Artur Landsberger
Raffke & Cie.
Artur Landsberger

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Zehntes Kapitel

Mit den Worten »Ich hab's!« stürzte Cäcilie, einen Bogen in der Hand, ohne sich anzumelden oder auch nur anzuklopfen, in die Redaktionsstube des Maestro.

Der sprang auf, riß den Arm hoch und rief:

»Ich schwöre! Bei der Liebe zur Kunst, es ist Verleumdung! Alles, was man gegen mich sagt, ist Lüge!«

»Wie? Was?« fragte Cäcilie erstaunt und sah verdutzt zu der zum Schwur erhobenen Hand des Maestro empor.

»Was es auch ist!« rief jetzt Cäcilie . . . »Kommen Sie zu sich! Woran leiden Sie? Sie machen mich ängstlich.«

Langsam glitt die Schwurhand des Meisters herab.

Cäcilie trat nahe an ihn heran.

»Maestro!« wiederholte sie sanft, nahm seine Hand und redete ihm zu: »Sie sind im Fieber.«

»Möglich!« sagte er. »Sogar wahrscheinlich.« Und mit einem scheuen Blick auf das Papier in ihrer Hand fragte er: »Anonym?«

»I Gott bewahre! Von meinem Sohn. Verse!«

»Verse?« wiederholte der Maestro und schöpfte Atem. »Und ich dachte . . .«

»Was dachten Sie?«

»Oh, was denkt man nicht alles! Die Phantasie geht mit einem durch. Dafür ist man Künstler.«

»Ich bin so glücklich!«

»Ich auch!«

»Er hat keine Ahnung davon, daß ich es habe. Es steckte in seinem Hausrock. Ganz zerknittert Beinahe hätte ich es fortgeworfen. Denken Sie, Maestro!«

»Oh!!«

»Wollen Sie hören?«

»Ich muß wohl . . .«

»Wie?« fragte sie kurz.

»Ich meine, besser wäre wohl, ich lese die Verse selbst, ich lese sie Ihnen, der Welt! Vorausgesetzt, daß sie es verdienen.«

»Das will ich meinen!« sagte Cäcilie und reichte ihm das Papier.

Der Maestro strich sich das Haar aus der Stirn, trat ein paar Schritte zurück, schloß erst die Augen, öffnete sie wieder und las:

»Weich liegst du in seidenen Kissen,
Es fließt das lockige Haar
Dir über Stirn und Wange
Und über dein Augenpaar.

Unter dem Spitzenhemdchen,
Mit dem Duft deines Körpers getränkt,
Schimmern die weißen Brüste,
An die ich mich jubelnd gehängt.

Und meine Hände tasten
Zärtlich an dir empor.
Stille, heilige Stunde,
In der ich an dich mich verlor.«

»Alter?«

»Wessen?«

»Günthers!«

»Achtzehn!«

»Alle Achtung!«

»Sie meinen also . . .?«

»Unbedingt!«

»Wo rangieren Sie ihn ein?«

»Was heißt das?«

»Goethe? Schiller? Heine? Rideamus? – Ich meine, welche Schule?«

»Höhere Töchter . . . ä . . . ä,« verbesserte er schnell. »In die Schule der Frühreifen.«

»Ist das die Renaissance?« fragte Cäcilie zaghaft.

»Ungefähr! – Das heißt, etwas später oder früher. Wie man es nimmt.«

»Am Ende ist es gar eigene Schule?«

»Wie, bitte?«

»Nu, ich mein' nur, daß man ihn vielleicht als eine neue Epoche, als Gründer einer neuen Schule anspricht; ginge das nicht?«

»Gewiß! Warum nicht? Das ginge schon.«

»Maestro!« rief Cäcilie begeistert.

Das Schreibmaschinenfräulein nebenan horchte auf.

»Am Ende, daß man das ganze Zeitalter nach ihm . . .«

»Das käme drauf an, wie er sich weiter entwickelt.«

»O wenn doch!« sagte sie aus vollem Herzen.

