Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Der Bakterientöter.

Gewöhnlich ist es nicht statthaft, sich in einem Lande in Staatsangelegenheiten zu mischen, wo Leute sehr gut dafür bezahlt werden, daß sie diese Arbeit für uns verrichten. Diese Geschichte jedoch ist eine berechtigte Ausnahme.

Bekanntlich erhalten wir alle fünf Jahre einen neuen Vicekönig; und jeder Vicekönig bringt außer seinem übrigen Gepäck einen Privatsekretär mit, der gerade, wie das Schicksal es will, der wahre Vicekönig ist, oder – nicht. Das Schicksal sorgt nämlich für das indische Reich, weil es so groß und so hilflos ist.

Nun war einmal ein Vicekönig, der einen stürmischen Privatsekretär mitbrachte, einen harten Mann mit sanften Manieren und einer krankhaften Leidenschaft fürs Arbeiten. Dieser Sekretär hieß Wonder – John Fenicil Wonder. Der Vicekönig besaß keinen Namen, sondern nur eine Reihe von Grafschaften und Zweidrittel des Alphabetes hinten nach.Bekannte Titelabkürzung in England. Im Vertrauen sagte er, er wäre der elektrisch-vergoldete Kopf einer goldenen Verwaltung, und beobachtete träumerisch-vergnügt Wonders Versuche, Dinge zu erledigen, die ihm nur allein zukamen. »Wenn wir alle Engel wären,« sagte seine Excellenz einmal, »so wird mein guter, lieber Freund Wonder die Leitung einer Verschwörung übernehmen, um Gabriels Federn auszurupfen oder Petrus' Schlüssel zu stehlen. Dann werde ich über ihn Bericht erstatten.«Das heißt: ihn unter Anklage stellen.

Doch obwohl der Vicekönig nichts that, um Wonders Diensteifrigkeit zu beeinträchtigen, so sagten doch andere Leute unangenehme Dinge darüber. Es mag sein, daß die Mitglieder des Rates damit anfingen; doch schließlich war ganz Simla der Ansicht, daß bei der Regierung zu viel Wonder und zu wenig Vicekönig vorherrsche. Wonder schob dabei stets »Seine Excellenz« vor. Da hieß es, »Seine Excellenz thut dies und das«, »nach der Meinung Seiner Excellenz« und so weiter. Der Vicekönig lächelte, hinderte ihn aber nicht weiter. Er sagte, so lange seine alten Leute sich mit seinem lieben, guten Wonder herumzankten, so lange würden sie sich auch veranlaßt fühlen, den »alten Osten« in Frieden zu lassen.

»Ein weiser Mann hat keine Politik,« sagte der Vicekönig; »eine Politik ist die Schnürbrust, die die Vorsehung den Narren anlegt. Ich gehöre nicht zu den ersteren, und glaube auch nicht, zu den letzteren zu gehören.«

Ich weiß nicht recht, was er damit sagen wollte; vielleicht war das des Vicekönigs Manier, sich auszudrücken.

In jenem Jahre kam einer jener verrückten Leute, die nur eine einzige Idee im Kopfe haben, nach Simla. Das sind so Leute, die die Dinge in Zug bringen; aber es ist nicht angenehm, mit ihnen zu sprechen. Dieser Mann hieß Mellish und hatte 15 Jahre lang auf seinem eigenen Gute in Unterbengalen gelebt, wo er die Cholera studiert hatte. Er war der Meinung, die Cholera wäre ein Keim, der sich fortpflanzte, während er durch die feuchte Atmosphäre fliege und wie eine Wollflocke in den Zweigen der Bäume haften bliebe. Dieser Keim könnte unschädlich gemacht werden und zwar durch »Mellishs unbezwingliches Räuchermittel« – ein schweres, schwarzviolettes Pulver – »das Ergebnis einer 15jährigen wissenschaftlichen Forschung, mein Herr!«

Die Erfinder scheinen in ihrer Arbeit alle gleich zu sein. Sie sprechen laut, besonders über die »Verschwörungen der Monopolisten«, schlagen mit den Fäusten auf den Tisch und führen Proben ihrer Erfindungen stets bei sich.

