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Er stieg die Treppe hinauf, die eher zu Hühnern als zu Menschen zu führen schien; doch mochten die Gänse hier die erste Rolle spielen, denn oben kamen ihm einige mit feindseligem Geschnatter entgegen und suchten ihn am Rocke festzuhalten. Nach langem Suchen fand er eine Türe, welche noch am ehesten dem Wohnzimmer angehören konnte; statt einer Klinke drückte er einen hölzernen Schieber auf. Ein Mann in einem zerrissenen schwarzen Rocke saß an einem großen runden Tisch, der nebst ein paar hölzernen Stühlen das ganze Mobiliar des Zimmers ausmachte. Er schrieb, ohne aufzublicken. Heinrich betrachtete ihn aufmerksam; es war noch das alte derbe frische Gesicht, aber mit einem Zuge durchsäuert, der anzudeuten schien, daß hier lang keine willkommene Gesellschaft, keine geistige Anregung eingekehrt war. Er blieb still an der Türe stehen; die Fenster gingen auf einen Berg, der so nah war, daß man mit einem Sprung drüben, mitten im Walde, zu sein glaubte. Ein Geräusch weckte ihn aus seinen Beobachtungen; er erblickte in einer Ecke der Stube zwei kleine nackte Kinder, die, von seinem Anblick erschreckt, zu jung, um gehen zu können, sitzend mit unglaublicher Schnelligkeit zum Vater hinrutschten und sich zwischen seinen Beinen zu verschanzen suchten. »Na, was ist's, ihr Krabben?« rief dieser und sah empor. Da erblickte er den fremden Mann und starrte ihn an. »Aufgeschaut, Herr Pfarrer!« rief Heinrich, der sich kaum noch beherrschen konnte, »es ist kein Bauer, der eine Taufe oder eine Leiche anmeldet.«

Der Pfarrer stand auf und betrachtete ihn zweifelnd; er hatte noch immer in der einen Hand die Feder, in der anderen das Manuskript, »Weiß Gott, er ist's!« rief er plötzlich, indem er Papier und Feder nach beiden Seiten auf den Boden warf. »So, das wär' die Predigt! Du Prachtskerl, ich hab' dich kaum mehr erkannt, ich sag' dir, du siehst aus wie ein Prälat. Jetzt erzähl' mir nur, wer bist du? Wo bist du? Wie geht's dir? Was führt dich in mein Patmos? quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? Denn daß du dich aufgemacht hast, du Pompejus, bloß um mich armen Teufel zu besuchen, das glaubt dir ein anderer!«

»An meinem guten Willen,« sagte Heinrich, »und daß ich dich eines Besuches ohne alle Nebenablichten wert halte, wirst du hoffentlich nicht zweifeln, du hast mich wenigstens sonst als einen ehrlichen Gesellen gelten lassen; – weißt du denn aber nicht, der du das Alte Testament besser kennen solltest als ich, daß die Patriarchen ihre Gäste erst, wenn sie Speise und Trank empfangen hatten, um ihre Angelegenheiten befragten?«

»Ist auch wahr!« rief der Pfarrer, »du sollst sogleich haben, was mein Haus vermag.«

»Zuerst,« sagte Heinrich und hielt den Eilfertigen am Arme fest, »zuerst will ich mich setzen, denn ich bin sehr müd; sodann bitt' ich dich, für meinen armen Rappen zu sorgen, der ohne Zweifel auch nicht mehr so frisch ist wie gestern abend; ferner bitt' ich dich zunächst bloß um eine Tasse Kaffee.«

»Kaffee!« sagte der Pfarrer mit gedehntem Ton und sah ihn einen Augenblick verlegen an, »du sollst ihn haben, wenn du vorlieb nehmen willst; der Rappe soll ebenfalls das Seinige bekommen, unter derselben Bedingung – Aber zuvörderst muß ich dir doch meine Frau vorstellen!«

Er eilte hinaus und kam nach einer Pause, in welcher allerlei Erörterungen stattgefunden haben mochten, mit einer riesigen Schönheit zurück. Sie war ganz bäurisch gekleidet und blickte den Fremdling mit einer sonderbaren Mischung von Trotz und Schüchternheit an. »Sieh, Rose,« rief der Pfarrer, »das ist mein allerbester Freund, mit dem ich als Student sehr viele tolle Streiche gemacht habe. Er ist indes ein großer Herr geworden und ich – ein armer Pfarrer auf dem Schwarzwald! Aber jetzt geh und mach den Kaffee.« – Dieser Befehl war von einem bittenden Blicke begleitet, den die Frau mit einiger Freundlichkeit aufnahm. Heinrich trat auf sie zu und sagte ihr etwas Verbindliches; sie reichte ihm die Hand, die sie vorher an der Schürze abgewischt hatte, und erwiderte bloß: »Ich will jetzt den Kaffee machen.« – Damit verließ sie das Zimmer.

»Tauschen wir unsere Lebensläufe aus!« rief der Pfarrer. »Den unbedeutendsten zuerst! Sobald ich die Vokation hieher erhalten hatte, dachte ich, es ist dem Menschen nicht gut, daß er alleine sei, sah mich gleich bei der ersten Predigt, wo ich doch das vollständigste Auditorium erwarten konnte, unter meinen Schafen um, da stach mir die Röse in die Augen und wurde sofort nach wenigen Wochen zum Range meiner Gemahlin erhoben. Das ist alles, Punktum! Ich kann dich aber versichern, daß sie, wenn auch nicht ganz courfähig, doch eine vortreffliche Person ist, die mich sehr lieb hat und mit der ich vollkommen glücklich lebe. Aus diesem Grunde mußt du ihr's auch zu gute halten, wenn der Kaffee vielleicht nicht ganz so ausfällt, wie du ihn in Stuttgart zu trinken gewohnt bist; denn ich kann dich im Vertrauen versichern, daß sie heute zum ersten Male in dieses höhere Gebiet der Kochkunst hinüberschreitet. Wir trinken als gute Christen diesen mohammedanischen Absud nicht, wir frühstücken Suppe oder Milch, was eine sehr gesunde und nahrhafte Kost ist, und ich würde deinen Wunsch auch nicht befriedigen können, wenn ich mich nicht erinnert hätte, daß ich noch eine kleine Schachtel mit gerösteten Kaffeebohnen von meinem Vikariat her, als Geschenk meiner damaligen Pfarrerin, besitze, welche nun, wie du vernehmen wirst, von meiner Frau in Ermangelung einer Kaffeemühle im Mörser gestoßen werden.«

Heinrich lachte herzlich und versicherte, es sei ihm überhaupt nur um etwas Warmes zu tun.

