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Der Gedanke an Signore Valerio Procacci raubte mir den Schlaf und verdrängte in mir sogar die Erinnerung an die reizende Signora Ridi die Erste, sowie auch meine Verwunderung darüber, daß der Patron mir die Adressen so seltsamer Kunden mitgegeben hatte. Die Florentiner sind im allgemeinen außerordentlich freundlich, schließen leicht und schnell Bekanntschaften, haben aber alle irgendwelche Schrullen. Dieser Valerio ist wohl ein einflußreicher älterer Herr, von dem das Wohl und Wehe vieler Leute abhängt. Die Eindrücke, die ich von den beiden ersten Besuchen hatte, regten mich dermaßen auf, daß ich beschloß, vorderhand keine neuen Besuche zu machen; um so mehr, als ich an diesem Tage bei Signore Thisbe, wo ich seiner schönen Nichte begegnen könnte, und bei Signora Ridi, wo ich ihre Verwandte zu treffen hoffte, erwartet wurde. Ich saß in einem Kaffeehause und dachte über alle diese Erlebnisse nach, als plötzlich wieder der Name Valerio Procacci an mein Ohr schlug. Ich wandte mich so schnell um, daß ich dabei beinahe meinen Tisch umwarf. Am Tische nebenan saßen zwei junge Herren, von denen mir der eine sofort durch seinen lustigen und sorglosen Gesichtsausdruck auffiel. Ich kann mir kein noch so argwöhnisches und trockenes Herz vorstellen, welches beim Anblicke dieses runden Gesichtes mit der Stulpnase, dem großen Mund und den lachenden Augen nicht auftaute. Er war es, der den Namen Valerios genannt hatte. Ich faßte mir ein Herz, ging auf den jungen Herrn zu und fragte ihn:
»Ihr kennt Valerio Procacci?«
»Das will ich meinen! Ich bin es ja selbst!«
»Ihr seid Valerio Procacci? Das kann nicht stimmen.«
»Warum seid Ihr darüber so erstaunt?«
»Ich glaubte nicht, daß Ihr noch so jung seid. Ich habe mir Euch überhaupt ganz anders vorgestellt.«
Der junge Mann fragte mich nun sehr interessiert, wo ich von ihm gehört habe und woher ich ihn kenne. Ich erzählte ihm ganz offen meine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende. Valerio hörte mich aufmerksam an und sagte:
»Es ist doch seltsam, mein guter Tommaso, daß das Schicksal Euch gerade zu solchen Leuten geführt hat, die in meinem Leben eine Rolle spielen. Ich glaube, daß darin eine gewisse Absicht der Vorsehung liegt. Ich glaube auch, daß Ihr mir helfen könnt. Nun will ich Euch in meine Angelegenheiten einweihen, zumindest in diejenigen, in die Ihr zufällig selbst hineingeraten seid. Vertrauen gegen Vertrauen.«
Ich erfuhr von Valerio, daß er Clementina, die Nichte des berühmten Kastraten Cagliani liebte, während ihr Onkel sie um jeden Preis mit einem Grafen Parabosco, einem lächerlichen und eingebildeten alten Verschwender, verheiraten wollte. Die Eltern Valerios gaben sich dagegen die größte Mühe, ihren Sohn mit Signora Ridi zu verheiraten, einer ehrwürdigen und reichen Witwe, die ihm aber gar nicht gefiel und die auch selbst keinerlei Neigung zu ihm verspürte, weil sie ihn für einen hohlen und leichtsinnigen Menschen hielt.
»Ich suche gar nicht, sie von dieser Meinung abzubringen; im Gegenteil: ich tue alles mögliche, um ihr jeden Gedanken an eine Verbindung mit mir zu verekeln. Ich ärgere mich weniger über sie und über meine Angehörigen, als über diese beiden Vogelscheuchen: den Grafen Parabosco und den Signore Thisbe. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie unerträglich mir diese beiden aufgeblasenen und manierierten Kerle sind. Es freut mich, daß ich in Euch einen Freund gefunden habe, der mir helfen kann!«
Er drückte mir fest die Hand und sagte, daß ich auch meinerseits immer auf seine Hilfe und seinen Beistand rechnen dürfe.
