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Zwanzigstes Kapitel

Die Frage des Dumpings

Für die Frage des Dumpings seitens der Sowjetunion bietet der Weizen das einfachste und unwiderleglichste Beispiel. Tatsache ist, daß der Weltweizenmarkt heute seinen tiefsten Punkt seit mehr als einer Dekade erreicht hat, daß jedes weizenproduzierende Land der Welt gezwungen ist, seinen Weizen zu einem billigeren Preise als den Gestehungskosten zu verkaufen. Die Sowjetbehörden allein erklären, ihr Weizen würde nicht unter den Selbstkosten verkauft. Ihre eigenen Zahlen beweisen jedoch, daß, wenn sie überhaupt Weizen im Ausland verkaufen, sie den größten Teil mit Verlust verkaufen müssen, obgleich es ihnen vielleicht gelingt, wenigstens einen Teil mit einem geringeren Verlust loszuschlagen als zum Beispiel die Weizenfarmer Amerikas.

Für »Union-Getreide« bezahlte die staatliche Getreidehandelsorganisation in diesem Jahre den privaten Bauern und den Kollektivfarmen in der ganzen Sowjetunion 1 Rubel 40 Kopeken für das Pud Weizen auf Grund der mir offiziell von der staatlichen Planwirtschaftskommission erteilten Auskunft. Den Rubel zu Pari gerechnet macht das pro Scheffel 1,20 Dollar. Die Transportkosten von einem Hafen des Schwarzen Meeres nach einem nordeuropäischen Hafen zu einer Frachtrate von 13 Schilling pro Tonne gerechnet, macht pro Scheffel 8 Cent. Bahntransport von der Farm zu dem Verschiffungshafen plus Ein- und Ausladen würde bei einer sehr bescheidenen Schätzung durchschnittlich 2 Cent pro Scheffel ausmachen. Die Kosten des russischen Weizens würden also in jedem nordeuropäischen Hafen im ganzen 1,30 Dollar pro Scheffel betragen.

Der beste russische Weizenmarkt war früher England. In Liverpool betrug der Durchschnittspreis für Weizen im Oktober 1930 bei einem stetig sinkenden Markt 0,81 Dollar pro Scheffel. In Rotterdam betrug der Abnahmepreis für November 0,65 Dollar pro Scheffel. Im September wurde russischer Weizen, c. i. f., mit 0,76 Dollar pro Scheffel angeboten. In der ersten Woche des Oktober nahmen deutsche Käufer eine Schiffsladung russischen Weizens, c. i. f. Amsterdam, zu einem Preise von 0,69 Dollar pro Scheffel ab.

 

Wirkliche Verluste evident

Jeder Verkauf dieses Weizens seitens Rußlands, eingekauft von der »Union-Getreideorganisation« zu 1,20 Dollar pro Scheffel, bedingte also unter Einrechnung der Transport- und Verladespesen in Liverpool einen Verlust von 0,49 Dollar pro Scheffel, in Rotterdam von 0,65 Dollar pro Scheffel, und die wirklichen getätigten Verkäufe in Amsterdam brachten einen Verlust von 0,54 Dollar, resp. 0,61 Dollar pro Scheffel.

Soviel wurde von den Sowjetbehörden zugegeben. Ihr Versuch einer Ableugnung geht andere Wege. Die Sowjetunion erklärt, sie exportierte nicht den Weizen, den sie für 1,20 Dollar pro Scheffel einkaufte. Sie exportierte lediglich den billigen Weizen von den hochindustrialisierten Staatsfarmen, den die Regierung zu Selbstkosten verkaufte. Diese Selbstkosten betragen angeblich 0,40 bis 0,50 Dollar pro Scheffel.

Wenn wir zuerst die Frage der Selbstkosten des Weizens auf den Staatsfarmen in Betracht ziehen, so sei darauf hingewiesen, daß die häufig über diesen Gegenstand in der Sowjetpresse abgedruckten Schätzungen sehr stark theoretisch sind. Wesentlich verläßlicher wäre es, sich die genauen Zahlen von den Farmen selber zu beschaffen.

Im nördlichen Kaukasus, in Verblud, das im Rufe steht, die bestgeführte Staatsfarm in der Sowjetunion zu sein, erzählte mir der Verwalter der Farm, L. S. Margolin, daß seine in dem Plane festgesetzten Produktionskosten in diesem Jahre sich auf 80 Kopeken pro Pud hätten belaufen sollen, also ungefähr auf 0,67 Dollar pro Scheffel, aber voraussichtlich würden sich die Aufwendungen einen Bruchteil höher stellen. In Gigant, der größten Farm in der Sowjetunion, versicherte mir der Leiter der Farm, J. F. Bogomolkin, seine Gestehungskosten würden sich auf etwa 55 Kopeken pro Pud belaufen. Gleichzeitig jedoch zeigte er mir Statistiken über die Ausgaben für Arbeiter, Maschinen, Kapitalzinsen usw., die eindeutig bewiesen, daß die tatsächlichen Kosten erheblich mehr, etwa 80 Kopeken pro Pud, also wieder rund 0,67 Dollar pro Scheffel betragen würden.

