Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Henriette Sontag in Leipzig.

Die geflügelten Gedanken der Mechanik und Kunst gebieten über Raum und Zeit. Es ist kein kleinerer Triumph für den Geist, Tagereisen in wenige Stunden zusammenschrumpfen, als goldene Jugend sich über ein ganzes Leben verbreiten zu lassen. So ziemt es sich, daß man in kaum dreißig Stunden ein halbes Hundert Meilen zurückgelegt, um eine Künstlerin zu hören, die uns vergessen macht, daß sie einst jung gewesen ist, weil sie noch jung ist, weil sie das beste Kosmetikum in der Seele, in ihrem Haupte trägt: den Geist.

Brausen des metallenen Ungeheuers, weißleuchtender Rauch, graubraune Flächen, schneeige Linien und Zacken am Horizont, Läuten der Stationsglocken, Geplauder der frohen Reisegefährten, Gewühl bei der Ankunft, ein frohes Mahl; das ging an uns wie im Traume vorüber, wie uns ja auch die ganze Zeit vergangen ist, seitdem wir vor fünf und zwanzig Jahren »una voce poco fa« 90 von der genialen Künstlerin gehört haben. Und wieder schlägt das Orchester die wohlbekannten Klänge an, die Seitenthür öffnet sich und die reizende Rosine hüpft herein. Um die volle aber kräftig zierliche Gestalt schmiegt sich das blaßröthlich-seidene Gewand, unter dem schwarz-sammtnen Mieder mit schwarzen Spitzengeweben nach spanischer Sitte verziert, das seidne reiche dunkle Haar ist einfach gescheitelt, eine mild-rothe Blüthe wiegt sich sanft auf dem antik verschlungenen Haarknoten, schwarze Sammtbänder mit Brillantknöpfen zeichnen sich köstlich auf dem herrlichen Nacken, den weißen Armen ab; das ist Henriette Sontag.

Die Erinnerung betrügt den Menschen so leicht. Wir finden mangelhafte Bilder unserer lieben Gestorbenen zuletzt ähnlich und weinen vor ihnen vielleicht bitterlicher, als an ihren blassen Gestalten, da sie von uns gingen; soll unser Lächeln nicht unendlich wonniger sein, da wir ein in der Erinnerung innig bewahrtes Bild in Wirklichkeit vor uns auftauchen sehen und uns zuflüstern hören, daß wir statt zu verlieren, gewonnen haben.

Es ist dieselbe Stimme, es sind dieselben Augen, Glanz und Klang derselben göttlichen Heiterkeit der Seele, aber was Gereiftes darin ist, das beruht in der Patina des Genius; es ist der Schmerz, der durch diese Stimme und diese lieben Augen gezogen ist und sie in die höhere Sphäre der Kunst erhoben hat. Diese Augen haben geweint, diese Stimme hat geseufzt! Natürliche Blumen und Blumennaturen schlürfen den Thau 91 des Himmels aber nur zu ihrer Erquickung und so erhöhen jene Tropfen zuletzt den Duft und beleben die zarten Farben. Wunderbarer Eindruck – wohin rechnen wir diese Erscheinung, die unsere Kategorien von »Mädchen und Frau« so in Verlegenheit setzt; die der Frauen Gluth und anschmiegende Zärtlichkeit mit der tändelnden Leichtigkeit und dem holden Uebermuth des Mädchens verschwistert hat? Es ist der volle Ausdruck einer reichen weiblichen Natur, der keine der Phasen des Mädchen- und Frauenlebens verloren gegangen ist, die alle psychischen Phänomene fixirt und in das höhere künstlerische Bewußtsein, das zugleich Regulativ ihrer ganzen Existenz ist, aufgenommen hat. Daraus erklärt sich die magische Wirkung der Bezaubernden, und daher erscheint es als ihre Nothwendigkeit, daß sie in sich reicher und tiefer geworden ist. War ihre erste Jugend Melodie, so hat gleichsam das Leben die begleitende Harmonie entwickelt und aus der Einseitigkeit der Virtuosität die Totalität eines seelischen Kunstwerkes herausgerundet.. Das Gemälde ist aus seinem Rahmen gestiegen und Skulptur geworden. Leicht wäre es, sich in weitere Abstractionen zu verlieren, wenn nicht das lebenswarme Gebild immer wieder die Phantasie auf die Einzelnheiten des schnell entschwundenen Kunstgenusses zurückführte und die organische Production vor der mechanischen Deduction schützte.

