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Achtes Kapitel

Traktorenfabrik in Stalingrad

Vor meiner Abreise aus Cheliabinsk ging ich auf das Telegraphenamt und sah dort auf dem schmutzigen Seitengang eine riesige Schildkröte aus Papiermaché mit der Inschrift: »Von dem 171. Cheliabinsker Regiment an das Distriktsdepartement für Post und Telegraph in Erinnerung an eine sklavische Haltung und eine schildkrötenhafte Schnelligkeit.« Dreihundert Soldaten waren unter klingendem Spiel aufmarschiert, hatten die Schildkröte dort befestigt, und niemand hatte seither gewagt, sie zu entfernen.

Es war ein gerechtes Urteil. Nichts hat ärger unter dem Fünfjahresplan gelitten als das Telegraphenwesen. Ich sandte ein Telegramm von Moskau nach Sverdlowsk, verbrachte zwei Tage auf der Bahn und traf mehrere Stunden vor dem Telegramm ein.

In Lukhowskaya, einer winzigen Station in der Baschkirenrepublik, kostete der Fünfjahresplan für Eierexport indirekt nahezu ein Menschenleben. Ein 70 Jahre alter Bauer bestieg mit einem Eimer mit 100 Eiern den Zug und bot den ganzen Vorrat für 11 Rubel zum Kaufe an. Das war für einen unter dem Plane Stehenden ein zu günstiges Geschäft, um es auszulassen, wo doch in Moskau 100 Eier 30 Rubel kosten.

Eine junge Frau ergriff ihren Koffer, schüttete dessen Inhalt auf den Boden und begann mit Hilfe des Bauern die Eier aus dem Eimer in den Koffer zu packen. Der Zug setzte sich in Bewegung. Der Eierhändler wurde unruhig. Die beiden arbeiteten rascher. Der Zug fuhr rascher. Der alte Bauer verlor die Nerven, leerte die letzte Hand voll Eier mit einem Plumps über die anderen aus und schwankte nach der Tür. Er versuchte rücklings abzuspringen. Ein Dutzend Passagiere stießen Warnungsrufe aus. Er zögerte, blickte ängstlich auf den Erdboden herunter, der sich ständig schneller bewegte. Er hockte sich auf die oberste Stufe und überlegte, dann rutschte er auf die zweite Stufe, dann auf die unterste Stufe, schließlich schloß er fest die Augen und ließ sich vom Zuge herunterkollern. Das Letzte, was wir von ihm sahen, war, daß er, den Eimer über den Kopf gestülpt, auf der Erde saß.

 

Im schrecklichen Samara

Um 4 Uhr morgens gelangten wir, mit 5 Stunden Verspätung, nach Samara, der Stadt schrecklicher Erinnerungen, in der während der Hungersnot von 1920 Eltern ihre Kinder aufaßen. Die unnatürlich hellen Sterne einer frostklaren Nacht erhellten unseren Weg über neu asphaltierte Straßen nach dem einzigen Hotel der Stadt, in dem zehn Billards, aber keine Zimmer zur Verfügung standen. Das Schlafen auf den Billards war verboten. Bis auf eine mannshohe Porzellanvase fehlte in der Halle jedes Meublement. Wir kehrten wieder zu dem Kai zurück und verbrachten, vor Kälte zitternd, vier Stunden in Erwartung, daß die Stadt erwachen möge.

Am frühen Morgen sang auf dem Marktplatz ein blinder Ziehharmonikaspieler alte Lieder von dem ehemaligen Rußland. Hundert Männer und Frauen, alle über 50 Jahre alt, sammelten sich um ihn, und aus zweihundert Augen strömten Tränen gleich Regen hernieder. Der Ziehharmonikaspieler erntete einen Tassenkopf voll Kopeken. Ein Offizier der G. P. U. sah zu, schneuzte sich und ging weiter.

Auf dem öffentlichen Platz vor einer Statue Lenins saß ein Bauer mit dem Barte eines hebräischen Propheten und betrachtete die Gesichtszüge des Anführers der Revolution.

»Wie alt sind Sie«, erkundigte ich mich.

»Achtzig«, erwiderte er, ohne den Kopf zu wenden.

»Dann müssen Sie noch als Leibeigener geboren worden sein.«

»Ich wurde nicht als Sklave geboren. Es war zur Zeit Nikolaus I., aber ich war frei«, sagte er, immer noch ohne den Kopf zu wenden.

