Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Jurist und Bauer.

Fürchte Niemand bei Lesung dieses Titels, mit einer Recension des gleichnamigen alten Lustspiels, das seit einiger Zeit wieder als Gespenst auf der königl. Bühne umgeht, unterhalten, oder richtiger gesagt, gelangweilt zu werden. Wir beabsichtigen vielmehr nur, unter dieser Ueberschrift einen Schwank zu erzählen, der in der juristischen Generation reiferen Alters wahrscheinlich manche Erinnerung an ein Original wecken wird, das seitdem wohl längst verschollen sein mag. Man beklagt sich über das Verschwinden dieser ergötzlichen, und das hausbackene Leben anfrischenden Menschensorte. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob mit Recht oder Unrecht, so viel aber ist gewiß, daß in der Rechtsgelehrsamkeit Originale von der Eigenthümlichkeit des Referendarius B., wie wir ihn für den Fall, daß er noch unter den Sterblichen umherwandelt, nennen wollen, stets zu den äußersten Seltenheiten gehören. Wenn man vielen Juristen menschliche Schwächen vorwerfen kann, 185 so beschränken sich diese doch auf unnatürliche Ausschweifungen in der Lyrik und tragischen Poesie. Nur ausnahmsweise sind sie frevelhafte Humoristen, aber unendlich selten kommt es vor, daß ein Kraftgenie den Beruf des Richters selber zum Object seiner humoristischen Lebensauffassung macht, und Angesichts ernster und mächtiger Collegien mit der Gesetzgebung und Proceßordnung ein anmuthiges Spiel der Parodie und Travestie treibt. Zu diesen seltenen Geistern zählte B., und man wird von ihm sofort eine geeignete Vorstellung erhalten, wenn wir folgende kleine Episode aus seiner richterlichen Thätigkeit vorausschicken. Einer der ältesten Räthe des Kreisgerichts war im ersten Stock mit der Abhaltung eines Termins beschäftigt, als sich über ihm ein furchtbarer Lärm erhob. Anfangs unterbrach der ernste Beamte die Verhandlung und wartete, als aber das Toben, statt aufzuhören, in einer Besorgniß erregenden Weise zunahm, stieg er die Treppe hinauf und betrat das Zimmer. Referendarius B. war hier mit einer Sache zwischen zwei Ackergutsbesitzern beauftragt. Statt aber in richterlicher Würde am grünen Tische zu thronen, lag er im offenen Fenster und studirte mit innigem Vergnügen die Haltung der eben vom Exercierplatz unter Trommel- und Pfeifenklang heimkehrenden Füseliere. Die ehrenwerthen Ackergutsbesitzer waren unterdessen übereinander hergefallen, hatten die Beine aus einer alten Bank losgemacht und wälzten sich, würgend, raufend, stoßend und schlagend auf dem Erdboden umher, der natürlich nicht reiner gefegt war, als es in solchen 186 ehrwürdigen Lokalitäten meistens der Fall zu sein pflegt.

Entsetzt starrte der alte Rath in die wüste Staubwolke und den wirren Knäuel von ländlichen Armen, Beinen, langen blauen Rockschößen und großen messingenen Knöpfen.

»Mein Gott, Herr Referendarius, was geht hier vor? Bringen Sie doch die Menschen auseinander!«

»Was giebt's, Herr Rath?« fragte der Humorist, »ah so – stören Sie mir die Parteien ja nicht, ich habe sie mit vieler Mühe zu einem Vergleich bewogen!»

Wenn wir gut unterrichtet sind, so war die Versetzung B.'s nach einem anderen Gerichte die Folge seiner, von so glänzenden Resultaten gekrönten Ueberredungsgabe. Als wir ihn vor einer Reihe von Jahren von Ansehen kennen lernten, bewegte er sich viel an den öffentlichen Versammlungspunkten der Berliner Weißbierphilister und imponirte ihnen durch Erzählungen à la Münchhausen aus seinem Dienst der afrikanischen Fremdenlegion, deren Feldzüge in Algier er mitgemacht und dabei das Kreuz der Ehrenlegion erworben haben wollte. »Wir wurden eines Morgens von der zehnfachen Anzahl Araber angegriffen. Denken Sie sich, meine Herren, rechts den Atlas mit seinen unersteiglichen Felsenhöhen, links in einem schauerlichen Abgrunde die Ruinen von Karthago nebst dem Epitaphium des Hannibal, vor uns die Wüste Sahara mit einem paar Tausend Gurgelabschneidern, hinter uns das mittelländische Meer – und Sie haben unsere verzweifelte Stellung. Wir schlugen uns 187 mit Todesverachtung den ganzen Tag hindurch, ohne einen Bissen Brod, ohne einen Trunk Wasser – endlich war die letzte Patrone verschossen. Es blieb uns nur zwischen zwei verzweifelten Versuchen die Wahl, entweder uns vorwärts nach Aegypten durchzuschlagen, oder uns durch Schwimmen zu retten. Außer mir war nur noch ein Kamerad am Leben. Wir beschlossen, uns dem Meere anzuvertrauen. Uns in die Wellen werfend, tauchten wir erst nach einer Viertelstunde in namhafter Entfernung wieder empor; die Araber hatten uns aus dem Gesichte verloren. Drei Tage und Nächte schwammen wir in der Hoffnung, endlich Sicilien zu erreichen, so unermüdlich fort, uns bald nach Sonne, bald nach Sternen richtend; endlich blieb ich hinter meinem Gefährten zurück. Nicht daß die Kräfte mich verlassen hätten, nein, ich war noch im Stande, meinen Weg fortzusetzen, aber ein kleines und doch so bedenkliches Mißgeschick war mir wiederfahren; ich hatte mir – einen Wolf geschwommen. Zur rechten Zeit entdeckte uns noch ein französischer Postdampfer und nahm uns an Bord.« Dieser Styl wird über seine Begabung und den Erfolg bei seinen talentvollen Zuhörern keinen Zweifel übrig lassen.

