Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Das mit dem Familienrat hatte Cäcilie aus dem Roman einer illustrierten Zeitung. Irgendein Fürst mit hochtönendem Namen hatte da die männlichen Mitglieder seines Geschlechtes zusammenberufen, um über Maßnahmen gegen seinen Sohn, der entartet war und freiheitlichen Anschauungen huldigte, zu beraten. Das hatte auf Cäcilie gewaltigen Eindruck gemacht.

»Gewiß, so was ist ja ganz schön!« hatte Leo gesagt, als Cäcilie ihn mit diesem neuen Spleen plagte. »Aber wo nehmen wir schon die Mitglieder dieses Familienrates her?«

»Für Geld kriegt man alles,« erwiderte Cäcilie. »Auch einen Familienrat. Einfach ein Inserat.«

»Etwa so: Zwecks Gründung standesgemäßer Institution sucht erste Familie Damen und Herren von altem Adel gegen hohen Salair.«

»Das ist unmöglich!«

»Wenn du glaubst, daß du es besser machst – bitte!« – Und sie schob ihm Papier und Bleistift hin.

»Der Witz eines Familienrats,« erklärte Leo, »besteht darin, daß er sich aus Mitgliedern der Familie zusammensetzt. Geh' deine Familie durch! In meiner ist niemand, der sich dazu eignet.«

»Alfred.«

»Er ist Assessor – allerdings, das ginge!«

»Und seine junge Frau geht auch. Beate ist so fein wie wir.«

»Gehören denn Frauen auch in den Familienrat?«

»Einen Augenblick!« rief Cäcilie. »Ich will 'mal nachsehen.« Sie suchte die illustrierte Zeitung, fand sie, blätterte, las. Dann verzog sie das Gesicht. »Hiernach nicht. Aber was geht das uns an? Wir machen's eben. Na, und dann Fiffi und ihr Mann! Prima!!«

»Die gehören doch auch nicht zur Familie.«

»Wenn schon. Das weiß kein Mensch. Sie sieht gut aus und er ist Professor.«

»Und ihre Vergangenheit?«

»Sie hat keine.«

»Soo?«

»Die haben wir ihr angedichtet.«

»Sooo?«

»Du meinst doch die Amme?«

»Ich meine überhaupt.«

»Lächerlich! Wer weiß das?«

»Du hast recht! Was geht's uns an? Wir wissen von nichts. – Also das wären wir beide, Alfred und Frau und Professors.«

»Ist das genug?«

Cäcilie blätterte wieder in dem Roman und verzog wieder das Gesicht.

»Hier sind's neun!«

Leo ging den Verkehr durch und Cäcilie lehnte alle ab.

»Es ist schon schlimm genug, daß man solche Leute zum Umgang hat,« sagte sie, »Sie aber auch noch in den Familienrat zu nehmen, wäre lächerlich. – Da fällt mir ein, du hast doch da das Theater finanziert. Zum mindesten könnte man doch den Direktor . . .«

»Gewiß! Er ist zwar in erster Linie Komiker. Immerhin: er hat als Künstler Renommée.«

»Und sieht gut aus.«

Sie setzte sich an den Schreibtisch, nahm einen der Geschäftsbogen, tauchte die Feder ein und schrieb. Dann reichte sie Leo den Brief:

»Da lies!«

Leo Raffke – Finanzierungen jeder Art
Privat – Telegrammadresse: Finanzgenie.

Sehr verehrter Herr Direktor!

In einer höchst persönlichen Angelegenheit möchte ich mich Ihres Rats bedienen und bitte um sofortigen telephonischen Anruf.

Mit bestem Gruß

Cäcilie Raffke    
i. F. Raffke & Cie.
Leder–Decken–Konserven en gros

»Laß das mit der Maschine abschreiben, das macht sich besser als mit der Hand.«

»Und über was soll dieser Familienrat beraten?« fragte er.

Cäcilie erschrak.

