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Auf dem Landungssteg

Als das Dampfboot »Anders Fryxell« von der Landzunge bei Borg mit Klara Gulla an Bord abfuhr, standen Jan und Katrine auf dem Landungssteg und starrten dem Dampfer nach, bis er mitsamt dem Mädchen ganz aus ihrem Gesichtskreis verschwunden war. Alle andern Leute, die etwas bei der Brücke zu tun gehabt hatten, gingen ihrer Wege. Der Aufseher nahm die Flagge herunter und schloß das Lagerhaus, aber die beiden Häuslersleute standen noch immer auf demselben Fleck.

Das war ja auch ganz natürlich, solange sie das Boot noch zu sehen vermeinten. Aber warum sie sich nachher nicht auf den Heimweg machten, das wußten sie wohl selbst kaum.

Möglicherweise fürchteten sie sich davor, heimzukommen und miteinander in das leere Haus hineinzugehen.

›Jetzt hab ich nur noch für ihn zu kochen und auch nur noch auf ihn zu warten,‹ dachte Katrine. ›Aber was mach ich mir aus ihm? Er hätt' ebensogut auch mit fortgehen können. Das Mädchen war's, das sich auf ihn und sein törichtes Geschwätz verstand, ich nicht. Da wär's besser, man wär allein.‹

›Ich würd leichter mit meinem Kummer nach Hause gehen, wenn ich dann nicht die alte verdrießliche Katrine in der Stube sitzen hätt,‹ dachte Jan. ›Das Mädchen verstand sie so gut zu behandeln, daß sie froh und freundlich wurde. Aber jetzt wird man wohl nie wieder ein freundliches Wort von ihr zu hören bekommen.‹

Doch plötzlich fuhr Jan heftig zusammen. Er beugte sich vor und schlug sich vor Verwunderung auf die Knie. Neues Leben blitzte in seinen Augen auf, und sein ganzes Gesicht strahlte und leuchtete.

Er hielt den Blick fest aufs Wasser gerichtet, und Katrine konnte nichts anderes glauben, als daß er da etwas Merkwürdiges sehe, obgleich sie selbst, die doch dicht neben ihm stand, gar nichts wahrnehmen konnte. Nein, sie sah nichts als die kleinen graugrünen Wellen, die einander über die Wasserfläche hinjagten, immerfort, ohne dem Spiel je ein Ende zu machen.

Nun lief Jan so weit auf den Landungssteg hinaus, wie er nur konnte, und dann beugte er sich übers Wasser hinaus mit dem Ausdruck im Gesicht, den er immer hatte, wenn Klara Gulla ihm entgegenkam, den er aber nie zeigen konnte, wenn er mit jemand anders sprach.

Sein Mund öffnete sich, seine Lippen bebten, aber kein Laut drang an Katrinens Ohr. Ein Lächeln ums andere flog über sein Gesicht, ganz genau so, wie wenn das Mädchen vor ihm stand und mit ihm scherzte.

»Aber Jan, was hast du denn?« fragte Katrine.

Er gab keine Antwort, sondern machte nur mit der Hand ein Zeichen, das ihr Schweigen gebot.

Gleich darauf richtete er sich ein wenig auf, und man sah, nun verfolgte sein Blick irgend etwas, das sich über die kleinen graugrünen Wogen hin entfernte.

Es schien rasch zurückzuweichen, in derselben Richtung wie vorhin das Dampfboot. Bald stand Jan nicht mehr vorgebeugt, sondern ganz aufrecht da und beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu können.

So blieb er stehen, bis offenbar nichts mehr zu sehen war. Dann wendete er sich nach Katrine um, ja er ging überdies ganz dicht zu ihr hin.

»Du hast vielleicht nichts gesehen?« fragte er.

»Was hätt' es denn außer dem See und den Wellen noch zu sehen gegeben?« gab sie zurück.

»Das kleine Mädchen war's, das zurückgerudert kam,« sagte er, aber so leise, daß er nur noch flüsterte. »Sie hatte sich vom Kapitän ein Boot geliehen. Es war mit demselben Namen versehen wie das Dampfschiff, das hab ich deutlich gesehen. Sie sagte, sie habe etwas vergessen, ehe sie abfuhr. Es sei was, worüber sie mit uns reden möchte.«

»Lieber Himmel, du weißt wohl nicht, was du sagst!« rief Katrine. »Wenn das Mädchen zurückgekommen wäre, hätt ich sie doch wohl auch sehen müssen.«

»Schweig jetzt, dann sollst du hören, was sie von uns wollte,« flüsterte er feierlich und geheimnisvoll wie vorher. »Ja, sie sagte, das Herz sei ihr schwer, wenn sie daran denke, wie es uns beiden nun miteinander gehen werde. Bis jetzt, sagte sie, sei sie zwischen uns umhergegangen, mit mir an der einen Hand und mit dir an der andern, und auf diese Weise sei alles gut gegangen. Aber wenn sie nun nicht mehr da sei und uns nicht mehr zusammenhalte, dann wisse sie nicht, wie es werden solle. Jetzt werden Vater und Mutter vielleicht jedes nach einer andern Seite gehen, sagte sie.«

»Ei der tausend, daß das Mädchen daran gedacht hat!« rief Katrine.

Sie war tief ergriffen von diesen Worten, weil mit ihnen ganz ihre eigenen Gedanken ausgesprochen wurden, und so vergaß sie ganz, daß die Tochter unmöglich zum Landungssteg hätte heranrudern und mit ihrem Mann sprechen können, ohne daß sie es gehört hätte.

»Und nun bin ich zurückgekommen, um eure Hände ineinanderzulegen, sagte sie,« fuhr Jan fort. »Und ihr dürft euch nicht wieder loslassen, sondern müßt euch um meinetwillen festhalten, bis ich wieder zurückkomme und euch beide wieder an den Händen fassen kann, grade wie früher. Und gleich nachdem sie das gesagt hatte, ruderte sie wieder auf und davon,« schloß Jan.

Eine Weile blieb es ganz still auf der Landungsbrücke; dann ergriff Jan wieder das Wort.

»Hier ist meine Hand,« sagte er mit unsicherer Stimme, die schüchtern und ängstlich zugleich klang, und dann streckte er eine seiner Hände aus, die immer so merkwürdig weich blieben, wie grobe Arbeit er auch verrichten mußte. »Ich tu's, weil's das Mädchen will,« fügte er hinzu.

»Nun und hier ist die meinige,« sagte Katrine. »Ich begreife zwar nicht, was das gewesen sein kann, was du gesehen haben willst, aber wenn ihr beide es wollt, daß wir zusammenhalten, dann will ich's auch.«

Danach legten die beiden Alten den ganzen Weg bis zu ihrer Hütte Hand in Hand zurück.


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