Egon Erwin Kisch
Der Mädchenhirt
Egon Erwin Kisch

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Drittes Kapitel

Auf der Kampa-Insel war des Munkelns kein Ende. Daß der kleine Jaroslaw, der ›Jarda‹, nicht der Sohn des kranken Flößers Chrapot sei, wußte man; man wußte auch jenen Mann, der damals halbtot vom Wrack herübergebracht worden war, mit der Geburt des Kindes in Zusammenhang zu bringen. Wer aber war jener Fremde gewesen? Die Frage war der Erörterung wert. Frau Chrapot trug jetzt einen großen Damenhut, die Kleider des Kleinen waren in einem Kinderkonfektionsgeschäft gekauft – nicht wie die Kleidchen der anderen Flößerkinder aus Wäschestücken oder Anzügen der Eltern plump zurechtgenäht. Mit jenem Schiffbrüchigen war also bei den Chrapots der Reichtum eingekehrt, und man hätte verteufelt gerne gewußt, wer er gewesen sei. Aber die 31 Chrapotin verriet nichts. Sie war, wie man so sagt, mit allen Salben geschmiert. Als sie ledig war, war sie Fabrikarbeiterin in Holleschowitz gewesen, und die Flößer, die hinter dem Hetzinselwehr anlegten, um beim ›Bastecky‹ den letzten Trunk Prager Bieres zu tun und ihre Flöße zum Remorqueurtransport aneinanderzukuppeln, hatten sie gekannt. Mancher brüstete sich auf der Weiterfahrt lachend eines Abenteuers mit ihr, dessen Zeugen die Grasbüschel auf der Manina-Heide oder die Akaziensträuche der Hetzinsel gewesen seien. Den Flößer Chrapot, der nicht mehr jung und keiner der Klügsten gewesen war, hatte sie oft gehänselt, bevor er begann, ihre Späße damit zu erwidern, daß er ihr nachstellte. Sie machte sich darüber lustig und lachend erkundigten sich die Flößer, wenn sie sich auf ihrer Tour nachts auf das Floß oder unter die Wirtshaustische in Jedibab und Laube zum Schlafe niederstreckten, bei Chrapot, was wohl jetzt seine Angebetete mache, ob sie seiner in Treue gedenke. Allmählich hatte aber das schlaue Fabrikmädel über die Nachstellungen des Flößers zu spötteln aufgehört. Sie bedachte, daß sich hier eine Gelegenheit zum Heiraten biete, wie sie nicht so bald wiederkehren werde. Und eines Tages wohnte sie als legitime Frau Chrapot auf der Insel Kampa. Die Kampa-Leute, deren Eltern 32 und Familien schon dem Holzschwemmbetrieb entstammten, sahen das ehemalige Fabriksmädel, die ›Fabritschka‹, der einer der ihren so täppisch ins Garn gegangen war, nicht gerne unter sich, insbesondere die Frauen mochten sie nicht leiden. Frau Chrapot hatte ihrerseits die ›Podskalaci‹ immer verachtet und nicht viel Verkehr mit ihnen gepflogen. Jetzt aber, nach der Geburt ihres Kindes, da sie fühlte, daß sie zum Gegenstand der Neugierde und des Neides geworden sei, verschloß sie sich noch mehr. Die Nachbarn sahen darin den Stolz auf ihren neuen Reichtum. Aus dem Flößer Chrapot wäre noch eher eine Mitteilung herauszukriegen gewesen; aber der war durch Drohungen seiner Frau, unter deren geistiger und physischer Herrschaft er ein völliger Sklave war, zum strengsten Stillschweigen verurteilt, und so brummte er nur abwehrend unverständliches Zeug, wenn ihm bei den Flottmachungsarbeiten im Smichower Floßhafen, bei der Jause am Herdfeuer auf der Prahme oder beim langweiligen Transport durch den Remorqueur die anderen Flößer auf den Zahn fühlen wollten.

