm Schritte, die sonst nicht zur Getter führten.«

»Wer sollte uns zu dieser Stunde noch aufsuchen?«

»Bernd, es ist jemand erschienen. Ich kann mich nicht irren.«

»Na, so was!«

Da trat Johanna vor, die am äußersten Ende der Tafel bedient hatte.

»Ja, gnädige Frau; soeben ist mein Vater gekommen.«

»Ihr Vater? Sonst niemand?«

»Ich habe weiter keinen gesehen.«

»Aber ich glaube bestimmt . . .«

Hille flocht ängstlich die Hände zusammen.

»Auch wurde etwas Langgestrecktes über die Schwelle getragen.«

»Gewitter noch mal!« fuhr der Gutsherr auf, »dann muß es Hövelkamp wissen,« und er polterte los: »Hövelkamp! Hövelkamp!« und als dieser aus der Gesindestube vorstürzte, fragte er ihn unmutig: »Ist was auf Getter passiert?«

»Daß ich nicht wüßte, Herr Travelmann.«

»Und ist keiner im Hofe gewesen?«

»Jawoll, Herr Travelmann. Barthlemes Altrogge hat sich die Ehre gegeben.«

»Sonst keiner?«

»Keine menschliche Seele. Up Liäwen und Stiärwen! Die Hunde hätten sonst Standlaut gegeben.«

»Wo ist denn der Alte?«

»In der Küche, Herr Travelmann.«

»Was will er denn da?«

»Bernd,« sagte Judith, »ich bestellte ihn von wegen Johanna, für später. Sie kann allein nicht nach Hause. Bei nachtschlafender Zeit nicht. Sie hat immer 'ne geschlagene halbe Stunde zu machen. Dabei muß sie den Helweg passieren. Ohne Begleitung . . . das kann ich nicht dulden.«

»Unsinn, verfluchter! Was hat das alles mit dem Helweg zu schaffen? Immer diese infamen Gespenstergeschichten! Hier ist Jägerei und Schüsseltreiben. Ich lasse mir den heutigen Tag nicht vergrämen. Bei den Travelmännern gibt's keine Geister. Ich muß mir verbitten und zwar ernstlich . . .«

»Bernd, du solltest dich beherrschen.«

Die Alte flammte ihn an: »Du hast Rücksicht auf deine Gäste und besonders auf Hille zu nehmen. Du weißt doch, was sie schon einmal gesehen hat.«

»Zufall! Hirngespinste! Nichts weiter.«

»Lasse mich, Bernd.«

»Hille . . .

Judith zog sie an sich: »Es ist besser, wir gehen,« und zu den Herren gewendet, sagte sie mit freundlicher Ruhe: »Keine Störung. Es wäre schade um den angebrochenen Abend. Noch fröhliche Stunden!« und langsam und mit gütigem Kopfnicken verließ sie mit ihrer Schwiegertochter die Diele.

Bernd sah ihnen nach.

Dann rief er: »Frische Lichter! Platz genommen! Die Mäuler gespitzt . . . und würden selbst auf Getter die Messer geschliffen: Horrido, es lebe das Leben!«

 


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