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Mistreß Hauksbee war manchmal zu ihrem eigenen Geschlechte sehr lieb. Diese Geschichte soll es beweisen. Man kann davon gerade soviel glauben, wie man will.
Pluffles war ein Subalternoffizier bei den Unmentionables.Husarenregiment in Indien. Er war kahl, sogar für einen Subalternoffizier, das heißt geistig. Er war vollständig kahl, wie ein Kanarienvogel, der noch nicht flügge geworden ist. Das Schlimmste dabei war, daß er dreimal mehr Geld besaß, als für ihn gut war; denn Pluffles' Papa war ein reicher Mann, und Pluffles war der einzige Sohn. Pluffles' Mama betete ihn an, sie war fast ebenso kahl wie Pluffles und glaubte alles, was er sagte.
Pluffles Schwäche dagegen war, daß er nicht glaubte, was die Leute sagten. Er zog es vor, »sich seinem eigenen Urteil zu überlassen«. Er hatte soviel Urteil, als er Hände und Füße hatte; und diese Vorliebe brachte ihn ein- oder zweimal in Verlegenheit. Die größte Verlegenheit aber, die sich Pluffles je zuzog, ereignete sich in Simla – vor einigen Jahren, als er 24 zählte.
Er verließ sich wie gewöhnlich auf sein eigenes Urteil, und das Resultat war, daß er nach einiger Zeit mit Händen und Füßen an Mistreß Reivers' Triumphwagen gefesselt war.
An Mistreß Reivers war nichts schön, bis auf ihre Toilette. Sie war häßlich vom Haar, das auf den Kopf eines bretonischen Mädchens gewachsen war, bis zu ihren Schuhhacken, die zweidreiachtel Zoll hoch waren. Sie war nicht rechtschaffen-boshaft wie Mistreß Hauksbee, dafür aber war sie berechnend-heimtückisch. Sie veranlaßte nie einen Skandal, dazu hatte sie nicht genügend leidenschaftliches Temperament. Sie war die Ausnahme, welche die Regel bestätigt, daß die englisch-indischen Damen genau ebenso nett sind, wie ihre Schwestern in der Heimat. Sie verbrachte ihr ganzes Leben, um diese Regel zu beweisen. Mistreß Hauksbee und sie haßten sich gegenseitig mit Leidenschaft. Sie haßten sich zu sehr, um nur zu zanken, doch die Dinge, die sie von einander sprachen, waren gediegen, um nicht zu sagen originell. Mistreß Hauksbee war echt, echt wie ihre eigenen Vorderzähne – und – bis auf ihre Liebe zum Klatschen und zur Bosheit wäre sie ein echtes Weib gewesen. An Mistreß Reivers dagegen war nichts echt, bis auf ihre Selbstsucht. Zu Beginn der Saison fiel der arme kleine Pluffles ihr zur Beute. Sie legte es übrigens darauf an, und wie hätte Pluffles widerstehen können? Er verließ sich auf »sein eigenes Urteil«, und wurde verurteilt.
Ich habe Hayes mit einem ungeberdigen Pferde verhandeln sehen, ich sah einen Tongotreiber einen bockigen Pony zur Raison bringen, ich sah einen störrigen Hund von einem kräftigen Treiber zur Unterwürfigkeit gezwungen; doch die Demut Pluffles' von den Husaren war gegen all' das gar nichts. Er lernte es, auf ein Wort von Mistreß Reivers wie ein Hund zu apportieren, herbeizuschleppen und aufzuwarten. Er lernte es, auf Verabredungen einzugehen, die zu halten Mistreß Reivers nicht die geringste Absicht hatte. Er lernte es, mit dankbarem Gemüt Tänze anzunehmen, die inne zu halten Mistreß Reivers nicht geneigt war. Er lernte es, anderthalb Stunden auf der Windseite des Elysiums zu warten, bevor Mistreß Reivers sich entschloß, ob sie ausreiten sollte oder nicht. Er lernte es, in leichtem Gesellschaftsanzuge bei strömendem Regen nach einem Wagen herumzujagen, und neben diesem Wagen herzulaufen, wenn er ihn endlich gefunden hatte. Er lernte es, wie mit einem Kuli mit sich sprechen und sich wie einem Koch befehlen zu lassen. Er lernte alles dieses, und außerdem noch vieles anderes. Dafür bezahlte er sein Schulgeld.