»Du armer Schelm!« fuhr der Pfarrer fort, »dein Rappe ist wahrscheinlich glücklicher als du, der steht drunten in der Scheuer und frißt, was Gott uns beschert hat. Aber jetzt erzähle.«

Eines der Kinder war indessen herbeigekrochen, hatte sich Heinrich gegenüber hingesetzt, ihn eine Weile starr angesehen und brach nun auf einmal in ein fürchterliches Geschrei aus; im Augenblick rückte das andere auch heran und sekundierte. »Eben,« rief der Pfarrer, »wollte ich dir meine Jugend vorstellen, nun präsentiert sie sich ja selbst. Sei still, Röschen! Schäme dich, Matthäus! so spricht man nicht mit gebildeten Leuten.«

»Röse!« rief er seiner Frau entgegen, die infolge des Lärmens zur Tür hereinsah, »schaff doch die Kinder fort! sie krakeelen, daß man kein vernünftiges Wort reden kann.«

»Ei!« versetzte die Pfarrerin, sah ihn groß an und ging wieder an ihr Geschäft, »mach du, daß sie schweigen!«

»Wie nennt man die artigen Dinger?« frug Heinrich, »sie führen den Namen von einem alten griechischen Gott und einem norddeutschen Dorfbewohner – ich glaube, wir haben einander einmal in Tübingen das Rätsel aufgegeben.«

»Du bist im Irrtum,« antwortete der Pfarrer schnell, »meine Frau trägt keine Pantoffeln, sondern Stelzschuhe. Überdies ist sie die gute Stunde selber, nur in solchen Sachen muß man nicht zu genau mit ihr sein, das versteht sie nicht besser.«

»Also ist's eine Tragödie,« sagte Heinrich, »da dein häusliches Glück auf dem Kothurn einherschreitet.«

»Spotte du nur!« rief der Pfarrer, »mir ist's wohl. Aber jetzt erzähle!«

Er nahm die beiden Kinder auf die Kniee, beruhigte sie und saß aufmerksam dem Freunde gegenüber. Dieser berichtete in der Kürze seine Fata und entdeckte den Zweck seiner Reise, ohne jedoch mehr als das Nötigste zu verraten; er erlaubte sich sogar eine kleine Lüge und gab vor, ein blutjunger Mensch von edler Herkunft und phantastischem Wesen habe den abenteuerlichen Einfall gehabt, unter die Zigeuner zu gehen und mit ihnen in den Wäldern umherzuziehen; nun wünsche der Herzog um seines Vaters willen, man möchte den Jüngling zur Vernunft bringen und die Sache in der Stille abmachen. – Er hoffte auch durch den glücklichsten Erfolg seiner Nachforschungen nicht Lügen gestraft zu werden, indem er aus der Kleidung, in welcher Laura von der Maskerade entflohen war, mit Zuversicht schloß, sie werde sich des männlichen Anzugs seither fortwährend bedient haben.

Der Pfarrer hatte mit sichtlicher Spannung zugehört. »Was Teufels!« rief er, als Heinrich geendigt hatte, »der Bursche hat sich gewiß aus den Räubern zu diesem verrückten Streiche begeistert!«

Heinrich sah ihn erstaunt an, er erinnerte sich auf einmal des großen Eindrucks, den das Buch auf Lauren gemacht hatte. »Wahrhaftig,« sagte er nachdenklich, »du könntest recht haben. Aber – hast du denn die Räuber auch gelesen?«

»O freilich! Meinst du denn, man sei hier ganz exkommuniziert? Ein Kollege lieh mir sie, und ich habe das Buch wohl zehnmal durchgepeitscht. Hör' mal, das ist 'n ganzer Kerl, der das geschrieben hat!«

»Wenn nur,« versetzte Heinrich, »wenn nur Freund Schiller mit seinem Buch in diesem Fall nicht einen höchst unsinnigen Streich veranlaßt hätte.«

»Schiller heißt er?« rief Matthäus, »das Titelblatt war ausgerissen. Kennst du ihn? Wo lebt er denn?«

»Er ist mein sehr guter Freund,« erwiderte Heinrich lächelnd, »und lebt als Regimentsmedikus in Stuttgart.«

»Wa – was? In Stuttgart? Also am Ende gar ein Württemberger?«

»Ein kompletter! Warum sollte er keiner sein?«

»Jetzt ist mir's aber doch ganz kurios!« sagte der Pfarrer kopfschüttelnd, »jetzt kann ich mir gar keine Vorstellung mehr von ihm machen. Ein Württemberger! Wenn mir so etwas Apartes, Grandioses vorkommt, so muß ich mir's ganz weit weg, auf ultima Thule oder gar ins Pfefferland hindenken. Trägt er denn auch einen Zopf?«

Heinrich beschrieb den Titanen in seiner Militärtracht; er erinnerte sich im stillen der Scherze, die sie unter den Freunden veranlaßt hatte, und belustigte sich an den großen Augen, die der Pfarrer machte.

»Ich kann mich gar nicht drein finden,« rief dieser endlich, »jedenfalls aber mußt du mit mir die Runde bei einigen meiner Nachbarn machen; die werden dich wie ein Wundertier anstaunen, daß du ein Freund vom Verfasser der Räuber bist.«

»Um aber jetzt von den böhmischen Wäldern auf den Schwarzwald zu kommen,« sagte Heinrich, »wollen wir unsere Maßregeln beraten. Und zwar fürs erste, du hast hoffentlich unter deinen Bauern einige tüchtige und entschlossene Leute, die man zu Spionen gebrauchen kann.«

»Da sei nur ruhig,« versetzte der Pfarrer und öffnete das Fenster, »an diesem Artikel fehlte bei uns nicht! Ich habe Bursche, verschlagen wie die Katzen und herzhaft wie die Bären, – wenn du einem ein Bein abschlägst, so geht er dir auf dem anderen hüpfend zu Leibe. Und da kommen eben ein paar von den besten wie gerufen herbei; die haben etwas auf der Nadel beim Kirchenkonvent und werden umso williger sein. Aber halt! Ehe ich sie rufe, muß ich noch eine Frage tun, wenn die Zigeuner, was mir nicht unwahrscheinlich vorkommt, wirklich sich in diese Gegend gezogen haben, wenn wir sie auskundschaften und es kommt nun zu Gewaltschritten, wer schützt mich gegen die Heiden, denen es einfallen könnte, mir Dorf und Haus überm Kopf anzuzünden?«

Heinrich griff in seine Brieftasche und gab ihm die vom Herzog ausgestellte Vollmacht zu lesen. »Mit diesem Papier,« sagte er, »will ich das halbe Land alarmieren, wenn's nötig ist.«

»Gut!« versetzte Matthäus und pfiff zum Fenster hinaus. »Diese genügen für den Anfang. Eine größere Streifmannschaft ist bald aufgeboten. Du machst aber noch keinen Gebrauch von der Vollmacht, wir müssen unnötigen Lärm vermeiden.«

»Versteht sich!« sagte Heinrich, »du hast nun schon das rechte Verständnis.«

Ein paar Bauern kamen und flößten ihm durch ihr Aussehen die beste Hoffnung ein. Sie waren auf das Zureden des Pfarrers und auf Heinrichs Versprechungen sogleich bereit und erklärten, noch ein halb Dutzend andere instruieren und mitnehmen zu wollen. »Je zu zweien,« sagten sie, »wollen wir ausgehen, auf diese Art kommen wir gewiß in alle Winkel, wo das Wildbret liegen könnte.« – Der Pfarrer empfahl ihnen Vorsicht und strenge Verschwiegenheit und rief ihnen noch nach: »Wenn ihr zurückkommt, so macht euch auf ein gutes Glas Heidelbeergeist gefaßt!«

Mein frommer Bruder, wandelt sacht,
Und nehmt auf Stegen euch in acht!

Uhland.

