Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

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Sechzehntes Kapitel.

Günther, der inzwischen eifrig Vorlesungen hörte und seine volkswirtschaftlichen Studien ernster betrieb als wohl sonst ein Student in den ersten Semestern, hatte kaum noch einen inneren Zusammenhang mit seiner Familie. Cäcilie vergötterte ihn und sprach nur noch von ihrem Sohne als »dem berühmten Dichter«. Zwar begriff sie nicht, daß er, statt Literaturgeschichte zu treiben, Nationalökonomie studierte. Denn das stand, wie man ihr erklärt hatte, in gar keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit, der er seinen Ruhm dankte.

Aber der Maestro meinte:

»Umso besser. Das gibt seiner Persönlichkeit eine seriöse Nuance.« – Und damit fand sich Cäcilie ab, obschon sie es nicht recht verstand.

»Er ist eben vielseitig,« sagte sie.

Leo Raffke kümmerte sich überhaupt nicht um seinen Sohn. Sein Geschäft dehnte sich immer mehr aus, er aß selten zu Hause, arbeitete bis tief in den Abend hinein, schlüpfte dann eilig in den Frack, um mit Cäcilie irgendwo zu repräsentieren, und erfuhr oft erst von der Dame, die er zu Tisch führte, neues von seinem Sohne. Meist waren es Märchen, die harmlos von Cäcilie begonnen, im Munde der Erzähler weiter wuchsen und bald so feste Gestalt annahmen, daß sie ein jeder glaubte. So auch Leo, der sich ein ganz falsches Bild von Günther machte, an dem auch die paar Stunden am Sonntag, dem einzigen Tage in der Woche, an dem sie des Mittags zusammenkamen, nichts ändern konnten. –

Es waren Wochen vergangen, da erhielt Günther folgenden Brief:

»Lieber Herr Günther!

Wir sind seit vierzehn Tagen in unserem Landhaus in Wannsee. Wenn Sie 'mal nachmittags zu uns hinauskämen, würden wir uns freuen. Sie treffen uns immer. Schönen Gruß von uns allen, Ihre ergebene

Frau Käte Röhren.«

Schon an einem der nächsten Nachmittage fuhr Günther nach Wannsee.

Herr und Frau Röhren empfingen ihn freundschaftlich. Sie fragten nach seinem Studium und waren voller Interesse für alles, was ihn anging. Von seiner Schriftstellerei sprachen sie wenig.

»Sie haben schon wieder ein neues Stück fertig?« fragte Röhren.

»So weit ist es noch nicht,« erwiderte Günther. »Die Zeitungen wissen immer mehr als man selbst. – Überhaupt: sie machen mit einem, was sie wollen.«

»Ich habe mich recht gut in der Samoanerin unterhalten,« sagte Röhren. »Meiner Frau liegen solche Sachen ja weniger. Aber ich finde doch, Sie haben Sinn für das Bühnenmäßige, was für Ihr Alter geradezu erstaunlich ist.«

»Das stammt alles von Viktor Grün!« sagte Günther lebhaft.

»Nun, das ist doch wohl eine übertriebene Bescheidenheit von Ihnen,« warf Röhren ein. »Denn nur, um die Tantiemen mit Ihnen zu teilen, wird sich ein Mann wie Viktor Grün ja kaum mit Ihnen zusammengetan haben.«

»Mir ist es selbst ein Rätsel,« erwiderte Günther.

»Wahrscheinlich werden Sie ihm Ideen gegeben und seine Phantasie angeregt haben.«

»Ach! Das ist alles ganz anders!« sagte Günther.

»Glauben Sie denn nicht an sich?« fragte Frau Röhren.

»Ich bin noch sehr jung.«

»Und haben trotzdem schon viel erreicht.«

Er schüttelte den Kopf.

»Das ist nichts.«

»Demnach befriedigt es Sie nicht?«

Günther verneinte.

»Dann müssen Sie besseres schaffen. Jedenfalls haben Sie allein durch die Tatsache, daß man ein Stück von Ihnen spielt, mag es nun etwas wert sein oder nicht, erreicht, daß man Sie beachtet. Heut' kann ich es Ihnen ja sagen, ohne daß es Sie zu kränken braucht: noch vor ein paar Wochen war man ungerecht gegen Sie und hatte Vorurteile. Sie haben es sicher selbst gefühlt.«

»Ja,« sagte Günther.

