Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Auch ein Künstlersouper.

(Nach den Mittheilungen eines Cellisten.)

Das Concert war zu Ende. Die Damen erhoben sich und fanden es himmlisch, die Herren gaben ihren Schönen die Shawls um; man eilte nach Hause. Unterdessen hatte Gusikow, denn von ihm sprechen wir, die beiden Zauberstäbchen in die tiefen Taschen seines weiten seidenen polnischen Judentalars gesteckt, wo sie mit einer trockenen Semmel, die nach preußischem Landrecht mehr als mündig war, auf eigene Hand die letzten melancholischen Mazur's und Krakowiak's zu repetiren schienen; die hohe schwarze Mütze des Concertcostüms war mit einer Pelzkappe von gediegener Unreinlichkeit vertauscht worden und Gusikow rüstete sich mit seinen beiden Vettern, dem Aelteren und dem Jüngeren, seinen Reisebegleitern und Bedienten, nach Hause zu gehen. Der Sturm tobte draußen, der Regen floß in Strömen, aber das verhinderte den Mann nicht, der soeben zwölfhundert Thaler 98 eingenommen, trotz seiner hektischen Constitution fünf Groschen für eine Droschke zu ersparen.

Noch standen wir am Ausgange des Concertsaales im königlichen Schauspielhause. Ich war bei ihm geblieben, da ich dem jüngeren Vetter Cellounterricht gab und mich von dem genialen Virtuosen mit magischer Gewalt angezogen fühlte. »Herr H.«, sagte Gusikow, »heute bleiben Sie bei mir, heute ist ein festlicher Tag!«

Ich war erfreut, denn die heitere Laune des wahrscheinlich bevorstehenden Soupers würde, so hoffte ich, den eigenthümlichen Mann zum Sprechen bringen. Wir gingen, hinter uns die Vettern, der jüngere mit dem Holz- und Strohinstrument, in einem Sacke, der ursprünglich zu Hafer und Häcksel geschaffen worden war. Wir kamen bei ihm zu Hause an; aber da waren keine Vorrichtungen zu einem Nachtessen. Statt einer festlichen hellleuchtenden Lampe wurde ein Dreiertalglicht angezündet, ein Tisch vor den großen schwarzen Kachelofen gerückt und wir nahmen alle Viere Platz.

»Speisen wir!« rief der Virtuose in seinem jüdischen Dialect. Verwundert sah ich mich um; keine Spur von eßbaren Stoffen! Aber war es nicht möglich, daß der Wundermann, der trockenen Hölzern Silberklänge zu entlocken verstand, auch aus einer dürren Tischplatte irgend ein ragout fin oder eine Trüffelpastete zaubern konnte? Es ging indessen Alles leider auf natürliche Weise zu. Gusikow gab dem jüngeren Vetter einen Wink, derselbe öffnete die Ofenthür und zog einen Teller heraus, auf dem von Mittag her ein großer 99 Hechtkopf traurige Betrachtungen angestellt haben mochte, wie sie nur irgend ein menschlicher Tyrann, der auf seine alten Tage den Wechsel der Schicksale erfahren, anstellen kann. Gusikow nahm den Teller mit dem Hechtkopf vor sich und entkleidete ihn der eßbaren Theile, die in der Gegend saßen, wo der eigentliche Hecht in seiner schönen Zeit – ach wo war sie hin! – einst recht eigentlich angefangen hatte. Die Vettern saßen dabei und sahen auf sein Beginnen, wie zwei Katzen, die durch besondere Protection der Köchin beim Zubereiten der Fische in der Küche verweilen dürfen und sich sittig gebehrden, in der geheimen Absicht, falls die Köchin wegsieht, ein Stück Fisch zu stehlen.

