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Ein ergötzlicher Kreis. Außer der Alten, deren schaffende Hand noch immer auf der Diele und in der Gesindestube weilte und wirkte, waren alle im Herrenzimmer versammelt: die Hausfrau, Ohm Gideon, die freiherrliche Märchentante, Hochwürden und Emmerich Dinklage, den Bernd vor wenigen Augenblicken aufgefischt und unter dem Prasseln einer vehementen Philippika eingeführt hatte.
Wie zwei Brüder, zum Verwechseln ähnlich, standen die beiden hochgewachsenen Männer nebeneinander.
Die Begrüßung war herzlich gewesen, und als die heißen Lippen des jungen Gelehrten sich auf die schlanke Hand der Hausfrau gesenkt hatten, war es wie ein belebender Schauer über sie hingegangen.
»Ich danke dir, Emmerich.«
»Wofür?« fragte Bernd.
»Daß er kam.«
»Kein Aufhebens, Hille. Er mußte. Oder nochmals gesagt, sollten wir warten, bis unsere Hunde auf den Einfall gekommen wären, auf griechisch zu bellen, und die Ferkel auf die unsägliche Idee, in den Lauten des sagenhaften Rhapsoden zu quieken?«
»Fi donc!« entsetzte sich das Freifräulein von Boeselager.
»So ist es, Verehrte.«
»Halt!« rief Gideon dazwischen und schnellte von seinem Sitz wie ein Stehaufmännchen. »Kein Plagiat. Achtung vor andermanns Geistesprodukten. Sonst steh' ich da wie ein entlaubter Stamm. Jawoll, ja; denn wenn ich nicht irre, ist die soeben gefallene Sentenz meinem Wissensschatz entnommen. Eigene Zucht, mein Gestrenger.«
»Stimmt. Paderborner. Ein blindes Huhn . . . und so weiter. Aber so sind die Travelmänner nun mal. Finden Sie was Annehmbares, heben Sie's auf und schlagen's zum eigenen Kapital. Dein Wort war ein Goldkorn, und solches ist bei dir selten zu finden.«
»Gemütsmensch!«
»Bin ich, denn das mit Emmerich ist mir, gelinde gesagt, selber an die Nieren gegangen.«
»Dem pflichte ich bei,« ließ sich das zierliche Persönchen vernehmen. »Emmerich, wie konntest du nur?«
Die Dose des geistlichen Herrn schlug eine rasche Volte. Sein Blick ging fragend von einem zum andern.
Die Hausfrau sah stumm vor sich hin.
Emmerich trat näher heran.
»Hille, ich habe dir eine Erklärung zu geben.«
»Auch das noch!« lachte der Hausherr und legte seinen Arm in den seines Freundes. »Selbstverständlich, nun hat der Forscher zu seinem Leidwesen den I-Punkt vergessen. Das Tippelchen fehlt noch. Immer im Frack und 'ne weiße Nelke im Knopfloch. Diese Umstände. Macht's später ab. Der Abend ist lang. Ihr habt Zeit in Hülle und Fülle, und wenn du kannst, Hille, laß ihn nicht zappeln. Gib ihm Segen und Absolution unter milden Bedingungen. Ich für meine Person habe jetzt mein Programm zu entwickeln und an den Mann zu bringen.«
»Schieß' los, edler Freisassenhöfer,« warf Gideon ein. »Wir warten darauf wie'n Ami auf die versprochene Wurstpelle.«
Er setzte sich wieder, rückte sein Bäuchlein zurecht, ließ den fadigen Schnurrbart durch die Finger gleiten und schlug die putzigen Beinchen übereinander.
»Ganz Ohr. Also die Tisch- und Futtertabelle. Herrgott, diese Vorwonne!«
»Schweige und höre.«
Der Gutsherr pfiff sacht durch die Zähne.
»Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Letzteres ist Sache der Damen, ersteres ist auf mein Konto zu buchen.«
»Darf man deine Pläne wissen?« fragte Emmerich.
»Natürlich, das mit der Arbeit. Es ist nur von wegen der Rückfahrt. Es klingt ja wunderlich, gleich bei der Ankunft schon wieder an das Einsträngen der Gäule zu denken. Aber es muß sein. Kurz, ich habe meine Dispositionen zu treffen. Sonst geht später alles drunter und drüber. Ein kluger Mann baut vor und prüft das Gelände. Und daher: Emmerich, kannst du über die Festtage bleiben?«
»Unmöglich, ich muß heute zurück. Morgen bin ich beim Regierungspräsidenten geladen.«
»Parkettmensch! Und, Hochwürden, Sie?«
»Meine Pflicht gebietet, mit dem Frühesten bei meiner Herde zu weilen. Aber keine Umstände, Herr Travelmann, meine Ambitionen reichen nicht weit. Ich halt's mit den Jüngern. Sie zogen ihres Weges per pedes apostolorum
»Ausgeschlossen. Letzteres gibt's nicht. Und Gideon, du?«
»Mensch, du weißt doch, ich bliebe schon gerne, aber ich kann mich beherrschen, denn ein weises Sprüchlein besagt:
Willst du beliebt sein, mach' dich rar.
Hausiere nicht mit feilen Wippchen.
Die Welt schätzt nur den Kaviar,
Nicht Sauerkraut mit Schweinerippchen.