»Wenn Sie also auch Ihre Arbeit innerlich nicht befriedigt hat,« fuhr Frau Röhren fort, »so haben Sie doch schon viel damit erreicht, daß Sie all' die dummen Vorurteile zerstört haben, und daß Sie sich heute unter uns nicht mehr fremd fühlen.«

»Wenn ich Ihnen nun gestehe, daß ich eigentlich ohne mein Zutun und gegen meinen Willen zu dieser sogenannten Berühmtheit gelangt bin, daß ich für diese Dinge weder Begabung, noch Interesse habe, daß ich nur mein Studium liebe und mich in dem Bewußtsein dieses falschen Ruhmes bedrückt fühle, daß dies unredliche Gefühl auch der Grund war, aus dem ich mich vor Ihnen die ganze Zeit über verborgen habe, begreifen Sie dann, daß mein Leben verpfuscht ist?«

»Günther!« rief sie. »Wie können Sie so reden, mit Ihren zwanzig Jahren! Sie nehmen das Leben viel zu schwer. So, wie Sie es hinstellen, ist es gewiß nicht. Andernfalls . . . Aber das sind Fragen des Gewissens, in denen kein anderer Ihnen raten kann. Das müssen Sie mit sich selbst abmachen.«

»Doch kann man da raten,« sagte Röhren. »Man muß es sogar!« Dann stand er auf, trat an Günther heran, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm fest in die Augen und sprach:

»Keine Unredlichkeit! Und wenn da drinnen auch alles zusammenbricht. Macht nichts! Wenn man nur ein reines Gewissen hat. Also, nicht wahr, bekennen! Und dann von neuem beginnen!«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein Schwarm junger Leute, die in den Garten wollten, stürmten über die Diele.

»Schließen Sie sich dem jungen Volk an!« sagte Frau Röhren. »Da kommen Sie auf andere Gedanken.«

Man umringte und begrüßte ihn und zog ihn mit hinaus in den Garten.

Wäre er nach der Aussprache mit Röhrens nach Hause gefahren, so hätte er seinen Entschluß, zu bekennen, trotz Cäcilie und Frida, zur Ausführung gebracht. Nun aber war er wieder mitten unter diesen Menschen, die ihm 'was galten, die auch ihn achteten und ihn in ihre Kreise aufgenommen hatten.

Er war sich klar: führte er seinen Entschluß aus, so schloß sich für ihn diese Welt wieder, und keine noch so starke Leistung würde sie ihm jemals wieder erschließen.

Diese Gedanken drückten auf ihn, während er, äußerlich froh, sich mit diesen Menschen vergnügte.

Im Laufe des Nachmittags wollte es der Zufall, daß Günther und Suse bei einer Wanderung durch den weiten Park ein paar Schritte hinter den andern zurückblieben.

Sie gingen eine Zeitlang, ohne ein Wort zu sprechen, nebeneinander her.

Nach einer Weile fragte Günther:

»Haben Sie viel erlebt, seit wir uns das letztemal gesehen haben?«

Suse wandte sich zu ihm um, sah ihn an und sagte:

»Warum fragen Sie das?«

Er hielt ihren Blick nicht aus, sah zur Erde und erwiderte:

»Nur, um etwas zu sagen.«

»Ich wußte es. – Aber bitte, lassen Sie das! Wir wollen ruhig nebeneinander hergehen. Es ist nicht nötig, daß Sie mich unterhalten.«

»Es ist nicht nur darum.«

»Weshalb denn?«

»Um auf andere Gedanken zu kommen.«

»Ich glaube, Sie machen sich das Leben sehr schwer, Günther.«

»Ich tue nichts dazu, es ist so.«

»Sind Sie viel allein?«

»Immer. – Ich habe zwar einen Kreis von Leuten. Wir sitzen abends zusammen, trinken und plaudern. Aber allein bin ich doch.«

