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»Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen,« erwiderte Heinrich.

»Nun, Sie haben mir wenigstens recht schön in die Hände gearbeitet; ich werde das zu rühmen wissen.«

»Hat Ihnen der Herzog vielleicht Aufträge gegeben?« fragte Heinrich. Bei Karls Neigung zu schnellen und wechselnden Entschlüssen war es nicht undenkbar, daß der Fürst ihm einen Gehilfen nachgeschickt habe.

»Vertrauen gegen Vertrauen,« sagte der Amtmann trocken und drehte an seinen Westenknöpfen.

»Nun, wir können ja morgen darüber sprechen,« versetzte Heinrich, »für jetzt, deucht mich, wissen wir genug voneinander, nämlich daß wir gemeinschaftlich auf Schubarts Wohl bedacht sind.«

»Gewiß!« erwiderte jener, indem er ihn zum ersten Male mit einem langen, ungewiß forschenden Blick betrachtete, »das sind wir, und in diesem Glauben können wir jetzt schlafen gehen. Ich habe das Vergnügen, angenehme Ruh' zu wünschen.«

»Was wollte mir denn der Mensch eigentlich sagen?« dachte Heinrich, als er sein Bett bestieg, »welche schnöde Neugier, mein Pferd auszuspionieren! Wenn der Herzog durch diesen mit einem Mann wie Schubart ins reine kommen will, dann hätte er meiner nicht bedurft. Aber vielleicht ist's bloße Zudringlichkeit. – Nun, ist doch nichts in der Welt vollkommen!« setzte er hinzu, während ihm schon die Augen zufielen, »bei alledem war es ein schöner, reicher Tag! Ob er wohl auch bei Schubart einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat? Ach, der hat mich in einigen Wochen wieder vergessen! An so einem berühmten Manne, der täglich neue Bekanntschaften macht, huschen die Menschen vorüber wie Schatten an der Wand. Nun, wenn alles wird, wie's werden soll, so kommen wir wieder zusammen, und vielleicht für lange Zeit. Gute Nacht, mein Lottchen!«

Als er den anderen Morgen aufstand und ins Wirtszimmer hinunterging, traf er Schubart und seinen Begleiter schon reisefertig bei einem Glase Wein; der Schlitten hielt vor der Türe. Heinrich aber fand es zu kalt zum Fahren und ließ schnell den Mustapha satteln. Eine Zeitlang ritt er neben dem rasch dahinklingelnden Schlitten und warf von Zeit zu Zeit einen Blick hinüber. Die beiden Männer saßen stumm nebeneinander, Schubart ließ den Kopf hängen, ein düsterer Gedanke schien sich seiner bemächtigt zu haben; die Miene des Amtmanns hatte etwas Gespanntes, Gebieterisches angenommen. Heinrich schrieb das Mißbehagen, das ihn gleichfalls ergriff, der Kälte zu. Als er die Felsenschlösser von weitem erblickte, blieb er zurück, um den armen Mustapha zu schonen. Die Sonne traf jetzt mit vollen Strahlen auf den Schnee, der wie ein diamantenbesäter Teppich im Tale flitterte.

Blaubeuren war erreicht. Er stellte das Pferd im Wirtshause ein und fragte nach der Wohnung des Klosteramtmanns.

»Wenn Sie noch einen Augenblick warten wollen,« versetzte der Wirt, »so können Sie mit dem Herrn Baron von Varnbüler und dem Herrn Oberforstmeister Grafen von Sponeck, die soeben im Zimmer drüben eine Tasse Warmbier zu sich nehmen, in Gesellschaft hingehen.«

»Was wollen denn diese Herren dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Das geschieht dem Dichter zu Ehren,« dachte Heinrich und ließ sich zu der Wohnung des Amtmanns weisen.

Er wurde dem Kloster zugeführt. »Die beiden anderen werden schon aufgetaut sein,« sagte er zu sich, »und ich werde bereits ein paar Bonmots verscherzt haben.« – Durch den Klosterhof gelangte er ins Amthaus und erstieg die Treppe wohlgemut. Als er sich nach dem Wohnzimmer umsah, erblickte er auf der Flur eine rundliche Frau, die ihm den Rücken bot; sie rang die Hände wie im tiefsten Jammer und schien sich nicht fassen zu können. Bei dem Geräusche wandte sie sich um, und er sah in ein Gesicht mit edlen Zügen, in Tränen gebadet, die ihm das tiefste Mitleid abnötigten. Er vermutete, die Frau vom Hause zu sehen, und ihm ahnte ein Unglück.

»Was ist geschehen?« rief er ihr entgegen, »ist den beiden Herren etwas widerfahren?«

»Wem?« fragte sie und ließ ihre Augen prüfend auf ihm ruhen.

»Ist denn der Schlitten noch nicht da?«

»O ja,« versetzte sie, »Herr Schubart und mein Mann sind glücklich angekommen. Was steht zu Befehl?« fügte sie etwas stutzig hinzu.

»Ich gehöre zur Gesellschaft, wenn's Ihnen genehm ist,« entgegnete er mit einer freundlichen Verbeugung, »der Herr Amtmann war so gütig, mich ebenfalls einzuladen.«

Sie bedachte sich einen Augenblick. »Sie müssen sich ein wenig gedulden,« sagte sie endlich und schien mit sich im Kampfe zu sein; »ich will Ihnen meines Mannes Arbeitszimmer öffnen; hier, wenn's gefällig ist, und« – ein beinahe flehender Blick begleitete diese Worte – »haben Sie die Güte, sich hier zu verweilen, bis ich Sie rufe.«

Mit diesen Worten machte sie die Türe hinter ihm zu. »Vielleicht ein häuslicher Kummer,« dachte Heinrich, »aber fürwahr ein seltsamer Empfang, das!« – Er sah sich um, besah flüchtig einige Kupferstiche an der Wand und trat zu einem Arbeitstisch, auf welchem Bücher und Akten lagen. Er erblickte ein Blatt von Schubarts Chronik und irrte mit den Augen darauf umher. Da stieß er auf eine grün angestrichene Stelle, die ihn in nicht geringe Bestürzung versetzte. Es war eine Klage über die Kinderlosigkeit so vieler deutschen Fürstenthrone; auch Württemberg war unter diesen genannt, und die Ursache, hieß es, sei leichter zu denken als zu sagen. – »O über den ewigen Störenfried!« rief Heinrich, »was geht denn ihn das an? er ist ja auch nicht rein! Wenn doch diese Zionswächter der Moralität bei sich selbst anfangen wollten! Aber wie stimmt diese Notiz zu meinem Auftrag? Ist sie älter oder jünger?« – Er sah nach der Nummer und hielt das Datum seiner Audienz auf der Solitüde damit zusammen, es war nicht klar zu entscheiden, der Herzog konnte das Blatt damals schon gelesen, er konnte es erst nachher bekommen haben; zudem war zu bezweifeln, ob Karl irgend eine Zeitschrift regelmäßig lese. Freilich hatte er einige Worte fallen lassen, die wenigstens so gedeutet werden konnten, als wüßte er um jene Beleidigung. »Ich kann nicht weitergehen,« dachte Heinrich, »ich muß vorher wissen, wie der Herzog das aufnimmt. Wenn er wüßte, daß der Unbesonnene jetzt auf seinem Boden ist – aber der Amtmann will ja auch Aufträge haben – der Amtmann? O mein Gott, jetzt seh' ich!« – Wie ein Blitz zuckte ihm eine Klarheit durch die Seele, instinktmäßig fuhr er auf, den verratenen Mann zu retten, die Verfolger waren ja schon angekommen. Jetzt durchschaute er die Absicht der gutgesinnten Frau, sie hatte ihn, den sie demselben Lose verfallen glaubte, auf die Seite bringen und verbergen wollen, bis alles vorüber wäre.