»Gib acht,« wandte sich Matthäus zu Heinrich herum, »morgen abend haben wir deinen Karl Moor. Aber jetzt auch kein Wort mehr von Geschäften, als höchstens, daß meine Frau von unserer Jagd nichts zu wissen braucht, sie würde sich unnötige Sorgen machen. Wo zum Kuckuck bleibt denn der Kaffee?« rief er zur Tür hinaus, »ah, da ist er schon!« – Er nahm ihn seiner Frau unter der Türe ab, trug ihn dem Freunde auf und setzte sich mit einem Ausdruck unendlicher Neugierde ihm gegenüber. Heinrich goß ein und sah sich mit einiger Verlegenheit um.

»Ja so, potz Teufel!« schrie der Pfarrer und fuhr auf, »der Zucker! Armer Freund, das fiel mir zu spät ein; ja, da ist nichts zu machen, Zucker führen wir nicht im Hause.«

»Tut nichts,« sagte Heinrich mit einem bittersüßen Lächeln, »das ist mir in meiner Junggesellenwirtschaft auch schon vorgekommen; ich muß nun eben etwas mehr Milch zugießen.« – Er nahm das Schüsselchen, das statt der Tasse diente, an den Mund, setzte es aber nach dem ersten Schlucke wieder ab und sprang schnell ans Fenster.

»Was ist denn schon wieder?« rief der Pfarrer. Heinrich deutete sprachlos auf den Kaffee. Der Pfarrer kostete ihn ebenfalls, verzerrte das Gesicht und spuckte ihn mitten ins Zimmer. »Pfui Teufel!« rief er, »was ist das für ein Geschmack? Das kommt nicht vom Kaffee. Ich habe doch meiner Frau eine genaue Anweisung gegeben, wie sie ihn machen sollte.«

Er ging hinaus, um sich zu erkundigen, kam aber gleich wieder herein und konnte vor Lachen kaum reden. »Das gute Weib!« rief er, »die meint's besser mit dir, als du dir träumen lässest! Sie hat meine Anweisung genau befolgt, aber für einen Herrn vom Hof und meinen speziellen Freund wollte sie ein übriges tun und hat den Kaffee – geschmälzt! Sieh, die Fettaugen schwimmen drauf umher. Schmälzen ist das Höchste, was sie weiß, und mehr oder weniger Schmalz, das ist hier zu Lande das Maß der Achtung, welche man einem Besuch erzeigen will.«

Der Pfarrer fuhr fort zu lachen, Heinrich aber, von diesem Beweise des guten Willens gerührt, ging in die Küche, wo er die Pfarrerin beschäftigt fand, die Schmalzpfanne wieder zu reinigen, und lobte die Zubereitung des Kaffees; in manchen Gegenden des Landes, sagte er, sei diese Methode gebräuchlich, er aber sei unglücklicherweise in der anderen, in der ungeschmälzten, erzogen und daher nicht im stande, den Kaffee zu trinken.

Sie hörte ihn freundlich an und sagte: »Es ist mir gar zu arg, wenn Sie mir ihn stehen lassen, wollen Sie's nicht noch einmal versuchen? Vielleicht geht's doch.«

Heinrich replizierte, er habe von Jugend auf nichts Fettes vertragen können, und ging wieder in die Stube, im stillen von seiner gutmütigen Wirtin bedauert, welche aus diesem Bekenntnisse schloß, er müsse von armen Eltern erzogen worden sein. Er ließ sich eine andere Schüssel geben und hielt sich an die Milch, die er sehr schmackhaft fand.

»Du mußt dich nun an meinem Weine trösten,« sagte der Pfarrer, »mach, daß du mit der Milch fertig wirst.« Kaum hatten sie eine Weile beisammen gesessen, so wurde Matthäus von der Pfarrerin hinausgerufen und kam nach einem kurzen Zwiegespräche zurück mit den Worten: »Lieber Freund, da mußt du uns auch wieder etwas zu gute halten! Meine Frau will jetzt den Boden aufwaschen – ich schätze sie um ihrer Reinlichkeit willen.« – Heinrich sah ihn verwundert an. – »Es geschieht großenteils dir zu Ehren,« fuhr der Pfarrer fort, »und wir wollen ihr den Spaß nicht verderben, sie wird sonst konfus; der heutige Tag macht ohnehin Epoche in ihrem Leben.«

»Nun, so gehen wir auf dein Studierzimmer!« rief Heinrich, »laß mich einmal deine gelehrte Wirtschaft betrachten.«

»Wir wollen zuvor sehen,« versetzte der Pfarrer, »ich bin heute durch häusliche Angelegenheiten daraus vertrieben worden.«

Er führte seinen Gast in eine Art von Kammer auf der entgegengesetzten Seite des Hauses. Schwarze Wäsche, Kartoffeln und Tannzapfen lagen auf dem Boden umher und erlaubten nur eine bescheidene Musterung von der Türe aus. In der einen Ecke stand eine große zweischläfrige Himmelbettlade, hellgrün angestrichen, in der anderen ein Tisch, auf dem einige Bücher und Papiere herumlagen; daneben waren ein paar hölzerne Fächer an die Wand genagelt, die eine spärliche Bibliothek, den Überrest gelehrter Bestrebungen, beherbergten.

»Hier würde Rousseau sich gefallen!« rief Heinrich, »denn es sieht aus, als wäre die Hand der Natur mit mächtigen Strichen durch deine Wissenschaft gefahren. O Philosophie! Sag mir nur, du weiland eifriger Wolfianer, glaubst du noch an die Lehre vom Sein?«

Der Pfarrer wies gleichmütig auf den Boden. »Solche Gegenstände,« versetzte er, »überzeugen den Ungläubigsten, hier faßt die Ontologie erst festen Fuß. Übrigens ist mein System noch immer in der schönsten Ordnung,« fuhr er fort und deutete hinter den Ofen, wo eine lange Reihe von Tabakspfeifen hing, der Größe nach wie Orgelpfeifen geordnet.

»Ich verstehe dich nicht,« sagte Heinrich.

»Abtrünniger!« rief der Pfarrer, »ist dir die Universitätszeit so fremd geworden? Hast du so lang nicht geraucht, daß du vergessen hast, was ein Pfeifensystem heißt? Übrigens will ich dir einen Vorschlag machen. Du weißt, ich konnte nie, wenn mir's recht wohl war, zu Hause bleiben; dir aber seh' ich an, daß es dir nicht besonders wohl ist in der Rumpelkammer da. Wollen wir nicht ins Wirtshaus gehen? Wir haben eine kleine Stunde und treffen leidlichen Wein, vielleicht sogar geistliche Gesellschaft.«

»Einverstanden,« erwiderte Heinrich, »das heißt, wenn die Frau Pfarrerin nichts dagegen hat.«

»Die wird man viel fragen!« rief der Pfarrer trotzig, »meinst du denn, sie mißgönne mir's, wenn ich mir einmal eine Freude machen will? Übrigens will ich ihr's doch sagen,« fügte er hinzu, »daß sie sich danach richten kann.«

Er rief seine Frau an die Türe und trug ihr die Sache vor. Man konnte ihr wohl anmerken, daß sie nicht besonders erfreut war, doch scheute sie sich vor dem Gast und sagte nach einigem Besinnen. »So geh meinetwegen, komm aber nicht so spät nach Hause, und das will ich dir gesagt haben, daß du mir nicht zu viel trinkst!«

Der Pfarrer ging etwas ärgerlich in ihre Bedingungen ein und sagte dann zu Heinrich. »Komm, jetzt will ich dir noch ein Kunstwerk zeigen, eh' wir gehen.« Er nahm ihn an der Hand und leitete ihn vorsichtig über die Tannzapfen zu der Bettlade hin. »Es ist ein Erbstück von meinem Schwiegervater,« sagte er, »und ein Meisterstück eines ländlichen Schreiners, der sich zugleich erholungsweise mit der Malerei abgegeben hat.« – Er schlug die Vorhänge auseinander und zeigte ihm ein Deckenstück, den schlafenden Patriarchen Jakob vorstellend, über seinem Haupte die Himmelsleiter, an welcher Engel mit großen Flügeln auf und nieder stiegen; darunter war der Vers geschrieben:

Ich darf mir keine Sorge machen,
Der Hüter Israels wird wachen,
Dies gibt er seinen Kindern nur!

