Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Der Freund des Freundes.

Diese Geschichte muß aus vielen Gründen in der ersten Person erzählt werden. Der Mann, mit dem ich es zu thun habe, ist Tranter von der Bombay-Seite. Ich wünschte, daß Tranter aus seinem Club herausballotiert, von seiner Frau geschieden, aus dem Dienst entlassen und ins Gefängnis geworfen würde, bis ich eine schriftliche Entschuldigung von ihm in Händen habe. Ich möchte die Welt vor Tranter von der »Bombay-Seite« warnen.

Man weiß wohl, wie Leute in Indien gewöhnlich an Bekannte gewiesen werden. Das hat viel für sich, denn man kann einen Menschen, den man nicht leiden kann, dadurch los werden, indem man ihm einen Empfehlungsbrief schreibt und ihn damit in den Zug setzt.

Eines Tages erhielt ich in der späten, kühlen Jahreszeit ein Vorbereitungsschreiben, in welchem er mir die Ankunft eines gewissen Jevon mitteilte, wobei er wie gewöhnlich bemerkte, daß er jede Jevon erwiesene Liebenswürdigkeit als ihm selbst entgegengebracht ansehen würde. Diese regelmäßige Form der Mitteilungen ist ja jedermann bekannt.

Zwei Tage später erschien Jevon mit seinem Empfehlungsbriefe, und ich that, was ich für ihn thun konnte. Er hatte rote Backen, flachsblonde Haare und sah echt englisch aus. Aber er gab keine Ansichten über die indische Regierung zum Besten und bestand auch nicht darauf, auf der Poststation Tiger jagen zu wollen. Er nannte uns auch nicht »Kolonisten« und erschien auch nicht in Flanellhemden und Zwillichanzug bei Tische. Er war vielmehr sehr wohlerzogen und sehr dankbar für das wenige, das ich für ihn that, besonders als ich ihm eine Einladung zum Afghanenball verschaffte und ihn Mistreß Deemes vorstellte, einer Dame, für die ich eine große Achtung und Bewunderung hege, und die wie der Schatten eines Blattes im Zephirwinde tanzte. Ich halte große Stücke auf die Freundschaft der Mistreß Deems; doch hätte ich gewußt, was kommen würde, so hätte ich eher Jevon mit einer Gardinenstange den Hals gebrochen, als ihm diese Einladung verschafft.

Doch ich wußte es nicht, und er speiste an dem Ballabend im Club, während ich zu Hause dinierte. Als ich in den Ballsaal ging, fragte mich der erste, den ich dort traf, ob ich Jevon nicht gesehen hätte.

»Nein,« versetzte ich, »er ist im Club; ist er denn nicht gekommen?«

»Gekommen?« entgegnete der andere, »er ist nur zu sehr gekommen; Sie thäten gut, sich nach ihm umzuschauen.«

Ich suchte Jevon und fand ihn auf einer Bank, wo er vor sich hinschmunzelte und eine Tanzkarte anstarrte. Ein flüchtiger Blick genügte mir. Gerade an diesem Abend hatte er sich etwas sehr heftig dem Trunke ergeben. Er atmete schwer durch die Nase, seine Augen waren rot, und er schien mit aller Welt sehr zufrieden. Ich ließ ein kleines Gebet zum Himmel steigen, der Walzer möge die Wirkung des Weines verscheuchen und ging in etwas unbehaglicher Stimmung weiter, um mir meine Tanzkarte ausfüllen zu lassen. Als ich aber Jevon zum ersten Tanz auf Mistreß Deemes zutaumeln sah, da wußte ich, daß sämtliche Walzer auf der Karte nicht genügen würden, um Jevons rebellische Beine wieder in die richtige Lage zu bringen. Das Paar tanzte sechsmal herum – ich zählte sie – dann ließ Mistreß Deemes Jevons Arm los und kam auf mich zu. Ich will nicht wiederholen, was Mistreß Deemes mir sagte, denn sie war wirklich sehr ärgerlich. Ich will auch nicht beschreiben, was ich Mistreß Deemes sagte, denn ich sagte gar nichts. Ich wünschte nur, ich hätte Jevon erst umgebracht, und wäre dann dafür gehenkt worden. Mistreß Deemes durchstrich mit ihrem Bleistift sämtliche Tänze, die ich bei ihr stehen hatte, und überließ mich der Betrachtung, daß ich ja eigentlich nur hätte sagen brauchen, daß Mistreß Deemes ja selbst verlangt hatte, Jevon vorgestellt zu werden, weil Jevon gut tanzte. Aber ich fühlte, daß dies kein gutes Argument war, und daß ich besser that, Jevon zu verhindern, mich durch sein Tanzen noch in weitere Verlegenheiten zu bringen. Er war aber fort, und nach jedem dritten Tanze machte ich Jagd auf ihn, wodurch das bischen Vergnügen, das ich von der Veranstaltung erwartete, in die Brüche ging.