Er riß eine Tür auf, die in ein Schlafzimmer führte. Er eilte hindurch, öffnete eine zweite, und in diesem Augenblick hörte er die metallene Stimme, die er gestern bewundert hatte, mit festem und starkem Tone sagen: »Ich hoffe, der Herzog werde mich nicht ungehört verdammen, noch weniger mich im Kerker verfaulen lassen.«

Er sah sich um und fand – Schubart von einem Offizier und einigen Männern in Ziviluniform umringt und verhaftet. Zwei Soldaten hielten die Türe besetzt. Der Amtmann ging mit bedauernder Gebärde im Zimmer hin und her. »Mir ist's leid!« wiederholte er fort und fort, »Gott weiß, mir ist's leid!« Seine Frau stand mit gerungenen Händen da. Ein Mädchen, über ihr Spinngeräte gebeugt, hüllte ihr Gesicht in die Schürze. Sprachlos und vernichtet mußte sich der Jüngling an den Türpfosten lehnen. So sah er vom Nebenzimmer aus, wie der Gefangene abgeführt wurde, wie einer der Zivilbeamten ihm herzlich die Hand drückte, für die kalte Reise seine Handschuhe mitgab, und der Major mit Teilnahme und Schonung ihn hinausbegleitete. Alle folgten, und Heinrich legte die Hand an die Stirne, ob er nicht geträumt habe; da er aber den menschlich fühlenden Beamten bemerkte, der allein zurückgeblieben war und sich mit der Hand über die von Tränen schimmernden Augen fuhr, eilte er auf ihn zu, faßte ihn krampfhaft am Arm und sagte mit zitternder Stimme: »Mein Herr! ich habe ein gewisses Recht, mich in diese Sache zu mischen – ich will es Ihnen dartun – ich will Ihnen alles anvertrauen – kehren Sie sich nicht an meine Verwirrung – wollten Sie mir zwei Worte vergönnen?«

»Reden Sie!«

»Nicht hier, o nicht hier!« rief der Jüngling, »hier ist die Luft vergiftet! ich bitte, gönnen Sie mir in einem anderen Zimmer Gehör!«

Heinrich sah, wie der Gefangene abgeführt wurde.

Der Beamte nahm ihn stillschweigend bei der Hand und führte ihn in ein anderes Zimmer. Heinrich stammelte eine Erzählung von den Absichten des Herzogs auf Schubart, von jenem Auftrag und seiner Reise heraus.

Der Beamte zuckte die Achseln. »Eine so schnelle Umwandlung aller Vorsätze,« sagte er, »ist mir unbegreiflich; gleichwohl hat sie stattgefunden, wenn ich Ihnen glauben darf, worin ich keinen Augenblick anstehe. Hier, sehen Sie die Verhaftungsorder.« – Sie war nur um einen Tag jünger als sein Auftrag. – »Wenn ich meinen Vermutungen Raum geben darf,« fuhr der Beamte fort, »so war diese Szene längst vorbereitet; aber nach dem, was Sie mir sagen, scheint der Herzog Gnade und Ungnade gleich abgewogen und, vielleicht selbst ungewiß, dem Zufall oder dem Schicksal des unglücklichen Mannes überlassen zu haben. Sein böser Stern hat die Ungnade auf sein Haupt gelenkt, und sie wird ihn schwer drücken. Vermag ich etwas über Sie, mein Sohn, so bitten Sie beim Herzog für Schubarts Familie, er hinterläßt sie in tiefer Not, sie hat, wie ich weiß, nur noch für ein paar Tage zu leben. Bitten Sie ihn! er ist menschlich, wenn auch leidenschaftlich; ich werde dasselbe tun. Leben Sie wohl.«

»Leben Sie wohl!« rief Heinrich, »bin ich denn so ganz hilflos? Dort muß ich einen verratenen Freund abführen sehen, und hier muß ich einen Biedermann zurücklassen an der Seite eines –«

Der Beamte drückte ihm den Finger auf die Lippen. »Still!« sagte er, »ich darf nicht hören, was Sie sagen wollen. Wenn ich bedenke, wie Vorurteile und falsche Rücksichten einen Mann, der mir so manches Jahr schon rechtlich und tadellos zur Seite stand, zu einer solchen Tat veranlassen konnten, so möcht' ich blutige Tränen weinen.« – Er ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, eine ehrwürdige, gebeugte Gestalt, dann trat er vor den jungen Mann und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Dies ist,« sagte er mit leiser Stimme und vorsichtigem Blick, »dies ist wieder ein Beweis, wie sehr unser Beamtenstand gehoben zu werden bedarf. Dieser Mann hat es nicht aus Geiz getan, denn er ist wohltätig, ja er opfert sein Vermögen; auch bekommt er nichts für diesen Fang, ich weiß vielmehr, der Herzog ist noch sehr im Rest bei ihm; ich wage nicht einmal zu sagen, aus Ehrgeiz, denn er ist, soviel ich weiß, mit seinem Posten zufrieden, sondern aus Diensteifer! Fragen Sie Männer wie Moser und Huber, wie sie über die Tat dieses Mannes urteilen werden. Glauben Sie, dieser Mann ist nicht der einzige, der die Befehle des Herrn für absolut und einen unruhigen Schriftsteller – einen Grenzfeind seines Herzogs, wenn ich so sagen darf – für ein rechtloses Subjekt ansieht, dem man nicht einmal ein moralisches Benehmen schuldig ist. Überdies behauptet er, er habe ihn gewissermaßen gewarnt. – Sie sind noch jung, mein Freund, und ich habe Vertrauen zu Ihnen, wenden Sie Ihr Leben dazu an, den Samen echter Bildung auszustreuen; denn diese ist es allein, was den Menschen auf eine höhere Stufe hebt, der ohne sie, er sei, was er wolle, doch immer nur ein Sklave bleibt.«

Er umarmte den Jüngling, der, sich seiner kaum bewußt, aus dem Hause fortstürzte, sein Pferd aus der Herberge riß und wie ein Rasender durch die noch immer versammelten Volkshaufen sprengte. Nicht weit von der Stadt traf er auf den Wagen, in welchem Schubart abgeführt wurde. Er bog links ab, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, denn was konnte er ihm jetzt sein?

Ein augenblickliches Gefühl trieb ihn nach Reutlingen, es war ihm, als müßte er in dem friedlichen Hause des Bürgermeisters Trost suchen. Aber es war nur das Gefühl eines Augenblicks; als er an die Wegscheide kam, lenkte er mit Heftigkeit rechts ein und ritt über Urach ins Unterland. Dort war der Schnee schon wieder geschmolzen, und er ritt, schläfrig und gedankenlos über dem Pferde hängend, durch einen tiefen Kot.