»Und wie gefällt es Ihnen heute? Ist es besser? Ist es schlimmer?«

Mit der Bedächtigkeit hohen Alters hob der Alte jetzt den Kopf, sah mich unter schneeweißen, buschigen Brauen mit trübem Blick und einem Ausdruck milder Überraschung an und rief: »Wie soll es in den früheren Zeiten nicht besser gewesen sein. Damals konnte man für einen Rubel einen ganzen Sack voll kaufen, heute bekommt man überhaupt nichts.« Er schloß die Augen und machte ein Nickerchen.

Der Dampfer von Samara nach Stalingrad war behaglich, das Essen jämmerlich, die Szenerie malerisch. An Bord wurden zum Lunch und Diner am ersten Tag winzige Portionen gehacktes Fleisch und Kartoffelmus serviert und am zweiten Tag zum Lunch und Diner winzige Portionen Kartoffelmus und gehacktes Fleisch. Am Ufer konnte man riesige, honigsüße Melonen, ausgezeichnete Wassermelonen, die in hohen Haufen gelb und grün auf den roten Ufern des Flusses schimmerten, kaufen.

 

Mit 7 Stunden Verspätung in Stalingrad

Mit 7 Stunden Verspätung gelangten wir nach Stalingrad, einst Tsaritsin, das Hauptquartier der goldenen Horde, deren Khans zwei Jahrhunderte Rußland unter der Knute ihrer mongolischen Macht hielten. Auf dem Wege von dem Dock zum Hotel kamen wir an zwei alten, in der Gosse schlafenden Frauen vorüber. Auf dem öffentlichen Platz der Stadt stand eine Kirche. Es hieß, sie sei nie geweiht worden. Von der Turmspitze flatterte eine ehemals rote, jetzt mattrosa Fahne. Durch die Doppelpforten schnauften Automobile herein und heraus. Das Gotteshaus diente jetzt als Garage. Neben der Kirche befand sich ein Stereoptikon: »Die Schrecken der spanischen Inquisition; unmenschliche Marter; wie die Kirchenväter Menschen lebendig verbrannten.«

In der Nähe der Kirche übten eine Anzahl Stiefelputzer ihr Gewerbe aus. Ein hochgewachsener Mann in weißer, zerknitterter Unterkleidung, eine ausgeblaßte Husarenmütze auf dem Kopf, in der Hand einen mit farbigen Bändern umschnürten Regenschirm, einen Sack voll Mehl auf dem Rücken und eine lange hölzerne Latte unter dem Arm, sprang auf und verlangte einen Passierschein. Ich fragte einen der Jungen, wer der Mensch sei. »Das«, flüsterte der Stiefelputzer, »ist der alte Hauptmann Szopa, ein früherer zaristischer Offizier. Er ist verrückt und glaubt, er trüge noch seine Uniform.«

Dromedare, Wasserwagen ziehend, querten unseren Weg zu der Traktorenfabrik. Dort, in dem amerikanischen Restaurant, wurden keine Wasserwagen benötigt.

In der Stalingrader Traktorenfabrik arbeiten 380 Amerikaner. Es ist die größte amerikanische Kolonie in der Sowjetunion.

Einige der Amerikaner sind Ingenieure, die meisten erstklassige Werkmeister. Auf Grund eines einjährigen Vertrages erhalten hier die amerikanischen Arbeiter pro Monat 200 bis 300 Dollar, die in Dollar auf eine amerikanische Bank eingezahlt werden und außerdem 300 bis 400 Rubel monatlich, die in Stalingrad selbst in Rubeln zur Auszahlung gelangen. Ihr Frühstück, Mittag- und Abendessen kostet in dem amerikanischen Restaurant pro Tag 3 Rubel 50 Kopeken. Die Wohnungsmiete 22 bis 32 Rubel pro Monat. Kognak, Wein und Bier stehen in Mengen und zu sehr billigem Preise in dem speziellen genossenschaftlichen Laden zu ihrer Verfügung. Das Essen in dem Restaurant bei den beiden Hauptmahlzeiten war, wie ich feststellte, genau so gut wie daheim in jedem guten Boardinghaus mittlerer Klasse.

