Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Der Maestro kannte eine ganze Reihe von Leuten, die von Frida Linke nichts wußten und Viccy Ury verehrten. Sie waren auch sämtlich zu Opfern bereit. Nur das der Ehe wollte keiner bringen.

Linke, dessen Wunsch es längst war, daß sein Sorgenkind Frida eine verständige Ehe einging, die vor allem ihrer Soubrettenlaufbahn ein Ende setzte, unterstützte Cäcilie in ihrem Bemühen, einen Mann zu finden.

Da man, bis das erledigt war, an dem Fall Röhren nicht rühren durfte, so tat Eile not. Und als der Maestro eines Tages einen jungen Mann, namens Menotti, anbrachte, der über einen wohlklingenden Tenor verfügte und nach feierlichen Beteuerungen des Maestro die Zukunft eines Caruso hatte, sagten alle Beteiligten »ja«, und aus Viccy Ury wurde, nachdem sie sich in Frida Linke zurück verwandelt hatte, in aller Eile und Stille Frida Menotti.

Das heißt: bedingungslos opferte Frida weder ihren Beruf noch Günther, »Denn,« so erklärte sie, »eine Ehe stellt nicht nur Anforderungen an das Herz, sondern auch an den Magen. Wie also steht's mit der finanziellen Grundlage?«

Es stellte sich heraus, daß Leo Raffke eine stattliche Mitgift zahlte. Selbst nach den Abzügen, die der Maestro machte, blieb es noch immer eine Summe, auf die hin sich manch' Rechtsanwalt in Frida verliebt hätte. Und sie erklärte:

»Sehr schön – aber sehr unsicher.«

Menotti verstand nicht.

»Was fange ich an,« sagte Frida, »wenn ich eines Morgens aufwache, das Bett neben mir ist leer, und auf dem Nachttisch liegt ein Zettel: Die Sonne Italiens zündet doch mehr als du. Verzeih'! Auf Nimmerwiedersehen! Enrico.«

Enrico sank auf die Knie und leistete alle Schwüre der Welt.

Frida, die viel Sinn für theatralische Wirkungen hatte, klatschte in die Hände und rief:

»Sehr schön! Aber das wirkt lediglich auf das Herz, und darüber waren wir uns bereits einig. Jetzt handelt es sich um den Magen.«

Menotti verstand. Im Gefühl des Besitzes, das die Mitgift ihm gab, sah er zu Frida auf und sagte:

»Fordre!«

Frida überlegte; nicht lange, dann rief sie bestimmt:

»Die Hälfte!«

»Das ist sehr viel.«

»Gott sei Dank! Aber unter dem ist es nicht zu machen.«

Und Enrico, der für beide Hälften fürchtete, sagte: »Ja.«

Den Worten folgte die Tat.

Und am Vormittag des nächsten Tages wurde Frida Menottis Frau.

*

An der Trauung nahmen auch Raffkes teil. Daran schloß sich im Splendid, einem mittleren Hotel der Friedrichstadt, das Hochzeitsmahl. Auch dessen Kosten bestritt Leo. Und da Cäciliens Devise: Noblesse oblige sich auch hier zeigte, so gab es gutes Essen und schwere Weine. Die Gesellschaft war gemischt. Von der Raffkeschen Dienerschaft fehlte niemand. Aber auch Kollegen und Kolleginnen Viccy Urys nahmen teil.

Die schweren Weine und Viccys ehemalige Kollegen sorgten für die richtige Hochzeitsstimmung. Es wurde bis in den Morgen hinein gesungen, getrunken und getanzt.

Auch die Gärtnersfrau, Luise Möhle, der der Raffkesche Hausarzt seit Tagen jede starke Bewegung untersagt hatte, tanzte wie ein Backfisch. Nach einer stürmischen Polka ereilte sie das Geschick. Man trug sie, ohne daß es Aufsehen machte, in eins der Hotelzimmer. Linke telephonierte, in Erinnerung an Fridas und Günthers Geburt, auf gut Glück an Frau Helbing. Die Dame übte noch immer ihren menschenfreundlichen Beruf aus. Sie kam in einem Auto herbei, verhalf einem jungen Möhle männlichen Geschlechts zum Leben und wandte sich dann auf eine Einladung Linkes hin der Hochzeitsfeier zu, die gerade den Gipfel der Lustigkeit erreichte. Außer Linke und dem neuen Gaste standen jetzt alle unter der Wirkung des Alkohols.