Und mochte man den kleinen Jaroslaw noch so neugierig mustern – über seinen Stammbaum gab sein Aussehen doch keinen Aufschluß, wenn es auch noch so sehr von dem der anderen Kampa-Kinder 33 abstach. Die Chrapotin pflegte den längst nicht mehr erhofften Sprossen und gab ihm ihre Sorgfalt nicht bloß aus Liebe, sondern um den Neid und die Märchenerzählungen der Nachbarschaft aufzustacheln. Sie zog in den Stadtpark auf Entdeckungsreisen aus, um zu sehen, wie die Reichen ihre Kinder ankleideten, sie kämmte ihrem Jungen auch die Locken über die Ohren, und man kann sich vorstellen, welche Sensation es unter der Karlsbrücke gab, als der Jarda am Sonntag in gelben Schuhen, gelben Socken, in blauem Matrosenanzug und mit Matrosenmütze unter seinen barfüßigen Spielkameraden erschien. Von der Mütze baumelten zwei schwarze Bänder, rückwärts in den Ecken des Matrosenkragens gab es Distinktionssterne und auf dem linken Ärmel einen goldgestickten Anker.

Dabei war Jarda durchaus nicht stolz, er spielte mit allen, schlug das zweigespitzte Wurfholz ›Spacek‹ in Fensterhöhe, peitschte den Kreisel, daß er zwei Minuten auf dem doch holprigen Uferpflaster tanzte, und er wußte beim Beginn von ›Räuber und Polizei‹ die althergebrachte, mystische Formel:

»Ententini
»Isou rakatini
»Buja, buja, buc
»Ti s'to vsecko spuc« 34

so geschickt aufzuzählen, daß das Stichwort ›spuc‹ immer auf seine Freunde fiel; die durften dann die Räuberbande bilden und konnten in der auf geheimem Pfad erreichbaren Ruine, die bei dem Brand der Odkolek-Mühle von dem riesigen, roten Zinnenbau übrig geblieben war, ein Räuberlager aufschlagen, während die beim Auszählen Übriggebliebenen sich mit der wenig aussichtsreichen und auch prinzipiell verhaßten Rolle der Polizisten begnügen mußten. Kein Wunder, daß sich jeder mit ihm zu verhalten suchte. Besonderes Ansehen aber verschaffte ihm eine kavaliermäßige Eigenart beim Kugelspiel, bei ›Tschukes‹ wie bei ›Labeda‹. Während die anderen Meisterspieler in selbstverständlicher Usance nur so lange mit ihrem Opfer spielten, bis sie diesem alle Kugeln (sechs kosten einen Kreuzer beim Kaufmann Kolant) abgewonnen hatten, borgte Jarda seinem gerupften Partner immer noch Kugeln zu einigen Runden – eine Großmütigkeit, von der man sich einen Begriff erst machen kann, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er dem Gegner nur die Chance gab, den bereits ehrlich erstrittenen Gewinn Jardas diesem wieder abzunehmen, während Jarda selbst nicht mehr gewinnen konnte als höchstens nochmals sein Eigentum. Häufig warf er eine gläserne Kugel mit roten, blauen, gelben 35 und grünen Äderchen im Innern als Einsatz in die Kugelgrube und steigerte so den Spieleifer zu einer unsagbar sehnsüchtigen Glut.

Als man erfuhr, daß Jaroslaw Chrapot die deutsche Schule besuchen werde, war das Aufsehen ungeheuer. Denn auch in den Kampahäuschen hatte der nationale Haß Miete bezogen. Die Leute verstanden hier nicht, was die Sprachenverordnungen, die Kommissionen, der Paragraph vierzehn, die Obstruktion und die Minoritäten waren, um derentwillen die Zeitungen schrieen. Die Leute hier verstanden nicht, über welche Pläne die Omladinisten, die in dunklen Kellern Verschworenen, gebrütet hatten. Die Leute hier hatten die Zeitungsberichte über die Gerichtsverhandlungen gelesen, weil es Zeitungsberichte über Gerichtsverhandlungen waren, sie hatten aber daraus nicht viel mehr erfahren, als Namen, Beruf und Alter der Angeklagten, ob sie geständig waren oder leugneten, wie sie aussahen und wie sie verurteilt wurden. Am Abend hatten die Kampa-Leute die Fragen erörtert, ob die Omladinisten den Kaiser und die Erzherzöge ermorden und einen König von Böhmen krönen wollten, oder ob sie bloß die Häuser der Deutschen in die Luft zu sprengen beabsichtigten.

Dem alten Ruzicka, der kurz nach dem Prozeß auf 36 der Insel Kampa Wohnung genommen hatte, begegnete man noch immer mit einem romantischen Respekt: Er war Hausbesorger in dem Hause gewesen, in dem man den buckligen ›Rigoletto von Toscana‹, den Verräter des Geheimbundes unter dem Weihnachtsbaum erstochen hatte.