Ich schließe mich den geehrten Vorrednern an, denn ich möchte mich rarmachen, erstens aus Opportunitätsgründen, zweitens, um einen löblichen Eindruck zu schinden, und drittens . . .«
»Um meinen Keller zu schonen,« fiel der Gutsherr ein. »Ich danke dir vielmals. Also es bleibt dabei: meine bereitwillige Anforderung hat keine Gnade gefunden. So werde ich Order geben. Für alle Fälle. So leid mir's auch tut: der große Schlitten nebst Zubehör und die beiden Braunen sollen bereit gestellt werden. Jans Schwarte fährt über Hiltrup nach Münster. Stunde noch vorbehalten. Ist's recht so?«
»Halt! eine Bitte.«
Ohm Gideon stand wieder auf seinen possierlichen Beinchen.
»Mann Gottes, lasse dir Zeit! Nicht immer ventre à terre; sonst wird sogar unsereins aus dem Sattel gehoben. Ich meine, wir haben noch vieles zu leisten: Weihnachtsbescherung . . . freundliche Gesänge bei brennenden Wachslichtern . . . göttlicher Knabe im lockigen Haar . . . Nüsseknacken . . . Gänseessen nach meinem Rezept . . . Romanée-Conti und so . . . So was erfordert Zeit und Muße und nochmals Zeit und Muße und zum drittenmal Zeit und Muße; besonders das mit dem göttlichen Knaben im lockigen Haar, und darum ist meine unmaßgebliche Meinung . . . Wenn's denn nicht anders sein kann: das mit dem Schlitten und den beiden Gäulen ist gut. Aber ich möchte festgelegt haben, ausdrücklich festgelegt haben: vor Mitternacht keinesfalls. Nicht ums Mäusefangen. Ich hätte meinen Bülow Krawallo ja um einer poweren Schose willen abstrapaziert. Man will doch genießen. Keine Galoppsprünge. Immer nur mit 'nem bequemen Jockeltrab aus dem Stall, mit 'nem sanften Fortepiano. Sonst bleiben einem die Gansknochen im Halse stecken, hat man Molesten mit den Karpfengräten. Jawoll, ja. Je später, je lieber. Am besten: frühmorgens, wenn die Hähne kräh'n« und was er bereits auf dem Hermarsch getan hatte, das tat er jetzt wieder. Mit den getragenen Klingen eines etwas angekratzten Flügelhorns sang er durch das Herrenzimmer:
»Dann gehet leise
Nach seiner Weise . . .
Das wäre zu sagen.«
»Gideon,« rief der Hausherr, »bravo! Das war wieder ein Goldkorn.«
Der Gefeierte wiegte sich stolz in den Hüften.
»Nicht anders zu machen.«
»Trefflich!« und Bernd wandte sich an Emmerich und Ludgerus Hölscher: »Sind die Herren mit den Sprüchen des Paderborners einverstanden?«
»Einverstanden,« nickten die beiden.
»Dann abgemacht. Ich werde sofort . . .«
Ohm Gideon vertrat ihm den Weg.
»Du – ich hab' so 'ne Ahnung: bis zur Aufmachung der ganzen Idylle socken noch so 'n paar Viertelstündchen über dein Anwesen, und da möchte ich fragen: Wie ist das mit dem Tobak? Mir roochert.«
»Das dritte Goldkorn,« meinte der Gutsherr. »Du bist ja der reinste Spendierer geworden, und wenn die Damen gestatten . . .«
Ja, die Damen gestatteten.
Ein Rascheln, ein bejahendes Kichern kam aus der Sofaecke herüber.
»Ich bin's gewöhnt. Auf mich braucht keiner Rücksicht zu nehmen. Ohne Zigarre war mein Schwager Klemens Darfeld nicht denkbar.«
»Also genehmigt. Glück muß der Mensch haben. Auch bei den Damen. Alter Sünder, da steht 'ne Kiste. Bedien' dich. Brasil mit Sumatradeckblatt.«
»Merkst du was, Herzchen? Schlauberger, du. Also die dicke Festrübe wird erst genehmigt, wenn die schmalzige Frau Adelheid nur noch die winzigen Überreste ihrer Knöchlein zu beweinen hat? Zuvor der Plebs, dann die Nobelgarde.«
»So ist es.«
Der Hausherr empfahl sich.
»Na denn,« sagte Oheim Gideon, »Schritt gefaßt und 'ran an die Rampe. Es ist ein Liebliches um den Weihrauch aus so einem Röllchen,« und mit flinken Händen langte er zu, knipste ab und ließ ein Zündholz aufleuchten. Gleich darauf kräuselten muntere Wölkchen zur Decke, und durch dieses Duften und Kräuseln eine ermahnende Stimme: »O lala! Est ce possible?! Du suhlst dich im Genuß wie der Buchfink im Rübsamen, während die andern Gäste . . .«
In den kreisrunden Augen des fidelen Herrn blitzte es auf.
Mit einem kurzen Ruck schlugen die Absätze zusammen.
