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Wo ein großer Zusammenfluß von Menschen stattfindet, wie in Residenzstädten, dauert es nicht lange und es tauchen zwei Arten von Charakteren auf: die gewaltsamen Nimrodsnaturen und die geschmeidigen Intriguanten. Finden sich diese beiden Eigenschaften in einer Person vereinigt, so giebt das jene Mischlingsgeister, welche Staaten umstürzen oder retten, Schulden nicht bezahlen, aber machen, Soldaten verführen oder Wehrzeitungen herausgeben, lobende Recensionen schreiben und dafür Geld nehmen, andere Leute in die Stadtvoigtei bringen oder selber hineinkommen, unwahre Dinge beschwören und auf einem Tische auf dem Molkenmarkt, vor dem Polizeigewahrsam um sechs Uhr Morgens stehen, kurz alle Menschencompositionen, von denen die zeitgenössischen Schriftsteller immer so viel als möglich stillschweigen, weil die Geschichtschreiber diese Mühe später, aber gefahrloser übernehmen. Wir auf unserem Gebiete können furchtloser zu Werke 58 gehen und diesen oder jenen Charakter analysiren, um die leidende Menschheit von ihm zu befreien; denn treffen wir ihn, so wird er vor dem gelungenen Portrait unfehlbar, wie der Basilisk vor einem vorgehaltenen Spiegel, eines lediglichen Zerplatzungstodes sterben.
Zwei der gewaltsamsten Menschen ihrer Zeit waren jene beiden Individuen, welche unter dem Namen: »Der Journaltiger« und »der Zeitungsbär« die wissenschaftlichen Bestrebungen der Kaffeebrüder in der Conditorei bei Stehely unsicher machten. Besagte Subjecte fanden sich etwas früher, als die bekannten nächtlichen Raubthiere auf Atzung ausgehen, ehe noch der Kaffee fertig war, bei Stehely ein und rafften, der Eine sämmtliche belletristischen, der Ander alle politischen Zeitungen, deren sie irgend habhaft werden konnten, zusammen und setzten sich darauf. Näherte sich dann irgend ein wißbegieriger Mensch, so legte der Journaltiger sein unverkürzte Kralle an die Beute oder der Zeitungsbär brummte gräßlich, bis jener Mensch von der Belehrung durch schöne und wahre Tagesschriften abstand, seine Tasse Kaffee bezahlte und entwich.
Wir haben es diesmal nicht mit solchen an der civilisirten Welt lastenden Ungeheuern zu thun; Stehely in einem Anfall von Herkuleswuth hat Beide hinausgeworfen; sie gehören der Naturgeschichte der nemäischen Löwen und erymanthische Eber an. Die Theaterschlange, ein noch lebendes Geschöpf, das freilich einen andere Namen, der mehr Gewaltsamkeit als 59 schmiegsames Wesen ausdrückt, bei den Kundigen führt, giebt uns Gelegenheit, wie einst der löbliche Erzengel Michael den Drachen, so sie selber zusammenzustechen.
Wer Abends im Foyer unserer großen Oper, wenn etwas Berühmtes vorgeht, das Gemisch seltsamer Physiognomien, dicker Bäuche, Lorgnons, Bonbontüten und mit Hühneraugen gefüllter lackirter Stiefeln studirt, wird an einigen Stellen im Gewühl eine wellenartige Bewegung entdecken.
Nähert er sich diesen Punkten, so wird er einen kleinen untersetzten Mann, der sich heftig durch das Gedränge arbeitet, als die theoretisch begründete Ursache jener auffallenden Erscheinung bemerken. Dieser Mann ist die Theaterschlange (Boa constrictor theatr. Buffon). Sein Aeußeres ist unverfänglich aber nicht wohl occidentalisch zu nennen, die Gesichtsfarbe ist mehr als sanft geröthet und die Physiognomie der sehr ähnlich, welche die scherzhafte Natur jenen wunderlich geformten Kartoffeln giebt, mit denen Bauernkinder so gerne spielen. Ein guter schwarzer Frack, moderne Weste und Cravatte, weiße reine Handschuhe bilden die gleißende, unverfängliche Außenseite der Theaterschlange, und durch ein großes Doppellorgnon sendet sie ihre Klapperschlangenblicke auf die armen Opfer. Während der Vorstellung liegt die Theaterschlange ruhig zusammengerollt auf ihrem Parquetplatz, wird aber zum Aktschluß geklingelt, so fährt sie wild auf, richtet sich empor, stürzt zum Foyer und geht auf Beute aus. Die Theaterschlange fristet ihr Dasein durch Schauspieler, Sänger 60 und Virtuosen. Wo es ihr gelingt, Personen dieses Berufes zu umstricken, schleppt sie selbige in ihre Behausung, setzt ihnen französischen Weinessig vor und preßt Gesänge und Vorträge aus den Unglücklichen durch ihre eiserne Umstrickung hervor. Hat sie Persönlichkeiten vollkommen ausgesogen, so sucht sie andere auf und beginnt ihr furchtbares Abendwerk von Neuem. Zu diesem Zweck hält sich die Theaterschlange stets in Theatern und Concerten auf.
