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Es giebt in Simla einjährige Gehälter, zweijährige Gehälter, fünfjährige Gehälter, und es giebt auch, oder es gab doch wenigstens, permanente Gehälter, bei denen man Zeit seines Lebens verharrt und sich rote Backen und ein hübsches Einkommen verschafft. Natürlich sollte man beim kalten Wetter den Ort verlassen, denn Simla ist dann sehr langweilig.
Tarrion kam, von Gott weiß woher – von irgend einem verlassenen Ort von Zentral-Indien, wo sie Pachmari ein Sanatorium nennen und, wie ich glaube, mit Ochsenwagen fahren. Er gehörte einem Regiment an, doch hauptsächlich wollte er von seinem Regiment fortkommen und für immer in Simla leben. Er hatte für nichts besonderes eine Vorliebe, außer für ein gutes Pferd und eine hübsche Lebensgefährtin. Er glaubte, er könnte in allem etwas tüchtiges leisten; das ist ein schöner Glaube, wenn man ihn mit ganzem Herzen aufrecht erhält. Er war in mancherlei Hinsicht recht geschickt, sah hübsch aus und versetzte die Leute stets in gute Stimmung – selbst in Zentral-Indien.
So kam er nach Simla, und weil er geschickt und unterhaltend war, so knüpfte er natürlich mit Mistreß Hauksbee an, die alles vergeben konnte, nur keine Dummheit. Einmal erwies er ihr einen großen Dienst, indem er das Datum auf einer Einladungskarte zu einem großen Ball umänderte, den Mistreß Hauksbee besuchen wollte, aber nicht konnte, weil sie sich mit dem Adjutanten des Vicekönigs gezankt hatte. Da dieser ein gehässiger Mensch war, so sorgte er dafür, daß sie zu einem kleinen Tanzvergnügen am 6., anstatt zu dem großen Balle am 26. eingeladen wurde. Es war eine sehr geschickte Fälschung und als Mistreß Hauksbee dem Adjutanten ihre Einladungskarte zeigte, und ihn freundlich ausschalt, warum er seine Vorkehrungen nicht besser treffe, da glaubte er wirklich, sich geirrt zu haben und kam – was auch klüger war – zu der Ueberzeugung, es hätte keinen Zweck, mit Mistreß Hauksbee zu kämpfen. Sie war Tarrion dankbar und fragte, was sie für ihn thun könnte. Einfach erwiderte er: »Ich bin auf Urlaub hier und sehe mich nach einer für mich geeigneten Stellung um. Ich habe in ganz Simla nicht einen, der sich für mich interessiert. Mein Name ist denen, die Stellen zu besetzen haben, unbekannt, und doch brauche ich eine Stellung, eine gute, nutzbringende. Ich glaube, Sie könnten etwas thun, wenn Sie sich damit befreunden wollten. Wollen Sie mir helfen?«
Mistreß Hauksbee dachte einen Augenblick nach, und zog das Ende ihrer Reitgerte durch die Lippen, wie das ihre Gewohnheit war, wenn sie überlegte. Dann blitzte es in ihren Augen auf; sie sagte: »Ich will!«, und reichte ihm darauf die Hand. Tarrion, der zu dieser großen Frau vollkommenes Vertrauen hatte, beschäftigte sich selbst mit der Sache gar nicht mehr. Er fragte sich nur, was für eine Stellung ihm zufallen würde.
Mistreß Hauksbee begann nun, die Preise aller Departementsvorstände und Ratsmitglieder zu berechnen, die sie kannte, und je mehr sie überlegte, desto mehr lachte sie, denn ihr Herz war mit im Spiel, und die Sache machte ihr Spaß. Dann nahm sie eine Civilliste zur Hand und durchflog einige Aemter. Es waren einige sehr schöne Aemter in der Civilliste. Sie beschloß, obwohl Tarrion für das politische Departement zu gut war, den Versuch zu machen, ihn hier unterzubringen. Was sie dabei für eigene Pläne verfolgte, thut schließlich nichts zur Sache, denn Glück und Schicksal spielten ihr in die Hände, und sie brauchte nichts weiter zu thun, als den Lauf der Dinge zu beobachten und zu benutzen.
Alle Vicekönige tragen, wenn sie ihr Amt antreten, eine alberne »diplomatische Heimlichthuerei« zur Schau. Das verliert sich mit der Zeit, doch zu Anfang kranken sie alle daran, weil sie noch neu im Lande sind. Der in Rede stehende Vicekönig, der an diesen beiden gerade damals laborierte, – das war lange, bevor Lord Dufferin von Kanada, oder Lord Ripon vom Busen der englischen Kirche kam – hatte sie in sehr hohem Grade; und das Resultat war, daß Leute, denen die Geheimhaltung amtlicher Vorkommnisse noch etwas neues war, sehr unglücklich aussahen. Doch der Vicekönig rühmte sich, wie er seinem Stabe den Begriff der Verschwiegenheit beigebracht hatte.