»Du hast recht! Daran habe ich nicht gedacht! Worüber soll er?«

»Vielleicht über Günthers Zukunft?«

»Ausgezeichnet! Da können wir dann auch den Maestro hinzuziehen.«

»Wie du meinst.«

»Natürlich! Der behauptet ja, Günthers Zukunft liege auf der Musik.«

»Das ist doch kein Beruf: Musik!«

»Eben darum! Das ist ja gerade das Vornehme. Unser Sohn braucht keinen Beruf. Das ist der Luxus, den wir uns erlauben können.«

»Und mein Geschäft?«

»Es ist nicht jeder ein Finanzgenie. Bei ihm ist das Genie eben auf die Musik geschlagen.«

»Dann wird nichts anderes übrig bleiben, als aus Raffke & Cie. eine Aktiengesellschaft zu machen. Günther wird natürlich Vorsitzender des Aufsichtsrats.«

»Ohne eine Ahnung von geschäftlichen Dingen zu haben?«

»Grade! Um so weniger Schwierigkeiten wird er den Direktoren in den Weg legen.«

»Na, vorläufig scheint mir 'mal wichtiger, daß er Michaelis nach Unter-Sekunda kommt.« –

Acht Tage später trat der Familienrat zu seiner ersten Sitzung zusammen. Cäcilie führte den Vorsitz.

Es war genau alles wie in dem Roman der illustrierten Zeitung.

In der Mitte des Herrenzimmers stand der große, runde Tisch, auf dem ein Riesenperser lag. Um den Tisch herum waren acht Ledersessel aufgestellt. Alle gleich groß. Nur einer ragte hervor. Seine Lehne war doppelt so hoch, sein Sitz beinahe noch 'mal so breit wie die der andern. Und auf dem Sessel saß, thronte Cäcilie.

Da allen Teilnehmern ein pünktliches Erscheinen ans Herz gelegt war, so kamen sie beinahe gleichzeitig. Zwei Diener nahmen ihnen die Sachen ab und öffneten die Tür zum Herrenzimmer.

Cäcilie empfing sie mit feierlicher Miene, und Leo, der links von ihr saß, wies jedem seinen Platz an. Zeit zur Unterhaltung oder Fragen zu stellen, blieb ihnen nicht.

Leo stellte sie einander vor.

Alfred, der Assessor, der noch immer ein netter Kerl war, und Fiffi, die als Frau des Oberlehrers Professor Sasse zwar ein bißchen versimpelt aussah, im übrigen aber noch immer ein wenig hautgoût war, taten, als hätten sie sich nie gesehen. Trotzdem benutzte Fiffi die erste Gelegenheit, um Alfred durch eine mokante Geste ihr abfälliges Urteil über seine Frau, die auf den Namen Beate hörte, zu erkennen zu geben.

Beate saß dem Maestro gegenüber. Und der Maestro, der gewohnt war zu siegen, fand nichts Ungewöhnliches dabei, daß Beates schwarze Augen von ihm Besitz ergriffen und ihn nicht mehr losließen.

Der kleine runde Direktor der Residenzbühne, der mitten in den Proben zu einer Operette steckte, war nur gekommen, weil er – Geld brauchte.

Der Oberlehrer Professor Sasse, der mit einer der großen Raffkeschen Abfütterungen gerechnet hatte, war nicht wenig erstaunt, statt an eine gedeckte Tafel an einen Tisch genötigt zu werden, dessen Aussehen ihn mehr an eine seiner Lehrerkonferenzen als an ein Symposion erinnerte.

Weiter kam keiner in seinen Betrachtungen, denn jetzt reckte sich Cäcilie in ihrem Sessel in die Höhe, schlug die große Ledermappe auf, klopfte mit einem Bleistift von einem viertel Meter Länge auf den Tisch und begann:

»Wir wollen zusammenhalten!«

Das verstand keiner, und jedem drängte sich die Frage auf: Gegen wen?

Cäcilie gab die Erklärung und fuhr fort:

»Wenn auch nicht durch Bande des Blutes miteinander verbunden, so hält uns doch das gemeinsame Interesse für die Zukunft eines wertvollen Menschenlebens zusammen. Die Liebe zu unserem Sohne läßt es uns wünschenswert erscheinen, in allen für seine Zukunft wichtigen Fragen Ihr Urteil zu hören. Es ist daher unser Wunsch, diesen Familienrat, der heute zum ersten Male tagt, zu einer ständigen Institution« – dies Wort, auf das sie stolz war, bereitete ihr Schwierigkeiten – »zu machen.«

»Das könnte mir fehlen!« dachte der Professor. Als er aber draußen Gläser klirren hörte, sagte er sich: »Wer weiß!« Und der Geschmack des 93er Haut Brion, den es stets bei Raffkes zu trinken gab, legte sich ihm auf die Zunge.