 

Selbst Weizen mit Verlust verkauft

Diese Zahlen als Durchschnitt für sämtliche Staatsfarmen genommen – in Wahrheit müssen sich die Durchschnittskosten höher belaufen, da Verblud und Gigant zu den ältesten Staatsfarmen gehören und den Vorteil der Erfahrung besitzen und zu 100 Prozent industrialisiert sind – würden sich die Kosten für Weizen aus diesen Quellen auf 0,77 Dollar pro Scheffel, c. i. f. nordeuropäische Häfen, stellen, wenn man wieder die Transport- und Verladungsgebühren insgesamt mit 0,10 Dollar berechnet.

Selbst der Weizen von den staatlichen Farmen würde in Amsterdam bei einem Preise von 0,76 Dollar pro Scheffel, wie ihn die Sowjetagenten im September 1919 erhielten, einen Verlust von 1 Gent pro Scheffel bedingt haben; bei dem Preise von 0,69 Dollar, den deutsche Käufer in Amsterdam in der ersten Oktoberwoche für Sowjetweizen bezahlten, hätte der Verlust 8 Cent pro Scheffel betragen. Bei dem Rotterdamer Preise von 0,65 Dollar für Lieferung im November würde sich der Verlust auf 12 Cent belaufen. Verkäufe in Liverpool in den günstigen Oktobertagen hätten einen Gewinn von 4 Cent pro Scheffel eingetragen.

Dies scheint darauf hinzudeuten, daß bei den heutigen sinkenden Preisen selbst der Sowjetweizen von den Staatsgütern unter den Gestehungskosten wird verkauft werden müssen. Es ist jedoch wichtig, zu versuchen festzustellen, wieviel von dem gesamten Sowjet-Weizenexport von den Staatsgütern geliefert werden kann.

Sämtliche Staatsgüter des staatlichen Getreidetrusts, der staatlichen Staatszentrale und der Vereinigten Ukrainischen Staatsfarmen bebauten in diesem Jahr eine Gesamtbodenfläche von 2 200 000 Hektar. Zieht man 200 000 Hektar für andere landwirtschaftliche Produkte ab – wahrscheinlich ist das zu niedrig gerechnet – so bleiben 2 000 000 Hektar für Getreide. Von dieser Fläche sind weniger als drei Viertel mit Weizen bebaut. Dies würde für den Weizenanbau ein Maximum von 1 500 000 Hektar ergeben. Nach Margolin betrug der durchschnittliche Ertrag 50 Pud pro Hektar, so daß sich die Gesamtweizenernte von den Staatsfarmen maximal auf 25 000 000 Pud, gleich 50 000 000 Scheffel, gleich 1 250 000 Tonnen berechnen würde.

 

Offizielle Zahlenangaben werden geheimgehalten

Diese Menge stellt jedoch nur einen Bruchteil der Weizenmenge dar, den die Sowjetunion in diesem Jahre zu exportieren hofft. Offizielle Stellen sind in der Angabe absoluter Ziffern des wahrscheinlichen Gesamtexports äußerst zurückhaltend. Jeder, der unmittelbar mit dem Außenhandel oder mit dem Getreidemarkt zu tun hat, ist zu strenger Diskretion verpflichtet, aber die Voraussagen, die man in Moskau hört, beziffern sich auf 2 000 000 bis 4 000 000 Tonnen, d. h. auf 75 000 000 bis 150 000 000 Scheffel.

Sicherlich würde ein Gesamtexport an Weizen unter 75 000 000 Scheffel für die Sowjetregierung eine schwere Enttäuschung bedeuten. Das Verhalten des Sowjet-Textilsyndikats auf dem Chikagoer Handelsamt bewies deutlich, welches Vertrauen die Sowjetregierung in ihre Fähigkeit setzte, mehr Weizen zu exportieren, als der Chikagoer Markt annahm. Fraglos ist in Rußland in diesem Jahre mehr Weizen gewachsen, wird mehr Getreide geerntet und eine größere Menge exportiert werden, als je seit der Revolution.

Buchstäblich stöhnt das Land unter einer Ernte, die nach allgemeiner Schätzung um 5 Prozent größer ist als die des über dem Durchschnitt liegenden Jahres 1913. Überall in den ländlichen Bezirken sieht man zahllose Erntewagen vor den Getreide-Elevatoren der Union und vor den Einkaufsstationen halten, um sich ihrer hochgetürmten Säcke voll Weizen und Roggen zu entledigen.

Falls die Staatsgüter 50 000 000 Scheffel Weizen erzeugt haben, der Export aber mindestens 75 000 000 Scheffel betragen hat, so folgt daraus klar, daß der Verlust bei einem Verkauf zu den gegenwärtigen Weltmarktpreisen erheblich größer sein wird als die paar Cent, die unter allen Umständen bei Verkäufen von den Staatsgütern verlorengehen. Der Export umfaßt bestimmt mehrere 100 000, ja vielleicht 1 000 000 Tonnen oder noch mehr des Weizens, für den die Regierung 1,20 Dollar pro Scheffel zahlen mußte.

