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Die grüne Kugel spiegelte gleichgültig und etwas höhnisch die gleichförmigen Tage und Abende. Es gab keinerlei Abwechslungen, und die ungewisse, konfuse Eintracht zwischen den beiden Familien lag in den letzten Zügen. Das machte auf die empfindsame Veronika Platonowna einen großen Eindruck. Wie alle anderen Menschen betrachtete sie den Sommer als eine Jahreszeit, in der alle Beschäftigungen und seelischen Regungen eine Veränderung erfahren und selbst gänzlich abgeschafft werden, wobei an ihre Stelle fades Geschwätz und Nichtstun treten. Die gleiche Sonne ist in der Stadt gar nicht imstande, die ganze Dummheit und Faulheit zu wecken, die in irgendeinem Seelenfache eines jeden sonst gar nicht so dummen und faulen Menschen schlummert. Sommer, du Jahreszeit mit den langen Tagen, mit den königlichen schmelzenden Abenden, Blumen, Beeren, stets offenen Fenstern, du Höhepunkt aller Kraft und allen Wachstums, der du jedes Gefühl und jede Tatkraft weckst, was hat man aus dir gemacht, daß du selbst dem stupidesten Menschen als der Gipfel der Stupidität und Trägheit erscheinst? Wann sollten alle unsere Gefühle, Gedanken und Regungen in voller Blüte stehen, wann sollten wir schaffensfreudig sein, – und liegen statt dessen wie ohnmächtige Schlafmützen umher? Im Sommer. Wann sollten wir unsere Blicke nur für den Himmel, das Gras, die Liebe und jede Schönheit des Lebens offen haben, und sehen statt dessen lauter Dummheit, zweckloses Herumschlendern und Sommerfrischler? Im Sommer. Sommer, du liebe schöne Jahreszeit, welche böse verschlafene Fee hat dich vergiftet?
Die gleiche Fee stocherte halb im Schlafe mit einem stumpfen Stäbchen die Seele Veronika Platonownas, die im Morgenrock und ohne Strümpfe hinter herabgelassenen Rouleaus saß. Sie starrte im Halbdunkel auf die bäuchige Kommode und wartete, daß die Hitze etwas abnehmen möchte. Auf einem Tablett leuchtete schwach ein Glas gelbliche Limonade. Das Summen einer Wespe, die sich zwischen dem Rouleau mit der draufgemalten Tiroler Landschaft und der Fensterscheibe verfangen hatte, hielt ihren Geist rege und übte zugleich eine einschläfernde Wirkung aus. Die Fenster waren zu, damit die glühende Luft sich im Laufe des Tages nicht im Schlafzimmer aufspeichere; es roch dumpf und etwas säuerlich. Wenn sie überhaupt an etwas dachte, so doch nur an die Nachbarn, und das auch ohne jede Bosheit; ihre Gedanken konnten sich vor Hitze kaum regen. An die Türe wurde geklopft. Oder kam es ihr nur so vor? . . . Es klopfte wieder.
»Wer ist draußen?« fragte Frau Bosketkin, ohne sich zu rühren. Saschuk trat ein, die Mütze von der schweißtriefenden Stirne in den Nacken geschoben.
»Was willst du?«
»Mama . . .«
»Was gibt's?«
»Bei den Poluklassows . . .«
»Was ist denn bei ihnen los?« Veronika Platonowna erzitterte im Halbdunkel wie ein Gelee.
»Komm mit, wir wollen es dir zeigen.«
»Was ist denn geschehen? Kannst es mir so sagen. Wohin soll ich bei dieser Hitze und ausgezogen wie ich bin, gehen?«
»Mama, komm mit, es ist wirklich sehr interessant!«
Der Junge war auffallend freundlich: bei den Nachbarn war sicher etwas ungemein Ekelhaftes oder Lächerliches passiert.
»Ach, dieser Saschuk! Warte, ich will mich etwas anziehen.«
»Das brauchst du nicht, es ist ja niemand da. Niemand wird dich sehen.«
Vor der Türe hüstelte Dorimedont.