Nun haben die »Obersten Regierungen« die Gewohnheit, sorglos alles, was sie thun, bedrucktem Papier anzuvertrauen. Diese Papiere handeln von allem möglichen – von der Bezahlung, von 200 Rupien für einen »geheimen Dienst« an einen Eingeborenen bis zu den den Wakils und Motamids der heimischen Staaten erteilten Verweisen und den schroffen Briefen an eingeborene Fürstlichkeiten, die ihnen sagen, sie möchten ihre Häuser in Ordnung halten, das Stehlen von Weibern unterlassen und ihre Feinde nicht mit gestoßenem roten Pfeffer vollstopfen, und andere Exzentrizitäten dieser Art. Natürlich können solche Dinge nicht öffentlich bekannt gemacht werden, weil eingeborene Fürsten offiziell niemals irren, und ihre Staaten offiziell ebenso gut verwaltet werden, wie unser Gebiet. Auch die Privatschenkungen an verschiedene seltsame Leute gehören nicht gerade zu den Dingen, die man in die Zeitungen bringt, obwohl sie zuweilen ganz amüsantes Lesefutter liefern. Wenn die Oberste Regierung sich in Simla befindet, so werden diese Papiere hier fertiggestellt und den Leuten, für welche sie bestimmt sind, durch die Post oder von Amtswegen zugestellt. Das Prinzip der Verschwiegenheit war für jenen Vicekönig ebenso wichtig, als der Dienst selbst, und er behauptete, ein wohlwollendes Regime wie das unsrige, sollte nie zugeben, daß sogar Kleinigkeiten, wie die Anstellung untergeordneter Beamten vor der vorschriftsmäßigen Zeit in die Oeffentlichkeit gelangten. Er war stets wegen seiner Prinzipienreiterei berühmt.
Damals waren nun eine Reihe sehr wichtiger Papiere in Vorbereitung, die von einem Ende Simlas bis zum andern von einer Hand in die andere wandern mußten. Dieselben wurden nicht in ein offizielles Couvert, sondern in ein breites, blaßrotes, viereckiges gesteckt und an »The Head Clerk« u. s. w., u. s. w. adressiert. Nun ist zwischen »The Head Clerk« u. s. w., u. s. w. und Mrs. Hauksbee und einem Schnörkel kein großer Unterschied, wenn die Adresse in sehr schlechter Schrift, wie es hier der Fall war, geschrieben wurde. Der Tschaprassi, der das Couvert an sich nahm, war kein größerer Idiot, als die meisten Tschaprassis. Er vergaß nur, wo er dieses höchst unoffizielle Schreiben abgeben sollte, und fragte danach den ersten Engländer, dem er begegnete, und der zufällig in großer Eile nach Annandale ritt. Der Engländer sah kaum auf das Couvert und sagte: »Hauksbee Sahib ki Menc«; dann ritt er weiter. Das that der Tschaprassi denn auch, weil der Brief der letzte in seiner Tasche war und er seine Arbeit beendet sehen wollte. Eine Unterschrift war nicht erforderlich; er übergab den Brief an Mrs. Hauksbees Diener und ging fort, um mit einem Freunde eine Cigarre zu rauchen. Mrs. Hauksbee erwartete Schnittmuster aus Seidenpapier von einer Freundin: Sobald sie das dicke, viereckige Couvert erhielt, sagte sie deshalb: »O, das liebe Geschöpf«, riß es mit einem Federmesser auf, und sämtliche darin eingelegten Papiere fielen auf die Erde.
Mrs. Hauksbee begann zu lesen. Ich habe bereits gesagt, daß die Schriftstücke wichtig waren. Mehr braucht der Leser nicht zu wissen. Der Inhalt bezog sich auf zwei Korrespondenzen, zwei Maßregeln, einen gebieterischen Befehl an einen eingeborenen Häuptling und zwei Dutzend andere Dinge. Mrs. Hauksbee schnappte nach Luft, während sie las, denn der erste Anblick der nackten Maschinerie der »Großen Indischen Regierung«, die so ganz ohne Tünche, ohne Firniß, ohne Schminke vor ihr lag, macht sogar auf den dümmsten Menschen Eindruck. Und Mrs. Hauksbee war ein kluges Weib. Zuerst war sie ein bischen ängstlich; sie hatte das Gefühl, als wenn sie das Ende eines Blitzstrahls in Händen hielte, und wußte nicht recht, was sie damit anfangen sollte. Am Rande standen Bemerkungen und Initialen; und einige dieser Bemerkungen waren noch strenger, als die Papiere selbst. Die Initialen gehörten Leuten an, die sämtlich tot sind oder Indien verlassen haben; doch zu ihrer Zeit standen sie groß da. Mrs. Hauksbee las weiter, und während sie las, überlegte sie ruhig. Dann kam ihr der Wert ihres Fundes zum Bewußtsein und sie sann nach, wie sie ihn wohl am besten ausbeuten konnte. Da erschien Tarrion, und nun lasen sie alle diese Papiere zusammen, und Tarrion, der nicht wußte, wie sie dazu gekommen war, erklärte Mrs. Hauksbee für die bedeutendste Frau der Welt. Ich glaube, das war auch so ziemlich wahr.