»Und welches ist nun der glückliche Bräutigam?« fragte Frau Helbing.

Linke wies auf Enrico, der, fest an seine junge Frau geschmiegt, durch den Saal walzte.

»Ein stattlicher Mann! Ganz Ihre Figur! Auch sonst Ihnen ähnlich. Das heißt, im Profil, da gleicht er mehr Ihrer Frau.«

»Wie? – Was?« fragte Linke. »Meiner Frau – Enrico?«

»Ja! Nur finde ich, er hat etwas Fremdländisches.«

»Ja, ja! Er ist Italiener.«

»Wa . . . wa . . . was ist er?« fragte Frau Helbing.

»Er stammt aus dem Neapolitanischen. Sein Vater ist Sizilianer.«

Frau Helbing führte die Hand an die Stirn, als wenn sie ihre Gedanken sammeln wollte.

»Sein Vater? – Ja, was heißt denn das? Er ist doch ein . . . eheliches . . . ich meine, Ihre Frau – das ist ja nicht möglich.«

»Doch! doch! Es ist so!«

»Entsetzlich!« rief Frau Helbing, die dachte, daß es der Wein sei, der Linke die Zunge löste und sie so zur Mitwisserin dieses furchtbaren Geheimnisses machte. Sie ergriff teilnahmsvoll seine Hand: »Furchtbar ist das! Was müssen Sie armer Mann da durchgemacht haben!«

»Ich bitt' Sie, wenn er nur sonst ein anständiger Mensch ist.«

»Das ist edel! Fast zu edel ist das! – Wer hätte das damals gedacht, als ich bei Ihrer Frau war und das Kind holte.«

»Freilich! – So wachsen sie heran. Da merkt man erst, wie alt man wird.«

»Oder wußten Sie's damals schon?« fragte sie ganz erregt.

»Was?«

»Von dem Sizilianer.«

Linke sah sie an.

»Ich versteh' Sie nicht,« sagte er erstaunt.

»Ich meine, ob Ihre Frau Ihnen damals schon das Geständnis abgelegt hatte.«

»Was für'n Geständnis?«

»Ja, herrschen denn bei Ihnen derartige Zustände, daß es Sie kalt läßt, ob das Kind Ihrer Frau von Ihnen oder von einem Sizilianer stammt?«

»Sie sind verrückt!«

»Man kann es werden, wenn man so etwas erlebt.«

»Sie werfen ja alles durcheinander! Weil meine Tochter einen Italiener heiratet, darum braucht doch ihr Vater kein Italiener zu sein.«

»Ihre Tochter – einen Italiener? – Warten Sie, da muß ich mich erst herausfinden. – Wer ist Ihre Tochter?«

Linke wies auf Frida und sagte:

»Die Braut.«

»Die Braut,« wiederholte Frau Helbing. »Und der Mann, der mit ihr tanzt, wer ist das?«

»Ihr Bräutigam. Das heißt: seit heute ihr Mann. Mein Schwiegersohn.«

»Ja, bin ich denn?« fragte Frau Helbing ganz verwirrt. »Wie alt ist Ihre Tochter?«

»Einundzwanzig.«

»Am 2. Mai ist sie's geworden.«

»Stimmt! Sie haben ein gutes Gedächtnis.«

»Eben! Darauf verlaß' ich mich.« – Sie sah noch einmal ganz ängstlich Enrico an und fragte, indem sie auf ihn wies: »Ja, wie kommen Sie denn dann zu dem Kinde?«

»Frau Helbing, jetzt fange ich an, an Ihrem Verstand zu zweifeln.«

»Ich fürchte, ich werde sehr bald an Ihrem zweifeln müssen.« – Sie zog aus ihrer Tasche ein dickes Buch heraus und blätterte hastig darin herum. – »Da!« rief sie laut. »Da haben wir's! Da steht es groß und breit.«