»Pardon, meine Gnädigste. Keine Unterstellungen. Ich bin kein Banause oder ein Allerleirauh. Lieber 'ne Flintenkugel zwischen die Rippen, als sich sagen zu müssen: du hast gegen die Etikette verstoßen. Ein Freiherr Gideon von und zu Hasenklever hätte selbstverständlich . . . und ich tue hiermit kund und zu wissen: Der Forscher von Leukas ist ein geschworener Feind des giftigen Schmauchkrautes. Desgleichen der Kirchengewaltige von Hiltrup. Er zieht es vor, sich den delikaten Spaniol um sein frommes Riechorgan zu pinseln. Ich möchte daher ergebenst bitten . . .«
Über das pontakrote Gesicht zog eine vergrämelte Miene. Aber nicht lange, denn das Freifräulein von Boeselager trippelte auf ihn zu, legte ihm die Hände auf, tippte ihn an und zählte an seinen Knöpfen herunter: »Erstens, so war's nicht gemeint. Zweitens, ich hätte dich für verständiger taxiert. Drittens, ich verabsäume nicht, dich für den gediegensten Ritter sans peur et sans reproche zu erklären. Ich gebe dem Edelmann, was des Edelmanns ist, und schließlich: Soyons amis, monsieur Gideon! und solltest du mich mal auf Darfeld besuchen, eigenhändig werde ich dir die feinste Havanna in die Mundecke schieben. Genügt dir diese Ehrenerklärung?«
»Himmlische!«
Er beugte sich vor und drückte einen zarten Kuß auf ihre Fingerspitzen.
»Stephanie, ohne Arg und vom lautersten Adel, alle freiherrlichen Bau-, Rund- und Grubenholzmesser legen dir ihre Wertschätzung zu Füßen. Es genügt, es genügt!«
»Bitte, nehmt Notiz davon,« seufzte sie erleichtert auf, streichelte ihm sanft die Wangen, wobei ihre gütigen Augen die anderen streiften. »Ihr seht es, der graue Griesgram ist gefügig geworden. Freuen wir uns. Mille remerciments, monsieur Gideon! In aller Feier und Form wurde der Friede zwischen den Häusern Hasenklever und Boeselager geschlossen. Der freiherrliche Friede auf Getter. Wie wär's nun« – und sie atmete tief und trat auf Emmerich zu – »wenn auch die beiden andern Häuser, wenn du und Hille . . .« und als Emmerich schwieg, sagte sie nachdrücklich: »Es ist nicht wohlgetan, kleine Mißhelligkeiten aufzupäppeln. Man darf sie nicht ausreifen lassen. Wenn ich nicht irre, bist du ihr noch eine Aufklärung schuldig. Geht doch nebenan. Nach geschehener Aussprache gibt sich alles freier und farbenfroher, und wir können zum heiligen Christ nur in farbenfrohen Kleidern erscheinen. So ist es doch, Hille?«
Die Angeredete erhob sich.
Sie gab keine Antwort, nickte nur stumm vor sich hin.
»Ja, so ist es,« bestätigte das Freifräulein. »Offene Herzen, freudige Seelen und farbenfrohe Gewänder – die tun es. Um mich braucht ihr euch keine Bange zu machen. Ohm Gideon und Hochwürden sind Mannes genug, mich über das kleine Intermezzo eures Alleinseins hinwegzutäuschen.«
»Sind wir,« konstatierte der Unverbesserliche und straffte seine rotgepunktete Weste herunter. »Besonders das Wort Gottes. Das versteht zu erzählen. Weltliche Geschichten und solche, die Kyrie eleison-Semmel verzehren und auf einer kornblumenblauen Himmelswiese Purzelbäume schlagen. Also bitte, Hochwürden. Wie ist doch die galante und feine Affäre mit der Schnupftabaksdose? Wir sind unter uns, und als Parochus loci dürfen Sie schon eine Lippe riskieren.«
Ludgerus Hölscher winkte verlegen ab.
»Ich möchte nicht gerne. Bei zartfühlenden Ohren könnte sie Anstoß erregen.«
»Warum nicht gar!« fiel ihm der Paderborner ins Wort. »Was aus einem geistlichen Gefäß träufelt, ist für uns Sterbliche Spezereien und Benzoesalbe.«
»Für Sie – keine Frage,« gab Ludgerus zurück, »denn Sie zählen zu den Hartgesottenen im Lande; für das gnädige Fräulein jedoch . . .«
»Sie ist aus dem Schneider, Hochwürden.«
»Aber Gideon!«
»Nichts für ungut, Stephanie. Man muß die Worte eines Waldläufers und alten Soldaten nicht auf die Goldwage legen, und ehrlich gestanden: du würdest ein bedenkliches Manko in deinem Wissenskonto zu verzeichnen haben, wenn dir die denkwürdige Mär von der Schnupftabaksdose entgehen sollte. Sie ist ein Zeichen der Zeit, ein Dokument von dem Leben und Treiben unserer Altvordern. Dazu lehrreich und beherzigenswert. Jawoll, ja. Außerdem hat sie den Vorzug: sie ist nicht aus den Fingern gesogen. Wir kennen die handelnden Leutchen, wenigstens dem Namen nach, und wenn ich dir schließlich noch sage, daß selbst im Klub der Adeligen Damen . . .«
Der possierliche Herr schnalzte vergnügt mit der Zunge und stellte Daumen und Zeigefinger mit unnachahmlicher Grazie spitz gegeneinander: »Ich sage dir, Stephanie, die Legende ist zum Anbeißen, und die Amouren wie aus 'nem süßen Knusperkasten eskamotiert.«
»Wenn du denn meinst . . .«
»Natürlich, natürlich! Alter Herr, pulvern Sie los! Keine Umstände mehr. Also beginnen wir: Es war einmal ein streitbarer Herre. Selbiger schrieb sich Maximilian Friedrich, war Bischof und führte den Krummstab im düsteren Münster. Zu diesem Hirten und Kirchenfürsten gesellte sich eines Tages eine liebreizende Frau, eine Valandinne, ein Weib mit Maronenaugen und den feinfühligen Krallen einer Tigerin . . . und war eine Dame aus dem westfälischen Adel. So weit mein Auftakt. Jawoll, ja. Das übrige bleibt der vehementen Darstellungskunst meines Bruders in Christo überlassen. Er wird es schon leisten.«
Die Brasil duftete stärker.