Wenn ich sagen sollte, daß meine Hoffnungen auf ein vergnügtes Souper herabgestimmt waren, so müßte ich die Unwahrheit sagen: mir war sogar zu Muthe, wie dem Manne, der seine letzte Abendmahlzeit genossen hat und am Morgen durch einen Vorschneider der Criminaljustiz dahin gebracht werden soll, wo nicht mehr gespeist wird, selbst nicht aufgewärmte Hechtköpfe. Kurz, ich hatte den Appetit verloren, wenn man ihn über gewisse Dinge verlieren kann. Der Virtuose war indessen ein Mann von Mäßigung, als gebornes Genie hatte er Achtung vor allen großen Köpfen und schonte den Hecht in den wesentlichen Theilen, mit denen der edle Fisch einst gedacht haben mochte; er schob also denselben dem älteren Vetter zu. Dieser entblödete sich nicht, den Hechtkopf einer strengen Prüfung zu unterwerfen, inwiefern noch Eßbares an seiner äußeren sterblichen Hülle 100 vorhanden sei. Lange und mit wissenschaftlicher Genauigkeit wandte er ihn hin und her; endlich war kein Stoff zur Untersuchung mehr vorhanden und der jüngere Vetter, derselbe, der den Sack getragen hatte, erhielt den Hecht. Hatte ich bisher mit stummer Bewunderung, die nicht ganz frei von sehr viel Ekel war, der Kunstreise des Hechtes zugesehen, so stieg jetzt mein Staunen auf den höchsten Grad, als ich den jüngeren Vetter mit einer Meisterschaft, die von jahrelanger Uebung zeugte, seine Präparationsversuche beginnen sah. Obwohl Jude von Geburt und Ueberzeugung, brachte der Vetter doch mit plastischer Deutlichkeit diejenigen Theile des Kopfes zu Tage, in welchen die lebhafte Phantasie des Volkes die Marterwerkzeuge Christi erblicken will. Bisher hatte ich geglaubt, daß nur die Präcision der Katzen mit dieser herrlichen Oekonomie Fische essen könne; dieser Vetter stand über den Katzen, wie der denkende Mensch über der Thierwelt. Das Wunder der Speisung der Tausende mit Fischen nach der Bergpredigt, so sehr ich es als Schuljunge, wo ich meinen Appetit mit denen der Zuhörer Christi verglich, bezweifelt hatte; jetzt glaubte ich es. Dabei spie der Vetter, wie jener Vulkan in der Andenkette, von dem A. v. Humboldt erzählt, wenn auch nicht Fische, so doch Gräten um sich her. Ich hatte genug, wie der Leser gewiß schon lange. Endlich verschwand der Teller, ich weiß nicht, ob vielleicht noch Jemand seiner harrte; meinen Blicken ward er aber entzogen.

Während dieser Zeit hatte der Virtuose, seinen edelgebildeten, patriarchalischen Kopf in die 101 blasse Hand gestützt, den Vettern zugesehen, mit einem Lächeln, in dem sich Mißbilligung über der Vettern Gefräßigkeit und Unersättlichkeit nicht erkennen ließ. Wir sprachen unterdessen von seinen Reisen; ich fragte ihn, denn diese Frage durfte ihm, nachdem was ich eben von seiner Sparsamkeit gesehen, wohl die liebste sein, wo er das meiste Geld verdient habe?

»Wo denken Sie wohl, Herr H.?« sagte er mit einem verschmitzten Lächeln.

Ich rieth auf einige Landstriche in der Wallachei, wo, wie ich wußte, die Dukaten noch zu gedeihen pflegten. Er schüttelte ironisch lächelnd seinen Lockenkopf.

»In Sibirien!«

»In Sibirien!« rief ich erstaunt, denn wie alle Deutschen, konnte ich mir bei dieser geographischen Reminiscenz nichts als einen Landstrich denken, wo man statt Beifall nur Prügelklatschen, statt Musik nur die Seufzer der Unglücklichen hörte.

»Ja in Sibirien!« Und er erzählte noch vieles von der Wohlhabenheit der Städte, von ihrer aufblühenden Cultur, welche von all den Verbannten herrührt, die sich nach überstandener Strafzeit dort niederlassen und ihren Geist, den man in Rußland nicht dulden wollte, den fernen Völkern einimpfen. So viel erzählte er, daß ich am liebsten noch an demselben Abend mein Cello genommen hätte und auf eine Kunstreise nach Sibirien gegangen wäre.

Darauf trennten wir uns und mir träumte die ganze Nacht von Sibirien, wo mich von Stadt 102 zu Stadt ein großer Hecht verfolgte und zu verschlingen bemüht war, während die Vettern Gusikow's ihn nur mit Anstrengung davon abzuhalten suchten; doch schlief ich wie alle Leute, die nicht zu Abend gespeist haben, sanft bis an den lichten Morgen.

Das war mein Souper bei Gusikow. 103

 


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