»Was ist das für ein Buch?«

»Mein Kassabuch. – Hier, lesen Sie! Am 2. Mai 1916, vormittags neun Uhr, ein Kind männlichen Geschlechts dem Hausverwalter-Ehepaar Linke, Königin Augustastraße 6. – Neun Pfund. Gebühren: Mark Zehn. – Vormittags neun Uhr zwanzig, ein Kind weiblichen Geschlechts dem Kaufmann-Ehepaar Raffke, ebenda. Siebeneinhalb Pfund. Gebühren Mark fünfzig.«

Linke wankte und hielt sich an Frau Helbing. Dann glitt er auf den nächsten Stuhl.

»Zeigen Sie her!« stammelte er und las noch einmal die ganze Bescherung. – »Wie ist das möglich?« fragte er tonlos.

Frau Helbing, an der fest aneinandergeschmiegt eben das junge Paar vorübertanzte, brach in ein Höllengelächter aus. Bei der Stimmung, die überall herrschte, fiel das nicht auf.

Linke saß apathisch in seinem Sessel.

»Ich kann nicht mehr!« brüllte Frau Helbing und hielt sich den Bauch.

»Sie werden sich irren!« hauchte Linke.

Aber Frau Helbing schüttelte den Kopf.

»Ausgeschlossen! Ich irre mich nie! Ich sehe die ganze Parade noch vor mir, als wenn es heute wäre . . . Erst Ihre Frau. Sehr schwer. Ein kapitaler Bengel! – Ich legte ihn auf den Wickeltisch und stürzte zu Frau Raffke. Verhältnismäßig leicht. Ein Mädchen. Ich wickelte es schnell ein und lief damit ins Zimmer Ihrer Frau zurück. Irgendwo stieß ich dabei mit Ihnen zusammen. Ich hielt die neugeborne Raffke im Arm. – »Was ist es?« fragten Sie. Ich erwiderte: »Ein Mädchen«, ging weiter und legte es auf den Wickeltisch, auf dem vergnügt Ihr Junge strampelte.«

»Kein Zweifel, Sie haben recht!«

»Ich beschwör's, wenn's sein muß.«

Linke drehte sich alles im Kopfe herum. Frau Helbing verfiel wieder in krampfhaftes Lachen.

»Was mach' ich nur? Was mach' ich nur?« sagte Linke ein über das andre Mal vor sich hin, ohne sich was besonderes dabei zu denken. Vor ihm drehten sich die Paare und er schloß die Augen, so oft Enrico und Frida an ihm vorübertanzten.

»Sehr einfach!« erwiderte Frau Helbing. »Sie nehmen Ihre Frau unter den Arm und gehen mit ihr nach Haus. Wir rufen inzwischen bei Raffkes an und sagen, sie sollen schnell kommen, ihre Tochter feiert Hochzeit.«

Linke, der tief in Gedanken saß, hörte nicht, was Frau Helbing sprach.

»Nun begreife ich manches,« flüsterte er vor sich hin. – »Also Günther!« – Er dachte um und lächelte vor sich hin, und es schien, als wenn sein Ausdruck, der erst hilflos und verzweifelt war, sich aufhellte. – Eine ganze Weile saß er so in Gedanken, während Frau Helbing mit Tränen in den Augen die zwanzigjährige Komödie durchlachte.

Dann verfiel Linke wieder in tiefen Ernst.

»Was wird nun aus meinem Jungen?« war der Gedanke, der ihn nicht mehr verließ.

Er rief seine Frau und ging mit ihr und Frau Helbing aus dem Saal.

Frau Linke, die ihre Pflicht tat und nicht viel dachte, traf die Nachricht so stark, daß sie einen Nervenschock davontrug. Man trug sie in eins der Hotelzimmer und rief den Arzt

»Übernehmen Sie's, Raffkes das beizubringen?« fragte Frau Helbing.

»Nein!«

»Sondern?«

»Ich fahre nach Tübingen zu meinem Sohne.«

Er ließ Frau Helbing stehen, schrieb noch ein paar Zeilen für den Arzt auf, die seine Frau betrafen, und verließ mit schnellen Schritten die Hochzeitsfeier Frida Raffkes.

 


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