Die Stimme Rosinen's ist ihrem innersten Wesen nach süß, und ihr Tonanschlag hat dieselbe reizend überraschende Gewalt, als der Aufschlag der schelmischen Augen; das ist die Gemeinschaft 92 aller großen Künstlerinnen, die mit nie alternder Seele singen. Gleich gerundet und unmittelbar entstehen die Bewegungen der Arme, die Hebungen und Senkungen des Hauptes. Von der Fertigkeit ist kaum noch etwas zu sagen, denn die ganze Stimme ist wie ein gaukelnder Falter, hinter dem das Ohr des Musikers wie ein wildverfolgender Knabe einherjagt, ohne ihn einzufangen. Die Feder mit ihrer plumpen und grausamen Manier muß sich die Lust vergehen lassen den Tonschmelz auf das Papier zu stechen und im Raritäten-Cabinet sehen zu lassen. Henriette Sontag braucht sehr selten ihre volle weiche Stimme; nur für den Ausdruck einer tiefen und liebreichen Empfindung zieht sie den Ton, wie auf einer Cremoneser Geige mit langem Bogen heraus. Tändelei und Spiel des Zufalls im Leben drappirt sie mit diesen wunderbar gekräuselten Arabesken ihrer italischen Kunst. Hier ruht für den Gesangskenner ein ganzer Schatz von schwierigen Problemen, aber er zerflattert vor dem Ohre, wie eine wundersame Wolkenbildung vor dem Pinsel des Males.

Die erste Arie überschüttete die Lauschenden förmlich mit diesen Amoretten, und jene derben Lorbeerkränze und gewichtigen Blumensträuße, die man der Holden zuwarf, waren nur ein schwacher Entgelt für die ätherischen Spenden, mit denen sie unsere Häupter umkränzte. Hatte sie in dieser ersten weltberühmten Arie alle Zuhörer als einen mitspielenden Chor an sich gezogen, so verwandelte sie die folgende Arie des Bartolo in ein Duett, in dem sie die Oberstimme mit den Augen sang. 93 Rossini mag vielleicht absichtlich das Musikstück in den unteren Chorden der Saiteninstrumente geschrieben haben, weil er so schöne und beredte Augen in seiner Künstlerseele voraus ahnte und auf singende Blicke im stummen Spiel Rosinens rechnete. Wie mystificirt standen diese armen Teufel von Figaro und Bartolo vor ihr, als das »Billetchen« zum Vorschein kam, das Taschentuch über den angeblichen Waschzettel geworfen wurde und das ironische »Danke, danke!« den grimmigen Doctor zur frechen Parodie herausforderte.

In der Clavierscene erhielten wir nicht die Variationen von Rode, Henriette Sontag sang ähnliche von Adam über ein höchst kunstloses Liedchen: »Ah, vous dirai-je Maman«, das auch schon Mozart einst zu Pianovariationen Gelegenheit gegeben hat. Der Componist versuchte hier an einer gewissen Stelle, die Flöte mit der Singstimme kämpfen zu lassen – trostloser Wetteifer eines Klappenmechanismus an einem Stück todten Holzes, mit dem lieblichen Rieseln einer schelmischen Frauenstimme! Die Schlußkadenz mag die keckste Herausforderung sein, die je von einem Componisten der Stimme zugeschleudert worden ist. Die chromatisch verschlungenen Passagen, in denen Flöte und Gesang mit einander zum Triller tändelten, sind eine Klippenpartie in dem Ocean der Gesangsstücke, an der jede minder geschickte und geschmeidige Kraft kläglich Schiffbruch leiden muß.

Leichter aber auch ungleich lieblicher war die Composition einer Polka von Karl Eckert, welche Henriette Sontag am Schluß der Oper 94 uns noch als Scheidegruß mit auf den Weg gab. Mit Feinheit und Geschmack waren hierin alle die reizendsten Momente ihrer genialen Gesangsmethode zu einem Genrebilde vereinigt, dessen Grazie wahrhaft erquickte. Der Vorhang rauschte herunter; es war Alles wie ein Traum gewesen.