Wenn die Flößer und Flößerburschen spät zum Mittagessen nach Hause kamen, mit brennenden Gesichtern und frisch abgerissenen Rockkragen, erzählten sie, sich rühmend, von ihren Kämpfen mit den Couleurstudenten auf dem Graben, wie sie ihre Kameraden aus den Händen der Polizei befreit oder sich selbst losgerissen hatten. Frauen und Kinder sahen sie bewundernd an, und auf den Stiegen und vor den Häusern tauschte man nachher die Erlebnisse der Gatten und Söhne aus.

Man wußte keine Motive für alles das, was vorging, aber jeder wurde mitgerissen. Es war kein neuer Haß, der da unter den Kampa-Leuten entfacht war. Aber erst jetzt bekam er seinen Namen, seine Richtung, seine Bewegungsfreiheit. Bisher hatte sich der Haß dumpf und verschlossen gegen alle Bessergestellten, alle Reichen neidvoll gekehrt, gegen alle jene, von denen man wirtschaftlich abhängig war. Jetzt hieß es: Gegen die Deutschen! Man faßte es so 37 auf, als ob es dasselbe wäre. Was waren denn die Holzhändler, für die man sich plagte, abarbeitete, Gicht und Verletzungen holte? Deutsche! Was waren denn die Smichower und Radlitzer Fabrikanten, für die die Frauen und Mädchen schufteten? Deutsche! Die Deutschen, ja, das sind die Reichen – wir sind die Armen. Die Banken, die Beamten, die Institute, die Adeligen auf der Kleinseite – lauter Deutsche, aber die armen Flößer, die Holzarbeiter, die Fabrikarbeiter, die Kutscher, die Dienstboten, die Bettler – lauter Tschechen. Eben hatte die deutsche Sparkasse einen Ansturm von hunderttausend Einlegern ausgehalten, die plötzlich auf ein Gerücht hin ihr Geld zurückzufordern kamen, während die tschechisch-klerikale Vorschußkasse mit einem Millionendefizit verkracht war, unzählige ihrer Einleger ganz verarmend. Man las in den Zeitungen, daß sich tschechische Studenten aus Not als Arbeiter verdingen mußten, und sah zur gleichen Zeit die deutschen Studenten in Lackkanonen, mit silbernen Sporen und samtenen Hüten in Fiakerreihen durch die Straßen fahren, und selbst aus den gehässigsten Zeitungsberichten über Trunkenheitsexzesse der ›Burschaken‹ hörte das arme Volk nur die Übermutsäußerung von finanziell nicht Besorgten heraus. Man verwechselte im tschechischen Prag die Begriffe 38 ›deutsch‹ und ›reich‹, der nationale Haß war Klassenhaß.

Immer war unter den Tschechen der Wunsch lebendig gewesen, ihren Kindern in die beneidete Sphäre Einlaß zu verschaffen, aber die Führer fühlten die doppelte Gefahr, die in der Verwirklichung eines solchen Wunsches läge, die Stärkung des feindlichen Elements und die Entnationalisierung im eigenen Lager, und deshalb wurde durch Beschlüsse der Stadtvertretung, durch Plakate, durch Schreckgeschichten der tschechischen Zeitungen, durch persönliche Interventionen, Einschüchterungen, Versprechungen nicht nur jeder Eintritt eines tschechischen Kindes, ja eines Kindes gemischtsprachiger Eltern in deutsche Schulen verhindert, ja sogar schon die Erwägung einer solchen Absicht als schimpflichste aller Charakterlosigkeiten und nationaler Verrat gebrandmarkt.