So erwerbe ich mir Freunde ganz zufällig und ohne die geringste Mühe. Entweder sind die Florentiner besonders geneigt, Freundschaften zu schließen, oder in meinem Äußern liegt etwas Einnehmendes. Zu Hause wurde ich zwar wenig geschätzt, aber es ist bekannt, daß kein Prophet in seinem Vaterlande etwas gilt. In dieser Gemütsverfassung kaufte ich mir zunächst neue Schuhe mit Schleifen und begab mich darauf zu Signore Cagliani. Er empfing mich überaus freundlich und begann sofort girrend und augenrollend von seinen Bühnenerfolgen zu sprechen, als plötzlich von der Straße her Geigentöne erklangen; die Geigen wurden erst gestimmt.
»Es ist eine Serenade! Mein Ehrenwort, eine Serenade! Ich will es nicht leugnen: Berühmtsein hat auch seine Annehmlichkeiten!«
Er machte die Fensterläden auf, die Geigentöne wurden lauter, aber es war noch kein richtiges Spiel. Die Musiker wollten gerade mit einem Stück beginnen, als plötzlich vor dem Hause eine andere Musikergesellschaft erschien, welche behauptete, daß nur sie hier zu spielen hätte, und die zuerst erschienenen Spielleute zu vertreiben suchte. Anfangs wurde nur geschimpft, dann griff man zu Pflastersteinen, nachher zu den Bögen und Geigenkästen und schließlich auch zu den Instrumenten selbst. Im Hause war jedes Wort zu hören. Signore Cagliani war sehr aufgeregt und rief den Musikern zum Fenster hinaus: »Haut zu! So ist's recht!« Plötzlich fiel ihm aber etwas ein, und er schrie hinaus:
»Für wen ist die Serenade bestellt?«
»Für Signorina Clementina Cagliani.«
Der Sänger schlug schnell das Fenster zu, wandte sich zu mir und sagte wegwerfend:
»Ach, es ist nicht der Rede wert! Wenn diese jungen Leute nur irgendwo einen Unterrock wittern, so kommen sie gleich mit ihrer Katzenmusik!«
Ich wagte nicht, ihn an die Annehmlichkeiten des Berühmtseins zu erinnern, um so mehr, als in diesem Augenblick Clementina ins Zimmer trat. Der Onkel fiel sofort über sie her.
»Was ist das für ein Lärm?« fragte sie eintretend.
»Was das für ein Lärm ist? O heilige Unschuld! Das solltet Ihr besser wissen, was das für ein Lärm ist. Eure Kavaliere sind sich in die Haare geraten. Euch fällt natürlich gar nicht ein, an Euren kranken Onkel zu denken, der Euch ernährt und der jeden Augenblick sterben kann! Ihr denkt gar nicht daran, was das für ein Verlust für die Kunst wäre! Euch ist alles gleich, wenn Ihr nur Eure Herde von Liebhabern habt. Schlange!«
»Was für eine Herde von Liebhabern? Seid Ihr bei Sinnen? Ihr gebt Euch ja selbst Mühe, mir alle möglichen dummen Freier aufzudrängen wie zum Beispiel den Grafen Parabosco.«
»Habe ich dir vielleicht auch den Procacci aufgedrängt?«
»Valerio hat damit nichts zu schaffen.«
»Wieso hat er damit nichts zu schaffen? Ich werde dich enterben!«
»Ich habe mein eigenes Kapital, wenn Ihr es noch nicht veruntreut habt.«
»Diese Frechheit!«
»Ihr werdet Eure Stimme verlieren.«
»Ja, ich werde meine Stimme verlieren, ich werde verarmen und sterben, und du wirst an allem schuld sein!«
»Macht Euch nicht zum Narren! Auf der Straße ist ja jedes Wort zu hören.«
»Soll man's nur hören! Ich habe vor niemand Angst.«
»Ihr seid einfach lächerlich!«
»Wer ist lächerlich? Ich? Meinen Stock her! Im Vorzimmer hinter der Truhe, links in der Ecke steht mein dicker Stock!« winselte Cagliani. Von der Straße her klangen bereits Hilferufe und Waffengeklirr. Ich eilte hinunter, um zu erfahren, ob Valerio nicht verwundet sei; jemand stieß mich aber so heftig in die Rippen, daß ich in eine Nebengasse flog, von wo aus ich mich schleunigst nach Hause begab.