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Einst wurde in der Stadt Domnau ein Dieb zum Galgen geführt, und alle Ratsherren und Bürger begleiteten ihn in langem Zuge. Als sie sich nun dem Richtplatz näherten, sagte der Delinquent: »Ach, meine hochwürdigen Herren, gewährt mir die letzte Bitte und erlaubt, daß ich noch vom nächsten Bäcker ein Düttchenbrot holen darf, denn mich hungert allzusehr!« Die Domnauer Ratsherren waren mitleidige Leute, sie sahen in ihrer Weisheit auch wohl ein, daß das Erhängen auf nüchternen Magen dem armen Sünder unmöglich gut bekommen könnte, und fühlten sich auch vielleicht dadurch geehrt, daß er in seinem letzten Stündlein nach nichts anderem als nach einem ihrer schönen Düttchenbrote noch leckerte. Sie gewährten ihm also nicht allein seine Bitte, sondern der Bürgermeister zog in hoher Gnade ein Düttchen aus seiner Tasche und schenkte es dem Diebe als Kaufgeld. Dieser war über solche Gunst tief gerührt, ging zum nächsten Bäcker, der schon hart am Tore wohnte, kaufte ein Düttchenbrot, aber aß es nicht mehr, sondern steckte es als Wegkost in seinen Ranzen, indem er spornstreichs weiter aus der Stadt jagte und den starrenden Ratsherren nur noch zurief: »Dank, Domnauer, ferr't Düttchenbrot.«
Seitdem nimmt es jeder Domnauer Bäcker übel, wenn man von ihm ein Düttchenbrot Düttchen ostpreußisch für Dreigroschenstück, neuerdings für ein Zehnpfennigstück. fordert; man muß Dreigroschenbrot sagen.
Es hat sich einstmals begeben, daß einige Handwerksgesellen aus dem kleinen ostpreußischen Städtchen Zinten nach Domnau gewandert sind. Um sich dort ein Ansehen zu geben, beschlossen sie, sich für Ausländer auszugeben; und da die Domnauer sonst eben nicht wegen ihrer Klugheit gerühmt werden und deshalb sogar zum Sprichwort geworden sind, meinten sie, daß ihnen ihr Vorhaben um so eher gelingen werde. Aber sie wurden dennoch erkannt und ernteten Spott und Hohn. Seitdem nennt man in Preußen diejenigen, die es den Ausländern in Sprache und Benehmen nachzutun sich zwingen, Ausländer aus Zinten.
Neben dem Städtchen Mühlhausen im Oberlande befindet sich ein Teich, worin vor vielen Jahren einmal ein Krebs gehaust hat, der den Bürgern lange Zeit die Mauern umzufressen drohte; schließlich aber wurden sie seiner mächtig und legten ihn an die Kette. Wer aber später aus Fürwitz und Neugierde den Krebs besehen wollte, wurde an den Teich geführt und ins Wasser geworfen.
Die Einwohner von Frauenburg und Tolkemit am Frischen Haff waren nicht gut aufeinander zu sprechen und taten sich auch gern einmal gegenseitig einen kleinen Schabernack an. So hatte sich einst ein Tolkemiter Bock in das Gebiet der Stadt Frauenburg verlaufen. Die Frauenburger nahmen den Überläufer gefangen und führten ihn in der Hoffnung, dafür ein gutes Pfandgeld einsäckeln zu können, vergnügt in ihren Pfandstall. Sie wurden aber bitter enttäuscht. Denn da der Stall eines festen Verschlusses entbehrte, und die Tür nur mit einer Rübe oder einem Kohlstrunk zugesteckt war, verzehrte der Gefangene den wohlschmeckenden Riegel mit Behagen, entwich und eilte heimwärts. Seitdem nennen die Tolkemiter Frauenburg den Bockstall oder die Bockstadt. Ihre Einwohner Bockstecher, Bockstößer oder Bockstädter. »Er ist in den Bockstall geraten«, heißt: Er ist nach Frauenburg gekommen.
Die Stadt Tolkemit hat schon viele große Gefahren auszustehen gehabt; unter anderm trieb viele Jahrhunderte lang ein Riesenaal sein Unwesen im Haff, fügte den Fischern großen Schaden zu und bedrohte sogar die gute Stadt Tolkemit. Um des lieben Friedens willen mußten die Bürger ihn gut verpflegen. Einstmals aber verabreichten sie ihm auch ein Tönnchen Tolkemiter Bier – es hieß Rorkatter, oder Rarkater, gleich Brüllkater. Da starb er an heftiger Magenverstimmung und wurde unter Jubel an die Kette gelegt. Dem Fremden wird noch heute im Tolkemiter Hafen die Stelle gezeigt, wo er gelegen hat. Auch die Kette soll noch vorhanden sein, und ein langer, abschüssiger Waldweg in der Wieker Forst zwischen Frauenburg und Tolkemit heißt zur Erinnerung an jenes Abenteuer noch heute »Der lange Aal«.
Ein andermal hatte die gute Stadt Tolkemit eine Belagerung durch ein Heer von Stinten auszuhalten, die aber durch die Tapferkeit der Bürger siegreich abgeschlagen wurde. Seitdem heißen die Tolkemiter die Stintstecher.
Die Schippenbeiler werden die Erbsenschmecker genannt. Das kommt daher: Einst kam ein Bauer aus Polkitten mit einer ganzen Wagenladung jener köstlichen Frucht, welche für den echten Ostpreußen der Inbegriff des Wohlschmeckenden ist, nämlich graue Erbsen, nach Schippenbeil herein. Da er aber aus irgendeinem Grunde mit den Kaufleuten nicht handelseinig wurde, so rief er seine Ware in den Straßen aus. Da die Schippenbeiler Hausfrauen die Vorliebe der Ostpreußen für graue Erbsen teilten, so liefen sie alle oder sandten ihre Mägde und verlangten Proben von dem Bauern, und das geschah so oft und vielfach, daß mit einem Mal die ganze Wagenladung aufgeschmeckt war, und der Bauer schimpfend und jammernd mit leerem Wagen nach Hause fahren mußte.
Die Schippenbeiler heißen aber auch Bärenstecher. Einmal war nämlich ihr Bürgermeister zum Landtag nach Königsberg gefahren und hatte die Gelegenheit benutzt, sich in der großen Stadt einen neuen Bärenpelz zu kaufen. Als er mit diesem geschmückt in Schippenbeil wieder ankam, hielten ihn seine Mitbürger für einen richtigen Bären, gingen ihm mit Knüppeln und Spießen zu Leibe, und es fehlte nicht viel, so hätten sie ihn totgeschlagen.
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