Komm, süßer Schlaf, balsamischer Segen,
Dir winkt mein müdes Herz entgegen,
Komm, sanftes Labsal der Natur!

Heinrich erbaute sich mit lächelnder Rührung an dem frommen Spruche. »Da mußt du ja vortrefflich schlafen, wie der alte Erzvater!« sagte er.

Sie verließen das Haus. Unten betrachtete Heinrich die Konstruktion der Türe und bemerkte. »Du wohnst aber doch in gar zu glücklicher Sicherheit! Das letzte Haus im Dorfe, die Türe fast unverwahrt, die Gegend abgelegen und die Grenze nicht allzu weit.«

»Es ist mir auch nicht ganz wohl bei der Sache,« versetzte der Pfarrer, »ein paar silberne Löffel finden sich immerhin zum Stehlen, und ich habe deshalb schon vor längerer Zeit ans Konsistorium geschrieben, man solle mir ein Schloß an die Türe machen lassen; bis sie sich aber dort resolviert haben, kann ich mit meiner ganzen Familie gestohlen sein.«

Darauf erzählte er allerlei Geschichten von den Zigeunern und ihrem Anführer Hannikel. »Vor einem Jahr,« sagte er, »begegnete ein Förster im Walde einem unbekannten Weidmann, mit dem er, als derselbe sich ziemlich genügend ausgewiesen hatte, in ein vertrauliches Gespräch geriet. Zuletzt bat ihn der Fremde um ein Darlehen, da er in einer vorübergehenden Verlegenheit sei. Der Förster gab ihm, was er eben bei sich hatte, einen Taler. Als er Abends nach Hause kam, traf er ein Briefchen an, das ich selbst nachher gelesen habe. Es lautete etwa folgendermaßen. »Lieber Freund, Sie haben schwerlich gewußt, mit wem Sie heut im Wald gesprochen haben. Zum Dank für Ihre Freundlichkeit gegen einen Unbekannten sollen Sie nie eine Ungelegenheit in Ihrem Reviere haben. Lassen Sie mich das kleine Geschenk als ein Andenken an Sie behalten, und seien Sie immer versichert von der Erkenntlichkeit und Freundschaft Ihres Hannikel.«

»Eine gute Quittung,« lachte Heinrich. »Bei alledem kann ich nicht begreifen, wie ihr hier eine ruhige Stunde haben könnt.«

»Der Zigeunerherzog,« erwiderte Matthäus, »soll gegenwärtig dem Vernehmen nach anderswo wirtschaften. Übrigens hält er sich nicht bloß bei uns auf, er ist auch drüben an der Alb und sonst im Lande wohlbekannt. Man gewöhnt sich an so was wie an einen Leibschaden; gibt es ja doch Leute, die ruhig am Fuße des Ätna wohnen.«

»Es ist wahr,« sagte Heinrich, »das liebe heilige Reich hat alles mit seiner Schlaftrunkenheit angesteckt.«

Sie gingen im Talgrunde fort, und Heinrich, der sich hier am Ende der gangbaren Welt zu befinden geglaubt hatte, entdeckte, daß das Tälchen sich unter den Bergwäldern herum und zwischen ihnen hindurchschlich. Sie kamen über einen Bach, den man vom Walde schäumend herunterstürzen und ruhig im Tale fortgleiten sah; dann führte der Pfad über einen mäßigen Hügelrücken, an welchem eine Fahrstraße vorüberzog und ein einsames Wirtshaus als Station für die Reisenden lag.

»Da sieht man doch wieder ein wenig in die Welt hinaus,« bemerkte Heinrich.

»Ich will nicht hoffen,« rief der Pfarrer, »daß dir schon am ersten Tage Reisegedanken kommen.«

Heinrich deutete an, daß er mit seinem Schützling, sobald er ihn habe, wieder abzureisen gedenke.

»Da würdest du uns einen schönen Possen spielen!« rief der gastfreundliche Matthäus, »meine Frau schickt in diesem Augenblick ihre Eilboten nach allen vier Winden aus, um Kaffee, Zucker und, was weiß ich, was alles für dich holen zu lassen. Das darf nicht sein! Wer würde denn den Kaffee trinken? Meine Frau jammerte heute genug, als sie den kostbaren Geschmälzten den Kindern geben mußte. Er hat ihnen aber prächtig geschmeckt!«

Die Freunde lachten von neuem über diesen Schwank, und der Pfarrer fuhr fort: »Weißt du, was du tust? Dein Räuber und Räubergenosse darf nicht so unvorbereitet wieder in seine alte Sphäre hineinplumpen, er bedarf einer Erholung, eines Übergangs von den Schlupfwinkeln der Zigeuner zu den Sälen der Residenz, und zu dieser Zwischenstufe eignet sich so ein Schwarzwälder Pfarrhaus vortrefflich. Bleib einige Wochen mit ihm bei uns, wir wollen ihn vollends nüchtern machen; du darfst meine Psychologie, meine Beredsamkeit nicht so gering anschlagen.«

Heinrich fand den Vorschlag gar nicht unwillkommen. Daß man sie nicht gleich, vielleicht nie wieder in jene glänzenden Zirkel zurück= führen könne, hatte er sich unterwegs oft vorgesagt; er hoffte vom Herzog, an den er nach erreichtem Zwecke sogleich einen Boten abzufertigen gedachte, leicht die Erlaubnis zu diesem stillen Ferienleben zu erhalten, und wie schmeichelte er seinem Herzen mit nie ganz unterdrückten Hoffnungen, wenn er sich ein wochenlanges, enges, trauliches Zusammensein vorstellte. Was seine Wirte dazu sagen würden, wenn sie entdeckten, daß der Flüchtling kein Karl, sondern eine Amalia sei; was dieser Umstand für Folgen haben könnte, wollte er sich nicht vorher ausmalen, er verlief sich auf den entscheidenden Moment und im Notfall auf den Eindruck, den der Stand seiner Schutzbefohlenen auf die Pfarrfrau machen würde, die er bereits für die Rückreise zur Ehrendame des Fräuleins erkoren hatte. »Hat dich am Ende gar der Herzog, dessen Auge alles durchdringt, mit Absicht zu ihrem Verfolger und bitter erwählt?« dachte er und hatte Mühe, sich aus seinen schwindelnden Träumen zu reißen, um dem Freund eine Antwort zu geben. Er drückte ihm herzlich die Hand und versprach, zu tun, was die Umstände erlauben würden.

