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Es war eine merkwürdige Sache mit dem kleinen Mädchen in Skrolycka und seinem Vater. Fast hätte man meinen können, er und sein Töchterchen seien aus einem Stück geschnitten, so daß sie eines des andern Gedanken lesen könnten.
In Svartsjö gab es einen Schullehrer, der ein alter Soldat war. Er unterrichtete weit hinten im Kirchspiel und hatte kein Schulhaus wie der Küster, war aber von allen Kindern unendlich geliebt. Sie wußten selbst nicht, daß sie zu ihm in die Schule gingen, sondern meinten, sie kämen nur zum Spielen zusammen.
Zwischen den beiden Schullehrern herrschte die allergrößte Freundschaft; aber es geschah doch zuweilen, daß der jüngere den alten dazu zu bringen suchte, mit der Zeit voranzuschreiten und ihm die Lautiermethode und andere neue Moden beibringen wollte. Der alte ließ das meistens mit Ruhe über sich ergehen, aber eines Tages wurde er doch ärgerlich darüber.
»Du bildest dir allzuviel ein, Svartling, weil du ein Schulhaus bekommen hast,« sagte er. »Aber ich sage dir, meine Kinder lesen genau so gut wie die deinen, obgleich ich nur in Bauernstuben unterrichte.«
»Jawohl, das weiß ich, und ich habe auch noch nie etwas anderes behauptet,« erwiderte der Küster. »Ich meine nur, wenn die Kinder etwas mit weniger Mühe lernen könnten ...«
»Nun, und was dann?« fragte der Alte.
Der Küster hörte seiner Stimme an, daß er verletzt war, und suchte nun zum Rückzug zu blasen.
»Du verstehst es ja jedenfalls, deinen Kindern das Lernen so leicht zu machen, daß sie sich niemals über eine Aufgabe beklagen.«
»Vielleicht mache ich es ihnen gar zu leicht? Vielleicht lernen sie bei mir nichts?« rief der Alte und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Was in aller Welt ficht dich heute an, Tyberg?« fragte der Küster. »Du nimmst mir ja alles übel, was ich sage.«
»Ja, du kommst auch mit gar zu vielen Anspielungen.«
Nun kamen andere Leute dazu, und als die beiden Schullehrer voneinander schieden, waren sie ebenso gut Freund wie je vorher. Aber als sich Tyberg allein auf dem Heimweg befand, stiegen des Küsters Worte wieder in ihm auf, und er wurde fast noch ärgerlicher als vorher.
»Warum soll dieser Guckindiewelt herkommen dürfen und behaupten, ich könnte meine Kinder mehr lehren, wenn ich mit der Zeit fortschritte?« dachte er. »Er denkt wohl, ich sei zu alt, wenn er es auch nicht gerade heraussagen will.«
Der Alte konnte seinen Ärger nicht überwinden, und als er heimkam, sprach er mit seiner Frau darüber.
»Mach dir doch nichts aus dem, was der Küster schwatzt,« meinte sie. »Die Jugend tut wichtiger, das Alter macht's richtiger, sag ich immer. Ihr seid alle beide gute Schulmeister, du und der Küster.«
»Ja, was hilft mir das, wenn du es sagst?« antwortete ihr Mann. »Die andern glauben doch, was sie wollen.«
Ein paar Tage sah er so finster drein, daß er seiner Frau ordentlich leid tat.
»Kannst du ihm nicht beweisen, daß er dir unrecht getan hat?« fragte sie.
»Wie soll ich ihm das beweisen, was meinst du damit?«
»Ich meine, wenn du wirklich weißt, daß deine Kinder so viel können wie seine ...«
»Das weiß ich gewiß!«
»Ja, dann mußt du verlangen, daß eure Kinder einmal gemeinsam geprüft werden.«
Der Alte tat, als hätte ihm das, was seine Frau gesagt hatte, gar keinen Eindruck gemacht; aber ihre Worte gingen ihm doch lange im Kopfe herum, und nach einigen Tagen erhielt der Küster einen Brief, in dem ihm der Schullehrer vorschlug, die Kinder der beiden Schulen ihre Kräfte miteinander messen zu lassen.
Der Küster hatte nicht das mindeste dagegen; aber er wünschte, daß diese Wettprüfung in der Weihnachtszeit vorgenommen werden solle; denn da konnte man sie zu einer kleinen Festlichkeit für die Kinder stempeln und brauchte keine Erlaubnis von der Schulbehörde dazu.
»Es ist gar kein dummer Einfall,« dachte der Küster. »In diesem Vierteljahr werde ich mir Strafarbeiten ersparen können.«
Und er hatte wirklich keine nötig. Es war unheimlich, was in den beiden Schulen gelernt und gebüffelt wurde.
Am zweiten Weihnachtsfeiertage sollte die große Wettprüfung vor sich gehen. Das Schulzimmer war mit Tannenzweigen geschmückt, in denen alle Lichter strahlten, die in der Kirche von der Weihnachtsmesse übriggeblieben waren. So viele Äpfel waren vorhanden, daß es zu zwei für jedes Kind reichte, und es wurde sogar geflüstert, den Eltern und Vormündern, die zum Zuhören kommen würden, sollte Kaffee angeboten werden.