»Warum suchen Sie sich nicht andere Zerstreuung?«

»Weil ich, was mich verstimmt, dann zehnfach fühle.«

»Sind Sie deshalb so lange nicht gekommen?«

»Ja! – Aber jetzt, wo ich mein Studium habe, da hoffe ich, wird es besser gehen.«

»Ich begreife Sie nicht! Sie haben doch 'was erreicht! Möchten Sie etwa mit einem von allen denen da« – und dabei wies sie auf die jungen Leute vor ihnen – »tauschen?«

»Ja!« sagte Günther. »Das möchte ich!«

»Das gefällt mir nicht. – Glauben Sie denn, daß Sie weniger wert sind?«

»Kommt es denn darauf an?«

»Nur!«

»Um vorwärts zu kommen – vielleicht; obgleich auch das so allgemein nicht zutrifft. Aber es gibt im Leben ja auch noch andere Dinge, die tiefer gehen und von denen mehr abhängt als eine Professur oder ein Titel.«

Suse verstand ihn.

»Gewiß! – Und wonach, glauben Sie, daß solche Dinge entschieden werden?«

Er quälte sich und sagte:

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich weiß es: nach dem Gefühl.«

»Glauben Sie, Suse, auch das ist diszipliniert. Ganz unbewußt! Oder sind es nicht immer die gleichen Sphären, in denen die Menschen sich zusammenfinden?«

»Die Herzen auch?«

»Eben die Herzen! Und verirrt sich das Herz einmal, dann muß es leiden. – Darin liegt – mein Jammer: daß ich immer an Sie denken muß!«

Suse sah zur Erde und schwieg.

»Und das verstimmt Sie?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja!«

»Sind die Gefühle, die Sie für mich haben, denn nicht gut?«

»Suse!« rief er, »wie können Sie das fragen, wo Sie doch sehen, wie ich leide!«

»So reden Sie!« drängte Suse und blieb stehen.

Da hob Günther beide Hände:

»Sie sind mir alles!« sagte er.

»Günther!« gab sie zur Antwort.

»Seit Monaten kämpfe ich dagegen an. Wenn Sie wüßten, was dazu gehört, einem Gefühl Gewalt anzutun, das einem mehr gilt als sein Leben. Man möchte es wie ein Heiligtum behüten – und nun soll man dagegen anrennen, soll versuchen, es einzureißen. Man muß wohl anders sein als ich, um das zu können. Mit Gewalt geht es nicht! – Und dann wieder versuche ich es heimlich. Ich rühre nicht daran. Ich taste mich fort, rette mich irgendwohin und hoffe, es wird Ruhe halten und mir nicht folgen.« – Er schüttelte den Kopf. – »Es ist dasselbe! Und wenn ich vor einem Abgrund stände und dem Tod ins Auge sähe – es wäre da! Ich würde keine Furcht empfinden. Das Gefühl wäre stärker! Es würde auch das verklären und ihm jeden Schrecken nehmen!«

»Und wenn ich Sie bitte: kämpfen Sie nicht mehr dagegen an! Wenn ich Sie bitte, hüten Sie, pflegen Sie das Gefühl! Denn ich – ich habe Sie lieb.«

Günther riß die Arme hoch:

»Du!« rief er, und Suse warf sich ihm an den Hals.

»Und nun – nun komme, was wolle!« sagte er befreit. »Der Kampf ist aus! – Nun weiß ich, daß ich mich selbst in Stücke reißen müßte, um mich von dir zu befreien. Und täte ich es, der letzte Fetzen, Suse, er wäre dein!«

»So liebst du mich?« sagte sie zitternd und schmiegte sich an ihn. »Und ich, siehst du, ich habe mich aufgegeben. Ich weiß nichts mehr von mir, ich bin ganz nur in dir und will nie, nie mehr wo anders sein!«

»Ich habe nicht gewußt, das es das gibt,« sagte Günther. – »Daß zwei Menschen so eins werden können.«

»Nun aber wissen wir's.«

Die andern waren weit fort, da lehnten Günther und Suse noch immer aneinander.

Und als sie später durch den Park zurückgingen und wieder bei den andern waren, da wußte jeder, der sehen konnte, daß sie ein großes Glück in sich trugen.

 


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