Nach einer Reihe von Kneipenabenteuern, in denen er sich als Mann von seltener Thatkraft bewies, verschwand er aus der Residenz und beglückte das engere Vaterland von Neuem an dem Gerichte einer Provinzialstadt durch seine geistreiche Auffassung gegebener Rechtsverhältnisse. Ja, wenn ihm die Vorkommnisse des praktischen Lebens dergleichen nicht in genügender Weise für 188 seinen Durst nach heiterer Unterhaltung boten, schuf er sich selber sinnige Rechtsfragen und schlichtete sie mit unsterblicher Meisterschaft.

Einer seiner jüngeren Collegen hatte eines Tages einen alten Bauer, der ihn in der langweiligen und unbehülflichen Weise solcher Leute auf dem Flur in einer Angelegenheit um Rath gefragt hatte, barsch angeschnauzt und war davon gegangen.

B. kam eben dazu, als der Bauer seinem Zorn über die vermeintlich erlittene Zurücksetzung Luft machte, und fragte ihn, was vorgefallen sei.

»Kann ich nicht den Herrn Präsidenten zu sprechen bekommen?« sagte der entrüstete Bauer.

»Da wenden Sie sich an den rechten Mann, lieber Alter, treten Sie nur ein und theilen Sie mir Ihre Sache vorläufig mit«, antwortete B., entzückt, Aussicht auf einen Spaß zu haben.

Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen. Er schüttete sein Herz aus und häufte alle möglichen Schmähungen auf das Haupt des groben Referendarius, der nach seiner Meinung sein Amt ungebührlich vernachlässigt hatte.

»Das ist allerdings ein sehr trauriger Fall, mein Lieber,« sprach B., »wir haben hier das schwere Criminalverbrechen eines Beamten, der sich der »Rechtsverweigerung« schuldig gemacht hat. Können Sie mir diesen Menschen näher bezeichnen?«

»O ja, Herr Präsident, er ist in die zweite Thür nebenan gegangen.«

»Wie sah er aus?« fragte B., die Stirn runzelnd.

189 »Na, er hatte einen kleinen Schnauzbart und einen Krauskopf.«

»Schon gut, ich weiß genug, setzen Sie sich nun hierher, lieber Mann, und warten Sie ein paar Minuten. Ihnen soll Ihr Recht werden; der Verbrecher muß sofort in Anklagezustand versetzt und vor Gericht gestellt werden. Gedulden Sie sich so lange, ich will nur die Herren Räthe zusammenrufen.«

Mit großer Zufriedenheit nahm der Bauer Platz, während B. hinauseilte, und nicht allein seinen der »Rechtsverweigerung« schuldigen Collegen, sondern auch noch die für ein Collegium hinreichende Anzahl junger Referendarien zusammenraffte, welche bei der vorgerückten Mittagsstunde eben im Begriff standen, das Gericht zu verlassen. In feierlichem Aufzuge wurde der Verbrecher von dem angeblichen Präsidenten und seinen Räthen auf die Anklagebank gesetzt, worauf sich der Gerichtshof constituirte und den Bauer seine Anklage vorbringen ließ.

Der langen Rede kurzer Sinn war der, daß der Bauer von einem Nachbarn bei dem Ankauf eines Arbeitspferdes mit einem sogenannten Krippensetzer betrogen worden, und bei Gelegenheit des Wochenmarktes auf das Gericht gekommen war, um sich Rath zu holen. Der schuldige Referendarius nun hatte ihm nicht Rede stehen wollen.

Nach einem großartigen Verhör, dessen Ausmalung wir der Phantasie der Leser überlassen müssen, fragte B. endlich den Angeklagten: »Bekennen Sie sich schuldig?«

190 Der blonde Krauskopf strich anscheinend reuevoll den Schnurrbart und gab zu, daß er den Ankläger allerdings auf eine nicht überhöfliche Weise abgetrumpft habe.