Mellish sagte, es bestände ein »medizinischer Ring« in Simla, an dessen Spitze der Generalstabsarzt stände, der anscheinend mit allen Hospitalsärzten des Reiches eine Liga geschlossen hätte. Wie er das eigentlich bewies, habe ich vergessen, aber es mußten doch geheime Intriguen dahinterstecken, und Mellish wollte nun das unabhängige Urteil des Vicekönigs haben, »des Vertreters unserer anmutigsten Majestät der Königin, mein Herr.« So kam Mellish nach Simla mit 84 Pfund Räucherpulver im Koffer, um mit dem Vicekönig zu sprechen und ihm die Verdienste seiner Erfindungen vorzuführen.

Nun ist es aber leichter, einen Vicekönig zu sehen, als ihn zu sprechen, wenn man nicht das Glück hat, eine so bedeutende Persönlichkeit zu sein, wie Mellishe aus Madras. Er war ein »6000-Rupienmann« und so bedeutend, daß seine Töchter nie heirateten, sondern »Verbindungen eingingen«. Er selbst wurde nicht bezahlt, sondern »bezog Gehalt«, und seine Reisen durch das Land waren »Beobachtungsausflüge«. Sein Geschäft war es, die Leute in Madras mit einer langen Stange aufzurühren, wie man etwa Schleien in einem Teich aufrührt; die Leute sollten dann von ihrem behaglichen alten Wege abweichen und ausrufen: »Das ist Erleuchtung und Fortschritt! Ist es nicht prächtig?« Dann verehrten sie Mellishe in der Hoffnung, ihn loszuwerden, Statuen und Jasminguirlanden.

Mellishe kam also nach Simla, um mit dem Vicekönig zu konferieren. Das war so eine seiner Beschäftigungen. Der Vicekönig wußte nichts von Mellishe, außer daß er eine jener Gottheiten des »Mittelstandes« war, die zum geistigen Nutzen des »Paradieses des Mittelstandes« erforderlich zu sein scheinen, und daß er aller Wahrscheinlichkeit nach sämtliche öffentliche Einrichtungen in Madras vorgeschlagen, ausgearbeitet, gegründet und mit Geldmitteln unterstützt hatte. Das beweist, daß seine Excellenz, obwohl sie träumerisch veranlagt war, doch das Treiben der »6000-Rupienmänner« kannte. Mellishes Name war E. Mellishe, während Mellish E. S. Mellish hieß; beide wohnten in demselben Hotel, und das Schicksal, das für das indische Reich sorgt, wollte es, daß Wonder einen Fehler machte und das Schluß-E ausließ, daß der »Tschaprassi«Briefbote. ihm dabei behilflich war, so daß der Brief folgenden Inhalts:

Werter Herr Mellish!

Können Sie Ihre andern Verpflichtungen aufschieben und morgen um zwei Uhr mit uns frühstücken? Seine Excellenz wird dann eine Stunde zu Ihrer Verfügung stehen.

an Mellish mit dem Räucherpulver gelangte. Er weinte fast vor Stolz und Vergnügen und tauchte zur festgesetzten Stunde, eine dicke Papierdüte voll Räucherpulver in der Rocktasche, in Peterhoff auf. Seine günstige Stunde war gekommen, und er wollte sie benutzen. Mellishe aus Madras war so ungeheuer feierlich um seine Besprechung eingekommen, daß Wonder dieselbe zu einem gemütlichen Frühstück arrangiert hatte; – keine Räte, kein Wonder war dabei, niemand als der Vicekönig, welcher weinerlich meinte, er hätte Furcht, mit so aufgeblasenen Autokraten, wie der große Mellishe aus Madras einer war, allein gelassen zu werden.

Aber der Gast ärgerte den Vicekönig durchaus nicht, im Gegenteil, er amüsierte ihn. Mellish war nervös erregt und wollte gleich auf sein Räucherpulver kommen; so schwatzte er denn alles durcheinander, bis das Frühstück vorüber war und Seine Excellenz ihm zu rauchen anbot. Der Vicekönig fühlte sich bei Mellish behaglich, weil dieser nicht von »Geschäften« sprach.

Sobald die Cigarren aber angezündet waren, sprach Mellish wie ein echter Mann; er begann mit seiner Choleratheorie, ließ seine 15jährige wissenschaftliche Arbeit, die Ränke und Schliche des »Simlaringes« und die Vorzüglichkeit seines Räucherpulvers Revue passieren, während der Vicekönig ihn mit halbgeschlossenen Augen beobachtete und bei sich dachte: »Das ist sicherlich der ›falsche Tiger‹, aber es ist doch ein originelles Tier.« Mellish stand das Haar vor Aufregung zu Berge, und er fing an zu stottern. Er begann in seinen Rocktaschen zu wühlen, und bevor der Vicekönig noch wußte, was geschehen sollte, hatte er schon die Düte mit dem Pulver in den großen, silbernen Aschbecher ausgeleert.