 

Abhängigkeit von Amerikanern

Die Sowjetunion stützt sich in hohem Maße auf die Unterstützung amerikanischer Ingenieure und qualifizierter Arbeiter, um den Fünfjahresplan zu einem Erfolg zu führen. Zu diesem Zweck investiert sie einen für Rußland sehr erheblichen Betrag an Geld. Es wurde bereits erwähnt, daß die Gesamtzahl der an dem Plane mitarbeitenden Amerikaner wahrscheinlich rund 1000 betrüge. Die Ingenieure erhalten 5000 bis 10 000 Dollar im Jahr, die meisten von ihnen nicht unter 10 000 Dollar. Die gesamte amerikanische Lohnliste der Sowjetunion dürfte sich wahrscheinlich auf 10 000 000 Dollar im Jahre belaufen, und der Plan erfordert eine Verdoppelung oder Verdreifachung der gegenwärtig an der Arbeit befindlichen Amerikaner. Offensichtlich ist es eine Frage von Bedeutung, daß die Beziehungen zwischen den Amerikanern und den Russen gut bleiben. In der Stalingrader Traktorenfabrik ist das nicht in hervorstechendem Maße der Fall. Auf der Tapete in dem amerikanischen Restaurant befand sich ein Anschlag: »Die Schurken, welche das Gerücht verbreiten, die Leiche des Amerikaners sei ausgegraben und ihrer Kleider beraubt worden, sind nichts anderes als Gegenrevolutionäre«. Diese überraschende Ankündigung bezog sich auf einen der beiden Amerikaner, die in Stalingrad an typhösem Fieber gestorben waren. Es ging das Gerücht, die Russen hätten das Grab geschändet. Die Antwort war von einem der radikaleren Mitglieder der amerikanischen Gruppe niedergeschrieben worden.

Immer noch sprach man von dem Aufruhr, den ein schwarzer amerikanischer Arbeiter erregte, dessen Faustkampf mit zwei weißen Kollegen diesen ihre Stellung, eine sofort verhängte Gefängnisstrafe und Ausweisung aus Rußland kostete. Dieser Zwischenfall hatte vielleicht mehr als irgend etwas anderes die Beziehungen zwischen den Russen und den Amerikanern getrübt, die das Gefühl hatten, die Sowjetbehörden hätten dieser Sache eine übertriebene Bedeutung beigemessen.

Die Verantwortlichkeit für das schlechte Verhältnis ist jedoch geteilt. Ein Amerikaner, der dem Teufel gab, was ihm gebührt, klassifizierte die Amerikaner in folgende Gruppen: die Majorität, die kam, um zu arbeiten und Geld zu ersparen, die Minorität, die kam, um zu trinken und tolle Streiche auszuführen, und ein kleiner Bruchteil, der kam, um Kommunist zu werden und die rote Flagge zu hissen. Die Sowjet-Autoritäten selber geben zu, daß die Einsamkeit, die Fremdartigkeit und der Mangel an Unterhaltung in Stalingrad in hohem Maße dazu beitrügen, die zweite Klasse zu vermehren, in jedem Falle schätzen die Russen den Wert der ersten Klasse und suchen jeden Abfall aus diesen Reihen zu verhindern.

 

Riesige Traktorenfabrik

Der Konveyor-Ingenieur Elwood F. Riesing führte mich durch die Fabrik. Als berühmteste der neuen Fabriken des Fünfjahresplans, als meist debattiertes Beispiel dessen, was die Sowjetproduktion unter dem Plan bedeuten wird, verdient das Äußere der Fabrik eine Beschreibung. Als Laie gewinnt man den Eindruck der Größe, der Modernität und vorzüglicher Ausstattung. Riesing versicherte mir, sie könnte nicht besser angelegt, gebaut und ausgestattet sein, wenn sie in Amerika errichtet worden wäre.

Das Montagegebäude, starrend von einem Wald von Drehbänken, Drillbohrern, Zahnschneidemaschinen und hundert Maschinen, die nur ein Spezialist zu benennen vermöchte und die alle amerikanische Schutzmarken tragen, erstreckt sich 446 Meter in der Länge und 105 in der Breite und wird von Glasmauern eingeschlossen, die das Licht wie in ein Atelier hineinströmen lassen. Nicht alle Maschinen waren in Tätigkeit. Es fehlten immer noch einige, die zwar bestellt, aber noch nicht geliefert waren und ohne die die Produktion nur lahm voranging.

Riesings eigene Spezialität, das laufende Band, einst der Stein des Anstoßes zwischen Kapitalisten und Sozialisten, jetzt das einigende Band, ist in dieser Fabrik zwei Stadtblöcke lang mit einer halben Meile an Ketten. Der Motorkonveyor mit einer normalen Geschwindigkeit von 2 Fuß pro Minute arbeitete mit einer Geschwindigkeit von nur 6 Zoll pro Minute und blieb häufig stehen. Traktor Nummer 41 befand sich zur Zeit unseres Aufenthalts auf dem Bande. Die Fabrik ist eingestellt auf eine Leistungsfähigkeit von einem Traktor alle fünfundeineviertel Minute, 11 pro Stunde, 50 000 pro Jahr. Die internationale Mähmaschinen-Fabrik in Milwaukee besitzt eine Leistungsfähigkeit von 128 Traktoren in 8 Stunden, die Stalingrader Fabrik nach dem Programm eine Leistungsfähigkeit von 88 in acht Stunden.