Und nun sollte ein Flößerkind in die deutsche Schule gehen! »Die Chrapots haben es nötig,« urteilte man erregt. Aber Frau Chrapot beharrte bei ihrem Entschluß, auch als zwei Beamte des Magistrats in ihre Wohnung kamen, um sie zur Abmeldung des bereits in der deutschen Schule eingeschriebenen Zöglings zu bewegen. Der alte Chrapot, den man gleichfalls anging, wußte nichts, als die Argumente seiner 39 Frau zu murmeln. Am schwersten war es für Frau Chrapot gewesen, den Widerstand des kleinen Jarda zu überwinden, der sich nicht von seinen bisherigen Spielkameraden trennen wollte und den Unterricht in der ihm fremden Sprache fürchtete. Erst als ihm Frau Chrapot auseinandersetzte, daß er gerade, weil er die Unterrichtssprache nicht beherrsche, vom Lehrer nicht aufgerufen werden könne, und als sie ihm ein Taschenmesser mit breiter Schale und zwei Klingen (Jarda brauchte es zum Messerspiel auf den Kampabänken) versprach, war er bereit. Die Kameraden, die ihn mit den zu Hause gehörten Argumenten zu verhöhnen versuchten, machte er mit der Behauptung seiner Mutter mundtot: »Die Tschechen sind nur Bettler.« Da stieg Jarda noch mehr an Ansehen.

Aber seine eigenen Abneigungen gegen die deutsche Schule waren durch die Bestechungen seiner Mutter, durch seine Zusage und dadurch, daß er die Vorwürfe seiner Freunde schlankweg zum Verstummen gebracht hatte, nicht gebrochen. Bis in die Karmeliterstraße mußte er zur deutschen Schule laufen, einen so weiten Weg in das wildfremde, fremdsprachige Reich, und die tschechische Schule war ganz nahe – eins, zwei war man auf dem Maltheserplatz. Wie oft war 40 er den Weg mit der Betka Dvorak gelaufen, die nun schon in die dritte Klasse kam, und jetzt hätte er täglich den Weg mit ihr gehen können, und täglich hätte sie ihm neue Wunderdinge erzählt. Denn Betka Dvorak weiß Wunderdinge und kennt Wunderdinge: Sie hat fünf ältere Schwestern. Die eine ist eine Dame, hat eine Bekanntschaft mit einem Fabrikanten, einen Hut mit einer grünen Reiherfeder, ein Uhrarmband und einen Ring mit weißem Saphir und wohnt nicht zu Hause; sie kommt nur manchmal zu Besuch auf die Kampa, und dann bringt sie dem Vater eine Zigarrenspitze oder Zigarren oder Stehkragen oder ein Feuerzeug mit, oder sonst etwas, was sie ihrem Fabrikanten geklaut hat. Sie heißt eigentlich Fanka, aber sie nennt sich Emmy, weil das viel nobler ist. Die zweite Schwester, die Marenka, die hat keinen ›Schamster‹, weil sie häßlich ist; als sie klein war hat sie Pocken gehabt und das sieht man noch im Gesicht und die Nase ist so hinaufgezogen. Die arbeitet in der Bügelanstalt und kümmert sich nicht um die Männer. Die Schönste ist die dritte, die Anna, die ist fünfzehn Jahre alt und falzt in der Druckerei, wo der Vater Setzer ist. Die hat eine ernste Bekanntschaft mit einem Raseurgehilfen aus der Brückengasse; Fanka hat ihr einen Freund ihres Fabrikanten 41 vermittelt, die Anna hat zuerst nicht gehen wollen, aber dann hat sie dem Rudla – das ist der Friseurgehilfe – gesagt, daß sie abends nicht zum ›Rande‹ kommen kann, weil sie krank sei und sich niederlegen müsse, aber abends ist der Rudla direkt aus dem Geschäft in die Dvorak'sche Wohnung gegangen und hat gesehen, daß sie nicht zu Hause sei. Da hat er vor dem Haus die ganze Nacht gelauert, – er wollte sie abpassen, bis sie nach Hause kommt. Aber die Anna ist gar nicht nach Hause gekommen, sondern ist früh von ihrem neuen Schamster direkt in die Druckerei gegangen, und erst Mittag hat der Rudla mit ihr sprechen können. Der hat ihr einen großen Krawall gemacht, und sie hat ihm schwören müssen, daß sie abends zu keinem andern mehr gehen wird, und jetzt will sie wirklich nicht mehr gehen, trotzdem sie dreißig Kronen von dem Herrn bekommen hat und er ihr noch einen Ring schenken will, und trotzdem die Fanka schon zweimal zu Hause war, eigens um sie zu holen. Die Fanka hat ganz recht, wenn sie sagt, der Rudla könnt doch froh sein, wenn sich die Anna für fremdes Geld schön anziehen kann, wenn sie mit ihm spazieren geht. Aber die Anna ist so dumm und will nicht mehr zu dem Herrn gehen. Die zwei anderen Schwestern, die Katy und die Jarmila, besuchen noch die Schule, aber 42 ›die haben sich beide nicht zur Welt‹, und die eine, die Jarmila, ist auch sehr häßlich.