»Zunächst 'mal ist zu erwägen, in welcher Form man das Poem am zweckmäßigsten ausnutzt. Am besten erscheint mir, man schreibt eine Operette um es herum. Ob man das Gedicht in seiner Totalität dazu verwenden kann, erscheint mir allerdings fraglich. Immerhin: die eine oder andere Idee daraus ließe sich verwerten. Ein mir nahe stehender Verlag hat eine ganze Reihe von Textdichtungen liegen, die er mit sämtlichen Rechten erworben hat. Aus ihrer Gesamtheit ließe sich, falls Sie die Herstellungskosten tragen, schon etwas machen.«

»Selbstverständlich zahle ich!« sagte Cäcilie. »Für Günthers Ruhm scheue ich keine Kosten.«

»Freilich, zum Couplet eignet sich das Poem nicht. Aber es läßt sich ändern. Hauptsache ist eine wirkungsvolle Musik. Ich werde mich noch heute mit Holl in Verbindung setzen. Der hat immer ein reich assortiertes Lager. In vierzehn Tagen ist die Operette fix und fertig. In sechs Wochen kann die Premiere sein. Was meinen Sie, wie das zieht: ein Textdichter von achtzehn Jahren.«

»Wunderbar!« rief Cäcilie . . . »Und Günther? Soll ich ihn Ihnen schicken?«

Der Maestro dachte nach.

»Besser, wir stellen ihn vor eine fertige Sache. Vielleicht, daß Sie seine Anzüge noch weiter auf derartiges Material hin untersuchen. Notwendig an sich ist es natürlich nicht. Aber Sie kennen ihn; er ist übertrieben penibel. Je umfangreicher seine Zutaten sind, umso weniger Bedenken wird er haben, das Werk mit seinem Namen zu decken. Sie verstehn: er gehört zu den sonderbaren Käuzen, die als Voraussetzung für Erfolg und Berühmtheit Leistungen fordern. Eine ganz veraltete Methode, an die heute eigentlich nur noch die kleinen Leute glauben.«

»Ja!« stimmte Cäcilie bei. »Ich wundere mich oft darüber, wie es möglich ist, daß ein Junge aus unserem Milieu derartig rückständige Ansichten hat. Wie gut, daß Sie ihn verstehen! Sie werden schon einen Menschen, der in die Zeit paßt, aus ihm machen. Ich sage ihm also nichts und Sie bereiten alles vor.«

Der Maestro versprach's.

Cäcilie verabschiedete sich und ging.

*

Eines Nachmittags ließ Cäcilie ihren Sohn, der Oberprimaner war und mitten in der Examensarbeit steckte, nach vorn rufen.

Im Salon saßen der Maestro und ein fremder Herr; dem Äußern nach ein Verkäufer in der Abteilung Decken en gros der Firma Raffke & Cie. Der Maestro begrüßte Günther und stellte vor:

»Herr Viktor Grün, einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Textdichter und Dramaturg des Verlages ›Symphonie‹ – Herr Raffke junior, ein zwar noch unbeschriebenes, aber verheißungsvolles Blatt.«

»Nach der mir vorgelegten Probe: kostbares Bütten,« erwiderte Grün.

Günther, vor dem angesichts des Maestro immer die Erinnerung an die qualvolle Zeit der Violine aufstieg, erwiderte den Gruß nicht ohne Mißtrauen, das sich noch steigerte, als Cäcilie sagte:

»Setz' dich, Günther, die Herren kommen deinetwegen.«

»Ja, mein lieber, junger Freund,« begann der Maestro. »Und zwar ist der Grund ein für alle Teile gleich angenehmer.«

Günther sah ihn ängstlich an.

»Ich bin gänzlich unmusikalisch!« wehrte er, Schlimmes ahnend, ab.

»Doch wohl nicht,« widersprach Viktor Grün und machte dabei die Bewegung eines Konfektionärs, der mit vollendeter Grazie einen Stoff entfaltet.

