Friedrich Maximilian Klinger
Faust's Leben, Taten und Höllenfahrt
Friedrich Maximilian Klinger

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Der Minister ging seufzend und einsam in seinem Zimmer auf und ab. Das Gefühl der bevorstehenden Schande, der Druck peinlichen Kummers, die Gewißheit betrogner Liebe hatte auch seine Tochter, einst sein einziger Trost, von ihm entfernt. Sie weinte verschlossen, und zehrte an einem Herzen, das eines bessern Schicksals würdig war; so dorrt die Lilie im einsamen Tale hin, die eine mutwillige Hand am zarten Stengel gedrückt hat. Seine Gemahlin unterbrach seine düstre Einsamkeit, um ihm sein Elend noch fühlbarer zu machen. Bald darauf trat der Baron herein, und forderte kalt die Instruktion an den Kaiserlichen Hof. Da der Fürst Befehl dazu erteilt hatte, so ging der Minister in sein Kabinet, um sie zu holen. Indessen hatte seine Gemahlin Zeit, eine Szene der Verzweiflung mit ihrem Buhlen zu rasen. In dem Augenblick, da der Minister dem Baron die Instruktion übergab, kam ein Bote des Fürsten mit einem Handschreiben, worin er ihm bedeutete, das Dokument und seine Ausarbeitung an Hof zu bringen, weil man beides dem Abgesandten der Gegenpartei vorlegen wollte. Der Minister suchte in seinem Kabinete, leerte alle Schränke aus, kalter Todesschweiß rann über sein Gesicht; er forschte alle Secretairs und Schreiber aus, sein Weib, seine Tochter, umsonst, er mußte den Entschluß fassen, sich dem fürchterlichen Sturm in der Unschuld seines Herzens auszusetzen. Er trat vor den Fürsten, der mit dem Grafen allein war, und kündigte ihm sein Unglück an, beteuerte seine Unschuld, und unterwarf sich seinem Schicksal. Der Graf ließ die erste Empfindung bei dem Fürsten würken, trat dann kalt näher, zog das Dokument aus der Tasche, übergab es dem Fürsten mit einer tiefen Verbeugung, ließ darauf hart in sich dringen, wie er dazu gekommen, ließ sich sogar mit Ungnade bedrohen, und gestund endlich mit dem äußersten Widerwillen den Vorgang der Sache nach seinem entworfnen Plane. Der Minister verstummte, der sprechende Beweis von Schuld verwirrte ihn so, daß selbst das Gefühl seiner Unschuld nicht durch die Finsternis dringen konnte, die diese unerwartete Wendung vor seine Sinne zog. Der Fürst sah ihn wütend an, und sagte: »Lange konnt ich von Euch erwarten, daß Ihr endlich die Torheit Eurer Aufführung durch Verräterei an mir zu heilen suchen würdet.« Dieser Vorwurf zog die Decke von den Augen des Verstummten weg; das Gefühl seiner Redlichkeit wollte seine starre Zunge beleben, der Fürst befahl ihm zu schweigen, seine Stelle niederzulegen, nach Hause zu gehen, und sich nicht zu entfernen, bis ein Gericht über ihn gesprochen.

Der Unglückliche ging, dicke Tränen rollten in seinen Bart. Die Verzweiflung entriß seiner Tochter das Geheimnis ihrer Schande, und der Mutter das Geständnis ihres Verbrechens. Die Kraft seines Geistes zersprang, seine Sinne verwirrten sich, und nur das schrecklichste Schicksal, das den Menschen treffen kann, Stumpfheit und Wahnsinn zogen einen düstern Schleier vor das Erinnern des Vergangnen, und hellten durch eine gänzliche Zerstörung sein Herz von den grausamen Wunden, die ihm seine Nächsten geschlagen.

In diesem Augenblick führte der Teufel Fausten in das Zimmer des Ministers, nachdem er ihn vorher von der ganzen Geschichte unterrichtet hatte. Noch hatte die Zerstörung nicht alle Vorstellungskraft verdunkelt, alle Fibern des Gefühls gelöst, noch stammelte die Zunge die letzten Empfindungen über das erlittene Weh, noch träufelte der letzte Tau aus den Augen des Unglücklichen auf die elende Tochter, die seine Knie umfaßte, und deren Gesicht die starre Verzweiflung, der peinlichste Schmerz entstellten. Er lächelte noch einmal – spielte mit ihren heruntergefallnen Haaren, lächelte noch einmal – sein Sohn trat herein, und wollte freudig auf ihn zustürzen. Er sah ihn starr an, ein wilder Ton der Raserei, der die Nerven durchbebt, das Herz durchschaudert, drängte sich aus seiner Brust hervor, und der sanfte Dulder ward für immer ein Gegenstand des Schreckens und des peinvollsten Mitleids.


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