Unter diesen Gesprächen langten sie in dem Wirtshaus an und trafen zu Heinrichs Erstaunen einen sehr trinkbaren Wein. »Das ist schon kein Württemberger mehr,« sagte der Pfarrer, »hier herum triffst du lauter Rheinwein, nicht gerade von der ersten Sorte, aber dafür desto wohlfeiler. Komm, das erste Glas der schönen alten Zeit!« – Sie stießen an, und bald war alles andere vergessen und verdrängt durch Universitätserinnerungen. Eine Schnurre wurde durch die andere hervorgerufen. »Und weißt du auch noch?« – »Ja, und damals« – »Du warst ja auch dabei« – so ging es Schlag auf Schlag. Dann tauchten die lustigen Trinklieder wieder auf, die eine so kindlich frohe Stimmung mit sich bringen, daß man nicht mehr daran denkt, wie unsinnig sie größtenteils sind; ja der Pfarrer entblödete sich nicht, zuletzt noch den »Mann in der Lämmerlämmergass« anzustimmen, das absurdeste Lied, das je von Studenten gedichtet und gesungen worden ist, und Heinrich, obgleich ihm innere Vorwürfe über solch zweckloses Treiben bei einer schwierigen und noch dazu vielleicht gefährlichen Sendung aufstiegen, konnte doch der Weinlaune des alten Freundes nicht widerstehen, der hier in sicherer Ferne von dem gestrengen Konsistorium die einsame Wirtsstube mit Gesang und Gelächter erfüllte.

Unter solchen Umständen darf man sich nicht wundern, daß die Nacht schon stark hereingebrochen war, als der Pfarrer endlich an den Rückzug dachte. Der Himmel hatte sich bewölkt, und es war sehr finster. Sie nahmen einen Bauer, der ihnen mit der Laterne vorleuchten mußte. Kaum waren sie in der frischen, schneidend kalten Luft, so zeigten sich die Wirkungen des Weins am Pfarrer; er schwankte wie ein mächtiger Baum, der nach langem Widerstande dem wiederholten Angriff des Sturmes nachgeben muß. Auch Heinrich fühlte sich nicht ganz fest auf den Beinen und folgte mit Mühe dem Bauer, der bald wieder heimzukommen wünschen mochte und mit starken nüchternen Schritten vorausging. Dabei hatte er noch seine liebe Not mit dem schweren Zechkumpan, dessen Kopf auf seiner Schulter ruhte; denn er hatte ihn unter dem Arm gefaßt und schleppte ihn mit großer Anstrengung fort.

Auf einmal fiel ihm etwas kalt ins Gesicht. »Es schneit,« rief der Bauer im gleichen Augenblicke, »Herr Gott, das rieselt!«

»Das kommt stark,« sagte Heinrich, »macht nur vorwärts.«

Der Pfarrer ermunterte sich ebenfalls und rief: »Aha, Bettelbuben? Eben hat es mir einen ins Gesicht geschneit.«

Der Bauer suchte einen Stein, um ihn als Dach gegen den Schnee auf die Laterne zu legen, und sie eilten im heftigsten Schneegestöber vorwärts. Jetzt kamen sie an den Steg, der über den Bach führte; der Pfarrer hielt sich dicht an den Führer. »Gemach, gemach!« rief Heinrich, »eilt nicht so, ich sehe ja nichts!«

Während aber der Bauer sich mit der Laterne nach ihm umwandte, glitt Heinrich im Schnee aus und stürzte mit einem mächtigen Plump von dem Stege, der nur auf einen Seite ein Geländer hatte, in den Bach.

»Herr Jesus!« rief der Pfarrer, »kannst du schwimmen?«

Der Bauer leuchtete gleichmütig hinunter, hielt aber die Laterne schief, so daß der Stein ebenfalls ins Wasser fiel; im selben Augenblick zischte das Licht von einer hineingefallenen Schneeflocke und erlosch.

»Jetzt ist's aus!« sagte der Pfarrer.

»Helft mir nur das steile Ufer herauf!« rief Heinrich drunten, »aus dem Wasser bin ich schon!«

Die beiden eilten in der Finsternis hinzu, und es hielt schwer und gelang nur durch das feste Anstemmen des Bauern, den armen, triefenden Jüngling heraufzuziehen.

»Jetzt eilt, daß wir nach Hause kommen,« rief er, »der Frost schüttelt mich!«

Sie suchten den Fußpfad wieder. »Hier,« sagte der Bauer, »dürfen die Herren nur gerade vor sich gehen und sich links gegen den Berg halten, daß sie nicht noch einmal an den Bach kommen.«

»Ihr geht doch mit, Freund?« rief der Pfarrer.

»Ich bin jetzt zu nichts mehr nutz,« erwiderte jener, »da ich kein Licht mehr habe, und euer Weg ist leichter zu finden als der meinige. Wenn ich nur schon über den Steg wäre, hörten sie ihn bereits in einiger Entfernung sagen; nach einer Weile brummte er. »Gottlob!« und war in der Nacht verschwunden, ohne eine Bezahlung abzuwarten.

»Alle Teufel! Der Flegel sorgt für seine eigene Haut!« rief der Pfarrer.

»Natürlich,« versetzte Heinrich, »in kurzem liegt der Schnee wenigstens einen Schuh hoch. Mach nur, daß wir vorwärts kommen, ich fühle, daß ein Fieber im Anzug ist.«

Sie eilten, was sie konnten; die Beschwerde vergrößerte sich mit jedem Schritt; das Gestöber schien immer dichter zu werden, der Wind wehte es ihnen gerade ins Gesicht, so daß sie nur mit Mühe dagegen vordringen konnten.

»Man hat ein Gefühl, als ob man einen Berg hinanstiege,« sagte Heinrich, »wenn man so gegen den Schnee arbeitet.«

»Nur immer links!« rief der Pfarrer mit noch etwas schwerer Zunge.

»Jetzt sollten wir aber doch an dem Dorfe sein,« sagte Heinrich ungeduldig, nachdem sie sich lange Zeit schweigend durchgekämpft hatten.

»Weiß der Henker, wo es steckt,« erwiderte der Pfarrer.

Nach einer Weile fiel er hin, er raffte sich auf, von Heinrich unterstützt, und sagte: »Nun können sie morgen kommen und einen Pfarrer im Schnee suchen.«

»Weißt du, warum du gefallen bist?« rief Heinrich und hieß ihn still stehen; »wir sind zu weit links gegangen und steigen schon eine gute Weile bergan. In dieser weißen Finsternis merkt man's nicht, bis der Fuß an den steileren Abhang stößt.«

»Das ist eine schöne Geschichte!« rief der Pfarrer, »jetzt ist guter Rat teuer.«

»Komm nur,« sagte Heinrich und nahm ihn am Arm, »jetzt müssen wir uns wieder ganz rechts wenden, um ins Tal zurückzukommen.«

Sie fühlten sogleich, daß der Weg abwärts führte, und stiegen, den Schneesturm im Rücken, bald ausgleitend, bald hinfallend, so langsam und vorsichtig als möglich hinab.

»Jetzt immer zu, immer zu!« rief der Pfarrer.

Sie gingen auf ebenem Boden, aber in immer tieferem, pfadlosem Schnee mühselig fort. Es mochte eine Stunde seit Heinrichs Unfall verlaufen sein. »Halt!« gebot dieser endlich, »da geht's ja schon wieder bergauf!«

Sie blieben ratlos stehen. »Das ist eine Nacht!« rief der Pfarrer.