»Bei dem erfolgten Eingeständniß des Angeklagten können wir ohne Geschworene verfahren,« sagte der Präsident B. zu dem über eine so prompte Rechtspflege erfreuten Bauer, »der Gerichtshof wird sich jetzt auf kurze Zeit zurückziehen.«

Der Bauer blieb mit dem Angeklagten etwas lange allein im Gerichtssaale zurück, während dieser ihn durch unheimliche Gebehrden und Blicke zu ängstigen suchte, allein bald erschien zu seinem Troste das Richter-Collegium. Der Präsident befahl dem Angeklagten aufzustehen, ersuchte dagegen den Bauer, der sich gleichfalls erhob, ruhig sitzen zu bleiben:

»Seit geraumer Zeit ist in dieser Stadt und Gegend kein so schweres Verbrechen vorgekommen, wie das, welches heute die Mitglieder des Kreisgerichtes versammelt hat. Abermals sind es die sittlichen Nachwehen einer verwahrlosten Erziehung, die wir in dem Verbrechen dieses verabscheuenswerthen jungen Menschen wiederfinden – Angeklagter nehmen Sie keine Prise, so lange Ihr Richter mit Ihnen spricht! – Durch ein Amt, durch den geleisteten Eid verpflichtet, durch ein ansehnliches Gehalt als Referendarius sogar dazu aufgemuntert, die Gerechtigkeit in seinem Vaterlande nach besten Kräften aufrecht zu erhalten, hat sich dieser Mensch nicht entblödet, einen ehrwürdigen Landmann, der ihn arglos in einer 191 wichtigen Angelegenheit seines Lebens, in der hochbedeutenden Frage des Krippensetzers, um Rath anging, auf das Schnödeste abzuweisen, ja ihm, wider alle Landesgesetze, gröblich den Rücken zu kehren. Es würde mit Recht und Gesetzen in unserem Vaterlande zu Ende sein, wenn das genannte Verbrechen nicht mit äußerster Strenge bestraft würde. Nachdem daher der Präsident alle Gründe für und wider wohl erwogen hat, verfügt daher der Gerichtshof, daß der Angeklagte wegen »Rechtsverweigerung« mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu bringen sei. Diese Strafe aber soll am nächsten Mittwoch, zur Genugthuung des Beleidigten, und in seinen alten Gerechtssamen geschädigten Bauernstandes, pünktlich um zwölf Uhr Mittags auf dem Wochenmarkt vollzogen werden! Angeklagter, haben Sie noch sonst etwas zu sagen?«

Leider betrug sich, wie uns ein Augenzeuge aus der Mitte des Gerichtshofes erzählt, der Angeklagte in seiner traurigen Lage nicht mit der gebührenden Ehrfurcht gegen seine Richter. Statt zu schweigen, wie es sich geziemt hätte, wenn er nichts Besseres, Würdigeres Angesichts seines offenen Grabes zu sagen wußte, citirte er mit vollendeter Unverschämtheit, gegen den Ankläger gewandt, jene bekannte Stelle aus Götz von Berlichingen, welche der Verleger, Herr Baron von Cotta, in der Gesammtausgabe von Goethe's Werken nur durch Gedankenstriche anzudeuten gewagt hat. Ungleich angemessener betrug sich der Bauer, dem auf eine so unerwartete Weise plötzlich Genugthuung zu Theil geworden war. Ohne 192 sich durch die freche Aeußerung und Einladung des Verurtheilten beleidigt zu fühlen, brach er, durch das blutige Urtheil erschreckt, in einen Thränenstrom aus, und bat, dem armen Sünder das Leben zu schenken. Er sei ja noch ein junger Mensch und habe den groben Bescheid vielleicht nicht so schlimm gemeint. Wenn er sich auch sehr übel betragen habe, so sei die Strafe des Schwertes doch über alle Maßen hart, und er bitte den Gerichtshof, dem »Rechtsverweigerer« das Leben zu schenken.

Diese von einer Fluth warmen Salzwassers begleitete Bitte vermochte den Präsidenten, sich noch einmal mit dem Gerichtshofe zurückzuziehen und den Bescheid zu ertheilen, daß auf Grund der schönen Bitte des Anklägers dem Verurtheilten diesmal noch das Leben geschenkt werden sollte, doch müsse, um der Gerechtigkeit nicht zu nahe zu treten, der Bauer die Kosten des Verfahrens bezahlen.

So endete dieser berühmte Rechtsfall. Der Bauer entfernte sich, Präsident, Gerichtshof und armer Sünder wälzten sich vor Lachen, und die Sache wäre wahrscheinlich verschwiegen geblieben, wenn der Bauer nicht vor Entzücken über das neue beschleunigte Verfahren in seinem Dorfe geplaudert und die rechtsbedürftigen Landsleute nach der Stadt geschickt hätte. Der Criminalproceß kam dergestalt vor den wirklichen Präsidenten, und der geschätzte Humorist, Referendarius B., mußte froh sein, nur durch eine einfache Versetzung an ein anderes Gericht für das gefällte Todesurtheil gegen einen Collegen bestraft zu werden. 193

 


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