Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Das starke Centrum.

(Doppelnovellette.)

Auf einem Jahrmarkt sah ich im letzten Sommer einen Mann, der sich als berühmter nordischer Herkules von Kindesbeinen an redlich ernährt hatte. Er trug fleischfarbene Tricots mit gewaltigen Muskeln an Armen und Beinen, ein Tigerfell war leicht um seine Hüften geschlungen, in seinen Händen schwang er drohend eine knotige Keule und es war ihm Spiel, einen kolossalen Balken aufzuheben und auf den Zähnen zu balanciren. Ich fand denselben Mann nach der Vorstellung am Abendtische im Gasthause wieder und ließ mich mit ihm in ein Gespräch ein. Er war ein Berliner und sprach den Dialekt unserer guten und treuen Stadt, schien aber mehr melancholischer als herkulisch-sanguinisch-cholerischer Gemüthsart zu sein. Der auffallende Unterschied zwischen seiner kräftigen Erscheinung während der Kunststücke und dem jetzigen geknickten Aeußeren des Sechziger's befremdete mich so, daß ich ihn fragte, wie es 136 ihm möglich sei, bei seinen vorgerückten Jahren einen so hohen Grad von Kraft zu entwickeln.

»Lieber Herr«, sagte der starke Mann, »es ist Allens nur noch Augenverblendniß, Allens nur noch für ganz kleine Nester; nach großen Städten darf ich so nicht mehr kommen!«

»So, was heißt das?«

Der Mann zuckte die Achseln, sah mir fragend ins Auge und da er Mitgefühl und Verschwiegenheit darin zu lesen schien, wiederholte er schmerzlich und kopfschüttelnd: »Augenverblendniß, Augenverblendniß!«

»Aber ich habe doch selber gesehen,« sagte ich, »wie Sie die ungeheure Keule mit ausgestrecktem Arme minutenlang starr ausgestreckt hielten, wie Sie den Balken erhoben, den Anker auf der Nase trugen?«

»Allens hohl,« seufzte der Mann, »Allens von Pappe – Anker hohl, Balken hohl, Keule hohl – Allens von Pappe, nur Pappe!«

»Armer starker Mann!« seufzte ich, ihn bedauernd.

»Ja sehen Sie,« antwortete er, mein Glas nehmend, und einen Zug darans thuend, der wenigstens die nie alternde Kraft seiner Gurgel unwiderleglich bewies, »das Publikum in großen Städten läßt sich kein X für ein U mehr vormachen, das junge Volk will Alles selber anfassen, das rückt Einem auf die Bude, das befühlt Einen von Kopf bis Fuß – aber hier gelten wir noch was, hier fürchtet man sich vor den wilden grimmigen Gesichtern, hier bücken sich die Leute ängstlich, wenn ich die Keule schwinge und den Balken 137 aufhebe; hier bin ich noch der alte berühmte nordische Herkules, der starke Mann.«

Ein Lächeln entschwundener Jugend und Fülle blitzte über seine welken Züge, aber schnell verlor es sich in sorgenvollen Falten.

»Aber ich sah doch schwellende Muskeln, eine gewölbte Brust?«

»Watte, nichts als Watte,« klagte der Arme.

Es war Zeit zu Bette zu gehen. Am andern Morgen mit Tagesanbruch verließ ich den Ort, aber die Erinnerung an den starken Mann blieb in meiner Seele; der eigentliche wahre Zustand des nordischen Herkules hatte in meinem Herzen einen Stachel hinterlassen. –

Neulich war ich in Gesellschaft.

Sie bestand aus einer Menge der verschiedenartigsten Leute der Berliner Intelligenz. Des Vorgestelltwerdens und Beulen in den neuen Hut Drückens war gar kein Ende. Nach vieler Mühe gelang es mir im Theezimmer ein gemüthliches Plätzchen neben einer liebenswürdigen älteren Dame zu erobern. Die Gute hat mich gern, ich befolge ihre besänftigenden mütterlichen Lehren gern und schenke ihren reizenden Jungen noch lieber Bilderbücher und Bonbons; sie war auffallend niedergeschlagen. Da mich bei ihrem heiteren Temperament diese Stimmung befremdete, erlaubte ich mir, sie nach dem Grunde zu fragen. Mit jenem wunderbaren Aufschlage von Augen, die viel geweint und gelacht haben, die deshalb nur der blaue Himmel, der am meisten lacht und weint, selber übertrifft, sagte sie: »Das fragen Sie? – die Kammern kommen zusammen!«

138 »Und was kümmert Sie das? Sie, eine Frau, die in ihrem eigenen Hause die absolute Majorität der Stimmen der Liebe und Anhänglichkeit besitzen, Sie, die nicht einmal die abgebrannte erste Kammer kennen gelernt haben?«

»Aber mein Mann!« sagte die betrübte Frau leise und ich erinnerte mich, daß ihr Gemahl Abgeordneter zur zweiten Kammer sei.