 

Teile sämtlich Sowjetarbeit

Der hier hergestellte Traktor ist ein Zweitonnenrädertraktor von 50 bis 30 PS, entsprechend der 50 bis 30 PS-Maschine der internationalen Mähmaschinenfabrik. Vom Rohmaterial bis zur fertigen Maschine ist er durchweg aus Sowjet-Teilen hergestellt, mit Ausnahme des Kühlers, des Magneten und einiger weiterer Teile, die amerikanischer Herkunft sind. Der Plan sieht auch zu deren Erzeugung Fabriken in der Sowjetunion vor.

Die Zahl der in der Werkstatt arbeitenden Frauen war groß. Nahezu die Hälfte der Maschinisten waren Mädchen in den Zwanzigern. Auch das Durchschnittsalter der männlichen Operateure war anscheinend sehr niedrig. Es gehört zu der Politik der Sowjetindustrie, in den neuen Fabriken unter amerikanischer Aufsicht junge Arbeiter einzuschulen. Unter jeder Schar von 20 bis 30 Operateuren befand sich ein amerikanischer Arbeiter, dessen Aufgabe in Überwachung und Anleitung bestand. Dieses System sieht eine Reihe neuer Sowjetfabriken voraus. Die Amerikaner bleiben auf ihren Posten, bis die Russen fähig sind, ihre Maschinen wirksam zu bedienen.

Deutlich traten die Anzeichen eines langsamen Fortschrittes in Erscheinung. Ich erkundigte mich bei Riesing, wie er darüber dächte. Seine Antwort wog ganze Bücher voller Geschwätz über die Unmöglichkeit auf, daß eine Fünfjahresplanfabrik eine Produktion erzielen könnte. »Diese Fabrik«, sagte er, »wurde vorzeitig am 15. Juli eröffnet. Sie hätte eigentlich ein paar Monate später eröffnet werden sollen. Die Ford-Fabrik in Kork in Irland zur Herstellung von Traktoren wurde von Amerika nach Kork abmontiert versandt wie ein Automobil. Jeder Teil war numeriert und zur Montage fix und fertig. Fords Ingenieure errichteten sie mit englischsprechenden Arbeitern, geschulten Arbeitern. Dennoch bedurfte die Korker Fabrik von der Eröffnung an neun Monate, um ihre produktive Leistungsfähigkeit zu erreichen.«

Vassily Ivanowitch Ivanoff, der Präsident der Fabrik, ein starrköpfiger, rauher Kommunist, ein Mann, der wochenalte Bartstoppeln trägt, weil er 16 bis 18 Stunden pro Tag arbeitet und nie Zeit zum Rasieren hat, oder sich die Zeit nicht nehmen würde, selbst wenn er sie hätte, hatte vorgesehen, daß die Stalingrader Fabrik innerhalb 12 Monaten von der Eröffnung an ihre Leistungsfähigkeit erreichen sollte.

Ivanoff ist ein Treiber. Jüngst erlebte er einigen Verdruß, weil er einen Arbeiter bei einem Streit über das Arbeitstempo verprügelte. Das war eine schwere Beleidigung, und Ivanoff mußte nach Moskau zur Rechtfertigung fahren. Das illustriert nur, wie sehr er seine eigenen Nerven und die der Belegschaft anspannt.

»Wir hinken drei Monate hinter dem Plane her«, sagte Ivanoff, der in seinem großen, kahlen Büro in dem Verwaltungsgebäude saß, einem Büro, dem auch der gewöhnlichste Komfort eines Direktorzimmers mangelte. »Wir sind zurück, weil wir wesentliche Maschinen nicht rechtzeitig erhielten. Gegenwärtig sind wir gezwungen, 24 Traktorenteile mit der Hand herzustellen. Erst wenn die Maschinen eintreffen, können wir in Gang kommen. Im Oktober und November und Dezember sollten wir eine Produktion von 5000, im Januar, Februar und März 1931 von 8000, im April, Mai und Juni von 10 000, und im Juli, August und September die volle Leistungsfähigkeit von 12 500 erreichen. Das entspräche dem Plan. Vielleicht werden wir in den ersten paar Monaten zurückbleiben, aber wir werden das Versäumte einholen.«

