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Sie ritten beide die Landstraße hinan, und als sie noch einige Steinwürfe von der Stadt entfernt waren, sahen sie einen Galgen nah an derselben, an welchem ein schlanker, wohlgestalteter Jüngling hing. Faust blickte hinauf. Der frische Abendwind, der durch seine blonde über sein Gesicht gefallene Haare blies, und ihn hin und her schaukelte, entdeckte Fausten seine jugendliche Bildung. Er brach bei diesem Anblick in Tränen aus, und rief mit bebender Stimme:
»Armer Jüngling, in der ersten Blüte des Lebens schon hier am verfluchten Holze? Was kannst du verbrochen haben, daß dich das Gericht der Menschen so früh verurteilt hat?«
Teufel, mit ernstem und feierlichem Tone: Faust, dieses ist dein Werk!
Faust. Mein Werk?
Teufel. Dein Werk! Sieh ihn genau an – es ist dein ältester Sohn!
Faust blickte hinauf, erkannte ihn, und sank vom Pferde.
Teufel. Schon jetzt vernichtet? So wirst du mich bald um die Früchte meiner Mühe bringen, die ich nur in deinem Jammer ernten kann. Winsle und stöhne, die Stunde naht, worin ich dir den dicken Schleier von den Augen reißen muß. Höre! ich will mit einem Atemzug das verworrne Labyrinth weghauchen, in welchem du dich nicht finden konntest, dir Licht über die Wege der moralischen Welt geben, und dir zeigen, wie gewaltsam du sie durchkreuzt hast. Ich ein Teufel, will dir zeigen, mit welchem Rechte und Gewinn ein Wurm wie du sich zum Richter und Rächer des Bösen aufwirft, und in die Räder dieser so ungeheuren und fest gestimmten Maschine greift. Langsam will ich dir alles zuzählen, damit das Gewicht eines jeden deines Frevels, einer jeden deiner Torheiten, schwer auf deine Seele falle. Erinnerst du dich des Jünglings, den ich auf deinen Befehl, bei unserm Auszug aus Mainz, vom Ersaufen erretten mußte? Ich warnte dich; du wolltest dem Zug deines Herzens gehorchen, vernimm nun die Folgen. Hättest du jenen Bösewicht ertrinken lassen, so würde dein Sohn nicht an diesem schändlichen Holze sein Leben verloren haben. Er, um deswillen du durch die Führung des Schicksals verwegen griffst, nahte sich bald nach deiner Entfernung deinem jungen verlaßnen Weibe. Der Glanz des Goldes, das wir ihr so reichlich hinterlassen hatten, reizte ihn mehr, als ihre Jugend und Schönheit. Es war ihm ein leichtes, das Herz der von dir Vernachlässigten zu gewinnen, und er machte sich in kurzem so zum Meister davon, daß sie ihm ihre Führung, und alles, was sie besaß, überließ. Dein Vater wollte sich seiner Wirtschaft widersetzen, der junge Mann schlug und mißhandelte ihn, er suchte seine Zuflucht in dem Hospitale der Armen, wo er vor einigen Tagen vor Kummer über dich und deine Familie gestorben ist. Da ihn dein Sohn darauf mit heftigen Vorwürfen anfiel, und ihm drohte, trieb er auch ihn aus dem Hause. Dieser irrte in der Wildnis herum, schämte sich zu betteln, kämpfte lange mit dem Hunger, stahl endlich in einer Kirche dieser Stadt einige Groschen von einem Opferteller, ihn zu stillen, tat es aber so unvorsichtig, daß man ihn bemerkte, und der Hochweise Magistrat ließ ihn aus Rücksicht seiner Jugend nur hängen, ob er ihnen gleich unter Tränen sagte, er habe in vier Tagen nichts als Gras verschlungen. Deine Tochter ist in Frankfurt, prostituiert, um zu leben, jedem ihre Jugend, der sie dafür bezahlt; dein zweiter Sohn dient bei einem Prälaten, der die Jünglinge dazu braucht, wozu mich der Papst einst brauchen wollte, und wofür er eine so billige Taxe im Sündentarif festsetzte. Der junge von mir gerettete Mann raubte endlich deinem Weibe das letzte; dein Freund, den wir vom Bettelstab retteten, versagte deinem alten Vater seine Hülfe, stieß deine Kinder, die zu ihm flüchteten, und um Brot flehten, weg, und nun will ich dir deine Familie zeigen, damit du mit Augen siehst, was du aus ihnen gemacht hast. Dann will ich dich wieder hierher reißen, Rechnung mit dir halten, und du sollst eines Todes sterben, wie ihn kein Sterblicher gelitten hat. Ich will deine bebende Seele herumzerren, bis du da stehest, ein erstarrtes Bild der Verzweiflung.