Kurz vor dem Abendessen faßte ich Jevon am Büffet ab, wo er mit weitausgespreizten Beinen stand und mit einer sehr dicken und entrüstet thuenden Dame sprach.

»Wenn dieser Mensch ein Freund von Ihnen ist, wie ich gehört habe, so möchte ich Ihnen raten, ihn nach Hause zu bringen. Er ist für eine anständige Gesellschaft unmöglich.«

Gott allein mochte wissen, was Jevon angestellt hatte, und ich versuchte, ihn fortzubringen. »Er wüßte, was für ihn gut wäre; er wolle sich nicht von irgend einem Niggerschinder kommandieren lassen; ich wäre der Freund, der seinen kindlichen Geist gebildet und ihn veranlaßt hätte, Bronzefiguren aus Benares zu kaufen und Gott zu fürchten.« Dann meinte er, wir würden noch so manchen guten Trunk zusammen thun, und alle schwarzseidenen Kamele der ganzen Welt würden ihm seine Ansicht nicht rauben, daß für den Appetit nichts besser wäre, als Benediktiner. Und dann . . . doch er war mein Gast.

Ich setzte ihn in eine ruhige Ecke des Speisesaales und ging fort, um eine »Scheidewand« ausfindig zu machen, auf die ich mich verlassen konnte. Es befand sich dort ein guter und freundlicher Subalternoffizier – der Himmel segne diesen Subalternoffizier und mache ihn zum Oberkommandanten – der von meiner Verlegenheit hörte. Er tanzte nicht und meinte, er würde auf Jevon bis zum Ende des Balles aufpassen.

»Liegt Ihnen viel daran, was ich mit ihm anfange?« sagte er.

»Ob mir etwas daran liegt?« versetzte ich, »nein, Sie können die Bestie sogar morden, wenn Sie wollen.«

Aber der Subalternoffizier mordete ihn nicht. Er ging aus dem Speisesaale, setzte sich neben Jevon und trank eine Flasche nach der andern mit ihm. Ich sah die beiden gemütlich nebeneinander sitzen und ging in etwas behaglicherer Stimmung meiner Wege.

Als zum »Roastbeef of old England« geblasen wurde, hörte ich von Jevons Heldenthaten zwischen dem ersten Tanz und dem Moment, da ich mit ihm am Büffet zusammengestoßen war. Nachdem ihn Mistreß Deemes hatte laufen lassen, mußte er wohl seine Schritte nach der Galerie gelenkt haben, wo er sich erbot, die Kapelle zu dirigieren oder irgend ein Instrument, welches dem Kapellmeister gerade beliebte, zu spielen.

Als der Kapellmeister dankend ablehnte, erklärte Jevon, man wüßte ihn nicht zu schätzen und teilte sein Mißgeschick einigen mitfühlenden Seelen mit. Dann taumelte er die Treppe hinunter und forderte vier junge Damen zum Tanzen auf, von denen er dreien Heiratsanträge machte. Eins von den jungen Mädchen war übrigens eine verheiratete Frau. Dann ging er in das Spielzimmer, fiel zur Erde und weinte auf dem Teppich vor dem Kamin, weil er, wie er meinte, einer Bande von Bauernfängern in die Hände gelaufen war, während seine Mama ihn doch stets vor schlechter Gesellschaft gewarnt hatte. Er hatte auch eine Menge anderer Dinge gethan, und ungefähr drei Quart gemischten Likör zu sich genommen. Dabei sprach er von mir in der skandalösesten Weise.

Alle Frauen wünschten, daß er entfernt und alle Männer, daß er mit Fußtritten behandelt würde. Das schlimmste dabei war, daß jeder meinte, ich trüge an alledem die Schuld. Aber nun frage ich, wie um Himmels willen konnte ich wissen, daß dieser unschuldige, sanfte Mensch sich in dieser unangenehmen Weise entpuppen würde. Er war fast um die ganze Welt herumgekommen, und sein Schimpfwörter-Lexikon war kosmopolitisch; hauptsächlich bestand es aus gemeinen Brocken, die er in einem Theehause zu Hakodate aufgelesen hatte. Während ich dem einen und andern zuhörte, der mir von Jevons schamlosen Treiben erzählte und sein Blut von mir verlangte, fragte ich mich, wo er überhaupt stecke. Ich war entschlossen, ihn der Gesellschaft auf der Stelle zu opfern.

Aber Jevon war fort, und ganz tief in der Ecke des Speisesaales saß mein lieber, guter Subalternoffizier mit rotem Gesicht und aß Salat.

Ich ging zu ihm und fragte:

»Wo ist denn Jevon?«

»In der Garderobenstube,« versetzte der Subalterne, »er wird dort bleiben, bis die Damen fort sind. Wollen Sie mit meinem Gefangenen sprechen?«

Ich wollte nicht mit ihm sprechen, aber ich warf doch einen Blick in die Garderobenstube, und fand dort meinen Gast, wie er auf einigen zusammengerollten Teppichen total betrunken mit abgeknöpftem Kragen und einem Tuch um den Kopf schlief.