In jenem sel'gen Augenblicke,
Ich fühlte mich so klein, so groß!
Du stießest grausam mich zurücke
Ins ungewisse Menschenlos.

Goethe, Faust.

Als unser Freund wieder in Stuttgart eingeritten war und sein Pferd in den Marstall zurückgesandt hatte, war es sein erstes Geschäft, sich nach dem Aufenthalt des Herzogs zu erkundigen. Er wollte zu ihm eilen, dringend sich für den unglücklichen Schubart verwenden – noch immer hatte er Zweifel: vielleicht war es mit der Verhaftung nicht so ernst gemeint, vielleicht war es nur auf einen Schreck abgesehen, und alles konnte sich noch heiter lösen. Aber leider! Auf seine Anfrage erfuhr er, der Herzog befinde sich mit der Gräfin von Hohenheim auf dem Asperg, um für den Gefangenen einen engen Käfig zurichten zu lassen und bei seiner Einsperrung zugegen zu sein. Er konnte nicht länger zweifeln.

Abends kam der Herzog zurück und verweilte den folgenden Tag in seiner Residenz. Heinrich ging, so früh als er's wagen durfte, ins alte Schloß und ließ sich melden. Nach einer starken Stunde wurde er vorgelassen. Der Herzog stand an ein Tischchen gelehnt, die dichten blauen Vorhänge warfen einen blassen Schatten über sein Gesicht, er musterte den Eintretenden vom Kopf bis zu den Füßen: »Wer ist Er?« rief er ihm herrisch entgegen.

»Heinrich Roller, den Eure Durchlaucht nach Ulm zu senden die Gnade gehabt haben.«

»Ah so! Unser Abenteurer von neulich! Er hat schlechte Geschäfte gemacht.«

»Wie?« rief Heinrich, »also geschah es wirklich auf Befehl Eurer Durchlaucht –?«

»Seh doch einer! Ich glaube gar, Er will mich konstituieren? Er?«

»Geruhen Eure Durchlaucht,« entgegnete Heinrich, »mir keine Anmaßung zuzutrauen; aber nach dem Auftrag, dessen ich gewürdigt worden bin, ist es wohl natürlich, daß mir die schnelle Wendung dieser Angelegenheit kaum glaublich sein kann, zumal ich nicht weiß, was der Unglückliche verbrochen hat?«

»Und das ist Er gekommen, mich zu fragen?«

»Ich bin gekommen,« rief Heinrich mit überwallendem Herzen, »um Gnade für einen Mann, der verräterisch ins Netz gelockt worden ist, und für seine hilflos hinterlassene Familie zu flehen.«

»Für die Familie ist gesorgt, besser als jemals,« sprach der Herzog, »für Seinen Zeisig ist ebenfalls gesorgt, und, damit Er Satisfaktion hat, proditorem odi. Will Er sonst noch was?«

»Die Pfarre von Illingen, wenn Eure Durchlaucht gnädigst geruhen wollen.«

Der Herzog trat einen Schritt zurück und maß ihn mit den Augen. »Ich glaub' Er hat sich wieder auf Seinen ritterlichen Ackergaul gesetzt,« sagte er endlich. »Was will Er denn Seinen Leuten vorpredigen? Er hat ja noch gar nichts erlebt.«

»Gnädigster Herr, ich habe von dem verworrenen Lauf der Welt mehr gesehen, als ich mir jemals wünschen mochte, und es bedarf keiner weitläufigen Erfahrung, um die mir anvertrauten Seelen in ihren einfachen Pflichten zu erhalten.«

»Ja,« rief der Herzog, »so treulich, daß diese Einfalt, wenn sie mit der Vielfältigkeit zusammentrifft, gleich strauchelt und elendiglich hinfällt. Ich kenne das, ich hab' in meinen jüngeren Jahren auch so einen Magisterstraktat geschrieben. Da wird die Tugend ganz weiß und das Laster ganz schwarz gemalt, und hernach, wenn sich die arme Seele in der Welt umsieht, so sind die beiden Farben nirgends zu finden. Wär's nicht mit zu großen Schwierigkeiten verknüpft, so hätt' ich dem Unfug schon längst gesteuert, daß man euch junge Leute gleich aus eurer Lernhöhle weg auf die Kanzel stellt; denn von Gott und rechts wegen sollte man keinen zum Pfarrer machen, der sich nicht wenigstens zehn bis zwölf Jahre tüchtig in der Welt herumgetrieben hat.«

Heinrich verbeugte sich schweigend.

»So ist Er zum Beispiel,« fuhr der Herzog fort, nachdem er ihn eine Weile fixiert hatte, »so ist Er jetzt voll moralischen Ingrimms, weil Er zum ersten Male auf eine kuriose Art mit der Welt zusammentrifft. Aber hätte Er in die Karten sehen können, so würde Er ganz anders urteilen.«

»Gnädigster Herr,« sagte Heinrich, »ich bin nicht gekommen, zu urteilen, sondern um Gnade zu bitten.«

»Die soll Ihm auch gewährt werden, wenn's an der Zeit ist,« versetzte der Herzog. »Für jetzt kann Er zufrieden sein, daß ich Seinen Mann gerettet habe. Ja, seh' Er mich nur an, so groß Er will! Wenn er nicht auf dem Asperg säße, so ging' er jetzt irgend einem ungarischen Schloßverließ und daselbst der Tortur und dem Hungertod entgegen.«

»Wegen einer Kleinigkeit –«

»Diese Kleinigkeit war unter den jetzigen politischen Konjunkturen ein sehr dummer Streich, umsomehr, als er schon ein volles Kerbholz in Wien hatte. Ich erfuhr das Vorhaben, kaum als Er weggeritten war, und man konnte nicht mehr zögern. Nun, wie ist denn Seine Reise abgelaufen?«

Heinrich mußte erzählen und malte mit so starken Farben, daß der Herzog zuletzt finster sagte: »Was kann ich davor, daß meine Order auf so plumpe Weise ausgeführt wurde? Übrigens ist Seines Helden Zartgefühl auch nicht groß. Da les Er zum Beispiel,« fügte er hinzu, indem er ein Blatt vom Tischchen nahm, »les Er! Und es ist nicht die einzige Sottise, die Sein Chronist begangen hat.«

Heinrich las und erkannte mit Bestürzen Schubarts Hand; der Himmel mochte wissen, welchem Unvorsichtigen oder Bösgesinnten er das Epigramm anvertraut hatte, und auf welchem Weg es so unglücklich an die rechte Behörde gekommen war.

»Les Er's laut!« rief der Herzog.

»Gnädigster Herr!«

»Ich sag', Er liest mir's vor!«

Da half kein Protestieren noch Bitten; Heinrich mußte den fatalen Vers laut und vernehmlich lesen!

»Als Dionys zu Syrakus
Aufhören muß
Tyrann zu sein,
Da wird er ein Schulmeisterlein.«

Eine beigeschriebene Chiffre bezeichnete den Stifter der Akademie deutlich genug.