»Glauben Sie denn, geehrte Frau, daß Ihr Gemahl diesmal größeren Gefahren ausgesetzt sein wird, als in den früheren Sitzungsperioden der Kammer? so viel ich mich erinnere, gehört er, wir haben ja oft mit ihm selber darüber gelacht, einer Fraction darin an, welcher dieser Thee darin gleicht, daß man nicht weiß, ob sie warm oder kalt ist?«

»Das wird diesmal Alles anders werden«, antwortete Madame ernster, als es ihre Sitte war.

»Wie so? Sie erschrecken mich!«

»Diesmal giebt es ein starkes Centrum und mein Mann will Alles daran setzen, ein solches zu bilden.«

»Sollte das so gefährlich sein?« fragte ich mit leiser Ironie.

»Sie kennen meinen Mann nicht; er ist entsetzlich, wenn die politischen Leidenschaften in ihm erwachen; er ist dann zu Allem fähig.«

»Aber mein Gott,« sagte ich nicht ohne Besorgniß. »trösten Sie sich Madame, am Ende müssen Sie doch mit ihrem Herrn Gemahl schlimmere Zeiten durchgemacht haben, z. B. im vorigen 139 Jahre, bei der Mobilmachung, als die Kammern vertagt wurden und die Aufregung den höchsten Grad erreicht hatte – zuletzt stimmte ihr Herr Gemahl doch mit der Rechten, für das Ministerium!«

»Davon will mein Mann nichts mehr wissen; er behauptet, die Situation habe sich so verändert, daß davon keine Rede mehr sein könne.«

»Aber er wird mit sich reden lassen. Bedenken Sie, daß ihr Herr Gemahl sich sogar oft durch inbrünstiges Gebet für sein oppositionelles Votum gestärkt und in seinem Gewissen mit Gott abgefunden hatte und daß er dennoch durch die unwiderstehliche Gewalt der namentlichen Abstimmungen, die tugendhaftesten Vorsätze der Fractionsversammlungen vergessen hat.«

»Sie müßten seinen jetzigen Zustand sehen, und Ihnen würde, wie mir, aller Scherz vergehen; der Mann ist nicht wieder zu erkennen.«

»Bitte, reden Sie –«

»Er rührt seine Bratsche nicht mehr an, Commerzienrath's schicken vergebens täglich herüber, um mit ihm ihren Robber zu machen, er zankt wider seine Gewohnheit mit den Leuten, und Abends, wenn die Kinder zu Bett sind, geht er in meinem Zimmer auf und ab, streckt den Arm gewaltig aus und ruft: das muß anders werden, so geht es nicht weiter, jetzt oder nie, nur ein starkes Centrum! Frage ich ihn dann nach dem Näheren, so beginnt er von England zu reden, wie theuer uns das Leben dort wohl zu stehen kommen würde, auf welche Weise wir dort die Kinder nach deutscher Sitte erziehen könnten, so 140 daß ich glaube, der arme Mann hat etwas Ungeheures vor und denkt an die Flucht nach London. Auf mein Dringen hat er keine andere Antwort, als: liebes Kind, du weißt nicht, wie Alles kommen kann; es ist mit dem starken Centrum nicht zu spaßen; wir können Märtyrer unserer politischen Ueberzeugung werden. Soll ich mich da nicht ängstigen?« Dabei kamen der armen lieben Frau wahrhaftig heiße Tropfen in die Augen.

Was thun? getröstet mußte sie werden und ich erzählte ihr die Geschichte von meinem nordischen Herkules, während ihr Gemahl, wie ich bemerkte, eben eine Prise aus der goldenen Dose eines Ministers nahm und froh und still beseligt wie eine junge Mutter aussah. Die schönen Augen der trefflichen Frau klärten sich auf, die Wolken des starken Centrums standen an dem Horizont des Familienlebens nur noch im Westen, schwach wetterleuchtend.

Nach einigen Stunden führte ich sie zu Tisch. Die Pastete wurde ihr zuerst gereicht. Um den lockeren Blätterteig zu öffnen, machte sie eine zu starke Bewegung, der Teig brach und der Löffel glitt auf der Schüssel ab.

»Allens Augenverblendniß!« sagte ich, sie lachte laut auf, und vom starken Centrum war nicht mehr die Rede. 141

 


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