»Doch! doch!« versicherte Günther.

Viktor Grün wiederholte seine unverständliche Geste.

»Wenn so aus dem Vollen heraus die Verse strömen,« sagte er.

Günther sperrte vor Staunen Mund und Augen auf.

»Was für Verse?« fragte er hastig.

Viktor Grün deklamierte:

»Weich liegst du in seidenen Kissen,
Es fließt das lockige Haar
Dir über Stirn und Wange
Und über dein Augenpaar.«

Günther kannte die Verse nicht. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Von mir sind sie nicht.«

Der Maestro und Cäcilie sahen sich an. Viktor Grün griente verschmitzt.

»Ich gebe Ihnen mein Wort,« versicherte Cäcilie, »daß ich die Verse . . .«

Viktor Grün winkte ab.

»Ich bitt' Sie, gnädige Frau, völlig belanglos. Hauptsache bleibt der Succès.«

»Nun,« vermittelte der Maestro, »Sie geben doch zu, Herr Günther, daß Sie in Ihren schwachen, oder besser: in Ihren starken Stunden hin und wieder ein Poem machen?«

»In meinem Alter macht man Gedichte, ohne sich 'was Besonderes dabei zu denken.«

»Bravo!« rief der Maestro. »So schafft der Dichter! Lediglich aus dem Gefühl und ohne Mittlung des Verstandes. Und so schließen wenige Verse eines echten Poeten oft eine ganze Welt in sich. Sie geben dem, der sich in sie versenkt, Stoff und Anregung für eine ganze Dichtung.«

»Sie haben sie mir gegeben,« versicherte Viktor Grün mit falschem Pathos. »Ich habe in zehn Jahren siebenunddreißig Operettentexte gemeinsam mit anderen Dichtern von Rang verfaßt. Keiner meiner Mitarbeiter hat mich angeregt, wie Sie, Herr Raffke. Ich bin stolz, bei dieser Operette, die alles Schöne und Große und Edle, was sie enthält, Ihnen verdankt, meinen Namen bescheiden neben den Ihrigen setzen zu dürfen. Wenn es mir gelang, die Stimmung, die ich aus Ihrem Poem schöpfte, in dies Werk zu übertragen, dann sind wir des Erfolges sicher.«

»Das gleiche wird der Komponist Ihnen sagen,« erwiderte der Maestro. »Er hat um Ihre Verse herum die Musik geschrieben, und so entstand diese Operette« – dabei entfaltete er ein umfangreiches Manuskript – »die, wenn auch nicht dem Wortlaut, so doch dem Geiste nach, Ihr Werk ist.«

Günther glaubte zu träumen.

Er nahm mechanisch das Manuskript, das der Maestro ihm reichte, und las auf der ersten Seite: »Die fesche Samoanerin, Operette in einem Vorspiel und drei Akten von Günther Raffke und Viktor Grün, Musik von Oscar Holl.«

Günther faßte sich an den Kopf.

»Träum' ich?« fragte er sich und blätterte in dem Manuskript. Es waren hundertdreiundzwanzig mit Maschinenschrift beschriebene Seiten, in die viel hinein verbessert war.

»Ich kann Ihnen auch die erfreuliche Mitteilung machen,« sagte der Maestro, »daß der Direktor der Residenzbühne die Operette bereits erworben hat und sie als nächste Novität in erster Besetzung herausbringen wird.«

Günther sah jetzt abwechselnd Viktor Grün und den Maestro an.

»Und Gedichte von mir, sagen Sie, sind die Anregung zu dieser Operette?«

Wie aus einem Munde sagten beide: »Ja!«

Und Cäcilie nickte ihm zu und rief:

»Nun, Günther, was sagst du? Bist du nicht stolz?«

»Ich begreife noch immer nicht,« erwiderte er zögernd, »meine Gedichte, die sind doch verschlossen. An die kann doch niemand heran.«

Eine peinliche Pause entstand.