»Na, das soll er nicht in den Wind gesprochen haben,« versetzte der Herzog, als unser Freund gelesen hatte, »ein Schulmeister will ich ihm sein, und ich hoffe, die Lektion soll ihm wohlbekommen. Eigentlich wär' es die glänzendste Strafe, wenn ich ihn dafür in die Akademie unter die jungen Leute steckte, aber das geht nicht an, er ist zu alt und hartgesotten dazu. Drum hab' ich ihn anderswohin getan und will an ihm nachholen, was in seiner Jugend versäumt worden ist und was wir neulich besprochen haben, die Erziehung. Da wird's nun ganz von ihm selbst abhängen, wie lang dieser Kursus dauern soll: sowie er zur Freiheit reif ist, soll er sie haben, und das Nötige dazu. – »Übrigens,« fügte er mit strengem Tone bei, »übrigens glaube Er ja nicht, daß ich mich vor Ihm habe rechtfertigen wollen; meine Intention war, Ihm den Kopf zurechtzusetzen und einen Standpunkt anzugeben, auf welchem der verworrene Weltlauf klar erscheint.«

Mit diesem halb gnädigen halb ungnädigen Bescheid entlassen, stand unser armer Freund im Schloßhof, eh' er wußte, wie er eigentlich heruntergekommen war. Er befand sich in einer seltsamen Stimmung; vor wenigen Augenblicken hatte er für einen Freund gezittert, und nun war er über sein eigenes Schicksal ungewiß. Schubart machte ihm keine große Sorge mehr; das schlimmste, was er für ihn voraussehen zu können glaubte, war, daß der Herzog ihn, um den Schein gegen den kaiserlichen Hof zu beobachten, und zugleich, um den eigenen Unwillen an ihm auszulassen, einige Monate auf der Festung lassen und dann etwas mürb und zerknirscht nach Stuttgart berufen würde, um ihn in ein Amt einzusetzen, das erfreulicher und sicherer war als das Chronikschreiben.

Aber was sollte aus unserem Helden werden? Er war entlassen, ohne eine Andeutung dessen, was man mit ihm vorhabe. Lag sein Los in einer gnädigen Hand zu baldiger Entscheidung? oder war er auf die Seite gelegt, mit jenem seltsamen Aberglauben der Großen, die den Zufall, der einem ihrer Werkzeuge in den Weg getreten ist, so oft für einen Wink des Schicksals halten? War er für immer aus den weichen Armen der Mutter Kirche gerissen? und aus den noch weicheren seiner Braut? Liebte er sie nicht genug, um den gehörigen Nachdruck zur Durchsetzung seines ersten Planes anzuwenden? Denn er hätte nur darauf bestehen dürfen, den Fürsten an sein gegebenes Wort zu erinnern; die Pfarre war ihm zugesagt, und ob ein, nach des Herzogs Ansicht, allzu junger Geistlicher mehr oder weniger im Klerus war, das fiel nicht ins Gewicht; überdies war die Frage, ob er seinem Posten gewachsen sei, etwas, das zunächst vor das Forum der Kirche und vor sein eigenes Gewissen gehörte. Aber hier kommen wir auf einen sonderbaren Punkt im menschlichen Gemüt: eine dämonische Macht scheint uns oft zu hindern, wenn wir den raschen Schritt tun wollen, solang wir's noch können, den Schritt, der über unser Leben entscheidet; die Menschen nennen es Feigheit, Zerstreutheit, Trotz – und es war vielleicht unser Schicksal.

Wie dem nun sein möge, der sonst so lebhafte und zu extremen Schritten geneigte junge Mann blieb die nächste Zeit untätig im »Schwarzen Adler« zu Stuttgart liegen. Untätig, denn obgleich er seinen Shakespeare kommen ließ und einige Dramen zu übersetzen begann, so war sein Gemüt doch wenig dabei beschäftigt, und die Arbeit mag frostig genug ausgefallen sein. Er verließ das Zimmer nicht, und der Wirt, der diesem Treiben verwundert zusah, suchte ihn vergebens unter die Menschen zu bringen. Er konnte es nicht über sich gewinnen, seinem Schwager und seiner Schwägerin gewissermaßen als Schiffbrüchiger vor die Augen zutreten. Und nun vollends Lottchen! Wenn er an seine letzte hochtrabende Epistel zurückdachte, was sollte, was konnte er ihr jetzt schreiben? Ach, nicht ihr treues blaues Auge war es, was er fürchtete, wenn er das Briefpapier zurechtlegte und wieder auf die Seite warf; es war der ernste Blick des Vaters, den er im Geist auf seine Bekenntnisse gerichtet sah. Nun fühlte er's, wie schnell man durch den ersten Schritt aus der Bahn des Gewöhnlichen, wie weit man seitwärts getrieben wird! Er verschob das Schreiben von einem Tag zum anderen; der Herzog konnte ja schicken, es konnte etwas Neues, Günstiges zu melden sein. Aber der Herzog schickte nicht nach ihm. Wer es schon erlebt hat, dieses dumpfe Brüten, dieses ängstliche Harren, wo die Zeit in gleichgültigem Wechsel an uns vorübergeht, wo die Sphinx unseres Lebens wie ein Alp auf unserer Seele liegt, die ein Mal ums andere schmerzlich aufschreien möchte: »Hüter, ist die Nacht nicht hin?« – der mag die Lage unseres armen Freundes ermessen. Auf ihm war ein Bann, den auch kein Shakespeare zu lösen vermag.

Mit diesem Bescheid entlassen, stand unser armer Freund im Schloßhof.

Ein Genius von minder hoher Bedeutung, aber einer von den freundlichen, sollte ihm diese Gefangenschaft erleichtern. Sie mochte etwa eine Woche gedauert haben, als der Wirt eines Tages zu ihm sagte: »Sie kramen ja den ganzen Tag in Büchern, warum gehen Sie denn nicht auf die Bibliothek, die Ihnen vor der Nase liegt?« – Heinrich, der das große Gebäude die ganze Zeit über vor den Augen gehabt hatte, war über diese Bemerkung betroffen und ging im gelehrten Instinkt auf der Stelle hinüber. Die Antiken, die ihm auf der Treppe entgegensahen, wirkten in ihrer großartigen Ruhe erhebend auf ihn, und oben traf er den Professor Balthasar Haug, der die ganze gelehrte und schöne Literatur von Württemberg in seiner Person vereinigte. Dieser freundliche Mann, der häufig auf der neuerrichteten Bibliothek arbeitete, war ihm gleich bei der Frage nach dem ersten Buch behilflich, und sein Betragen munterte die Bibliothekare zu derselben Gefälligkeit auf. Heinrich brachte von jetzt an täglich einige Stunden auf der Bibliothek zu, wo er meist mit Haug zusammentraf, die Bibelausgaben, deren Sammlung sich der Herzog angelegen sein ließ, und manche seltenen Schätze der Wissenschaft wurden gemustert, oft auch war Schubart, für welchen Haug die innigste Freundschaft fühlte, der Gegenstand ihrer Unterredungen, und sie waren tief gerührt, als sie eines Tages in der Chronik, die nun von dem guten, vorsichtigen Miller fortgesetzt wurde, Schubarts Porträt, das er selbst noch seinem Leser versprochen hatte, mit den ausdrucksvollen Worten angekündigt fanden: »Er weiß es nicht, daß sein Versprechen erfüllt wird! O wüßt' er's! Könnte er dir selbst dies Geschenke machen! Er kann nicht!« – Glücklicherweise wußten sie nicht, wie jammervoll der Arme inzwischen seine Tage hinlebte.