Wie alle Reptilien größerer Art, ist diese Schlange nicht giftig und kann leicht durch Aufhebung der Abonnements und erhöhte Eintrittspreise von ihrem Platze vertrieben werden. In diesem Falle gelangt die Boa durch bisher unentdeckte Oeffnungen, an den Logenschließern vorbei, bald als überzählige Personen in eine Loge, bald auf die Tribüne, bald in das Parterre. In solcher Lage steht z. B. die Schlange auf der Treppe der Tribüne und grüßt, um den Anschein unbefugten Eindringens zu vermeiden, auf der andern Seite sitzende Personen, die sie gar nicht kennt und die sich sehr darüber wundern. Oft betrachtet sie auch durch ihr Glas Gegenden des Hauses, wo niemand sich befindet und nickt höchst cordial dorthin; schließt aber der Akt, so stürzt sie hinaus und sucht unglückliche Künstler in ihren Logen auf.
Zu ihren besonderen Eigenthümlichkeiten gehört, daß sie die eingeladenen Künstler nicht mit demselben Weine bewirthet, den sie selber trinkt. Es ist aber naturgeschichtlich festgestellt, daß ihr einstens von einem kühnen Bassisten die Flasche 61 mit Schloßwein vor der Nase weggerissen und mit dem rothen Bauerngewächs vertauscht worden ist, womit sich selber zu vergiften, dem Bassisten zugemuthet war. Den Tag über hält sich die Theaterschlange auf der Straße und in besuchten Conditoreien auf. Nachdem sie das Fremdenblatt verschlungen hat, begiebt sie sich in die Hotels, wo Künstler von Distinction eingekehrt sind und macht ihnen Besuche, indem sie sich als Notabilität von Berlin gebehrdet und den nichts ahnenden Künstler vorweg zum Essen bittet.
Von dort eilt die Theaterschlange in eine Gegend, welche die zu den Proben gehenden Schauspieler passiren müssen, hier drückt sie den Damen die Hände, bietet den Herren Priesen eines zweifelhaften Nessing an und horcht die armen Leute über Theaterneuigkeiten aus. Da die Theaterschlange hierbei auf dem Trottoir stehen bleibt, hingegen die Personen, mit welchen sie spricht, in den Straßenkoth drängt, erhält sie selber von Vorübergehenden wiederholte Rippenstöße ohne außer Fassung zu gerathen. Von dem Regenerationsprincip der Amphibien beseelt, heilen Rippenbrüche bei der Theaterschlange überaus leicht und ohne nachtheilige Folgen für ihren Appetit. Von hier begiebt sich das Reptil in eine Conditorei zu Spargnapani oder Kranzler, beobachtet die Straße auf Beute, liest Recensionen, Theaterzettel, verzehrt Windbeutel und trinkt Bischof, besieht sich im Spiegel und kratzt sich den Kopf. Unterdessen ist die Probe aus und die Theaterschlange eilt an den hintern Ausgang der Bühne, um von Lampenputzern einige offizielle 62 Neuigkeiten einzusammeln. In dieser Gegend wird ihr gern von jüngeren Künstlern, welche hohe Absätze an ihren Stiefeln tragen, auf die Zehen getreten, welche besonders empfindlich sind und die Theaterschlange bei heftigem Drucke in Zorn versetzen. Von dort aus eilt die Theaterschlange an die Börse und vergißt hier für eine Stunde ihre künstlerischen Lebenszwecke.
Nach Tisch liegt sie bis zur Theaterzeit in Lethargie versunken und verdaut langsam nach Schlangenart.
Der Concerte erfreut sich die Schlange ganz besonders, weil sie ihr einen freieren Spielraum der Bewegung gönnen. Man sieht sie hier aufgerollt sich im mittleren Gange bewegen, bald sich vertraulich auf einen Fachkritikus lehnen, bald sich von irgend einem Unbekannten mit großem Lärm einen Zettel borgen, bald einem Unglücklichen mit ihrem verpestetem Athem unter die Nase reden.
In den Pausen freut sich die Theaterschlange ihres Daseins, richtet sich auf, als ob die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung auf sie gerichtet wäre, und kaut gebrannte Mandeln, wobei sie, die Hände in den Hosentaschen, mit Geld klimpert.
Unter den Mitteln, die Theaterschlange los zu werden, hat sich am sichersten bewährt, sie bei ihrer ersten Visite sofort die Treppe hinunter zu werfen, da sie, ohne Schaden zu nehmen, doch dadurch in heilsamen Schrecken versetzt wird; kann man sie ohne Zeugen ohrfeigen, so besitzt sie das 63 achtungswerthe Zartgefühl, gegen solche Personen längere Zeit den Beleidigten zu spielen.
Würde es möglich sein, der Theaterschlange an der Börse einen tödlichen Schlag zu versetzen, so ist wahrscheinlich, daß das Echo dieses Streiches in die Hallen der Kunst schallen und sie von dem Ungeheuer für immer befreien würde.
Bis dahin bleibt nichts übrig, als Künstler zu warnen, stillschweigend zu dulden und im Frühjahr an einem Bache unter dem Säuseln der Zephyre einen daumendicken Haselstock abzuschneiden. 64