Dann sagte Cäcilie: »I Gott bewahre!«

»Doch! doch!« versicherte Günther mit aller Bestimmtheit. »Ich kann es euch zeigen. In meinem Schreibtisch liegen sie, unter dem Prometheus.«

»Prometheus?« fragte der Maestro.

»Ja! Unter einem Stück, das ich in den großen Ferien geschrieben habe.«

Cäcilie sperrte den Mund weit auf.

»Maestro!« rief sie. »Haben Sie gehört, er hat ein Stück geschrieben!«

Der Maestro nickte mit dem Kopf.

»Ich wußte es ja längst,« rief Cäcilie, »daß du ein Dichter bist!«

»Ich bin natürlich bereit, auch daraus eine Operette zu machen,« erbot sich Viktor Grün.

»Es ist eine fünfaktige Tragödie,« erklärte Günther.

Viktor Grün schüttelte überlegen den Kopf und sagte:

»Wenn schon, das macht mir gar nichts.«

»Kennen Sie sie denn?« fragte Günther.

»Unter uns, Herr Raffke, ob die fünfaktige Tragödie eines Primaners nun »Prometheus« oder »Hero und Leander« heißt, was macht das aus? Es kommt im Grunde ja doch auf dasselbe heraus. Gewinnen tun solche Dinge stets, wenn ein bühnenkundiger Mann sie umarbeitet – Sie sehen es ja an den Gedichten: Hätten Sie je geglaubt« – und er hielt jetzt das Manuskript, das Günther ihm zurückgegeben hatte, in der Hand – »daß das daraus werden könnte?«

Günther sagte aus voller Überzeugung:

»Nein! – Aber wie Sie an meine Gedichte herangekommen sind, die Frage, bitte ich Sie mir zu beantworten.«

Der Maestro und Viktor Grün wiesen auf Cäcilie.

»Durch Ihre Frau Mutter,« erwiderten beide.

Cäcilie war sich bewußt, daß der Ruhm ihres Sohnes auf dem Spiele stand. Denn wenn Günther erfuhr, daß lediglich das eine Gedicht, das sie in seinem Rock gefunden hatte, die Unterlage für die dreiaktige Operette war, dann protestierte er gegen die Autorschaft. Also war es ihre Pflicht als Mutter, zu einer Notlüge zu greifen.

»Ja, Günther,« sagte sie beinahe bittend, »ich habe sie, während du in der Schule warst – du hattest wohl vergessen, den Schreibtisch zu schließen – abgeschrieben.«

»Wie konntest du wissen . . .?«

»Gott, eine Mutter, die ahnt. – Und dann, du weißt ja, ich hatte schon immer das Gefühl.«

»Wenn es so ist,« erwiderte Günther, »dann habe ich ja allen Grund, mich zu freuen.«

Der Maestro trat an Günther heran:

»Ich will dem Urteil des Publikums und der Kritik nicht vorgreifen,« sagte er. »Aber als Ihr ehemaliger Lehrer glaube ich doch, Ihnen sagen zu dürfen, daß ich stolz auf Sie bin.«

»Und wirklich aufgeführt wird es?« fragte Günther.

»In vier Wochen ist die Premiere.«

»Und Sie geben mir Ihr Wort, daß Sie auf Grund meiner Gedichte . . .?« wandte sich Günther an Viktor Grün.

»Mein Ehrenwort, daß ich von selbst nie auf die Idee gekommen wäre!«

»Dann kann ich also mit gutem Gewissen meinen Namen darauf setzen?« – Und er wies auf das Manuskript, das vor ihm auf dem Tisch lag.

»Das kannst du,« sagte Cäcilie.

»Aber lesen muß ich es, um mich davon zu überzeugen.«

»Ich bitt' Sie, Günther, jetzt, wo Sie mitten im Examen stecken,« wehrte der Maestro ab.