Der Maestro dachte: »Mir kann's recht sein.« Denn sein Entschluß, fünf Mark für die Stunde zu liquidieren, stand längst fest.

»Das trifft sich ja ausgezeichnet!« dachte der Direktor. »Manus manum lavat!« Und er rieb sich die Hände.

Beate dachte an die so geschaffene ständige Verbindung mit dem Maestro, blinzelte ihm verständnisvoll zu und lachte.

In Fiffi, die vom ersten Tage der Ehe an Vergleiche zwischen dem Oberlehrer, ihrem Gatten, und Alfred, dem Assessor, gezogen hatte, siegte die Erinnerung über die Gegenwart. Und auch in Alfred hatte Langenscheidts Sprachlehre in vierundzwanzig Lieferungen, die vorn an in seiner Bibliothek stand, die Erinnerung an Fiffi wachgehalten. Von der toten Sprachlehre zur lebendigen Wirklichkeit zurückzukehren, schien ihm, je mehr er zu Fiffi hinäugte, um so erstrebenswerter.

So konnte Cäcilie denn auf allen Gesichtern Bereitwilligkeit feststellen. Und wenn sie deren Ursache auch fälschlicher Weise als Interesse für Günther deutete, so erwirkte sie doch, was sie wollte: den einmütigen Beschluß, daß die Gesellschaft sich als Raffkescher Familienrat konstituierte. Einmal monatlich, schlug Cäcilie vor, mit anschließendem Souper. Und die Gesellschaft beschloß dem Antrage gemäß.

Nachdem so die Gründung erfolgt war, trat man in den geschäftlichen Teil der Tagesordnung, auf der als einziger Punkt: »Günthers Zukunft« stand.

»Um was es sich dabei handelt,« begann Cäcilie, »wird euch allen, die ihr Gelegenheit hattet, unsere Verhältnisse und den Aufschwung der Firma Raffke & Cie. kennen zu lernen, ohne weiteres klar sein. Mit dem Engroshandel von Leder, Fellen, Konserven und Finanzierungen großen Stils ist das Riesenvermögen verdient, das wir nun der deutschen Kultur nutzbar machen wollen.«

Alle dachten an eine große Stiftung und berichtigten ihr Urteil über Raffkes – soweit sie eins hatten. Besonders der Oberlehrer Professor Sasse schob wieder seine Brust heraus und rief: »Bravo!«

Beate, die längst nicht mehr zuhörte, erschrak, zog erst die Beine, dann den Stuhl zurück.

»Denn,« fuhr Cäcilie mit erhobener Stimme fort, »Günther wird nicht, wie das in anderen Familien üblich ist, in die Firma eintreten. Sein Leben wird der Kunst gewidmet sein!«

Jetzt schob auch der Maestro, der Beate gegenüber saß, seinen Stuhl zurück und dachte: »Allmächtiger!«

Schon wies die Hand Cäciliens auf ihn.

»Da!« rief sie. »Fragt den Maestro! Einen gottbegnadeten Künstler hat uns der Himmel in unserem einzigen Sohne beschert.«

Der Maestro wurde unruhig, räusperte sich, fuhr sich erst mit der rechten, dann mit der linken Hand durchs Haar, fühlte, wie aller Augen auf ihm ruhten, setzte sich in den Sessel zurück, stützte den rechten Daumen auf den Tisch, nickte mit dem Kopf und sagte: »Gewiß!«

Das war für Cäcilie eine Erlösung. Und der Maestro, zu dem noch immer alle aufsahen und der sich bewußt war, daß es mit diesem »Gewiß« nicht getan war, fuhr fort:

»Ich bin kein Freund von Wunderkindern. Die Erfahrung lehrt, daß sie in den seltensten Fällen die Hoffnungen, zu denen sie in früher Jugend berechtigen, erfüllen. Sie versagen meist schon in einem Alter, in dem die Entwicklung des normalen Künstlers längst noch nicht abgeschlossen ist. Daher sind mir Schüler wie Günther lieber, die langsam, aber für das Auge des Künstlers sichtbar vorwärts schreiten. Darum glaube ich an Günther, und darum billige ich den Entschluß der Familie.«

Man sah sich an. Hatte man doch eine Hymne auf Günthers ungewöhnliches Talent erwartet. Denn das allein rechtfertigte Cäciliens Entschluß. Statt dessen erfolgte eine nüchterne, unverbindliche Erklärung, die nichts besagte. Das rief den Oberlehrer Sasse auf den Plan.

