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Verzerrt, doch ungemein lieblich spiegelte die grüne Glaskugel im Astern- und Flammenblumenbeet alle nächsten Gegenstände wider: den von Sträuchern eingefaßten freien Platz vor der Veranda, die Verandatüre, die beiden Bänke und die Lebewesen, die gerade über den freien Platz gingen. Der Anblick war um so belustigender, als alle diese Dinge zierliche Bewegungen ausführten: die Wolken schwammen, die Vögel jagten vorbei – eine ganz eigene Welt schien im ewigen grünlichen Mittag des Glases zu wohnen, an die mechanische Schönheit der sich darin spiegelnden Gegenstände gemahnend.
Auf der dem Hause entgegengesetzten Seite wuchs ein dichter Busch, der die Bank, die in seinem Schatten stand, samt den auf ihr sitzenden Personen vor fremden Blicken schützte und alle weiteren Spiegelungen vereitelte. Und das war schade: man hatte den Wunsch, in den gleichen winzigen Ausmaßen auch alle Gartenwege zu sehen, das Feld hinter dem Garten, das ganze Bosketkinsche Haus und die Birkenallee, die zum Hause der Poluklassows führte; und auf allen diesen Wegen und Plätzen sollten sich winzige Menschlein bewegen, sich begrüßen, zanken und küssen; über ihnen sollte aber eine winzige strahlenlose Sonne, so grün und klein wie eine Erbse, leuchten, und aus den Wolken, die die Farbe des welken Laubes hätten, sollten dünne Blitze schießen . . .
Eine Kugel ist eben eine Kugel und erinnert stets an einen Globus, folglich an die Welt und an alles Existierende. Doch der grünen Glaskugel im Asternbeet war es beschieden, nur solche Ereignisse zu spiegeln, die sich auf dem freien Platz vor dem Hause und auf der Bank vor dem Busche abspielten, verzerrt, doch ungemein lieblich.
Jetzt spiegelten sich darin die Gesichter Shenjas und Shenitschkas, die einander fast berührten. Sie betrachteten interessiert ihre in die Länge gezerrten grünen Fratzen und begannen plötzlich gleichzeitig zu lachen, wobei die Spiegelbilder ihre Münder bis zu den Ohren aufrissen. Um im verkleinerten Maßstäbe etwas bemerkbar zu machen, muß man es eben übertreiben.
»Die dumme Kugel!« sagte Shenitschka.
»Sie ist gar nicht dumm! Das darfst du nicht sagen! Außerdem gehört sie uns, und du mußt sie schon aus dem Grunde lieb haben.«
Das Mädchen streichelte die runde Kugelfläche, als ob es eine Glatze wäre. Das sah sehr graziös und verführerisch, doch aus irgendeinem Grunde etwas unanständig aus. Der junge Mann konnte sich nicht länger beherrschen und küßte die streichelnde Hand am Ellenbogen. Shenja nahm ihn lachend bei den Ohren, zog seinen Kopf zu sich heran und küßte ihn auf den Mund, immer noch nach dem drolligen Spiegelbilde schielend. Im Bilde strebten die Lippen ganz ungeniert einander entgegen. Shenitschka merkte es anscheinend gar nicht und drückte seine Lippen an die des Mädchens züchtig, fest und ohne Komplikationen.
Plötzlich erschien oben auf der Kugel eine lila Schleife.
Die Verliebten setzten sich schnell auf die Bank, ohne ihre Hände voneinander zu lösen und die Lippen loszureißen: sie fürchteten, daß der Abschluß des Kusses von einem zu lauten Knall begleitet sein würde. Sie blickten erschrocken und zugleich belustigt. Shenja deutete mit den Augen auf den plötzlich auf der Kugel erschienenen Kopfschmuck: »Es ist die Mama!« Shenitschka trennte seine Lippen behutsam von den ihrigen und holte Atem. Die Stimmen kamen bald näher und entfernten sich bald wieder – Frau Bosketkin und Frau Poluklassow spazierten auf und ab.
»Die schönste Zierde Ihres Gartens ist natürlich diese Kugel: sie erfreut ungemein das Auge«, sagte Frau Poluklassow. Und die Hausfrau erwiderte, ohne stehenzubleiben:
»Gewiß. Meiner Ansicht nach ist ein Garten ohne eine solche Kugel überhaupt nichts wert.«
Shenitschka drückte Shenja die Hand, als ob sie die grüne Glaskugel wäre. Sie wußte den Händedruck richtig zu deuten und erwiderte ihn mit ihren feinen rosenroten Fingern. Dann hüpfte sie flink wie ein Vogel aus dem Gebüsch hinaus, während ihr Kavalier sich eine Zigarette ansteckte und rauchend zurückblieb. Ihre hohe Stimme vermischte sich mit zwei anderen Stimmen und verhallte auf der Veranda. Shenitschka sagte aber mit Nachdruck und so laut, als ob er eine Visitenkarte läse:
»Shenja Dmitrijewna Bosketkin.« Nach einer Weile sagte er im gleichen Tone: »Shenja Dmitrijewna Poluklassow.« Beim Gedanken an die Möglichkeit einer solchen Metamorphose lächelte er selig.
Vor der Kugel erklangen nun mutierende Altstimmen: es waren Saschuk, Maschuk und Dorimedont. Auch sie sprachen von der Kugel, doch in einem ganz anderen Sinne als die beiden älteren Damen. Die Gäste suchten den Schmuck des Asternbeetes herabzusetzen, während ihn die Kinder des Hauses überzeugt und energisch verteidigten.
»Ihr habt keine Kugel!«
»Dafür hat unser Papa einen Säbel! Er ist Offizier gewesen, und euer Papa ist Zivilbagage.«
Der Älteste unter ihnen, der fünfzehnjährige Dorimedont, der bereits einen Schnurrbart hatte und sich dessen schämte, sagte:
»Das ist ganz gleich: beide dienen dem Kaiser und dem Vaterlande.«
Der Gedanke, daß Dmitrij Petrowitsch dem Kaiser und dem Vaterlande dienen könne, kam Saschuk, der von solchen Dingen eine romantische Vorstellung hatte, ungemein komisch vor.
Das Gelächter ging bald in eine Schlägerei über. Nun kam Shenitschka, der seine Zigarette zu Ende geraucht hatte, aus dem Gebüsch heraus und zupfte alle Kinder, wie die fremden so auch die eigenen an den Ohren, ohne Dorimedont mit dem Schnurrbart auszuschließen. Auf das Geheul kamen die beiden Mütter heraus und blieben entsetzt, eine jede vor einem anderen Pfosten der Veranda stehen, während sich Shenja vor Lachen und Verliebtheit das Gesicht mit den Händen bedeckte.
Diese ganze Szene spiegelte sich ungemein deutlich in der Glaskugel, aber niemand achtete darauf.