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Der Schullehrer übte sein Präludium für die Trauung. Gemächlich spielte er und sah durch den Orgelspiegel dem Küster zu, der Blumensträuße auf den Altar stellte. Das Hochzeitspräludium konnte der Schulmeister längst aus dem Kopfe. Hammerschläge hallten von der Kirchentüre her dazwischen. Jetzt kam die Küstersfrau mit dem Staubwedel. Und wer ist das? dachte der Orgelspieler. Ein fremder junger Mensch. An der Tür blieb der stehn, sah zur Empore hinauf. Jetzt ging er quer durchs Schiff. In den Vorsprung der Turmwand neben dem Chor war ein großes Gipsrelief eingelassen: Christus zeigt lächelnd auf ein Weib, das seine Knie umfaßt hält, und hat eben gefragt: Wer von euch wirft den ersten Stein? Dunkel stand der Fremde vor dem sonnebestrahlten weißen Bildwerk und warf quer drüber einen Schatten.
»Der hat ja eine Geige unterm Arm«, murmelte der 123 Orgelspieler. »Man sieht sie selten heutzutage, Geigenspieler über Land; wer Musik braucht, dem wird sie jetzt mit einer Maschinerie durch die Luft aufs Trommelfell geblasen . . . vielleicht hat den der Müller zur Hochzeit herbestellt.«
Der Musikant setzte seinen Geigenkasten auf den Taufstein, nahm das Instrument heraus, den Bogen. Er begann zu spielen. Der Kerl kennt das Präludium, dachte der Kantor. Rasch ruckte er sich zusammen, guckte nicht mehr durch den Spiegel auf Küster und Küstersfrau, paßte scharf auf den Takt. Der Geiger hielt das Tempo, saß dem Orgler auf den Fersen . . .
Die Orgel war ein schlichtes Pfeifwerk, hätte längst unter die nachbessernden Hände eines Orgelbauers gehört, und der Schullehrer spielte schlecht und recht seinen Musikdienst ab jeden Sonn- und Festtag: Bauern singen langsam und ein Dorfkantor hat seine liebe Not, die schleppende Gemeinde in frischem Gang zu halten mit kräftigen Registern. Von Takt zu Takt stieß der Schullehrer jetzt einen Stimmzug nach dem andern hinein. Die Orgel brummelte nur noch – denn was da schwebte über dem dumpfen, manchmal ein wenig polternden Orgelbrummen, das war Engelsmusik. Der Küster ließ die Blumensträuße, die Küstersfrau den Staub. Das Hämmern hörte auf, der Girlandenmann stieg ein paar Leitersprossen hinab, bückte sich, guckte unter dem Spitzbogen der Tür in die Kirche hinein: nur noch wie fallende Erdschollen klang die alte Orgel, polterte leise, aber über dem irdischen Wesen erhob die Stradivari ihren Gesang, erfüllte schwellend den Kirchenraum und verhallte, daß der erschrockene Schulmeister lauschend die Hand ans 124 Ohr hielt – einen silbernen Klangstaub vom Gewölbe herab glaubte er noch rieseln zu hören . . .
Andreas wollte die Geige wieder in den Kasten legen, als der Orgelspieler aufstand, an die Empore vortrat: »Wenn Sie raufkommen wollen? Weiterspielen ein wenig?«
Einen Augenblick überlegte Andreas. Dann ging er hinauf. Die Morgenandacht hatte ihm das Herz geweitet. Er blätterte mit dem Schullehrer in den Noten. Sie fanden ein Stück, das sie gemeinsam spielen konnten bei der Trauung und wie sich's ein junger Mann nur wünschen kann, zu dem ein Mädchen Ja sagen will an diesem Tag.
Die Trauung nahm ihren gewohnten Anfang. Der Pastor predigte. Das junge Paar kniete am Altar. Andreas nickte dem Kantor zu – die Orgel setzte humpelnd ein, und der Geiger begann. Er sah die fremde Braut an und spielte, als wenn sie nicht die Müllerstochter Grete von Hopfgarten gewesen wäre, sondern die Agnes aus der Stadt des Ildewigpergamentes. Solche Begleitmusik zum Ringwechsel war in Hopfgarten noch nicht gehört worden. Der Pastor steckte dem jungen Bauern den Ring auf den Finger und ließ sich Zeit dabei, horchte nach der Empore hinauf. Adam wandte den Kopf zu Eva, sagte: »Ja«, und Eva wandte den weißverschleierten Kopf, streifte Adam mit ihrem Blick, wandte den Kopf weiter, bis sie die Empore sehen konnte, lauschte dem Engelsklang lächelnd und sagte: »Ja.«
»Die hat hinter sich gesehn«, tuschelten die alten Weiber im Kirchenschiff.
»Da kommt 's erste Kind zu früh.«
Manche alten Weiber sind jedoch nicht abergläubisch: »'s erste Kind kommt oft zu früh«, sagte ruhig eine alte 125 Mutter, leckte den Zeigefinger an und blätterte die Gesangbuchseite um.
Die Müllerbraut hatte gut getan, den Kopf nach der singenden Stradivari zu wenden: in Hopfgarten nicht wieder und in Jahrhunderten nicht noch einmal meilenweit um Hopfgarten herum wird eine Brautmusik erklingen wie diese, die mancher Fürstentochter nicht beschieden ist in ihrer letzten Mädchenstunde.