»Ich bitte ums Wort!« rief er.

Cäcilie nickte. Der Professor stand.

»Zur materiellen Prüfung des Falles fehlt mir das musikalische Verständnis. Indes: was der Maestro sagte, überzeugt mich nicht. Die Quintessenz seiner Rede ist: Wunderkinder erwecken Hoffnungen. Erfüllen sie sich nicht, so enttäuschen sie. Günther ist kein Wunderkind, erweckt daher auch keine Hoffnungen und kann daher auch nicht enttäuschen. Nirgends ist der Dilettantismus unerträglicher als in der Kunst. Wenn ich daher um meine Meinung gefragt werde und damit ein Teil Verantwortung auf mich nehme, dann muß mir, soll ich dem Antrage zustimmen, auch die Überzeugung beigebracht werden, daß Günthers Anlagen den Entschluß rechtfertigen.«

Alle nickten. Nur der Maestro zog die Stirn in Falten und rückte unruhig auf seinem Sessel umher.

Der Direktor bat ums Wort.

»Ich stimme dem bei,« sagte er, »und meine, Günther soll uns was vorspielen, damit wir uns überzeugen . . .«

»Nein!« rief der Maestro und klopfte mit dem Daumen auf den Tisch.

»Warum nicht?« fragte der Direktor.

»Weil ich ein Feind von Schaustellungen jeder Art bin, ehe das Studium abgeschlossen ist.«

»Freilich. Sie als Günthers Lehrer und Violinkünstler können natürlich besser als ich beurteilen . . .«

Aber Leo, der eine feine Nase hatte, kamen Bedenken. Und er bat den Maestro, sich doch mit ein paar Worten zu äußern, wie er sich Günthers Laufbahn eigentlich denke.

»Sehr einfach!« sagte der. »Ich werde mir alle Mühe geben, ihn so weit zu fördern, daß er – er ist jetzt dreizehn – sagen wir 'mal in zehn, zwölf Jahren zum ersten Male . . .«

»In zehn, zwölf Jahren!« wiederholte Cäcilie. »– Und bis dahin?«

»Bis dahin wird er die Unterrichtsstunden freilich verdoppeln müssen.«

»Und in welcher Art,« fragte Leo, »gedenken Sie ihn dann an die Öffentlichkeit zu bringen?«

»Das muß sehr sorgsam vorbereitet werden. Die Kritik gewinnen, ist die Vorbedingung jeder Karriere.«

»Großer Gott!« rief Cäcilie, »wie gewinnt man die?«

»Indem man geschickt Beziehungen knüpft.«

»Und Sie wissen eine Möglichkeit, sie zu schaffen?« fragte Leo.

»Nun,« erwiderte er: »Die Mittel dazu wären ja wohl hier vorhanden.«

Cäcilie lächelte überlegen und sagte:

»Ich denke auch.«

»Aber, ich sagte schon, damit allein ist es nicht getan. Es erfordert vor allem größte Delikatesse.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Leo, und der Maestro erwiderte:

»Takt.«

Leo schüttelte den Kopf und dachte: schon faul! Auch der Gesichtsausdruck der andern verriet nicht übergroßes Vertrauen. Und Cäcilie, die sich von allen Seiten beobachtet sah, setzte in diesem Augenblick alle Hoffnung auf Linke und sagte:

»Ich denke, es wird schon gehen.«

Leo bemerkte:

»Aber wie?« und sie erwiderte:

»Das ist es eben.«

Da stand Alfred, der Assessor, auf:

»Das ist ja alles ganz schön und grün und ehrenwert,« begann er salopp und hielt die Hände in den Hosentaschen, »daß man Millionärssöhne, statt sie zum Geldverdienen anzuhalten, sozusagen in eine höhere Sphäre lenkt. Immerhin: es ist ein Experiment, und wenn es mißglückt, dann ist so'n Mensch in der Anlage verpfuscht und wird nie im Leben mehr 'n brauchbarer Staatsbürger. Und was die Hauptsache ist, man muß ihm eine persönliche Note schaffen. Höchstes Glück der Erdenkinder ist nur die Persönlichkeit. Je ausgeprägter sie ist, um so weniger Lust wird die Kritik haben, sich an ihr zu reiben, um so stärker wird die Wirkung sein, die er, auch ohne den Kratzkasten in Bewegung zu setzen, auf die Massen ausübt.«

»Das wäre sehr wünschenswert,« stimmte der Maestro zu, dessen Politik dahin ging, den Aufstieg Günthers zum Künstler möglichst unter Ausschluß jeder musikalischen Äußerung sich vollziehen zu lassen.