Ohm Gideon nahm Platz. Stephanie von Boeselager drückte sich mit ihrer Mädchentaille und den quecksilberigen Löckchen in eine bequeme Sofaecke hinein, und Ludgerus Hölscher räusperte sich.
»Wenn es denn sein muß . . . aber ich wasche meine Hände in Unschuld.«
»Waschen Sie so viel, wie Sie wollen; nur forsch an die Sache.«
»Also hören Sie zu . . .« und während der geistliche Herr, halb schalkhaft und halb mit bekümmertem Anflug die Geschichte von der Schnupftabaksdose erzählte, heitere Dinge einflocht und dabei gleichzeitig das schmucke Döschen mit dem Urteil des trojanischen Helden wie um eine Achse flirren und kreisen ließ, standen sich Hille und Emmerich im Nebenzimmer hart gegenüber.
Sie spürten wechselseitig den Hauch ihres Atems, den Schlag ihrer Herzen. Sie schwiegen, und keiner wagte es, die Stille zu brechen, scheinbar in einer dunkeln Angst vor den heimlichen Schwingungen, die ihre Seelen bewegten. Endlich fand Hille den Mut, ging behutsam zu Werke und sagte: »Hattest du nicht vor, mir eine Erklärung zu geben?«
»Allerdings, aber ich bin wieder zweifelnd geworden. Ich glaube, ich habe nicht die richtige Stunde gefunden.«
»Emmerich, das wäre verfehlt. Kein Ausweichen; ein solches zermürbt nur. Klarheit ist nötig. Im Ungewissen werden die Zweifelsüchte nur größer, und Zweifelsüchte sind da, die sich nicht mehr abweisen lassen. Sonst hättest du nicht abgesagt, hättest deinen ersten Brief nicht geschrieben. Erst auf unsre abermalige Bitte, auf meine, hast du den Weg zur Getter gefunden. Ich fühle es nur allzu deutlich: irgend etwas rückt näher und will eine Barriere zwischen uns aufrichten. Warum das? Finden wir die Kraft und den Willen, es zu hindern, bevor es zu spät ist, denn es wäre doch traurig, alte Beziehungen und gute Freunde verlieren zu müssen. Also, du wolltest wirklich nicht kommen?«
»Eigentlich – nein.«
Seine Stimme war von einer seltsamen Schärfe.
»Also – nein,« sagte sie schmerzlich. »Bin ich dir denn so fremd geworden in der neuen Umgebung? Auf Darfeld hingegen . . .«
»Erspar' mir die Antwort.«
Sie hob den Kopf; eine Sekunde lang blickte sie in das weiße, zusammengerissene Gesicht des wortkargen Mannes.
»Ähnlich war dein Verhalten vor einigen Wochen.«
»Wer sprach dir davon?«
»Bernd sagte es mir. Schon damals bereutest du, den Fuß über unsre Schwelle gesetzt zu haben.«
»Das ›damals und heute‹ ist nicht in einem Atem zu nennen. Es würde zu weit führen, dir die feinnervigen Gründe meiner Handlungsweise auseinander zu zwirnen. Ich müßte ein ganzes Dasein sezieren. Nur kurz sei gesagt: seit jenem Tage hat sich vieles geändert. Innerlich war ich vollauf gefestet. Ich bangte lediglich um die Einsicht und Ruhe eines andern, fürchtete, durch mein Erscheinen einen Freund zu verlieren.«
»Und heute?«
»Ich bin in der Gefechtsentwicklung liegen geblieben und habe Furcht um mich selber.«
»Und bist trotzdem erschienen?«
»Ja, um nicht wieder zu kommen.«
»Das klingt widersinnig.«
»So meinst du und ist doch das unumstößliche Resultat einer langen und kühlen Erwägung. Jedes sprunghafte Denken weise ich von mir. Meine Entschlüsse sind unerbittlich wie die Schneesternchen, die da draußen frieren. Aber was mich in diesem Augenblick bewegt, darf ich das sagen?«
»Ja, sprich nur,« versetzte sie mit erzwungener Kälte, obgleich sie fühlte: nun beginnt der Boden unter deinen Füßen zu wanken.
»Hille . . .!«
Keine Antwort.
Er suchte ihre Hände und fand sie.