»Horch!« rief Heinrich, »hast du nichts gehört? Ein Glockenton? Und jetzt wieder!«

»Ganz verloren!« sagte der Pfarrer, »der Schnee läßt ihn nicht recht durch die Luft dringen.«

»Aber ich habe mir gemerkt, wo er herkam!« rief Heinrich freudig, »komm, folge mir, er führt uns in irgend ein Dorf.«

Sie traten ihre Irrfahrt wieder an und waren kaum fünfzig Schritte, um sich hertastend, rückwärts gegangen, so stieß Heinrich an einen Gegenstand, den er für ein Haus erklärte. Sie umgingen es auf allen Seiten, und als sie die Türe gefunden hatten, pochte der Pfarrer heftig an und rief mit donnernder Stimme: »He da! Aufgemacht! Aufgemacht! Sagt uns, wo wir sind, und führt uns ins Wirtshaus!«

Ein Fenster öffnete sich, und eine Männerstimme rief heraus: »Hier gibt's kein Wirtshaus!«

»Was? Kein Wirtshaus?« rief der Pfarrer, »jetzt sind wir vollends in der Patsche!«

»Ist Er's, Herr Pfarrer?« fragte der Mann lachend, »Er braucht kein Wirtshaus, Er ist ja in seinem eigenen Dorf.«

» Was bin ich?« rief der Pfarrer, »ich wollte ich wär' –«

»Guter Freund!« erhob Heinrich seine Stimme, »seid so gut und zeigt uns den Weg ins Pfarrhaus! Wir haben uns verirrt und sind so vom Schnee geblendet, daß wir uns nicht einmal hier mehr zurechtfinden können.«

»Bitt' dich ums Himmels willen!« flüsterte der Pfarrer, »er muß uns ja für betrunken halten! – Sagt mir nur, an welchem Haus ich bin,« rief er laut, »ich will mich schon zurechtfinden! Ich weiß nur nicht, wo und wie wir über Stock und Stein ins Dorf hereingeraten sind.«

»Er ist am Balthasar Haugen Haus!« antwortete der Bauer, und Heinrich mußte hell auflachen, als er in diesem Erdenwinkel den gelehrten Namen hörte.

Nach einer Viertelstunde hatten sie das Pfarrhaus erreicht, und hier ergab es sich, daß die Pfarrerin in ihrer Besorgnis, da die Männer so lang ausblieben, in die Kirche gelaufen war und die Glocke gezogen hatte. Sie war eben im Begriffe, Boten nach ihnen auszusenden. Der Pfarrer umarmte sie lebhaft und rief: »Ohne dich ruderten wir noch da draußen herum und wären wahrscheinlich über Nacht erfroren.« – Sie sah ihn aber von der Seite an, entwand sich seinen Armen und sagte: »Du kannst doch nie ordentlich nach Hause kommen!«

Der Pfarrer erblickte eine Gruppe von Leuten, die etwas zu tragen schienen.

Das Wohnzimmer war angenehm erwärmt; hinter der Türe eines Schrankes wechselte Heinrich seine Kleider und zog einige abgetragene vom Pfarrer an; da dieser nur einen einzigen Rock besaß, mußte sich der Gast in seinen Kirchenrock hüllen. Er betrachtete sich und gedachte des Berufs, zu dem er einst bestimmt war. Indessen hatte die Pfarrerin ein Bett aufgemacht; sie hing seine Kleider in die Nähe des Ofens und trug einen Kaffee auf, der diesmal ungeschmälzt war und unserem frostdurchschauerten Helden sehr zu statten kam. Seine Wirte ließen ihn bald allein, er legte sich zu Bette und dachte im Einschlafen unwillkürlich an den Vers, den er an des Pfarrers Betthimmel gelesen hatte.

Ob dieser unter seiner Jakobsleiter, ohne daß ihm seine Frau einen lehrreichen Abendsegen las, zur Ruhe gekommen ist, wissen wir nicht; aber bald nach Mitternacht erwachte er wieder und fühlte einen brennenden Durst; während er nun aufstand, um diesen zu befriedigen, glaubte er vor dem Hause ein Geräusch zu vernehmen. Er trat ans Fenster und öffnete es leise. Drunten vor der Haustüre erblickte er einen Haufen Leute, beschäftigt, wie es ihm schien, die Türe zu öffnen. Er rieb sich die Augen und wußte nicht, ob er wache oder träume. Der Himmel war hell, und auf dem Boden lag hoher Schnee. Er sah noch einmal hin, und die Erscheinung war wie zuvor; in einiger Entfernung erblickte er eine Gruppe, dicht aneinander gedrängt; sie schienen etwas zu tragen, und er war ungewiß, ob sie sich näherten oder entfernten. »Was tu' ich?« dachte er, »wenn ich auch das ganze Haus alarmiere, so sind wir doch nicht Manns genug, um es mit einer solchen Bande aufzunehmen. Vielleicht lassen sie sich abschrecken.« – Er ergriff einen Fensterladen und warf ihn mit großer Gewalt an die Wand; der Schlag war so heftig, daß es ihm selbst vorkam, als wäre ein Schuß gefallen. Vorsichtig sah er hinaus und bemerkte mit Freuden, daß seine Demonstration gewirkt hatte; wenigstens entfernten sich die Nachtgesellen eilig, und bald war drunten nichts mehr zu erblicken. Im Hause blieb alles still. Der Pfarrer wollte niemand beunruhigen; er aß von dem frischgefallenen Schnee auf dem Fenstergesimse und legte sich hinlänglich abgekühlt zu Bett. Seine Frau bewegte sich unruhig, er aber schlief schnell wieder ein, und die Begebenheit hatte nur den leichten Eindruck eines Traumes in seiner Seele zurückgelassen.

O könnt' ich ihn mit diesen Armen weit
Hinübertragen in ein glücklich Land,
Wo Friede wohnet und wo Freude blüht,
Wo dem Erwachenden sein schweres Leid
Verschwunden wäre wie ein böser Traum.

Uhland, Herzog Ernst.

Der Pfarrer wäre den anderen Morgen nicht allzu zeitig erwacht, hätte seine Frau ihn nicht angestoßen. Er gähnte und legte sich auf die andere Seite, um den hartnäckigen Schlummer fortzusetzen, mußte aber endlich den wiederholten Ermunterungen gehorchen und erhob sich seufzend, mit dem demütigen Bewußtsein, daß seine gestrenge Hälfte diese Schlaftrunkenheit mit Recht einer nicht gar löblichen Ursache zuschreibe. Als er das Fenster öffnete, sah er einen Haufen verworrener Fußstapfen, welche ihn plötzlich an seinen Traum erinnerten. Eine böse Ahnung überfiel ihn. »Röse, das war kein Traum!« rief er seiner verwunderten Gattin zu und eilte, nach seinem Gast zu sehen.

Er fand das Bett leer; die Kleidungsstücke waren fort, bis auf den Rock, der noch hinter dem Ofen hing. Er rief und suchte im Haus umher: keine Antwort. Er eilte hinaus in der schwachen Hoffnung, der Freund habe vielleicht einen Morgenspaziergang gemacht. Aber er konnte außer den Fußstapfen, welche den nächstgelegenen Berg hinanführten, keine einzelne Spur entdecken, und so hatte er bald die Gewißheit, die er so lang von sich zu weisen gesucht.