»Von alledem verstehe ich kein Wort,« dachte Cäcilie, war aber zufrieden, daß der Maestro Alfreds Meinung war und sagte daher: »Nu also!«

Alfred fuhr fort:

»Meine Idee ist die, im Hinblick auf die Zukunft des Künstlers ein Blatt zu gründen.«

»Ein Blatt?« sagten die einen, und den andern stand dieselbe Frage in den Gesichtern.

»Ja! Zunächst ist damit 'mal die sehr beachtenswerte Anregung des Maestro berücksichtigt, nämlich die taktvolle Anbahnung von Beziehungen zu der Kritik! Diese Leute zieht man zur Mitarbeit heran und zahlt ihnen hohe Honorare.«

»Eine Musikzeitschrift?« fragte der Maestro.

»I Gott bewahre!« erwiderte der Assessor. »Das wäre so ungeschickt wie möglich, da es durchsichtig wäre.«

»Ganz meine Ansicht!« stimmte der Direktor bei. »Es muß eine Theaterzeitschrift sein, die die Musik scheinbar nur nebensächlich behandelt. Ich bin bereit, die Leitung zu übernehmen.«

Der Oberlehrer Sasse schüttelte den Kopf.

»So nicht!« sagte er mit Pathos. »Die Idee an sich ist vorzüglich. Aber Theater und Musik sind zu eng miteinander verwandt und nicht seriös genug. Den seriösen Hintergrund kann nur die Pädagogik bilden. Ich kann dem Familienrat die erfreuliche Mitteilung machen, daß ich über tiefgründige Vorarbeiten auf diesem Gebiete verfüge. Ich beantrage, mir die Leitung des Blattes zu übertragen, dem zu Liebe ich bei sicherer Fundierung des Unternehmens sogar meinen Lehrerberuf zu opfern bereit bin.«

»Nein!« erwiderte der Assessor. »Das alles können nur Spezialgebiete des Unternehmens sein. Einem Blatte gibt nur die Politik eine starke Note. Nicht etwa Parteipolitik, durch die wir uns von vornherein Gegner schaffen würden, wahrend es unser Ziel sein muß, die kapitalkräftige und daher Ton und Stimmung angebende Gesellschaft ohne Unterschied der Parteirichtung zu gewinnen. Die politische Richtung ist also gegeben. Die Kreise, die wir politisch bekämpfen, spielen in der musikalischen Welt keinerlei Rolle, sind antikapitalistisch, können uns also nichts anhaben. Wie gesagt, ich fühle mich prädestiniert, ein solches Blatt ins Leben zu rufen, es zu leiten und ihm die Resonnanz zu schaffen, die eine unauffällige Anknüpfung der für Günthers Zukunft notwendigen Beziehungen sichert . . . Herr Raffke wird als Eigentümer seines Blattes eine Rolle in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft spielen, wie er sie durch Millionen-Stiftungen nie erreichen würde. Und Günther, als der Sohn des Verlegers, wird beliebt, umworben, gesucht, bestaunt und gefürchtet sein, noch ehe er öffentlich den ersten Geigenstrich getan hat.«

Leo sah von dem Augenblick an, an dem das Wort Zeitung fiel, tausenderlei geschäftliche Möglichkeiten. An Günther dachte er dabei so wenig wie Alfred, der Direktor und der Professor an ihn dachten, als er jetzt sagte:

»Das leuchtet mir ein!« und die drei stimmten zu und riefen: »Uns auch!«

Eine halbe Stunde später konstituierten sich Verlag und Redaktion. Leo Raffke war Geldmann und Verleger. Assessor Alfred Herausgeber und Chef der Redaktion. Professor Sasse übernahm Kunst, Wissenschaft und Pädagogik, der Direktor das Theater, der Maestro die Musik, Raffke Handel und Börse. Das Blatt sollte zunächst einmal wöchentlich erscheinen und hieß, auf eine Anregung hin, die Cäcilie gab.

»Die Neue Gesellschaft«.

 


 << zurück weiter >>