Den Rest des Abends über machte ich schüchterne Versuche, die Dinge Mistreß Deemes und andern jungen Damen gegenüber zu erklären und meinen Charakter – denn ich bin ein respektabler Mann – von den schmachvollen Vorwürfen zu reinigen, den die Gäste gegen mich erhoben hatten. Wenn ich gerade keine Erklärungen abgab, so rannte ich nach der Garderobenstube, um zu sehen, ob Jevon nicht am Schlagfluß gestorben wäre. Ich wollte nicht, daß er von meinen Händen sterben sollte, denn er hatte mein Salz gegessen.

Schließlich ging dieser entsetzliche Ball zu Ende, obwohl ich Mistreß Deemes Gunst durchaus nicht wieder erlangt hatte. Als die Damen fort waren, und einige bei dem zweiten Souper Lieder zu hören verlangten, sagte der reizende Subalternaffizier dem KansamahIndischer Diener., er solle den »Sahib«Herr., der sich im Garderobenzimmer befände, hereinholen und das eine Ende der Tafel abräumen. Als dies gethan war, bildeten wir einen Gerichtshof, mit dem Doktor als Präsidenten.

Jevon wurde von vier Dienern herbeigetragen, und wie ein Leichnam in einem Seciersaal auf den Tisch gelegt, während der Doktor einen Vortrag über die Unmäßigkeit hielt und Jevon dazu schnarchte. Dann gingen wir ans Werk.

Wir färbten sein ganzes Gesicht mit Kork schwarz, und schmierten sein Haar mit Zuckerkreme ein, so daß es wie eine weiße Perrücke aussah. Um das Ganze zu schützen, bis es getrocknet war, setzte einer vom Artilleriedepartement, der die Sache verstand, eine dicke, blaue Papiermütze, die ebenfalls mit Creme beschmiert war, auf Jevons Stirn. Das war wohlweislich Strafe, nicht etwa Spiel. Wir nahmen Gelatine und klebten blaue Gelatine auf seine Nase, gelbe Gelatine auf sein Kinn, grüne und rote Gelatine auf seine Wangen, wobei wir jedes Stück drückten, bis es so fest wie ein Goldschlägerhütchen saß.

Wir schlangen eine Speckschwarte um seinen Nacken und banden dieselbe vorn zu einer Schleife zusammen. Er nickte dazu wie ein Mandarin.

Wir schmierten Gelatine auf die Rückenfläche seiner Hände und machten sie inwendig schwarz, legten ihm kleine Kotelettfasern um die Handgelenke und banden dieselben mit einer Schnur zusammen. Die Enden seines Schnurrbarts machten wir mit Wasserglas steif, wodurch er ein sehr martialisches Aussehen bekam.

Wir drehten ihn um, befestigten seine Rockschöße zwischen den Schultern und brachten auch hier eine Rosette von Kotelettfasern an. Dann schleppten wir das rote Tuch von dem Tanzsaal nach dem Eßzimmer und wickelten ihn darin ein. Dieses Tuch war 60 Fuß lang, und sechs Fuß breit, und er bildete jetzt ein dickes, fettes Bündel, aus dem nur der merkwürdige Kopf herausguckte.

Schließlich schnürten wir den Rest des Tuches so fest, wie wir nur konnten, mit Kokosnußfaserschnur um seine Füße. Dabei waren wir so ärgerlich, daß wir darüber gar nicht lachten.

Gerade als wir fertig waren, hörten wir das Rollen von Viehwagen, die einige Stühle und Gegenstände fortbrachten, die die Gattin des Generals zu dem Balle geliehen hatte. Nun legten wir Jevon wie einen zusammengerollten Teppich auf einen Wagen, der mit ihm fortfuhr.

Das merkwürdigste aber von der Geschichte ist, daß ich von Jevon nie wieder etwas hörte oder sah. Er verschwand vollständig. Mit den Möbeln wurde er nicht im Hause des Generals abgeliefert, sondern verschwand, wie gesagt, vollständig in der schwarzen Dunkelheit dieser Nacht. Vielleicht starb er und wurde in den Fluß geworfen.

Aber ob er nun tot oder lebendig ist, ich habe mich doch oft gefragt, wie er sich aus dem roten Tuch und von dem Zuckerkreme befreien konnte. Ich möchte auch wissen, ob Mistreß Deemes je wieder von mir Notiz nehmen wird, und ob ich die infamen Geschichten aus der Welt schaffen werde, die Jevon über meine Manieren und Gewohnheiten zwischen dem ersten und neunten Walzer auf dem Afghanenball im Umlauf brachte; das sitzt noch fester wie Crème.

Darum will ich Tranter von der Bombay-Seite tot oder lebendig haben. Tot ist er mir aber lieber.

 


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