Die Zeit brachte endlich unserem Freunde eine unbefangene Stimmung, in welcher er sich entschließen konnte, zu seinem Schwager hinzugehen und durch eine offenherzige Darstellung seiner Begegnisse jedes Mißverständnis zu vertilgen. Auch lief die Unterredung freundlicher ab, als er sich gedacht hatte; denn das Geschehene hat eine mächtige Wirkung auf die Menschen, die sich dem Kommenden oft so ungebärdig entgegenstellen. Er wurde sowohl von seinem Schwager als von Amalien ohne Bitterkeit empfangen, und bei seinem Weggehen sagte der Expeditionsrat in seiner ruhigen Weise: »Der Karren ist eben jetzt verführt; lassen wir ihn eine Zeitlang stecken, mein lieber Freund, und sehen wir zu, ob sich nicht noch der Weg durchs Konsistorium machen läßt, den Sie gleich anfangs hätten einschlagen sollen, und der freilich jetzt, da sich der Herzog einmal in die Sache gemischt hat, seine Schwierigkeiten haben wird.«

Nun eilte Heinrich, einen einfachen, treuen und klaren Brief an Lottchen zu schreiben, und schlief, als dies geschehen war, zum ersten Male seit langer Zeit wieder leicht und ungestört. – Der Herzog aber hatte ihn nicht vergessen. Denn als er um diese Zeit eines Tages hohe Gäste auf die Bibliothek führte, nickte er ihm gnädig zu und sagte im Vorübergehen: »Besuch Er auch meine Akademie und sag Er mir, wie sie Ihm gefällt. Weiß Er was? Morgen abend hat Er die beste Gelegenheit dazu, da wird ein Theater aufgeführt, und übermorgen kann er zu Tische kommen; dann sieht er beides, wie's mit Leib und Seel' bestellt ist.«

O es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein
handfester, haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft
in Fetzen, in rechte Lumpen zerreißt – ich möchte
solch einen Kerl für sein Bramarbasieren prügeln
lassen.

Hamlet, nach Schlegel.

Der gute Heinrich hatte die Aufforderung des Herzogs für eine förmliche Ehreneinladung genommen und verfügte sich zur bestimmten Zeit, gepudert und betreßt, in seiner besten Galatracht nach dem Akademiegebäude, zu welchem seit der Verlegung des Instituts von der Solitüde nach Stuttgart eine Kaserne auf der Hinterseite des neuen Schlosses umgeschaffen war. Eben schritt er sorglos auf eine Türe zu, welche durch die Lampen als Eingang bezeichnet wurde, als ihm eine große Figur mit plumpem, wie aus Holz gehauenem Gesichte plötzlich den Weg vertrat; die blaue Livree und der insolente Ton der Rede verrieten den fürstlichen Bedienten.

»Halt! man passiert nicht!«

»Ist hier nicht der Schauspielsaal?« fragte Heinrich.

»Ja, das Theater ist wohl da, – aber nicht für jedermann.«

»Ich bin eingeladen,« versetzte Heinrich kurz und musterte den Burschen.

»So? das ist was anders,« brummte dieser etwas geschmeidiger; »wo haben der Herr Ihr Billett?«

»Ich habe keins.«

»So? dann wird auch nicht passiert,« replizierte der Türsteher mit dem vorigen ungezogenen Ton und mit einer abweisenden Gebärde.

Heinrich nahm sich zusammen und sagte so imposant wie möglich: »Der Herzog hat mich in Person auf diesen Abend eingeladen, und ich beleidige Seine Durchlaucht, wenn ich nicht auf dem Eintritt bestehe; Er aber, mein Freund, setzt sich sicheren Unannehmlichkeiten aus.«

Der Mensch maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen, ohne sich von seinem Platze zu rühren. »Das könnte mir jeder sagen,« erwiderte er endlich.

Unser Freund war ärgerlich und verlegen. Er wollte die Ehre, die er sich auf heute zugedacht glaubte, nicht verscherzen, er wußte, daß man an diesem Hofe sich eher zudringlich benehmen, als eine günstige Gelegenheit vorbeilassen dürfe, und sagte zu dem Türsteher: »Daß ich kein Billett habe, ist ein Irrtum, an dem ich nicht schuldig bin; der Einladung aber muß ich gehorchen und weiß nichts anderes, als daß Er hineingeht und dem Herzog die Sache vorträgt.«

»Charles!« rief der Diener und öffnete die Türe zu einem kleinen unsauberen Käfig, wo ein anderer vom gleichen Schlage Gog und Magog hinter einer Flasche sich dehnte: »Charles! gehn Sie doch zum Herzog hinein und fragen, ob der Herr – wie ist der werteste Name?« wandte er sich höhnisch herum.

»Roller.«

»Und der Charakter?«

»Ich bin Seiner Durchlaucht unter diesem Namen hinlänglich bekannt.«

»Ob der Herr Roller hinein dürfe; er habe kein Billett.«

»Es kostet doch,« sagte Heinrich bitter lächelnd zu sich, während jener hineinging, »es kostet doch mitunter große Mühe, dem allmächtigsten Herrn im Lande zu Willen zu sein.«

Endlich kam Charles zurück und sagte mit nicht sehr respektvollem Ton: »Serenissimus meinen, der junge Mann könne eingelassen werden.« – der Türsteher wich um einen halben Zoll zurück, und unser Held hatte Not, sich durchzudrängen und den Saal zu gewinnen.

Die Ouvertüre hatte bereits begonnen. Heinrich sah sich zuvörderst nach dem Herzog um; der Hof saß auf einer Reihe von Stühlen, die unmittelbar ans Proszenium gestellt war, dicht vor einem grünen Vorhang, der, in der Mitte teilbar, bis auf den Boden des Saales herunterhing, so daß man sah, die Bühne sei zu ebener Erde und nicht über den Standpunkt der Zuschauer erhöht. Diese bestanden nächst den fürstlichen Personen aus den Zöglingen der Akademie mit ihren Vorstehern und einer Anzahl von Fremden, vermutlich Verwandten der Eleven. Alles stand, nur die Standespersonen saßen. Heinrich drängte sich an der Wand des Saales durch, in der stolzen Erwartung, der Herzog werde, seiner Einladung eingedenk, einen Stuhl für ihn haben stellen lassen; er konnte aber nirgends einen leeren Sitz erblicken. Eben wollte er sich präsentieren, als das Auge des Herzogs auf ihn fiel; es glitt aber mit einem so gleichgültigen Blick über ihn weg, daß er sich abgeschreckt sah, einen Schritt zu wagen, der gewiß zu seiner großen Demütigung ausgefallen wäre. Er begnügte sich daher mit einer stillen Beobachtung. Links vom Herzog saß die Gräfin von Hohenheim. Heinrich hatte sie noch nie so nahe gesehen und betrachtete sie mit einiger Neugier. Franziska trug eine sehr bescheidene Kleidung, die ihren angenehmen Wuchs hervortreten ließ; ihr keineswegs schönes Gesicht zierte ein Ausdruck unendlicher Güte, die durch einen Zug von Langweile, welche sie diesen Abend empfinden mochte, vielleicht noch hingebender wurde. Von Zeit zu Zeit warf sie einen zärtlichen Blick auf den Herzog, der ihn mit einem Händedruck erwiderte. Rechts neben ihm saß der Markgraf von Baden, der, wie Heinrich nachher vernommen hatte, mit auf der Bibliothek gewesen war, der berühmte Karl Friedrich, dessen Streben einer weisen, wohlwollenden Staatswirtschaft zugewendet war, nebst der Markgräfin, deren Sparsamkeit und Begünstigung jeder Art von Industrie ebensosehr gepriesen als angefochten wurde, und einigen verwandten Prinzen; die nächste Reihe der Sitze war von württembergischen und badischen Kavalieren besetzt. Der Markgraf, aus dessen Zügen Gutmütigkeit und Wohlwollen sprachen, hörte sehr aufmerksam auf die Musik und richtete von Zeit zu Zeit einige Worte an den Herzog, welche verbindlich lauten mochten, denn dieser erwiderte sie mit einer freundlichen Verbeugung und wandte sich dann wieder mit Kennerblicken gegen das Orchester, welches, um den schuldigen Respekt nicht zu verletzen, an der Seite des Saales angebracht war.

