Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

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Elftes Kapitel.

Der nächsten Probe wohnte Günther bei. Frida saß wie immer im Hintergrund auf einer der letzten Parkettreihen.

»Lieber Herr Raffke,« sagte der Direktor, nachdem er Günther den Hauptdarstellern vorgestellt hatte, »am besten, Sie setzen sich ganz ruhig ins Parkett und sehen sich die drei Akte einmal hintereinander an, um zu sehen, ob auch alles so ist, wie Sie es sich beim Schreiben gedacht haben. Aber ich sage Ihnen gleich: das Stück steht, einschneidende Änderungen sind ausgeschlossen.«

Günther setzte sich ruhig hin und sah sich die drei Akte einmal hintereinander an.

Frida war ein paar Bänke weiter nach vorn gerückt.

Viktor Grün erschien und begrüßte Günther.

»Na, Kollege, lassen Sie sich auch 'mal sehen? Was sagen Sie zu dem Finale? Endlos, was? Aber glauben Sie, dieser Holl opfert einen Takt? Eher streicht er uns den halben Dialog.«

»So! so!« erwiderte Günther.

»Übrigens, wie gefällt Ihnen die Rex? Hübsche Person! Aber keine Stimme und ohne Charme. Amerikanisch steif. Man versteht kein Wort, wenn sie singt. Passen Sie auf, wie sie beim Duett im zweiten Akt abstinkt! Das wäre ein Schlager bei richtiger Besetzung! Aber der Direktor hat's gut, auf sie zu stehen. Er wird sein Wunder mit ihr erleben. Ich kenne die Kritik.«

Frida kicherte beifällig.

Viktor Grün wandte sich um.

»Da ist ja wieder die reizende Puppe,« sagte er laut und nickte ihr zu. »Kennen Sie sie?«

Jetzt sah sie auch Günther.

»Frida!« sagte er freudig und gab ihr die Hand.

Viktor Grün stellte sich vor.

»Auch vom Bau, mein Fräulein?« fragte er freundlich.

»Ja!« rief sie kühn. »Das heißt, ich studier' noch.«

Grün umfaßte sie mit einem Blick. Dann schnalzte er mit der Zunge und sagte:

»Große Zukunft – wer ist Ihr Lehrer?«

»Viktor Grün,« gab sie zur Antwort.

Er sah sie groß an und fragte sich: Wo steckt da der Witz. Er fand ihn nicht, wollte aber nicht unhöflich scheinen, lachte daher und rief: »Ausgezeichnet!«

Das verstand nun wieder Frida nicht. Und da sie weniger konventionell war, so fragte sie:

»Wissen Sie denn, wieso Sie mein Lehrer sind?«

Er schüttelte den Kopf.

»Weil ich Sie seit drei Wochen von hier aus beobachtete.«

»Nicht möglich!«

»Sie können sich ja davon überzeugen.«

»Auf welche Art?«

»Indem Sie mich auf die Bühne stellen.«

»Als was?«

»Als was Sie wollen. So gut wie die mach ich's auch,« und dabei wies sie auf die Hauptdarstellerin, Miß Rex, die eben an der Seite des Direktors an Günther herantrat und sich ihm vorstellen ließ.

»Mister Raffke,« sagte sie und gab ihm die Hand. »Das Textbook for die fesche Samoanerin ist das beste von alle Textbücher, wo ich habe gesehen in die letzten zehn Jahre. Ich bin glücklich zu singen die Rolle von das Haupt in die Samoanerin. Hoffentlich ich bin nach Ihrem Gesmack.«

»Danke sehr!« erwiderte Günther und verbeugte sich. –

Der zweite Akt mit dem großen Auftritt von Fräulein Rex war mitten im Gange. Die schöne Samoanerin tanzte. Der Ballettmeister rang verzweifelt die Hände.

»Tempo! Tempo!« rief er und gab mit den Füßen den Takt an. »Eins! zwei! drei! Eins! zwei! drei!« zählte er schnell hintereinander. Dann brach er ab und rief zur Musik herunter: »Schluß!« Und zu Fräulein Rex gewandt, sagte er:

»Sie tanzen nicht, sondern watscheln wie eine Ente!«

»Direktor!« schrie Miß Rex und drohte mit einem hysterischen Anfall. Sie riß in kurzen Zwischenräumen den Mund auf und schnappte nach Luft.

»Was fällt Ihnen ein, Tanzmeister!« brüllte der Direktor. »Ich bitt' mir aus, daß Sie Miß Rex wie eine Dame behandeln.«

»I was!« rief jetzt vom Dirigentenpult her der Komponist. »Der Tanzmeister hat recht! Sie schmeißt uns die ganze Operette. Singen kann sie nicht, tanzen kann sie nicht!«

»Umbesetzen!« brüllte jetzt Viktor Grün, der noch immer neben Frida stand.

»Ausgeschlossen!« erwiderte der Direktor. »Miß Rex ist für die Rolle engagiert und bringt für 50 000 Mark Toiletten mit.«

»Dann stecken Sie eine andere in die Toiletten!« brüllte der Komponist.