»Du, ich habe dich einmal geliebt und tu' es auch jetzt noch, obgleich Pflicht und Gewissen mir zuriefen: Du taumelst einem Abgrund entgegen. Aber glaubst du denn, Hille« – und seine Stimme wurde trocken und brüchig – »es wäre ein Leichtes, seinen Sinnen einfach das Genick abzudrehen und das Vergessen aufzustöbern? Du weißt: ich ging, um euch die Wege zu ebnen und mir wie ein angeschweißtes Stück Wild in der fremden Öde ein einsames Sterben oder das Genesen zu holen. Leider, ich blieb nicht allein. Meine Gedanken reisten mit. Sie waren wie ein tönendes Echo. Immer kehrten sie wieder. In den Gräbern von Leukas gingst du neben mir her. Auf den Totenfeldern von Mykenä sahst du mir über die Schulter. Da endlich . . . als ich heimkehrte: ich wähnte den Kalvarienberg hinter mir und schritt ohne Anfechtung an der Fontana di Trevi vorüber. Mein heißes Begehren war niedergezwungen. Ich atmete auf. Mit froher Seele begrüßte ich das Land, wo ich jung war, wagte es, in deiner Nähe zu sein, nur die bange Sorge im Herzen, daß Bernd . . . Ja, wäre es das nur gewesen! Ich irrte mich gründlich. Ich selber . . . Alles verfehlt und nichts unter Sonne; denn das hier . . . Ich Narr . . .!«
Mit einem jähen Laut brach er ab und gab ihre Hände frei.
»Emmerich,« sagte sie hilflos, »so sollst du nicht sprechen. Habe Geduld mit dir. Überwinde dich selber. Ich bin das Weib eines andern. Seien wir Freunde.«
Sie bot ihm die Rechte.
Er nahm sie nicht an.
Bleich und regungslos hing sie in der Luft, bis sie schließlich mit einem wehen Zittern zurücksank.
»Emmerich, Emmerich! gib dich nicht auf, lasse doch uns nicht entgelten . . .«
»Nein, du,« fiel es ihm hart von den Lippen. »Mein Ziel ist gesteckt. Heute bin ich zum letzten Male auf Getter. Ich muß fort. Es geht nicht mehr anders. Ich fühle es doppelt und dreifach: ich will nicht in die Sünde hinein. Denn wenn ich wiederkäme . . .«
Er verstummte mitten im Satz.
Sein Gesicht war grau wie Erde geworden.
»Was willst du?«
Sie sah ihn fassungslos an.
»Hille, wenn ich es täte . . . Ich kann den Gott in mir nicht erwürgen, um einen andern auf den Schild zu heben. Du sollst nicht begehren . . . Nein, ich komme nicht wieder.«
Ein mühevolles, schweres Atmen.
»Mich friert.«
Jetzt wußte sie alles.
»Du,« rief sie aus, »um meiner Seligkeit willen, lasse die Vergangenheit ruhen!«
Schaudernd hatte sie ihr Spitzentuch um Brust und Schultern gezogen. Dann ging sie rücklings, mit geöffneten Augen, Schritt für Schritt, bis die Wand ihr gebot, stehen zu bleiben.
Hier hob sie sich auf und schreckte zusammen, als sie gewahrte, daß sich die Tür zum Flur bewegte.
Jemand trat ein. Rasche Blicke liefen durch das eingedunkelte Zimmer, und diese Blicke nahmen einen eigentümlichen und fragenden Glanz an.
»Ich bitte um Entschuldigung, gnädige Frau. Mein Anklopfen muß überhört worden sein.«
»Johanna, Sie?«
»Ich bin es, gnädige Frau.«
»Was gibt es?«
»Frau Travelmann bittet. Es wäre nun Zeit, läßt sie sagen.«
»Es ist gut. Geh' schon. Ich werde bald folgen,« und als sich die Tür wieder schloß und die Schritte Johannas langsam auf den breiten Gängen verhallten, als nebenan ein helles Gelächter einsetzte, Ohm Gideon wie ein kalkutischer Bronzeputer vor Vergnügen loskollerte und der geistliche Herr die Geschichte von der Schnupftabaksdose in seiner launigen Art weiter erzählte, fiel die Not der Stunde über Hille her wie mit Hammerschlägen.
Ihr Gesicht stand kalkig in der Dämmerhelle.
Die weißen Hände auf der Brust zusammengeschlagen, ohne Bewegung, nicht mehr sie selber, fragte sie tonlos: »Siehst du denn nicht, was um uns vorgeht, was mit häßlichen Fingern nach uns greift? Über ein Kleines noch, und wir haben Blut auf den Lippen und die Scham im Herzen. Mein Gott, mein Gott! ich weiß nicht wohin, aber mir ist so, als säßen wir an einer festlichen Tafel, auf der die Lichter verlöschen, eins nach dem andern. Das mußt du doch sehen.«
»Ich sehe nur dich,« sagte er eisern.