Die Errichtung der Stalingrader Fabrik bedeutete einen Weltrekord an Schnelligkeit. Unter John K. Calders Leitung wurde das riesige Montagewerk in drei Monaten erbaut, die Schmiede in drei Wochen, die Gießerei, die im Winter mit erwärmtem Beton aufgeführt wurde, in drei Monaten. Das Montagewerk stand im Dezember 1929 zum Empfang von Maschinen gerüstet, aber sie trafen erst im März ein. Dies ist vielleicht für den Fünfjahresplan charakteristisch: außerordentliche Schnelligkeit an bestimmten Stellen, die durch Mißwirtschaft oder unvorhergesehene Zwischenfälle nutzlos gemacht werden. Das wichtigste ist jedoch, daß die Fabrik tatsächlich fertiggestellt und in Betrieb gesetzt wurde.

 

Akkordarbeit beherrscht die Löhne

Nach Ivanoffs Angabe belaufen sich die Löhne der russischen Arbeiter und Arbeiterinnen auf 2 bis 5 Rubel pro Tag, Feinmechaniker verdienen bis zu 10 Rubel pro Tag. Wie fast überall in der Sowjetunion handelt es sich um Akkordlöhne. In der Fabrik und beim Bau sind 22 000 Arbeiter beschäftigt, davon 7000 bei der Produktion. In Moskau würde man ihre Lebensbedingungen für luxuriös halten. 7000 sind in funkelnagelneuen Wohnhäusern untergebracht, von denen 100 auf dem Fabrikgelände stehen, jedes mit 40 Wohnungen aus 3 Räumen. Die übrigen Werktätigen, hauptsächlich Bauarbeiter, wohnen in Baracken.

Das Essen ist besser als in irgendeinem für Russen bestimmten Restaurant in Moskau. Ich besuchte eine der Stolovayas. Das gutgekochte Menu, das ziemlich sauber serviert wurde, bestand aus Suppe mit Makkaroni zu 25 Kopeken, Bœuf Stroganof zu 50 Kopeken, Fisch mit Tomaten zu 75 Kopeken, Kaffee zu 15 Kopeken, Makkaroni in Milch 25 Kopeken, Hirn 50 Kopeken, Kohlrouladen 50 Kopeken, Torte 45 Kopeken, Tee 5 Kopeken.

Der Haupteinwand, den die Amerikaner gegen die russischen Fabrikarbeiter erheben, besteht in dem völligen Mangel mechanischer Erfahrung. Die meisten amerikanischen Jungen, wenn sie auch keinerlei andere mechanische Schulung besitzen, haben wenigstens an einem Automobil herumprobiert. Die meisten Russen haben, bevor sie in die Fabrik auf Arbeit gehen, noch nie eine Maschine berührt. Es ist ganz klar, daß sie längere Zeit benötigen, um sich mit Maschinen vertraut zu machen. Trotzdem betonen die amerikanischen Vorarbeiter, daß die Fabrik zwar langsam aber sicher eine Belegschaft tüchtiger Arbeiter heranzieht, fähig, die Produktion auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit zu bringen. Der leitende amerikanische Ingenieur, Glickman, versicherte, er wäre überzeugt, bis Januar 1931 würde die Produktion bestimmt 2000 Stück erreichen. Nichts würde unversucht bleiben, um das Tempo zu fördern, habe doch die Sowjetunion und die Außenwelt die Stalingrader Fabrik als Gradmesser für den vermutlichen Erfolg des industriellen Produktionsprogramms des Fünfjahresplans erwählt.

(In Moskau gab mir V. V. Ossinsky, vom All-Union Automobile- und Traktor-Trust die folgenden tatsächlichen Produktionsziffern bis zum 5. Oktober an. Im August 20 Traktoren; im September 60, doch wurden in den Tagen vom 21. bis 25. September 12 hergestellt, in den 5 Tagen vom 26. bis 30. September 20, in den 5 Tagen vom 1. bis 5. Oktober 32 und in den letzten 5 Tagen wurden 80 zur Montage fertiggestellt. »Ich denke«, sagte Ossinsky, »daß wir im Oktober 200 bis 400, gegen die 1000 des Planes, erzeugen und im November die 1000 erreichen werden. Hiernach zu urteilen, würde der Fortschritt sich sehr rasch vollziehen.«)


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