Heinrich fühlte sich dadurch gedrungen, seine Aufmerksamkeit ebenfalls dorthin zu lenken, und fing nun an zu begreifen, an was er vorher nicht gedacht hatte, nämlich daß hier ein Dilettantenkunstwerk aufgeführt wurde. Die Musiker waren sämtlich Akademisten; sie trugen die stahlblaue Uniform mit Aufschlägen von schwarzem Manchester, weiße Beinkleider, silberne oder vielmehr versilberte Knöpfe, silberne Achselschnüre, und eine fest angeklebte Frisur, die heute, als bei festlicher Veranlassung, aus einer Galerie von doppelten Locken bestand und hinten in einen Zopf endigte; ihre Hälse staken in enggeschnallten schwarzen Lederbinden, was besonders den Violinisten, die den Kopf nicht biegen konnten und daher gleichsam in einer Parabel in ihre Notenblätter schauen mußten, eine ganz närrische Haltung gab. Der Kapellmeister, ein sanftes rundes Gesicht, so jung wie die anderen, bewegte sich lebhaft auf seinem Sitz und drehte seinen schlanken Körper, bald beifällig, bald ärgerlich winkend, von einem Instrument zum anderen, wobei sein Zöpfchen hinter seinem Rücken die lustigsten Sprünge machte.

Die Länge der Ouvertüre hatte unserem Freund alle diese Beobachtungen gestattet; jetzt, nach einem rauschenden Schlusse, teilte sich der Vorhang, und auf dem zur Bühne bestimmten Teil des Saales standen zwei Personen in Offizierskleidung, die er an ihrer steifen Haltung sogleich für Akademisten erkannte. Der eine hatte gepudertes Haar, der andere aber, der ohne Epauletten war und seine Rolle ins Unbestimmte hinüberspielen zu wollen schien, trug eine lange schwarze Lockenperücke im Stil der Ritterschauspiele; sein langer Hals überragte noch die hohe Halsbinde, seine Beine gingen von oben gleich dick bis auf die Fersen herab und waren nur in der Mitte durch eine starke Neigung gegeneinander, welche die Kniee bezeichnete, unterbrochen. Es hätte nicht des Kontrastes bedurft, den die moderne Tracht mit dem romantischen Kopfputz machte, der Patron sah an sich toll genug aus, und Heinrich erwartete bei dem trockenen Ernst, der in den gespannten Gesichtszügen lag, einen ganz vorzüglichen Komiker zu sehen. Dieser begann jetzt; nach einer Pause, in der er ein Papier zwischen den Händen zerknittert und einige undeutliche Worte gemurmelt hatte, fuhr er plötzlich auf den anderen los und rief ihn in einem hochtragischen Ton und mit etwas näselnder Stimme an: »Sag mir, Karlos, glaubst du nicht, daß meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist?«

Heinrich stand erstarrt. »Um alle neun Musen!« sagte er vor sich hin, »es ist Clavigo! Wollen sie denn das Stück parodieren?« – Er gab auf Karlos acht; dieser spielte seine Rolle mit ruhigem Anstand und gutem Humor, und es schien keineswegs auf eine Posse abgesehen. Clavigo aber erhitzte sich in dieser reinen Konversationsszene immer mehr, er wurde immer gespreizter und kreischender, rannte wie besessen auf dem Theater umher und donnerte die gleichgültigsten Sachen von der Welt mit einem wütenden Pathos herunter, in welches sich, um die Karikatur zu vollenden, noch ein gewisser Kanzelton mischte. Als er endlich dem Bedienten zu sagen hatte: »Tragt das Blatt in die Druckerei,« so klang es, wie wenn ein Tyrann gerufen hätte: »Geht zu meinem Minister! Er soll die Scharfrichter versammeln, in zwei Stunden will ich die ganze Nation rädern lassen.«

Nun trat Marie auf, eine zierliche, etwas magere Gestalt; der junge Mensch, der sie spielte, machte seine Sache recht brav, nur trat einige Male, und zwar gerade an den zartesten Stellen, der mißliche Umstand ein, daß die Stimme infolge des Übergangs zum Jünglingsalter brach und in einen tiefen, hohlen Baß herunterfiel; dann entstand jedesmal ein lustiges Gelächter unter den Zuschauern, und die unglückliche Verlassene konnte selbst ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.

Jetzt kam Beaumarchais, ebenfalls in Offiziersuniform, und zwar zinnoberrot; er machte auf unseren kritischen Freund einen sehr angenehmen Eindruck. Gestalt und Spiel waren einander völlig angemessen, er war mittlerer Größe oder noch etwas darüber, kräftig und schön gebaut, stattlicher als die anderen; die wackere Ehrenhaftigkeit und Strenge, die er in sein Spiel legte, waren auch in seinem markierten Gesicht ausgedrückt, und man sah ihm an, daß er sich selber spielte. Mit starker fester Stimme sprach er seine Vorsätze aus, und der Aufzug schloß.