 

Die Sowjets bieten ein Alibi an

Freilich leugnen die Sowjetbehörden diese Darstellung der Lage. Sie erklären, daß, abgesehen von dem Getreide von den Staatsgütern, die Regierung mit den Kollektiven Verträge abgeschlossen habe, auf Grund deren diese Güter als Entgelt für die Lieferung von Saatkorn und die Hergabe von Traktoren einwilligen, einen bestimmten Betrag ihrer Schulden in Getreide abzutragen. Nach den Behauptungen der Sowjet-Wortführer ist das auf diese Methode erhaltene Getreide sogar noch billiger als das Getreide der Staatsgüter. Man muß aber betonen, daß es doch sehr merkwürdig wäre, wenn Bauern auf Einzelfarmen oder Kollektiven, die doch nur zu kleinem Teil maschinell bearbeitet werden, imstande sein sollten, Getreide zu geringeren Produktionskosten zu erzeugen als die riesigen, völlig mechanisierten und nach den ökonomischsten Prinzipien organisierten Staatsgüter.

Fast genau die gleichen Tatsachen gelten auch für den Sowjet-Roggen, ein für Amerika bedeutungsloses Erzeugnis, das aber für den größten Teil Europas, wo Roggenbrot in fast gleicher Menge wie Weizenbrot konsumiert wird, von Wichtigkeit ist. Nach den offiziellen Auskünften seitens der staatlichen Planwirtschaftskommission zahlt die »Vereinigte Getreidegesellschaft« in diesem Jahr in der ganzen Sowjetunion den Einzelbauern und Kollektiven 59 Rubel 80 Kopeken pro Tonne Roggen oder in deutsche Währung umgerechnet rund 118 Reichsmark. Die letzten Preise im Hamburger Freihafen beliefen sich ohne Zoll auf 74 bis 80 Reichsmark. Die Preise der Staatsgüter, die, wie in dem Falle des Weizens, entsprechend niedriger sind, würden den Verlust verringern, aber auch beim Roggen wären die Sowjets genau wie beim Weizen gezwungen, Verkäufe unter den Selbstkosten zu tätigen. Ein tatsächliches Beispiel mag das belegen. Mitte September verkauften Sowjetagenten an deutsche Käufer, c. i. f. europäische Häfen, 40 bis 50 000 Tonnen Roggen zu einem Durchschnittspreis von 90 Reichsmark pro Tonne. Das ergibt, falls dieser Roggen von Privatgütern oder Kollektiven stammt, für die Sowjets einen Verlust von etwas mehr als 28 Reichsmark pro Tonne.

Nach den Vereinigten Staaten gelangte weder Sowjet-Weizen noch -Roggen zum Import, oder, um ganz genau zu sein, wurden nach der offiziellen Sowjeterklärung 1926 zwei Tonnen und 1927 eine Tonne Weizen nach Amerika geliefert. Man fragt sich, an wen und weshalb.

 

Ihr Weizen als Rivale Amerikas

Trotzdem ist die Rivalität des Sowjet-Weizens auf ausländischen Märkten für Amerika und Kanada von vitaler Bedeutung. Jeder Scheffel amerikanischen oder kanadischen Weizens muß gegen den Druck russischer Preise verkauft werden, und die nordeuropäischen Häfen sind heute die Treffpunkte für kornbeladene Schiffe sowohl aus dem Golf von Mexiko wie aus dem Schwarzen Meer. Amerikas riesige Weizenreserven verlangen gebieterisch nach einem Abfluß. Die Weltversorgung an Weizen ist für die Nachfrage zu groß, und die Erzeuger aller Länder leiden.

Sehr aufschlußreich ist in dieser Beziehung die Aufklärung, die das amerikanische Landwirtschaftsministerium in einer Publikation »Getreide und Märkte« im Juni veröffentlichte und aus dem man die Gestehungskosten für Weizen auf Grund freiwilliger Berichte ersieht. Für die nordatlantischen Staaten werden die Kosten mit 1,32 Dollar pro Scheffel angegeben, für die Südzentralstaaten mit 1,19 Dollar, für die nordwestlichen Zentralstaaten mit 1,14 Dollar, für die Weststaaten mit 1,17 Dollar, im Durchschnitt also für das ganze Land mit 1,20 Dollar.

Auch dieser Weizen muß zu den Weltmarktpreisen losgeschlagen werden, das heißt unter den Gestehungskosten. Sogar sehr tief unter den Produktionskosten, genau wie das eben bei dem russischen Weizen dargelegt worden ist. Notwendigkeit ist augenscheinlich sowohl in der »bourgeoisen« wie in der kommunistischen Welt die Mutter des Dumpings.


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