Allein das wichtigste war doch die große Wettprüfung. Auf der einen Seite des Schulzimmers saßen die Tybergskinder und auf der andern die Küsterskinder. Und jetzt handelte es sich für die Schüler darum, das Ansehen ihrer Lehrer zu verteidigen, denn Schullehrer Tyberg sollte die Küsterskinder abfragen und der Küster die Tybergskinder. Wenn die eine Schule eine Frage nicht beantworten oder eine Rechnung nicht herausbringen könnte, so sollte sie der andern Schule vorgelegt werden. Und alle diese Fragen sollten zusammengezählt und danach entschieden werden, welche Schule die beste sei.
Der Küster durfte anfangen, und man merkte wohl, wie vorsichtig er zuerst zu Werke ging; aber als ihm dann klar wurde, mit was für wohlunterrichteten Kindern er es zu tun hatte, drang er immer schärfer auf sie ein. Es war einfach großartig, die Tybergskinder antworten zu hören, sie waren so sattelfest, daß sie keine einzige Frage unbeantwortet ließen.
Dann kam der alte Tyberg an die Reihe, die Küsterskinder zu prüfen.
Der Alte war jetzt nicht mehr ärgerlich, und da seine Kinder bereits gezeigt hatten, was sie leisten konnten, fuhr ihm der Schelm in den Nacken. Zu Anfang stellte er einige richtige Fragen an die Küsterskinder; aber lange vermochte er nicht ernsthaft zu bleiben, sondern er wurde bald ebenso lustig, wie er es in seiner eigenen Schule zu sein pflegte.
»Ich weiß wohl, daß ihr viel mehr gelernt habt als wir, die wir aus dem hintersten Winkel der Gemeinde kommen,« sagte er. »Ihr habt Naturlehre gehabt und alles mögliche andere. Jetzt möchte ich aber wissen, ob eines unter euch ist, das mir sagen kann, wie die Steine im Motalastrom sind?«
Nicht eines von den Küsterskindern hob die Hand in die Höhe; aber auf der andern Seite streckten sich alle Arme aus.
Da saßen sie auf der Küstersseite: Olof Olsson, der sich wohl bewußt war, den besten Lernkopf in der Gemeinde zu haben, und Hindrik Björnsson aus dem alten guten Bauerngeschlecht und wußten kein Wort zu sagen; und da saß Karin Svens, das kluge Mädchen, das nicht einen einzigen Schultag versäumt hatte, und auch sie wunderte sich über die Maßen, wie alle die andern, und dachte, es sei doch sonderbar, daß ihnen der Küster nichts von der merkwürdigen Eigenschaft der Steine im Motalastrom gesagt hatte.
Und da saß auch Klara Fina Gulleborg von Skrolycka, die ihren Namen von der Sonne erhalten hatte, und in ihrem Gehirn war es ebenso finster, wie in dem der andern Kinder.
»Dann bleibt nichts anderes übrig, als daß wir die andern fragen,« sagte der Schullehrer. »Aber es ist doch sonderbar, daß von so vielen pfiffigen Buben und Mädchen, wie hier sitzen, keines eine so leichte Frage beantworten kann.«
Gerade im letzten Augenblick drehte sich Klara in Skrolycka um und sah Jan an, wie sie zu tun pflegte, wenn sie sich nicht mehr zu raten und zu helfen wußte. Jan stand so weit weg von Klara Gulla, daß er ihr die Antwort nicht einflüstern konnte; aber als Klara Gulla in ihres Vaters Augen gesehen hatte, da wußte sie, was sie sagen mußte.
Schnell hob sie die Hand in die Höhe und stand sogar vor lauter Eifer auf.
Alle ihre Mitschüler und Mitschülerinnen drehten sich nach ihr um, und der Küster sah sehr vergnügt drein, weil er die Frage nun nicht an die andere Seite richten mußte.
»Sie sind naß!« schrie Klara Gulla, ohne zu warten, bis sie gefragt wurde, denn dazu war ja gar keine Zeit mehr.
Im nächsten Augenblick jedoch meinte sie, sie habe eine sehr dumme Antwort gegeben und die Sache für alle vollständig verdorben. Sie sank auf ihre Bank zurück und kroch beinahe unter den Tisch, damit ja niemand sie sehen könne.
»Ja, das war die richtige Antwort, Klara Gulla,« sagte der Schullehrer. »Es ist gut für euch Küsterschüler, daß wenigstens eines unter euch Antwort geben konnte, denn ihr seid nahe daran gewesen, geschlagen zu werden, so hochnäsig ihr auch tut.«
Und nun erhob sich ein großes Gelächter unter den Kindern auf beiden Seiten und ebenso unter den Erwachsenen. Einige Kinder mußten aufstehen, um recht laut hinauslachen zu können, und andere legten sich mit dem Gesicht auf die Bank, und mit aller Ordnung war es aus und vorbei.
»Ich meine, wir schaffen jetzt die Bänke hinaus und tanzen um den Christbaum,« schlug der alte Tyberg vor.
Und so vergnügt waren die Kinder noch niemals in der Schule gewesen und auch später nie wieder.