Und Berlin? – Leider war es nur sparsam vertreten; zu dem nie wiederkehrenden Kunstgenuß hatten sich nicht mehr als achtzig und einige Theilnehmer gefunden. Man muß auch jung geblieben sein, wenigstens im Herzen, um sich selbst und seine Bequemlichkeit an eine so zarte Freude setzen zu können. Viele, die Henriette Sontag einst zugejubelt haben, mögen in sich längst todt, begraben und eingewickelt sein in die langweiligen Byssusstreifen ihrer Philisterei, ausgedörrte Mumien – was kümmert es die große und junge Sängerin. Die griechische Helene kredenzte in ewiger Jugend noch dem kopfwackelnden Menelaus den Becher, und Enkel durften sich im vorigen Jahrhundert um eine berühmte Schönheit bewerben und unglücklich werden. Es fehlte die kräftige genußsüchtige Jugend, deren Vorrecht es ist, sich an der Schönheit des Weibes zu berauschen und die zu wenig auf ernsterem Kampfgebiet gethan hat, um laue Gesinnung gegen die Kunst rechtfertigen zu können; es fehlte der eigentliche Reichthum, weil er als guter Rechner zwischen den Jahren der Sängerin und der Reiseausgabe auf gut kaufmännisch die Bilance ziehen wollte, und die Erfahrung machen sollte, daß man sich auch einmal verrechnen kann; es fehlte hoher Stand und Würde, weil sie vielleicht scheel 95 sehen mochten, daß das Genie von dem Lotterbett des höfischen Lebens aufgestanden und hinaufgestiegen sei auf das Piedestal des Ruhmes, weil sie mürrisch schmollten, daß ein schönes und geniales Weib den ganzen Ceremonienkram hingeworfen habe für die Lust, Seelen zu berauschen und Freude um Freude einzutauschen und lieber Gold zu ernten, als in den grünen Abgründen der Spieltische länger Gold zu versenken. Ein gewisses manneskräftiges Alter war vertreten und ein reicher Flor schöner Frauen. Wie mußten sie sich getröstet und erhoben fühlen über das niedrige Vorurtheil, das den Mann länger als das Weib jung bleiben läßt!

Und Leipzig? – Das gute Leipzig hatte in der Todesangst gelebt, daß Berlin selb Tausenden anrücken werde, daß die Mausefalle von Theater in der reichen Stadt bersten würde von Berlinern; Leipzig hatte sich nicht hereingewagt. Schon am Bahnhofe waren sie aber in Reihen aufmarschirt, die berliner Sturmfluth in ihre weichen sächsischen Seelen zu prägen und in ihrem berühmten kleinpariser Dialekt darüber schnackische Glossen zu machen. Aber man muß ihnen dennoch dankbar sein, sie hatten trefflich gekocht, die Suppe war heiß, der Champagner in Eis gestellt, die Gasthofsequipagen nach dem Bahnhofe geschickt und die »Hausmänner«, um nicht Portier zu sagen, unter den Thorweg postirt, stolzer trugen die Oberkellner die Feder hinter dem Ohr und hoffnungsvollere und unterwürfigere Stubenmädchen gab es nie, als am sechszehnten Februar in Leipzig.

96 Auch haben sie da zu Lande einen schönen Dialekt, der in seiner Nachgiebigkeit den Mund bis an die Ohren öffnet und beim Gesange fast wie das Italienische klingt, wegen der vielen lieblichen langen Vocale. Auch singen sie ihr sächsisches Italienisch auf dem Theater so gut als an der Table-dhôte, auf der Straße so gut als im Foyer, in dem sich zwei Menschen nicht vorbeigehen können, und ich wünschte, sie hätten auf ihren Theatersitzen so viel Platz, als sie Zeit zum Reden haben. Ihr Orchester, dirigirt vom Kapellmeister Rietz, war sehr gut und begleitete discret, aber um diese Stimme passend zu begleiten, muß das Orchester der »queen mab« engagirt werden und als Ballet der Elfenreigen des Sommernachtstraums.

Der Abend hatte etwas vom Sommernachtstraum und auch an Gevatter Zettel und seinen Rüpeln fehlte es nicht; aber der leipziger Wächter bläst eben auf seinem verstimmten Horn den jungen Tag an, die schöne Sängerin schläft gewiß längst im ersten Stockwerk, während meine unmelodische Feder im dritten Stock noch rastlos mit Lokomotiveneile über das Papier kritzelt; in vier Stunden pfeift es zur Heimkehr – es ist Schlafenszeit. 97

 


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