»Ich mein' auch, dazu hast du noch immer Zeit,« stimmte Cäcilie ihm bei. »Jetzt, wo du den Kopf so schon voll hast, verwirrt es dich bloß.«

»Ja, ja!« sagte Günther. »Gewiß, das ist wahr.«

»Es ging besser, als ich dachte,« flüsterte Cäcilie dem Maestro zu, als er sich von ihr verabschiedete.

*

Das Examen lag eines Tages hinter ihm. Er hatte es bestanden. Mit Auszeichnung und unter Befreiung vom Mündlichen.

Nun erst brachte »Die Neue Gesellschaft« eine Notiz, die in die anderen Blätter überging:

Ein achtzehnjähriger Bühnendichter. Der Text zu der neuen Hollschen Operette, die an der Residenzbühne ihre Uraufführung erlebt, stammt von Viktor Grün und dem achtzehnjährigen Sohne des bekannten Großindustriellen Leo Raffke.«

Das übte eine starke Wirkung weit über die Bühnenkreise hinaus. Cäcilie, für die Holl und Mozart verwandte Begriffe waren, genau wie der Unterschied zwischen Heinz Tovote und Friedrich Schiller für sie lediglich zeitlicher Natur war, lebte sich schnell in die Rolle der Dichtermutter hinein.

»Wir müssen uns jetzt doppelt zusammennehmen,« sagte sie zu Leo, »denn wir gehen mit unserem Sohne in die Nachwelt über.«

»Was tun wir?« fragte Leo ängstlich.

»Hast du nie etwas von Goethes Mutter und der Frau von Stein gehört?«

»Nein,« versicherte Leo.

»Schlimm genug.«

»Wer ist das?«

»Nun,« erwiderte Cäcilie, »wie soll ich dir das erklären? Das hat man im Gefühl. Ich wenigstens hab's und ich weiß daher auch, was ich meinem Nachruhm schuldig bin.«

»Um so besser!« sagte Leo. »Dann erledige du das! Möglichst auch für mich mit. Ich hab' für derartige Dinge weder Zeit noch Sinn.«

Cäcilie zog verächtlich die Schultern in die Höhe:

»Eine nette Rolle wirst du 'mal in der Geschichte spielen.«

»Dann kann ich mir auch nicht helfen,« erwiderte Leo. »Ich kann aus meiner Haut nicht heraus und bleibe bei meinen Fellen.« –

Frau Röhren beurteilte den Fall schon anders. Sie las des Morgens beim Frühstück die Notiz und sagte:

»Sonderbar! Wenn es ein Gedichtbuch wäre oder ein Stück. Ich glaub' schon, daß in ihm etwas steckt. Aber den Text zu einer Operette? Unbegreiflich! Dazu gehört doch vor allem Geschäftssinn und Routine.«

»Na, die dürfte er ja von seinem Vater her haben,« meinte Röhren.

Und seine Frau erwiderte:

»Ich glaube, daß er seinem Vater sehr wenig ähnlich ist.«

»Das glaube ich auch,« sagte Suse.

Röhrens sahen sich an.

»Kennst du Herrn Raffke denn?« fragte der Vater.

»Nein, aber ich kenne Günther.«

»Spricht er dir viel von seinem Vater?«

Suse schüttelte den Kopf: »Nie.«

»Nun also, dann weißt du doch nicht, wie er ist.«

»Er spräche gewiß von ihm, wenn er anders wäre.«

»Wie meinst du das – anders?«

»So wie Günther – oder wie du.«

Frau Röhren fuhr ihr zärtlich über das weiche Haar, lächelte gütig und sagte:

»Ganz recht, mein Kind. Du hast es im Gefühl.«

Aber dem alten Röhren behagte das nicht. Er sah Suse scharf an und sagte:

»Nein! Vater und Sohn, das läßt sich nicht trennen.«

Suse beugte sich über den Tisch und wurde rot.