»Emmerich, hilf mir!«
Er war wie geistesabwesend. Sie aber – dicht neben ihm, Auge in Auge, fast Brust an Brust und gerüttelt wie ein Baum in tobender Frühlingsnacht – bleich und verstört knirschte sie zwischen den Zähnen: »Emmerich, das Fest ist aus, die Lichter verlöschen, und dann kommt das Dunkel. Siehst du denn nicht, fühlst du denn nicht, wie das Unheil heraufzieht? Noch steht es fern über dem Walde. Aber wie lange noch? Es ist da, bevor wir es denken, plötzlich, unaufhaltsam, reißend wie ein Wetter im Heidesturm.«
»Ich sehe nur dich und fühle nur dich,« wiederholte er, ohne mit einer Fiber zu zucken. »Was dann kommt, ist meine Sache allein. Am besten schon, auf der Strecke liegen zu bleiben.«
Sie ließ die Arme herunter. Ihr Kopf mit der schweren Flechtenkrone senkte sich langsam. Sie schien einer Sterbenden ähnlich.
»Es ist des Leides und der Qual genug,« seufzte sie auf. »Wir wollen uns doch das Schwerste ersparen, sonst geht die gespreitete Tafel auch ihres letzten Scheines verlustig. Und das wäre die Sünde.«
Mit einem Ruck warf sie das Haupt in den Nacken. »Ich geh' nicht durch Sünde. Ich will nicht. Und du . . . nochmals fleh' ich dich an: Rühre nicht mehr an vergangene Tage. Wir wollen doch den Frieden auf Getter nicht stören. Hier ist geweihte Erde. Das weißt du.«
Ein Lachen, als hinge es zwischen den Eisentraillen des grauen Hauses, wo diejenigen weilen, die in ihrem wirren Geist von Zepter und Krone träumen und nur ein nichtiges Spielzeug zwischen ihren Fingern angrinsen.
»Bitte, keine Vermittlung, keinen Hinweis. Geweihte Erde! Glaubst du, ich könnte diese geweihte Erde besudeln? Wofür hältst du mich denn? Nein, du: erhalten will ich sie in ihrer Reinheit und Weihe und diese Reinheit mit meinem Herzblut besiegeln. Drum bin ich hier. Aus keinem andern Grunde. Ich kam, weil ich mußte. Nicht um deinetwillen, nicht deinem Rufe gemäß, sondern, weil es mir Vernunft und Ehre befahlen. Widerwillig und nach längerm Zögern – gewiß. Aber der entscheidende Schritt mußte geschehen. Laß mich ausreden, Hille, sonst ist alles Spreuicht und in den Wind geredet, und das alte Grauen kommt wieder. Es war nicht zu ändern. Die befreiende Tat muß jetzt folgen, dir gegenüber und deinem Manne gegenüber. Auch eine weitere Lösung wäre möglich gewesen: ein unauffälliges Auseinandergleiten. Ich wies es von mir. Ich will nicht wie ein Schacher von hinnen. Die nämlichen Worte habe ich auch an Bernd zu richten. Ich hoffe, die Stunde wird sich heute noch finden.«
»Warum das?«
»Weil ich es für erforderlich halte, denn geschieht es nicht, meine Sendung wäre nur eine halbe gewesen. Selbst in Gedanken kann ich ihm gegenüber nicht zum Treulosen und Hinterhältigen werden. Und nun ein Letztes. Dann nichts mehr.«
Seine Brust hob sich. Er zog lang und pfeifend die Luft ein.
»Das Letzte. Unwiderruflich. Ich habe mich bereits um eine andre Stellung beworben. Möglich auch: eines Tages sieht mich der libysche oder assyrische Sand. Das ›wann‹ steht noch aus. Aber eins steht fest: dieses Haus bleibt verschlossen für mich. Es ist gut für uns alle und gut für den Frieden auf Getter. Dann wird auch das hier schweigen, und in ein ewiges Vergessen hinüberschlummern.«
Ihre Züge erschlafften.
Ohne Regung lehnte sie an ihm.
»Also – Trennung?«
»Ja, Hille, für immer.«
Er legte den Arm um sie her und beugte sich nieder. Wie ein Heiligtum berührte sein Mund ihre Stirne.
»Mit diesem Kuß nehme ich Abschied von dir. Vergiß mich, wie auch ich versuchen werde, dich zu vergessen, und wenn der Zufall es bringen sollte, daß wir uns wieder begegnen: wir sehen uns nicht, wir hören uns nicht, wir sind Schatten geworden, und Schatten haben nichts mehr gemeinsam. Heute noch ein scheues Zusammensein, ein wehes Sichberühren wie mit zarten Flügelspitzen, dann ein stilles Scheiden und Meiden wie das zweier Königskinder, die füreinander bestimmt waren und sich doch nicht angehören konnten und durften. Zwar kein schönes Ende, aber ein ehrenhaftes.«
Sie neigte den Kopf, nickte etliche Male und sah auf den Boden.
»Also Schatten,« sagte sie äußerlich gefaßt, »und Schatten haben nichts mehr gemeinsam. Recht wirst du haben. Es ist besser so für dich und für alle. Die letzten Kerzen auf der festlichen Tafel brennen noch. Gut, daß sie brennen. So haben wir doch unsre Würde behütet und unsre Seelen auf ein einsames Eiland gerettet. Die letzten Kerzen! Mögen sie uns leuchten auf unsern Pfaden und dann erst verlöschen, wenn für uns die ewigen Lichter zu strahlen beginnen. Komm' jetzt! Wir wollen kein Aufhebens machen. Laß mich allein gehen. Die andern warten hier nebenan. Schließe dich ihnen an und versuche es, heiter zu scheinen. Lebe wohl, Emmerich!«
Er gab keine Antwort. Auch die Hand, die sie ihm reichte, war für ihn nicht vorhanden. Er war fertig mit allem.