»Der gerade Weg ist immer der beste,« sagte Tarrion nach einer Stunde des Studiums und der Unterhaltung. »Wenn ich mir alles recht überlege, ist der Nachrichtendienst der geeignetste Zweig für mich. Entweder dieser oder das auswärtige Amt. Ich werde einmal die »Hohen Götter« in ihren Tempeln aufsuchen, und gegen sie Sturm laufen.«
Er suchte keinen Kleinen, auch keinen kleinen Großen oder ein schwaches Haupt eines starken Ressorts auf, sondern ging zu dem größten und bedeutendsten Mann, den die Regierung besaß und erklärte demselben, daß er ein Amt in Simla mit einem guten Gehalt haben möchte. Die vollendete Unverschämtheit dieser Forderung machte dem großen Manne Spaß, und da er für den Augenblick nichts zu thun hatte, so hörte er sich die Vorschläge des kühnen Tarrion an.
»Hoffentlich haben Sie außer der Gabe des Selbstbewußtseins noch einige besondere Qualifikationen für die Ansprüche, die Sie stellen?« sagte der große Mann.
»Darüber, Sir,« versetzte Tarrion, »sollen Sie selbst urteilen.«
Und nun begann er – denn er hatte ein gutes Gedächtnis – einige von den bedeutenderen Angaben aus dem Schriftstück herzusagen – und zwar bedächtig, eine nach der andern, wie ein Mann, der Chlorodyn in ein Glas träufelt. Als er bei dem energischen Befehl angelangt war – es war nämlich ein energischer Befehl – geriet der »große Mann« in Verlegenheit, während Tarrion erklärte:
»Ich glaube, daß besondere Kenntnisse dieser Art – sagen wir für eine Stellung im Auswärtigen Amt – mindestens ebenso wertvoll als die Thatsache sind, daß ich der Neffe der Gattin eines höheren Offiziers bin.«
Das machte tiefen Eindruck auf den großen Mann, denn die letzte Stellung im Auswärtigen Amt war lediglich durch Protektion vergeben worden, was er genau wußte.
Der »große Mann« sagte: »Ich will sehen, was ich für Sie thun kann.«
»Tausend Dank,« versetzte Tarrion und zog sich zurück, während der große Mann sich überlegte, wie er die vorher erwähnte Ernennung zurücknehmen könnte.
* * *
Es folgte eine Pause von 11 Tagen mit Donner, Blitz und vielen Depeschen. Das Amt war kein sehr wichtiges, da es nur zwischen 500 und 700 Rupien monatlich trug; doch da der Vicekönig erklärte, das Prinzip des diplomatischen Geheimnisses müsse aufrechterhalten bleiben, so war es mehr als wahrscheinlich, daß ein so gut über Spezialinformationen verfügender Mann der Beförderung würdig war. Und er wurde auch befördert. Man hatte ihn wohl im Verdacht, obwohl er beteuerte, daß er seine Informationen einzig und allein seinem eigenen besonderen Talente verdanke. Vieles von dieser Geschichte, die Nachgeschichte des verlorenen Briefes mit einbegriffen, muß der Leser sich selbst hinzudichten, weil sie aus bestimmten Gründen nicht geschrieben werden kann. Wenn der Leser die Verhältnisse dort oben aber nicht kennt, so wird er sie sich nicht hinzudichten können, und erklären, das wäre unmöglich.
Der Vicekönig aber sagte, als Tarrion ihm vorgestellt wurde:
»So? Das ist also der Junge, der die indische Regierung ›hineingelegt‹ hat? Merken Sie sich, Sir, daß so etwas nicht zweimal passiert.«
Er mußte also doch etwas davon erfahren haben.
Tarrion aber sagte, als seine Ernennung in den Zeitungen veröffentlicht wurde:
»Wenn Mrs. Hauksbee zwanzig Jahre jünger und ich ihr Gatte wäre, so würde ich in 15 Jahren Vicekönig von Indien sein.«
Mrs. Hauksbee aber sagte, als Tarrion ihr – fast mit Thränen in den Augen, dankte, zuerst:
»Ich hatte es Ihnen ja gesagt!«
Dann fügte sie für sich hinzu:
»Nein, was die Männer doch für Narren sind!«