Alle Welt beglückwünschte schon auf die Notiz hin Günther. Für die sehr jungen Mädchen aus den Röhrenschen Kreisen, in denen er bisher doch immer eine Art Außenseiter gewesen war, bekam er plötzlich eine starke persönliche Note, die fast ins Mystische ging. Die Bühne hatte an sich schon für sie etwas reizvoll Geheimnisvolles. Und nun gar die Residenzbühne, die ihnen verschlossen war und auf der man jetzt ein Stück von ihm vorbereitete! Kein Wunder, wenn der Zauber des Geheimnisvollen sich jetzt auf ihn übertrug, und daß ihre jungen Herzen keusch erbebten, wenn sie tanzend in seinen Armen hingen.

Aber auch für die jungen Leute war er nun ein anderer. Keiner schnitt ihn mehr. Der Qualitätsunterschied der Familie war für sie mehr als ausgeglichen. War doch die Möglichkeit gegeben, daß die Welt der Bühne, das Land der Sehnsucht, das alle männliche Jugend mit der Seele sucht, sich ihnen erschließen würde. So wurden sie seine Freunde, die bewundernd zu ihm aufsahen.

Am meisten aber strahlte Frida. Als Günther sein Examen machte, waren die Proben schon in vollem Gange. Frida hatte das durch telephonische Anfrage in Erfahrung gebracht und war an einem der nächsten Vormittage unbemerkt in den dunklen Zuschauerraum geschlüpft. Hier saß sie von nun an jeden Tag, ließ keinen Blick von der Bühne und kannte bald jede Szene, jede Melodie, jeden Tanz. Es achtete niemand auf sie, und wer sie sah, hielt sie für irgendeine der vielen Angestellten, die zum Theater gehörten.

»So!« sagte Frida, als Günther sein Examen bestanden hatte. »Und nun reden wir 'mal von was anderem als ewig von Horaz und dem dummen Homer. Ich habe mir das nun lange genug mit Rücksicht auf dein Examen mit angehört. Jetzt haben die toten Dichter abgewirtschaftet! Es lebe das Leben!« Und dabei wies sie auf ihn.

»Ihr macht mich noch alle ganz verrückt!« wehrte Günther ab. »Erst muß man doch abwarten, was wird, ehe man feiert.«

»Na, soviel kann ich dir sagen,« erwiderte Frida, »wenn du, statt mit der Faust dazwischen zu fahren, noch lange abwartest, dann wird aus der Feier ein Begräbnis.«

»Was bedeutet das?«

»Daß deine Operette abstinkt, wenn die amerikanische Miß die fesche Samoanerin spielt.«

»Was ist das für'n Ausdruck?« rief Günther entsetzt.

»Kind!« spottete Frida. »Das kennst du nicht? Das ist das dritte Wort des Direktors, wenn ein Sänger oder eine Sängerin den Mund auftut.«

»Ja, woher weißt du denn das?«

»Weil ich keine Probe versäumt habe.«

»Du?« fragte er ganz erstaunt.

»Du kannst beruhigt sein. Die beiden ersten Akte stehen. Im dritten hapert's noch. Aber die amerikanische Miß, die hätte Probiermamsell oder Stenotypistin bei deinem Onkel, dem schönen Alfred, werden sollen. Da paßt sie hin. Aber nicht zur feschen Samoanerin, dazu braucht's Temperament, wie ich eins habe. Da! paß' auf!« – Und Frida schürzte sich behend den Rock hoch und tanzte dem erstaunten Günther zwischen der Garage und dem Palmenhaus der Raffkeschen Villa eine Art Czardas vor, der nicht von schlechten Eltern war.

Günther sperrte Mund und Augen auf.

»Woher kannst du das?« fragte er.

»Weil ich drei Wochen lang mit angesehen habe, wie der Tanzmeister sich mit der Rex abgequält hat. So! Und nun geh' ins Theater und besetz' die Rolle um, wenn du Schneid hast.«

»Ja, wieso warst du denn . . .? – Ich denke, du arbeitest in der Redaktion der ›Neuen Gesellschaft‹?«

»Man kann doch auch 'mal aussetzen und krank sein.« –

 


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