»U . . . u . . . urteilen Sie selbst, Sir,« sagte Mellish; »Eure E . . . E . . . Excellenz mögen selbst urteilen; absolut unfehlbar, auf Ehre!«

Er stocherte mit dem angezündeten Ende seiner Cigarre in dem Pulver herum, das wie ein Vulkan zu fauchen anfing und einen fetten, dicken, kupferfarbigen Dampf ausströmen ließ. In fünf Sekunden war das Zimmer mit einem scharfen, ekelhaften Gestank angefüllt. Das Pulver zischte und brauste und ließ braune und grüne Funken aufsprühen, während der Rauch sich erhob, bis man weder etwas sehen, noch atmen, noch Luft schnappen konnte. Mellish war indessen daran gewöhnt.

»Strontiom-Nitrat«, rief er; »Baryt, Knochenmehl und so weiter. Tausend Kubikfuß Rauch, per Kubikzoll; nicht eine Bakterie könnte darin leben, auch nicht eine, Euer Excellenz!«

Aber »Seine Excellenz« war geflohen und hustete am Fuße der Treppe, während ganz Peterhoff wie ein Bienenschwarm herumsummte. Rote Lanciers kamen hereingestürmt, der Ober-Tschaprassi, der englisch sprach, kam hereingestürmt, Stabträger kamen hereingestürzt, und Damen liefen, »Feuer« schreiend, die Treppe herunter; denn der Rauch war durch das Haus gedrungen, qualmte aus den Fenstern, verbreitete sich über die Veranda und zog in dichten Wolken durch die Gärten. Niemand wollte das Zimmer betreten, in welchem Mellish Vorträge über das Rauchpulver hielt, bis das entsetzliche Pulver ausgebrannt war.

Nun drang ein Adjutant, der sich das Viktoriakreuz erwerben wollte, durch die dahinziehenden Wolken und schleifte Mellish in die Vorhalle. Der Vicekönig wälzte sich vor Lachen und konnte nur schwach die Hände nach Mellish bewegen, der ihm eine frische Düte mit Pulver hinhielt.

»Herrlich, herrlich,« schluchzte Seine Excellenz, »nicht eine Bakterie könnte das aushalten, wie Sie sehr richtig bemerken. Ich kann's beschwören, ein prächtiger Erfolg.« Dann lachte er, bis ihm die Thränen in die Augen kamen, und Wonder, der den richtigen Mellishe bei der Post getroffen hatte, trat jetzt ein und geriet über die Scene in größtes Entsetzen. Doch der Vicekönig war sehr vergnügt, denn er sah, daß Wonder nunmehr demissionieren würde. Mellish mit dem Rauchpulver war ebenfalls vergnügt, denn er fühlte, daß er den »medizinischen Simla-Ring« gesprengt hatte. – – – – – –

Nur wenig Leute können eine Geschichte, so wie »Seine Excellenz« erzählen, wenn er sich Mühe giebt und seine Erzählung von »meines lieben, guten Wonders Freund mit dem Pulver« machte die Runde durch Simla, und spottlustige Leute brachten Wonder durch ihre Bemerkungen zur Verzweiflung.

Doch »Seine Excellenz« erzählte die Geschichte einmal zuviel – für Wonder. Wenigstens war das die Ansicht des letzteren. Es war auf einem Picknick, und Wonder saß gerade hinter dem Vicekönig.

»Und ich dachte wirklich einen Augenblick,« schloß Seine Excellenz »Ihre« Rede, »mein lieber, guter Wonder hätte einen Mörder gedungen, um sich den Weg zum Throne zu bahnen.«

Alle lachten, doch in dem Tone des Vicekönigs lag eine feine Nebenbedeutung, die Wonder verstand. Er fand plötzlich, daß seine Gesundheit erschüttert wäre; der Vicekönig nahm seine Entlassung entgegen und verlieh ihm einen glänzenden Titel, mit dem er zu Hause unter den Leuten brillieren konnte.

»Es ist ganz und gar meine Schuld,« sagte Seine Excellenz in späteren Jahren mit einem gewissen Augenzwinkern; »mein Wankelmut muß wohl auf einen so begabten Menschen einen schlechten Eindruck gemacht haben.«

 


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