»Wer ist denn,« fragte Heinrich einen neben ihm stehenden Akademisten, »wer ist das tragische Bullenkalb, das den Clavigo so massakriert? Der geringste Bediente spielte ja besser.«

Der Gefragte betrachtete ihn hochmütig, ob er wohl einer Antwort wert sei, und sagte dann: »'s ist ein unglückliches Genie, will überall mehr sein als andere, ein unruhiger Mensch, der sich in keine Disziplin fügt und dem die Poeten den Kopf verrückt haben.«

»Also auch wieder einer, der sich ohne Beruf herzudrängt!« dachte Heinrich, »der täte besser, was Tüchtiges zu lernen.« – Sein Unwille über den armen Schauspieler wurde zur Verachtung, und er fand keinen Grund, sich in dieser zu mäßigen, als nach einer kurzen Musik der Vorhang wieder auseinander ging und die Szene zwischen Beaumarchais und Clavigo aufs Theater kam. Als dieser seine Verlegenheit ausdrücken sollte, betrug er sich so abscheulich, daß Heinrich ihm den Kopf hätte herunterreißen mögen. Er fuhr konvulsivisch hin und her und lief große Gefahr, mit dem Sessel zu Boden zu fallen, sein Gesicht verzerrte sich, und als er endlich aufsprang, um seiner Beängstigung Luft zu machen, verschob sich die schwarze Lockenperücke, und ein rotes Haar kam zum Vorschein, mit dem er wie ein Irrwisch auf dem Theater hin und her fuhr. Das unterdrückte Gelächter, das bisher unter den Zuschauern umhergelaufen war, wurde kaum noch durch die Gegenwart des Herzogs gemäßigt; Clavigo schien aber nichts zu hören und war nicht aus der Furie zu bringen; auch Beaumarchais blieb in seiner Fassung und ließ ihn, was man sagt, aufs schändlichste herunterlaufen, was unter diesen Umständen umso größere Wirkung tat, weil es aussah, als gelte die verächtliche, vernichtende Sprache, die er gegen ihn führte, fast noch mehr dem schlechten Schauspieler als dem Archivarius des Königs.

Heinrich lachte herzlich, als der Vorhang sich wieder schloß, und suchte seinen Nachbar, der ihm vorher Auskunft gegeben hatte. Dieser aber war verschwunden, und an seiner Stelle stand ein anderer Akademist, mit offenem keckem Antlitz, der ihn freundlich grüßte. »Nicht wahr, da geht's toll her?« sagte er mit einem treuherzigen Tiroler Akzent.

»Freilich!« versetzte Heinrich, »aber der Beaumarchais wird sehr gut gespielt.«

»Der ist in guten Händen, ja!«

»Wie heißt denn der Schauspieler?«

»Scharffenstein. Nicht wahr, er hat's ihm scharf gesagt?«

Heinrich lachte. »Und die Marie? Sie bassiert hie und da, aber dafür kann das gute Kind nichts; sonst passiert sie.«

»Heißt Pfaff,« erwiderte der junge Mensch.

»Karlos geht auch an,« fuhr Heinrich fort, »wie heißt er?«

»Lempp. Das ist halt 'n g'scheiter Kerl!«

»Nach dem Untier, das den Clavigo spielt, will ich nicht fragen.«

»Halten's, Herr!« rief der andere eifrig, »nit so geschwind! Spielen tut er ganz verteufelt schlecht, das ist wahr, aber deswegen ist er doch ein ganzer Mensch, und die Akademie hat keinen ähnlichen aufzuweisen. I hab's vorhin wohl gehört, was einer von uns zu Ihnen g'sagt hat, aber glauben's ihm nit! Das Lumpenvolk ist nit kapabel über so einen z' urteilen; weil sie ihn nit verstehen, hassen sie ihn, und weil er nit so zahm ist wie die anderen Bestien, verachten sie ihn. Natürlich, er kann nit überall durchbrechen mit sei'm Kopf. I kenn' ihn nit genau, aber i weiß doch, was hinter 'm ist!«

»Wie heißt er denn?« fragte Heinrich.

»Schiller.«

»Schiller, so? und was ist denn hinter ihm?«

»Ja sehen's, er ist nit bloß 'n guter Kopf, sondern auch 'n freier Kopf, der sich um das Zeug da den Teufel nix bekümmert und seinen eigenen Weg geht. Der denkt: Zopf ist Zopf, aber Mensch ist Mensch! Er trägt zwar auch einen wie die anderen Sklavenseelen, und wie ich auch einen tragen muß, aber das ist der einzige Stempel, den ihm der Herzog hat auf den Leib schreiben können; sonst ist er ein echter Kapitalkerl, wie nur einer aus unseres Herrgotts Händen gekommen ist, und der Herzog wird ihn nicht verpfuschen können, das sag' ich!«

»Lieber junger Freund!« sagte Heinrich leise zu ihm, »nehmen Sie sich in acht! Wenn der Herzog etwas von Ihren Reden erführe! Wie können Sie denn mir, einem fremden Menschen, den Sie zum ersten Male sehen, solche Sachen sagen?«

»I bin halt 'n ehrlicher Tiroler!« versetzte der Akademist, »und hab' das Schmiegen und Kriechen in dem Loch da noch nicht lernen können, und Sie sehn mir auch grad aus wie einer, der trätscht und 'n ehrlichen Kerl in den Pfeffer reitet.«

»Wie heißt denn,« fragte Heinrich, um auf ein anderes Thema zu kommen, »wie heißt der Maestro dort? er scheint viel Talent zu haben.«

»Viel Talent! ja, das ist ein g'schickter Bursch! Zumsteeg heißt er, und die Musik, die er da spielen läßt, das hat er alles selber komponiert; aber er ist auch nicht an seinem Platz! Er ist mehr für das Sanfte, Gefällige geboren; nun liebt der Herzog das Rauschende, was recht Lärmen macht, und der arme Schelm muß wildes Zeug komponieren, wenn er dem Herrn gefallen will. Der Herzog läßt keinen werden, wozu ihn unser Herrgott bestimmt hat; alles muß umgeorgelt sein, wie er's bei seinen Festen sonst mit der Natur gemacht hat – wo eine Heide war, da mußte ihm ein See her, und wo Wasser war, da machte er eine trockene Landpartie draus – gerade so treibt er's auch mit den Menschen, nur daß sich die nicht so leicht trocken legen lassen. Zum Beispiel –«

»So wird der arme – wie heißt er? – auch am Ende wider Willen in den Clavigo gefahren sein?« unterbrach ihn Heinrich teilnehmend, »wiewohl ich fürchte, der Herzog werde mit all seiner Energie keinen Schauspieler aus ihm machen können.«

»Der Schiller?« sagte der Akademist, »nein, dazu hat ihn der Herzog nicht gezwungen; das ist eine Lustbarkeit, da haben die Leute gewöhnlich ihre eigene Wahl.«

»Dann erlauben Sie mir aber, an seinem Kopf zu zweifeln,« sagte Heinrich schnell, »wie wird denn ein vernünftiger Mensch ein Fach wählen, zu dem er so gar nicht paßt.«

»Nu was?« versetzte der unverbesserliche Jüngling ärgerlich, »das ist jetzt eben ein Irrtum von ihm – Sie werden auch Ihren Sparren haben.«

Der dritte Akt, der soeben anhob, verhinderte unseren Freund, eine Replik auf diesen eigentümlichen Analogieschluß zu geben. Clavigo erschien, und er folgte jetzt mit milderen Gesinnungen seinem verfehlten Spiele, das trotz der erschöpfenden Anstrengungen der vorigen Akte an Kraft eher gewonnen als verloren hatte. Zwar schien der Schauspieler sich gebessert zu haben: in der Rückkehr eines reuigen Geliebten mochte etwas liegen, das er mitempfinden konnte, und sein Spiel drückte diese Empfindung aus; er stand, sanft geneigt, mit ausgebreiteten Armen vor dem Mädchen, und seine von Rührung gedämpfte Stimme sprach zu den Herzen; er schien ganz der Täuschung hingegeben; aber eben diese Selbstvergessenheit war sein Unglück, plötzlich, wie ein Nachtwandler, der bei seinem Namen gerufen wird, warf er einen erschrockenen Blick auf die Zuschauer, die Arme fielen ihm herunter, und er stand einen Augenblick regungslos da, in der miserablen Stellung eines Menschen, der sich ein Kleid anmessen lassen will. Die Heiterkeit des Publikums und die Kraftanstrengung, deren er bedurfte, um aus dieser bösen Situation herauszukommen, warfen ihn rettungslos in die frühere Unnatur zurück, womit er jeden Gedanken an die Zuschauer übertäuben zu müssen schien. Er raste vor Marien umher, brüllte sich heiser und warf sich mehrmals mit einer Gewalt vor ihr nieder, daß man fürchten mußte, er zerschelle seine Knie am Boden. Ohne das Gelächter, das durch den Saal rauschte, im geringsten zu vernehmen oder zu beachten, stürzte er wieder hinaus, nachdem er seine Rolle abgestampft hatte.