»No, no, no, no!« japste Miß Rex und führte ihr Spitzentuch vor den Mund.

»Jo, jo, jo, jo!« erwiderte Viktor Grün.

»Wir finden ja keinen Ersatz mehr,« vermittelte ihr Partner, der froh war, wie stark seine Leistung von der der Miß Rex abstach.

Da griff Frida beherzt nach der Hand Viktor Grüns und sagte leise:

»Ich! – Bitte versuchen Sie's!«

Grün schwankte einen Augenblick. Dann rief er:

»Das Fräulein hier ist bereit, den Versuch zu machen.«

Alle wandten sich ihr zu.

»Wer sind Sie?« fragte der Direktor von der Bühne herab.

Aber Frida lief, statt zu antworten, die kleine Treppe zur Bühne hinauf, trat an die Rampe und rief dem Komponisten zu:

»Den Tanz!«

Der Komponist hob den Taktstock, die Musik setzte ein, und Frida tanzte mit einer Hingabe und einem Feuer, daß der Tanzmeister die Arme hochschmiß und vor Vergnügen abwechselnd von einem Bein auf das andere sprang.

Als der Tanz zu Ende war, brachen alle in lauten Beifall aus. Nur Miß Rex war verschwunden – und kehrte nicht wieder. Frida spielte die Rolle weiter und riß alle mit sich fort.

»Nun?« fragte Viktor Grün nach Schluß des zweiten Aktes den Direktor. »Hab! ich'n Blick? Was sagen Sie zu meiner Schule?«

»Lieber Grün,« erwiderte der Direktor. »Mein Kompliment!« Dann ließ er Frida in sein Büro kommen, sagte ihr eine Menge Freundlichkeiten und machte mit ihr einen Vertrag.

»Unter welchem Namen wollen Sie auftreten?« fragte er sie. »Frida Linke, das klingt nicht weiter anreizend.«

»Allmächtiger!« rief jetzt Frida und dachte zum ersten Male an ihren Vater. »Das ist ja unmöglich.«

Sie gingen eine Reihe von Namen durch. Auch Viktor Grün und den Komponisten zogen sie zu Rate und einigten sich schließlich auf Viccy Ury. Dann besiegelte eine Flasche Irroy, die der Direktor zum besten gab, den Pakt.

Günther saß inzwischen träumend vor dem geschlossenen Vorhang. Als Viktor Grün nach dem dritten Akt auf ihn zuging und zu ihm sagte:

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Ihre kleine Freundin hebt das ganze Stück,« da sah er ihn groß an, stand auf und sagte:

»Sie haben mich belogen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß diese Operette nichts, aber auch nichts,« wiederholte er lebhaft, »mit irgendeinem meiner Gedichte zu tun hat.«

Auch Frida und der Direktor standen jetzt neben ihm.

»Erlauben Sie 'mal,« widersprach Viktor Grün. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ich zu dem Couplet ›Muschi, kleine Muschi!‹ durch Ihr Gedicht angeregt worden bin.«

»Durch welches?« fragte Günther.

Viktor Grün dachte nach:

»Wie hieß es nur, dies reizende Gedicht? – Richtig, jetzt entsinn' ich mich!« – Und er deklamierte:

»Weich liegst du in seidenen Kissen,
Es fließt das lockige Haar
Dir über Stirn und Wange
Und über dein Augenpaar.«

Frida stutzte. – Günther schüttelte verständnislos den Kopf. Und als Viktor Grün den zweiten Vers suchte, über die erste Strophe aber nicht hinauskam, da deklamierte Frida weiter:

»Unter dem Spitzenhemdchen,
Mit dem Duft deines Körpers getränkt,
Schimmern die weißen Brüste,
An die ich mich jubelnd gehängt.

Und meine Hände tasten
Zärtlich an dir empor –
Stille, heilige Stunde,
In der ich an dich mich verlor.«

»Sie kennen es?« fragte Viktor Grün.

Frida lachte.

»So also gehst du mit meinen Versen um!« wandte sie sich an Günther. »Und gibst sie als deine aus.«

»Ich verstehe gar nicht,« erwiderte Günther. »Ich habe diese Verse niemals gesehen.«

»Aber Sie haben sie nach Angabe Ihrer Frau Mutter doch mit sich herumgetragen!« sagte Viktor Grün.

Günther wußte von nichts.

»Ihre Frau Mutter hat sie in der Tasche eines Ihrer Röcke gefunden und sie uns glückstrahlend überantwortet.«

»Da hab' ich sie heimlich hineingesteckt!« bekannte Frida.

»Du?« fragte Günther erstaunt. »Warum hast du das getan?«

Da fiel ihm Frida ganz ungeniert um den Hals und rief:

»Weil ich dich lieb habe, Günther!«

Der Direktor und Grün verzogen den Mund und sahen sich an.

Günther ließ den Kopf sinken und sagte leise:

»Dann ist die Operette also von dir!«

 


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