Die Glut und das Licht fielen auf die Köpfe wie Eisenbleche herab. Veronika Platonowna blieb unentschlossen stehen, Saschuk warf ihr aber einen flehenden Blick zu, und Dorimedont brummte: »Es ist nicht weit.« Sie gingen zum Gartenzaun; die Hausschuhe klatschten im Grase, und die gelblichen ungepflegten Fersen der Frau Bosketkin riefen gewisse Schlachtenbilder in Erinnerung. Sie gingen durch den Garten, durchquerten die schattige Allee und den Platz vor den Stallungen und bogen von der Landstraße direkt in das Gehölz ab. Frau Bosketkin verlor im sumpfigen Boden einen Schuh; Dorimedont fischte ihn heraus und behielt ihn, da er ganz durchnäßt war, in der Hand. Die Mutter zog auch den andern Schuh aus und setzte den Weg barfuß fort. Sie war ganz von der Vorahnung der wichtigen Dinge, die ihr die Söhne zeigen wollten, erfüllt, und dachte zugleich auch darüber nach, wie sie sie bestrafen würde, wenn sie sie angelogen haben sollten.
»Hier!« flüsterte Saschuk, auf einen breiten Spalt im Poluklassowschen Gartenzaune zeigend. Veronika Platonowna suchte lange nach einer günstigen Stellung und drückte schließlich ihr Gesicht gierig an den Zaun. Alle schwiegen. Die Mutter riß sich endlich los wie ein Blutegel, der sich vollgesogen hat. Sie war über und über rot.
»Hast du's gesehen?« fragte Saschuk.
Sie nickte nur hastig mit dem Kopf und beugte sich wieder zum Spalt, als traute sie ihren Augen nicht.
Doch nein, weder die Augen, noch die Söhne hatten sie betrogen. Vor der Veranda stand mitten in einem Beete ganz unschuldig, glühend, glänzend und frech (ja, das ist der richtige Ausdruck: frech!) eine knallrote Glaskugel, und die Sonne spiegelte sich in ihr wie ein rubinroter Knopf.
Frau Bosketkin ließ sich schweigend auf den Boden nieder. Die Söhne standen ehrfurchtsvoll vor ihr.
»Schnell nach Hause! Papier und Bleistift!« sagte sie endlich.
Dorimedont rannte wie ein Jagdhund davon, im Laufen die Hausschuhe seiner Mutter gegeneinander schlagend. Saschuk setzte sich in Erwartung auf den Boden. Die Mutter schwieg noch immer. Der Junge versuchte sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken und begann:
»Wir haben schon so lange keine Quarkkuchen gehabt!«
Aber die Mutter gab ihm mit einem Blick zu verstehen, wie deplaciert in diesem Augenblicke solche idyllischen Wünsche waren. Endlich brachte Dorimedont das Papier. Veronika Platonowna schrieb zwei Zeilen und kommandierte mit finsterer Miene:
»Klettere über den Zaun und befestige den Zettel an die Kugel. Eine nette Kugel haben sie sich angeschafft, diese Bauern: knallrot!«
Veronika Platonowna war so betrübt, daß sie sich gar nicht vom Platze rührte. Sie starrte wie geistesabwesend auf die Schuhsohlen und die mit Grasflecken übersäte Leinwandhose Dorimedonts, der über den Zaun kletterte.
Aber der Zettel wollte an der glatten Glasfläche nicht halten. Saschuk fiel es ein, daß er ein Stück Schwarzbrot in der Tasche hatte. Er warf es in den Nachbargarten hinüber und blieb selbst bei seiner Mutter, die die Tätigkeit Dorimedonts durch den Spalt im Zaune verfolgte.
»Spuck doch auf das Brot!« riet sie Dorimedont, ohne sich vom Spalt loszureißen.
Schließlich mußte man den Zettel auf das Beet neben die Kugel legen und mit einem Stein beschweren. Auf dem Zettel standen folgende Worte:
»Das ist unkorrekt. Wir bitten Sie, uns nicht mehr zu besuchen. So etwas nennt man Gemeinheit.«
Es ist unbekannt, wessen Handlung Frau Bosketkin mit dem Worte Gemeinheit bezeichnete; diplomatische Noten sind aber oft doppelsinnig.