»Alles richtig!« sagte er, als er zurückkam, »er ist gestohlen worden.«

»Gestohlen?« rief die Pfarrerin mit Entsetzen und rannte hinweg, um nach ihrem Eigentum zu sehen, kam aber beruhigt wieder zurück und fragte, »wer gestohlen sei und von wem?«

Matthäus saß ratlos am Tische, den Kopf auf den Arm gestützt, und versetzte unwillig: »Nun, ich sage dir's ja, die Zigeuner haben unseren Gast gestohlen.«

»Die Zigeuner? Gestern sah ich einen um die Kirche herumgehen.«

»Unseliges Weib! Warum hast du uns das nicht gleich gesagt! Jetzt sind sie uns zuvorgekommen.«

»Aber was hat er denn mit den Zigeunern zu schaffen, oder die Zigeuner mit ihm? Sie stehlen doch sonst keine so alten Kinder?«

»Geschwätz!« rief der Pfarrer, »er kam ja ausdrücklich, um sie auszuspionieren.«

»Ausspionieren!« sagte die Pfarrerin verächtlich, »ich habe den sauberen artigen Menschen für was Ordentliches gehalten, und nun ist er ein Spion. Der ist wohl fort. Was gibst du dich auch mit solchen Leuten ab?«

»Das verstehst du nicht!« rief der Pfarrer zornig.

»Ja, ja!« brummte die hübsche Frau und ging an ihre häuslichen Geschäfte.

»Was tun jetzt?« rief der Pfarrer und ging im Zimmer auf und ab. »Wie dumm! Sein Überrock hängt ja noch hinter dem Ofen! Also hab' ich auch die Papiere und kann ein paar Ämter nach ihm aufbieten!«

Der halbnasse Rock war freilich da, aber die Brieftasche war ebenfalls verschwunden. »Die sind klüger als wir!« sagte er, den Finger an die Nase legend.

Während er nun dieser wunderbaren und schreckenvollen Begebenheit nachsann, kam ein Bote, den seine Frau nach allerlei Luxusartikeln ausgeschickt hatte, aus dem ziemlich entlegenen Amtsstädtchen zurück und brachte statt des Zuckers, der dem Krämer ausgegangen war, ein herrschaftliches Schreiben mit, worin die längst nachgesuchte Verbesserung der Haustüre endlich bewilligt war, nebst dem mündlichen Beifügen des Amts, daß der Schlosser morgen schon eintreffen werde.

»Hol ihn der Teufel!« rief der Pfarrer wütend, »hätte er nicht gestern kommen können? Röschen,« sagte er zu seiner Frau, die eben mit dem Frühstück hereintrat, »ich habe mich jetzt aus der ersten Betäubung erholt, und es ist mir klar, was ich zu tun habe. Höre mich an, mein Kind, und sei fein vernünftig. Packe mir Mundvorrat zusammen und etwas Trinkbares; ich werde einige handfeste Bursche mitnehmen und vielleicht mehrere Tage ausbleiben. Es ist Freundespflicht, hörst du? Und zwar ohne Verzug!«

Die Pfarrerin deutete statt aller Antwort nach dem kleinen hölzernen Glockenturm, von wo soeben das erste Zeichen zum Gottesdienst erscholl. »Und wer wird dann predigen?« sagte sie.

Der Pfarrer, der nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, eilte ans Fenster und befahl, alsbald beide Glocken anzuziehen, denn so hoch belief sich sein Kirchengeläute, und den Schulmeister an seinen Posten zu rufen. »Ich will die Predigt sogleich halten,« sagte er, »und will's kurz machen. Was ich vorhabe, ist auch ein Gottesdienst. Gib mir schnell meinen Kirchenrock.«

Die Pfarrerin ging nach dem Kasten, kehrte aber nach einigen Schritten wieder um und sagte. »Den hast du ja gestern abend dem jungen Herrn angetan.«

Der Pfarrer sah sie mit weit aufgerissenen Augen an und sprach kein Wort, denn er wußte schon genug. Seine Frau aber, die nach dem Bette des Gastes geeilt war, rief in der äußersten Bestürzung: »O, wie ist die Welt so schlecht! Die Spitzbuben haben ihn in deinem Kirchenrock fortgeführt! Hätte er denn nicht schreien können?«

»Sie werden ihm schon fürs Schreien getan haben,« versetzte der Pfarrer. »Das hat sein junger Phantast angezettelt; übrigens ein Trost für uns und eine Hoffnung, daß ihm nicht viel Böses widerfahren wird.«

»Sorg du für dich selber!« rief die Pfarrerin, »eine Predigt und kein Kirchenrock! Du bist um den Dienst,« setzte sie lautweinend hinzu.

»Im Kirchenrock unter den Zigeunern!« rief der Pfarrer, ohne auf diese Besorgnis zu achten, und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Nun, was mich betrifft,« sagte er, als er sich erholt hatte, »so kann ich mir mit dem heutigen Evangelium gut durchhelfen. Gib mir nur meinen gewöhnlichen Überrock; sie läuten schon zusammen.«

»Die Leute können ja kaum von den nächsten Häusern da sein!« entgegnete seine Frau.

»Tut nichts!« sagte er und begab sich zur Kirche, wo er die wenigen Versammelten, ohne die Kanzel zu besteigen, also anredete: »Meine lieben Bauern! Ich soll euch predigen, und zwar über das Evangelium von dem Manne, der kein hochzeitlich Kleid an hatte. Aber ich habe selbst keines an. Folglich kann ich euch auch nicht predigen. Mein Kirchenrock ist mir diese Nacht gestohlen worden und ein angesehener Gast dazu, der dem Herzog sehr am Herzen liegt. Ihr werdet euch deshalb gute Zeiten machen, wenn ihr mir ihn suchen helft. Kommt und nehmt noch andere mit! Die Willfährigsten dürfen sich auf eine schöne Belohnung gefaßt machen. Amen.«

Diese kurze Stegreifpredigt hatte eine größere Wirkung als vielleicht die studierteste Kanzelrede. Einige Riesen vom alten Flözerstamme erhoben sich, nachdem sie einander eine Weile angesehen hatten, und traten zu ihrem Seelenhirten; Nachkommende, mit ein paar schnellen Worten von Menschenraub und Belohnung verständigt, schlossen sich an. Der Pfarrer durchstreifte mit ihnen das schmale Tälchen, klopfte aus den vereinzelten Hütten seiner Gemeinde, hier aus einem Wäldlerhäuschen am Berg, dort aus einer Sägmühle am Wasser, noch einen und den anderen Streifer heraus, führte das ganze Kontingent zum Pfarrhause, wo seine Frau einen Heidelbeergeist herbeischaffen mußte, und dann ging es mutig den Berg hinan. Der Pfarrer, in großen Stiefeln an der Spitze seines Aufgebots marschierend, folgte den Schneespuren, welche weder in einen Pfad einlenkten, noch auch nur dem Zug einer Anhöhe oder eines Tales sich bequemten, sondern quer über die vielen Einschnitte der Gegend in beständigem Wechsel bergauf und bergunter leiteten. Der Feind mochte wohl auf ein fortdauerndes Gestöber, das seine Fußstapfen wieder verwischte, gerechnet haben. Als sie einige Stunden auf diesem mühseligen und schlüpfrigen Wege zurückgelegt hatten, kamen sie, schroff zwischen Tannen niedersteigend und vielfach ausglitschend, an das Ufer eines Flüßchens, worin beschneites Floßholz lag.

