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Der letzte Abend

Am Abend, ehe Klara Gulla von Skrolycka nach Stockholm reiste, konnte ihr Vater durchaus nicht mit allem, was ihm noch zu tun oblag, fertig werden. Gleich nachdem er von seiner Tagesarbeit heimkam, sagte er, er müsse noch in den Wald und Holz holen. Dann machte er sich daran, eine Latte an der Gitterpforte einzusetzen, die schon ein ganzes Jahr lang herausgebrochen war; und als dies getan war, fing er an, seine Fischgerätschaften herauszuholen und in Ordnung zu bringen.

Die ganze Zeit über dachte er, wie sonderbar es doch sei, daß er keinen wirklichen Kummer fühlte. Jetzt war es bei ihm wieder genau so wie vor achtzehn Jahren. Er konnte nicht froh werden, und er konnte nicht betrübt sein. Als er Klara Gulla droben auf dem Storsnipa hatte die Arme ausstrecken und die ganze Welt umarmen sehen, da war sein Herz stehengeblieben wie ein Uhrwerk, dem ein heftiger Stoß versetzt wurde.

Es war jetzt gerade bei ihm wie früher schon einmal. Da hatten die Leute gewollt, er solle sich darüber freuen, daß das kleine Mädchen zu ihm kommen werde. Aber er hatte sich nicht das geringste daraus gemacht. Und jetzt erwarteten sie alle miteinander, er solle über die Maßen betrübt und verzweifelt sein. Aber auch das war nicht der Fall.

In seiner Stube drinnen drängten sich die Leute, die gekommen waren, Klara Gulla Lebewohl zu sagen. Und Jan schämte sich geradezu, hineinzugehen und den Leuten zu zeigen, daß er weder weinte noch klagte. Da war es am besten, er ging gar nicht hinein, sondern blieb draußen.

Jedenfalls war es ganz gut für ihn, daß es so gegangen war. Wenn alles wie früher gewesen wäre, so hätte er nicht gewußt, wie er mit dem Heimweh und dem Kummer fertig geworden wäre.

Als er vorhin am Fenster vorübergegangen war, hatte er gesehen, daß die Stube bekränzt war und auf dem Tisch Kaffeetassen standen, ganz genau wie an jenem Tag, an den er jetzt immerfort denken mußte. Katrine hatte wohl der Tochter, die in die Welt hinauszog, um die Heimat zu retten, noch eine kleine Abschiedsfeier veranstaltet.

Drinnen in der Stube weinten sie gewiß, sowohl die, die zum Abschiednehmen gekommen waren, als auch Mutter und Tochter. Er hörte Klara Gullas Weinen sogar bis auf den Hofplatz heraus, aber es machte keinen Eindruck auf ihn.

»Meine guten Leute, es ist ja doch ganz wie es sein soll,« murmelte er, während er draußen stand. »Seht doch die jungen Vögel an! Sie werden aus dem Nest hinausgeworfen, wenn sie nicht gutwillig gehen. Und habt ihr schon einmal einen jungen Kuckuck gesehen? Es gibt wirklich nichts Ärgeres, als wenn man sehen muß, wie er dick und fett im Neste liegt und immerfort nach Futter schreit, während sich die Pflegeeltern seinetwegen fast zu Tode quälen.«

›Nein, es ist alles sehr gut, so wie es ist,‹ dachte er weiter. ›Die Jungen können nicht daheim bleiben und den Alten zur Last fallen. Sie müssen hinaus in die Welt, ja, meine guten Leute, das geht nicht anders.‹

Schließlich wurde es ganz still in der Stube. Jetzt waren gewiß die Nachbarn fort, und er konnte sich hineinwagen.

Aber trotzdem machte er sich immer noch eine Weile an seinen Fischgeräten zu schaffen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Klara Gulla und Katrine schon im Bett gelegen hätten und eingeschlafen wären, ehe er die Schwelle überschritt.

Als dann sehr lange kein Geräusch mehr an sein Ohr gedrungen war, schlich er sich leise und vorsichtig wie ein Dieb nach dem Hause hin.

Aber die Frauen waren noch nicht zu Bett gegangen. Als er am Fenster vorbeikam, sah er Klara Gulla. Sie hatte die Arme auf die Tischplatte vor sich ausgestreckt und den Kopf darauf gelegt. Es sah aus, als weine sie.

Katrine stand etwas weiter zurück im Zimmer und war eben dabei, Klara Gullas Kleiderpack in ein großes Tuch einzuschlagen.

»Ihr solltet es lieber sein lassen, Mutter,« sagte das junge Mädchen, ohne den Kopf aufzuheben. »Ihr seht doch, daß Vater böse über mich ist, weil ich fortgehe.«

»Ach, er wird schon wieder gut werden,« versetzte Katrine ruhig.

»Ja, das sagt Ihr, weil Ihr Euch nichts aus ihm macht,« fuhr Gulla unter heftigem Schluchzen fort. »Ihr denkt nur an das Haus. Aber Mutter, Vater und ich, wir sind eins. Ich reise nicht von ihm weg.«

»Und das Haus?« fragte Katrine.

»Mit dem Haus mag es gehen, wie es will, wenn nur Vater mich wieder lieb hat,« schluchzte Klara Gulla.

Da trat Jan von der Tür zurück und setzte sich auf die Hausschwelle. Er glaubte nicht, daß Klara Gulla daheimbleiben würde. Nein, er wußte besser als irgend jemand anderes, daß sie in die Welt hinaus mußte. Und doch war es Jan in diesem Augenblick, als würde ihm das weiche kleine Bündel aufs neue in die Arme gelegt. Und sein Herz hatte wieder zu schlagen angefangen. Es schlug so rasch, wie wenn es seit Jahren still gestanden hätte und nun die viele verlorene Zeit wieder hereinbringen müßte.

Aber zugleich fühlte Jan noch eins: Ach, nun war er selbst ohne Schutz und Wehr!

Nun kam der Kummer und nun kam das Heimweh. Er sah sie schon drüben unter dem Brunnen wie schwarze Schatten lauern.

Und doch öffnete er seine Arme und breitete sie weit aus, während zugleich ein glückliches Lächeln über sein Gesicht flog.

»Willkommen, willkommen, willkommen!« sagte er.


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