»Sie haben so freundlich meinen Cicerone gemacht,« wandte sich Heinrich im Zwischenakt zu seinem Nachbar, »wollen Sie nicht auch die Güte haben, mich mit Ihnen selbst bekannt zu machen?«

»I bin ein Maler,« versetzte der junge Mensch, »oder vielmehr i möcht' einer werden, und das wollen's nit leiden, und i kann auch nix lernen hier, drum gedenk' ich nächster Tagen andere Saiten aufz'ziehn, dann können's mich –«

Er schlug sich auf den Mund, als ob er zu viel gesagt hätte, und war den Rest des Stücks über sehr schweigsam.

Die Tragödie ging zu Ende. Clavigo wurde erstochen, ließ seinen Degen vorn im Proszenium, wohin er sich, wie ein Löwe fechtend und Beaumarchais' ganze Tapferkeit auf die Probe setzend, »durchschwadroniert« hatte, mit der Spitze zwischen Franziskas Füße, die sich schnell zurückzogen, in den Boden fahren, wankte einige Zeit auf dem Theater herum, so daß es Beaumarchais für nötig fand, ihm noch einen Stich beizubringen, und stürzte dann mit einem welterschütternden Getöse über Mariens Sarg. Der Vorhang schloß sich während der sichtbaren Anstrengungen der Leiche, sich unter ihm hervorzuarbeiten.

Der Herzog gab lachend das Signal zum Klatschen; hierauf kamen die Schauspieler hervor, wurden im Kostüme vorgestellt und erhielten jeder ein gnädig Wort. – Heinrich sah sich vergebens nach dem Tiroler um und ging nachdenklich in seine Wohnung, wo er das Schauspiel noch einmal vornahm und mit ruhigem Geistesgenusse durchlas.

Die Weisheit baut sich einen Tempel,
Und ihre Zwillingsschwester, Wahrheit,
Wandelt in den Säulengängen:
Die Zöglinge der Weisheit
– – – – – –
Horchen der Weisheit und Wahrheit.
Karl dacht' es zu tun und tat's!

Schubart.

Heinrich besann sich den ganzen nächsten Vormittag, wie es denn mit der gestrigen und heutigen Einladung eigentlich möchte gemeint gewesen sein. Endlich kam er auf das Resultat, der Herzog habe gestern, da die Komödie seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, nicht Zeit finden können, sich ihm zu widmen; heute, da er die Ehre haben sollte, mit ihm oder doch wenigstens in seiner Gegenwart zu speisen, werde er hervorgezogen, vielleicht gar vor den badischen Gästen ausgezeichnet werden. Kaum hatte er diese Hypothese aufgestellt, so glaubte er auch schon mit unerschütterlicher Festigkeit daran. Er ließ das Essen auf heute absagen und begab sich Punkt zwölf Uhr in die Akademie, wo er sich den Speisesaal zeigen ließ.

Durch eine halbdunkle Rotunde trat er ein und sah sich in einem großen hellen Saal, den oben eine Galerie umgab; die allegorischen Deckengemälde erinnerten ihn an die Solitüde, und er mußte sich gestehen, daß das Tübinger Stift seinen Alumnen kein so vornehmes Refektorium zubereitet habe. Die Tafeln waren gedeckt, und eine lange Reihe von Stühlen, an welchen er im Hinuntergehen flüchtig die Namen las, erwarteten ihre Besitzer. Er fand an einem Fenster eine Gruppe von neugierigen Fremden, denen er sich in Erwartung des weiteren beigesellte. Gleich darauf trat der Herzog mit dem ihm eigenen raschen Schritt herein, hinter ihm der Markgraf, die Gräfin Franziska am Arm; er mochte seiner ehemaligen Untertanin diese Ehre nicht ganz gern erweisen, denn er machte ein etwas saures Gesicht.

Ein starkes Geräusch verkündigte jetzt die Ankunft der Akademisten, welche zur entgegengesetzten Türe des Saales in soldatischer Ordnung, nach der Größe gereiht, hereinmarschierten, von Majors, Hauptleuten und Leutnants umgeben. Sie machten in vier Gliedern, welche, Adelige rechts und Bürgerliche links, zwei Linien formierten, Front gegen die Tafeln, ein Adjutant näherte sich dem Herzog mit dem Rapport, und jetzt nahm dieser den Markgrafen bei der Hand, oder vielmehr bloß beim Finger, und zog ihn mit sich an den Reihen der Zöglinge vorüber, wobei er höchst charakteristisch zur Behauptung seines Ranges dem Gast immer um einen Schritt vorauszubleiben suchte. Er stellte ihm einzelne Zöglinge vor, welchen dann ein freundliches Wort von dem Markgrafen zu teil wurde. Bald waren Verdienste der Eltern, bald Geschicklichkeit der jungen Leute, bald auch irgend ein Scherz, den der gnädige Stifter vorhatte, die Veranlassung zu solchen Präsentationen. »Sehen Euer Liebden,« wandte er sich zu seinem Gast, als er ans Ende der einen Linie in die Nähe der Zuschauer kam, und deutete auf einen Kleinen mit rundem naseweisen Gesicht, »sehen Euer Liebden, das ist der Mutwilligste in meinem ganzen Institut!« – Der Markgraf klopfte den verlegenen Knaben auf die Schulter und sagte: »Nur heiter, junger Mann! das ziert die Jugend – aber nicht ausgelassen!« – Dann schritten sie an der anderen Linie wieder hinauf, das ganze Gefolge der Offiziere, Lehrer und Aufseher hinter sich, während Franziska bei den jüngsten Zöglingen, die zum Teil noch Kinder waren, verweilte.

Ein Kommandowort mahnte die junge Schar ans Gebet, welches einer der Jüngsten von der in der Mitte stehenden Kanzel vortrug; alle Hände wurden zugleich mit klatschendem Laut gefaltet, und als dies vorüber war, die Stühle mit so schnellem und egalem Geräusche gerückt und besetzt, wie wenn ein Bataillon die Gewehre abfeuert. Dann blieben sie eine Weile steif und unbeweglich sitzen, bis der Herzog, an die oberste Tafel tretend, deren junge Inhaber teils Medaillen, teils Kreuze und sogar Sterne trugen, mit den Worten: »Dinez, Messieurs!« welche mit einer tiefen Verbeugung erwidert wurden, das Zeichen zur Mahlzeit gab.


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