»Halt!« rief der Pfarrer, und seine Mannschaft stand still. »Hier gehen die Spuren aus,« sagte er, »diesseits und jenseits nichts zu erblicken. Geh einer am Bach hinauf und einer hinab, um zu sehen, ob sie irgendwo wieder zum Vorschein kommen.«

 

Die Beorderten lösten sich von dem Häuflein ab. Der Pfarrer trat näher an das Ufer und blickte zwischen die schneebedeckten Steinblöcke, die auf allen Seiten den Zugang versperrten. »Was ist denn das?« rief er auf einmal, »der Schnee weggescharrt, der Stein von frischem Rauch geschwärzt, und – ja wahrhaftig! Hier liegt noch eine verglimmende Kohle. Jetzt haben wir sie! Wir haben sie! Sie können noch nicht weit sein; hier haben sie Rast gemacht.«

Einer der Abgesandten kam zurück und berichtete, daß aufwärts am Wasser keine Spur zu sehen sei. Gleich darauf eilte der andere heran und winkte schon von weitem, »da unten sind sie!« rief er, und mit einem unterdrückten Freudenschrei drang der Pfarrer durch Gestein und dürres Gesträuch, seine Mannschaft hinter ihm her. Einen Büchsenschuß unterhalb der Feuerstelle sah man jenseits des Baches Fußstapfen, welche sich zwischen dichten Tannen verloren. Der Pfarrer setzte mit Hilfe seines langen, eisenbeschlagenen Stockes über das Wasser, blieb aber kopfschüttelnd stehen und sagte. »Das Ding will mir nur halb gefallen, es sind der Spuren viel weniger.«

»Denk' wohl, sie sind einander in die Stapfen getreten, die schlauen Vögel!« sagte einer der Bauern.

»Mag sein,« erwiderte der Pfarrer und stieg keuchend einen steilen Waldberg, den Zickzackspuren folgend, hinan. Sie führten von da zu einem noch höheren First, zwischen zahllosen aufgesetzten Klaftern von Scheiterholz hindurch, einer Vertiefung zu, wo ein Geräusch zu vernehmen war. Jetzt geriet das Aufgebot in nicht geringe Spannung; der Pfarrer, mit klopfendem Feldherrnherzen, gab einen Wink zum Stillstand, ging bei den einzelnen umher, sprach ihnen Mut ein, verteilte dann seine Truppen und führte sie in das Dickicht. Bald merkte er, daß er dem Ziele seiner Verfolgung nahe sei; er hielt vor der Stelle, woher das Geräusch gekommen war, und wartete, bis seine Streifmannschaft dieselbe rings eingeschlossen hatte. Dann kommandierte er mit lauter Stimme: »Vorwärts! drauf!« Und alle drangen zu gleicher Zeit hinein. Aber wie fand er sich enttäuscht, als er niemand anderes erblickte, als die beiden gestern ausgeschickten Späher, welche, ihren Auftrag sich trefflich zu Nutzen machend, beschäftigt waren, ein paar Klafter auf ungeheure Holzschlitten zu laden. Er trat einen Schritt zurück; sein Gefolge, das einen Augenblick mit aufgehobenen Knitteln und aufgesperrten Mäulern dagestanden hatte, brach in ein donnerndes Gelächter aus.

»Nun, das muß ich sagen!« rief der Pfarrer, nachdem er sich gefaßt hatte, »ihr seid pünktlich in eurer Verrichtung! Das also ist der Feind, gegen den man euch beordert hat?«

»Die stehlen das Holz und die Schlitten dazu,« flüsterte der Bauer, der ihn in der Wahl dieses Weges bestärkt hatte. »Es hat mir doch vorhin gleich geschwant,« fügte er bei, »daß die breiten Stapfen von Bauernfüßen kommen.«

»So? Und warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?« rief der Pfarrer.

Da er auf diese billige Frage keine Antwort bekam, so wandte er sich zu den beiden Spähern, welche verblüfft am Schlitten nestelten. »Habt ihr die Zigeuner gesehen?« fragte er.

»Nein, Herr Pfarrer!« antworteten sie wie aus einem Munde.

»Das glaube ich gern!« sagte er, »denn ihr waret ganz und gar auf dem Holzweg, und nun habt ihr auch uns noch darauf gelockt. Fort jetzt! marsch! Wir müssen geradeswegs zurück, und ihr beiden schließt euch an oder geht nach Hause; denn so ist's nicht gemeint, daß das Handwerk da meinen Segen haben soll.«

Rasch ging es in den trügerischen Spuren den Berg wieder hinab, und der Pfarrer, als er an das andere Ufer des Flüßchens zurückkam, gewahrte zu seinem Verdrusse jetzt erst, was er vorhin im Entdeckungseifer und vor den im Wege liegenden Felsblöcken übersehen hatte, daß die Fußstapfen seiner beiden sauberen Kundschafter auch diesseits weithin sichtbar waren, somit von den bisher verfolgten Spuren leicht hätten unterschieden werden können.

Der Bauer, der dem Pfarrer seine Weisheit zu vernehmen gegeben hatte, schlich sich zu den beiden verdrießlichen Nachzüglern und sagte leise: »Das Holz ist doch zu viel für euch, auf die Nacht will ich helfen; der Schnee kommt uns gut, wir riesen die Schlitten hinunter, und danach weiß ich einen geschickten Weg durchs Tal.«

»Den wissen wir auch,« war die kurze Antwort, welche den Bewerber veranlaßte, sich wieder zum Vortrab zu begeben.

»Diesen Umweg hätten wir uns ersparen können,« sagte der Pfarrer, als sie wieder an der Feuerstelle angelangt waren, »doch was gilt's? wir holen die Feinde noch ein.« – Er bedachte sich eine Weile, indem er in das Wasser blickte. »Da die Spuren hier aufhören,« sagte er endlich zu seinem Gefolge, »so kann ich nicht anders vermuten, als daß die Schelme im Wasser fortgegangen sind, und da ist's doch das wahrscheinlichste, daß sie den Weg aufwärts, dem tieferen Gebirge zu, genommen haben. Also laßt uns dem Bach entgegengehen, so gut es das Terrain erlaubt.«

Das Häuflein brach auf und schloß sich den Windungen des Wassers auf beschwerlichem, völlig pfadlosem Wege an, der bald von Steinblöcken, bald von überhängenden Tannen unterbrochen war. Der hartnäckige Bauer jedoch, der sich durchaus in die Kameradschaft der beiden Holzdiebe eindrängen wollte, machte sich von neuem zu ihnen und sagte: »Unsereiner muß doch immer bei den Zigeunern in die Schule gehen. Was das für ein verfluchter Einfall ist, im Bach zu gehen, damit man keine Fußstapfen sieht! Zwar unser Pfarrer ist auch nicht auf den Kopf gefallen, der kommt ihnen gleich hinter die Schliche. Aber ich denke dabei, mit dem Holz auf die Nacht könnten wir's auch so machen; wenn wir die Schlitten ins Wasser herunterbringen und führen sie darin fort, so verraten uns die Leisen nicht, und dem reichen Joggel tut's ja keinen Schaden.«

Die beiden anderen sahen sich an und wechselten beifällige Blicke. »Das ist auch wahr!« sagte endlich einer von ihnen, und so kam eine zögernde Unterredung zustande, welche dem Erfinder des Projekts Hoffnung gab, der dritte in diesem Bunde zu werden.


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