»Geh' nur,« sagte er abgewendet.
Sie sah nicht mehr auf. Sie fand keine Worte mehr. Gesenkten Hauptes verließ sie das Zimmer.
Als sie auf den Flur hinaustrat, lief sie ihrem Mann in die Arme, während die Tür hinter ihr ins Schloß fiel.
»Du hier und nicht bei den Gästen?«
»Ich war bei Emmerich, Bernd.«
»Und ihr beide – du und er – ganz abgesondert – da drinnen?«
»So ist es.«
»Und ausgerechnet – jetzt mußt du gehen?«
»Bernd, Mutter ließ rufen.«
»Dann laß sie nicht warten.«
»Kommt bald nach,« sagte sie im Weiterschreiten. Sie suchte möglichst unbefangen zu erscheinen. Aber ihre Stimme war fahrig geworden.
Er warf sich herum. Etwas Häßliches zuckte plötzlich in seine Gedanken hinein; nur wie ein Blitz, um jäh zu verschwinden.
Er lachte über sich selber.
»Unsinn!«
Mit diesem Wort auf den Lippen, riß er die Tür auf.
»All right. Alles geordnet, Jans Schwarte bestellt, Gespann angegeben, Zeit festgelegt und tutti quanti. Wie am Schnürchen. Travelmannsche Arbeit. Und ihr? Seid ihr fertig geworden?«
Er sprach alles forciert.
Emmerich nickte.
»Und ist sie gnädig gewesen? Ich meine: subtile Frauenzimmer haben ihre Nucken und Naupen. Besonders die, die feiner und rassiger veranlagt sind als ihre Schwestern.«
»Wem sagst du das? Sie war dieselbe wie immer.«
»So, so! Also dieselbe. Dein Urteil wertet, und ich freue mich dessen. Sie ist schon ein seraphisches Wesen, die Hille, obgleich ich mir öfters sagen mußte: etwas mehr Realität hätte nicht schaden können.«
»Sei beglückt mit dem, wie sie ist.«
»Bin ich, bin ich, und ich wäre ein Schwarbelkopf, würde ich mich ihres Besitzes nicht von ganzem Herzen freuen. Ich halt' sie in Klammern, hier mit diesen zwei Fäusten. Heilig, heilig! Das weißt du ja selber. Man könnte zu ihr wie zu einem Beichtiger hingehen, und sagen: Lege mir die Hände auf, damit ich genese! Du scheinst es getan zu haben.«
»Ich tat es.«
»Und mit vollem Erfolg?«
»Ich bin zufrieden damit.«
»Schön! und ist eine Unterredung unbedingt nötig gewesen?«
»Ja, Bernd, sie war nicht zu umgehen.«
»Aber zum Kuckuck noch mal! warum seid ihr denn nicht da drüben bei den andern geblieben? Das lag doch nah' und hätte meiner Voraussetzung entsprochen. Oder aber konntet ihr keine Zeugen gebrauchen?«
»Weil du Wert darauf legst: nein, wir konnten keine Zeugen gebrauchen.«
»Also nicht.«
Die Worte standen neben einander wie Männer in blauen Panzereisen.
»Dann allerdings« – und der Freisasse sah wieder das gelbe Auge des Häßlichen auf sich gerichtet – »dann muß ich dir sagen: Ich hatte mir eine Auseinandersetzung nicht in dieser Weise gedacht, sondern anders, ganz anders.«
»Wie anders gedacht?«
»Gerade heraus und ohne salbungsvolles Getratsche: eure Sitzung hat eine verteufelte Verwandtschaft mit Seelengemeinschaft.«
»Lasse das, bitte!«
»Nun kann ich mir auch ihr letztes Schreiben erklären.«
»Schweife nicht ab! Keine Unterstellungen! Oder bin ich zitiert vor Stuhl und Schrein, habe ich in dir den Richter zu sehen, bei Kruzifix und brennenden Kerzen?«
Der Freisasse schwieg.
»Nun, wie lautet die Antwort?«
»Nimm's auf, wie du willst!«
Nun war's heraus. Der Hieb saß und zog blutrünstige Striemen. Also das war es.
Das Auge des Häßlichen begann gelber zu funkeln.
Mann gegen Mann und Stirn gegen Stirn.
Emmerich Dinklage war um eine Tönung weißer geworden.
»Keine Verdächte,« kam es von zuckenden Lippen. »Das wäre das Ende. Ein Tribunal unter deinem Vorsitz liegt mir nicht. Ich weise es ab. Aber Gott sei gedankt: ich kenne deine Natur. Ehrlich und offen, nur mit einer gehörigen Portion Starrsinn und Übereifer behaftet. Hier ist Ruhe geboten. Wir sind keine Komödianten, wollen keine Szene hier machen. Mein Gewissen ist rein. Es birgt kein Geheimnis, wenigstens keines, das man als sündig ansprechen könnte. Frei seh' ich dir ins Auge, wie immer. Und heute erst recht, sonst: ich wäre einer von denen, die man anspeien müßte . . .Aber bevor ich mich weiter erkläre, bevor ich dir meinen Gemütszustand, überhaupt meine ganze Verfassung auseinander lege, steh' Rede und Antwort! Glaubst du an mich oder tust du es nicht mehr?«
Bernd starrte ihn an.