Da ist die Betka eine ganz andere! Die geht immer zur Fanka in die Wohnung, wenn sie ihr Wäsche bringt oder die Mutter sie um Geld schickt, und da nimmt sie der Fabrikant immer auf den Schoß, tätschelt sie und sagt:

»Die Betka wird einmal ein großes Luder werden.«

Diese Prophezeiung wiederholt die Betka dem Jarda mit selbstgefälliger Miene und Jarda, dem unklar die Überzeugung aufdämmert, daß der Begriff ›ein großes Luder‹, den er bisher nur als Schimpfwort vernommen hat, etwas sehr Schönes und Erstrebenswertes sein müsse, zweifelt nicht einen Augenblick daran, daß die Betka Dvorak ein großes Luder werden wird. Was die heute schon alles kann! Sie weiß sich aus Papier eine Haareinlage zu falten und ein Toupet zu kämmen, sie lehrt die vor Staunen erstarrten Kampamädel, wie man sich mit einem eben verlöschten Zündhölzchenkopf tiefschwarze und gewölbte Augenbrauen malen kann, sie tanzt alle Tänze und vor allem weiß sie tausend ungeahnte Dinge, die sie aus den Gesprächen ihrer Schwester aufschnappt.

Mit diesen Kenntnissen hat die Betka längst allen 43 Kampa-Kindern Respekt eingeflößt. Die kleine Luise Hejl, die neben dem hinkenden Adalbert vielleicht die sklavischste Anhängerin Jardas und immer hinter ihm her ist, hat auch für Betka eine Miene der Bewunderung.

Auch dem Jarda würde die Betka imponieren, wenn er nicht fühlen würde, daß er ihr selbst imponiert.

Sie fühlt es bewußter als alle anderen, daß er etwas Nobleres ist als die Lausbuben von der Insel Kampa; vor allem gefallen ihr seine besseren Kleider. Anfangs hatte sie ihre Zuneigung für ihn hinter überlegener Kälte zu verbergen versucht, aber als sie gesehen hatte, wie die anderen Mädel ihm nachstellten, wie sie ihn baten und bettelten, daß er mit ihnen schlittschuhlaufen möge, während die anderen Burschen die Mädchen vergeblich aufforderten, wie sie nur ihn jagten, wenn man ›Baba‹ spielte – da hatte sie sich entschlossen, den Kampf um Jarda aufzunehmen. Sie wußte, wie fieberhaft er zuhorchte, wenn sie die Gespräche ihrer Schwestern wiedergab, und so nahm sie ihn beiseite, wenn sie etwas Feines erlauscht hatte und teilte es ihm, statt es zwecklos coram publico vorzubringen, als ein Geheimnis mit.

Kam Luise Hejl ihnen nachgelaufen, um 44 bewundernd und stumm den Gesprächen ihrer beiden Idole zuhören zu können, dann verweigerte es ihr Betka:

»Ich habe mit Jarda ein Geheimnis zu besprechen.«

Jarda dreht sich mit einem knappen Blick des Mitleids nach Luise um, die ihnen mit Schmerz, Enttäuschung, Neid und feuchter Trübung der Augen nachschaut.

Beim Schlittschuhlaufen ist Betka fast immer Jardas Partnerin. Wenn er mit einer andern schleift oder einer andern seine beneideten ›Halifax‹-Schlittschuhe borgt, so geschieht es gewöhnlich nur auf Bitten eines abgeblitzten Bewerbers und unter der Bedingung, daß die von Jarda Ausgezeichnete von nun ab mit dem Abgewiesenen schleifen werde.

Am Abend pflegt Jarda mit Betka an der Moldauböschung unter der Karlsbrücke zu sitzen, und sie besprechen, wie es die Betka anstellen werde, um ein großes Luder zu werden.

Oder sie kriechen über das Gitter in die Odkolek-Anlagen und erörtern, in einem Strauch versteckt, ob Betkas Schwester, die Anna, im Recht gewesen sei, wenn sie nicht mehr mit dem Freunde des Fabrikanten gehen wolle, obwohl er ihr dafür Geld gebe. 45

 


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