Das kam unerwartet.
War das Karnevalsstimmung oder geigte da der Tod auf dem Sargdeckel?
Er grübelte nach.
»Unsinn, verfluchter!«
»Ja oder nein?«
Die Mahnung war zwingend.
»Du scheinst die Waffen vertauschen zu wollen.«
»Ich? – nein. Ich habe nur den dringenden Wunsch, deine Ansicht zu hören. Es gilt die Bewertung meiner Person.«
»In diesem Falle: ja, ich glaube an dich.«
»Auch jetzt noch, wo Hille und ich diese Aussprache hatten, und zwar unter vier Augen und getrennt von den andern?«
»Ich glaube auch jetzt noch, obgleich ich . . .«
»Hüte dein Wort. Es tanzt auf des Messers Schneide. In deiner Bejahung liegt ein gewisser Vorbehalt, um nicht Verneinung zu sagen.«
»Stimmt.«
»Bernd, in dir geht was um.«
»Ja,« sagte dieser. Seine Stimme wurde zu Stahl. »Ja, ein Verdacht. Es gibt wilde, stoßende Vögel. Sie kommen plötzlich, unversehens wie der Schlag einer Art. Und so ein Gesell, so ein Verdacht, so ein wilder und stoßender Vogel hat sich an mich geworfen.«
»Und ist immer noch da?«
»Zurzeit noch.«
»Und er läßt dich nicht fahren?«
»Das liegt bei dir.«
Er streckte die Rechte, die Faust der Travelmänner.
»Gib mir die Hand. Begegne mir offen und rede!«
»Hier meine Hand,« und Emmerich packte zu, drückte sie, gab sie zurück und sagte: »Wort gegen Wort und Mannesehre gegen Mannesehre. Du kennst die Geschichte von dem verwunschenen Brunnen in Rom. Ich erzählte sie damals, am Tag Sankt Huberti. Dort ging ich vorüber, ohne zu trinken, ohne einen Obolus in den Tobel zu werfen. Ich wollte vergessen. Es hat nicht gefruchtet. Das Arkan war nicht wirksam, wenigstens nicht auf die Dauer. Es ging einfach nicht. Hille sieht noch immer in meine Traume hinein. Und diese Träume . . . ich will sie nicht träumen . . . ich will kein Pflicht- und Treuloser werden, kein Lump . . . Das sagte ich Hille, und was ich ihr sagte, das war auch vor meinem Herrgott gesprochen. Sie und ich – wir beide sind füreinander leere Schemen geworden. Als solche erkannten wir uns, als solche leben wir weiter. Und daher: ich kam, um nicht wieder zu kommen. Ich sattle hier ab. Eine Welt soll zwischen uns liegen, eine Wasserwüste ohne Anfang und Ende. Keine Gemeinschaft mehr. So weit meine Beichte. Und du: führe mich nicht in Versuchung! Zwinge mich nicht zu Experimenten, die nach Verwesung riechen. Lasse mich ziehen! Sie ist größer als wir beide zusammengenommen. Ich beuge die Knie vor diesem Weibe. Für mich gibt's keinen andern Ausweg als nur diesen einen: nach der heutigen Feier . . . ich tauche unter in einen endlosen Nebel. Nun richte!«
»Ist schon geschehen. Das Weitere findet sich später. Zeit bringt Rosen. Und nochmals die Hand – du.«
Der Freisasse rüttelte sich. Er atmete stürmisch.
»Tu', was du willst! Ich kann dir jetzt keine Antwort darauf geben. Ich Hampelmann, ich. Lasse mich ausstellen – du. In 'nem Narrenkasten. Ich bin beschämt bis in die Knochen und weiß nicht: soll ich mit dem Schädel gegen die Wand oder mich für 'nen Tölpel erklären. Aber das schrei' ich dir zu: Dort jagt der wilde, stoßende Vogel . . . auf und davon . . . und kommt er nochmals zurück: Kolben an die Backe, und dem ekelhaften Flieger die Kugel. Bist du hiermit zufrieden?«
»Lasse es gut sein, Bernd! Nur: ehre dein Weib. Lasse nicht ab von ihm. Sei ihm Stütze und Stab und gedenke der Zukunft. Wir aber . . . und mit deinen eigenen Worten gesprochen: Wir haben uns mit dem Geschick abzufinden als ehrliche Kerle.«
Die beiden standen Hand in Hand, als plötzlich der silberne Ruf einer hellen und freundlichen Schelle alle Räume und Flure des Freisassenhofes durchhallte. Gleichzeitig erhob sich ein befreiendes Lachen nebenan, ertönte die Stimme Ohm Gideons: »Das ist ja, um Bauklötzchen zu stehen. Prächtig, prächtig! Diese Schnupftabaksdosenaffäre hört man immer gern wieder. Danke, Hochwürden. Und jetzt: auf nach Sevilla!«
Die im Nebenzimmer gingen zur Diele.
»Komm jetzt, Emmerich! Das Fest kann beginnen.«