Vielleicht redete er sich unklarer Weise ein, das wäre fein und eindrucksvoll, verschaffe ihm Nimbus unter den Leuten, und man müsse so handeln. Es war niemandes Sache, Pluffles' zu warnen, daß er unklug handele. Der Verlauf der Saison war zu gut, um Untersuchungen anzustellen, und es ist immer eine undankbare Sache, sich in anderer Leute Tollheiten zu mischen. Pluffles' Oberst hätte ihn zu seinem Regiment zurückschicken sollen, als er hörte, wie die Dinge sich anließen. Doch Pluffles hatte sich während seines letzten Urlaubs mit einem jungen Mädchen in England verlobt, und wenn der Oberst etwas auf Erden verabscheute, so war es ein verheirateter Subalternoffizier. Er schmunzelte, als er von Pluffles' Erziehung hörte und meinte, das wäre eine »gute Uebung für den Jungen«. Aber es war schließlich gar keine gute Uebung. Es veranlaßte ihn, Geld über seine Mittel auszugeben, was ja nicht schlimm war, aber diese Erziehung vernichtete einen Durchschnittsmenschen und machte aus ihm einen Zehntelmann bedenklichster Art. Jetzt aber trat Mistreß Hauksbee in die Erscheinung. Sie spielte ihr Spiel allein, denn sie wußte, was die Leute von ihr sagten, und sie spielte es um eines Mädchens willen, das sie nie gesehen hatte. Pluffles' Braut sollte unter der Obhut einer Tante im Oktober kommen, um sich mit ihm zu verheiraten.
Zu Anfang des August kam Mistreß Hauksbee zu der Ueberzeugung, daß es Zeit war, einzuschreiten. Ein Mann, der viel reitet, weiß genau, was ein Pferd zunächst thun wird. Ebenso weiß eine Frau von Mistreß Hauksbees Erfahrung ganz sicher, wie sich ein junger Mensch unter gewissen Umständen benehmen wird – namentlich, wenn er in eine Dame von Mistreß Reivers' Kaliber vernarrt ist. Sie sagte, der kleine Pluffles würde früher oder später seine Verlobung aufheben, nur um Mistreß Reivers einen Gefallen zu thun, die ihn dafür gerade so lange zu ihren Füßen und in ihren Diensten erhalten würde, als ihr die Sache der Mühe wert erschien. Sie meinte, sie kenne die Anzeichen für so etwas. Wenn sie sie nicht kennen sollte, dann wüßte sie nicht, wer sie kennen sollte.
Dann machte sie sich daran, Pluffles unter dem Feuer des Feindes gefangen zu nehmen, und dieses eigentümliche Scharmützel dauerte sieben Wochen. Wir nannten es den siebenwöchentlichen Krieg – und es wurde Zoll für Zoll auf beiden Seiten ausgekämpft. Ein ausführlicher Bericht würde ein Buch füllen und doch noch unvollkommen sein. Jeder, der etwas von solchen Dingen versteht, kann sich die Einzelheiten selbst vorstellen. Es war ein prächtiger Kampf; so etwas wird nie wieder vorkommen, so lange Jakko steht, und Pluffles war der Siegespreis. Die Leute sagten schamlose Dinge über Mistreß Hauksbee, sie wußten eben nicht, was sie im Schilde führte. Mistreß Reivers focht teilweis, weil Pluffles ihr nützlich war, hauptsächlich aber, weil sie Mistreß Hauksbee haßte, und die Sache eine Art Kraftprobe zwischen beiden war. Was Pluffles von beiden dachte, wußte niemand. Er hatte in seinen besten Zeiten nicht viel Gedanken, und das wenige, was er besaß, machte ihn eingebildet. Mistreß Hauksbee sagte: »Dem Jungen muß man schmeicheln; das beste Mittel, ihn gefangen zu nehmen, ist, ihn gut zu behandeln.«
Sie behandelte ihn deshalb, so lange der Ausgang zweifelhaft war, als einen Mann von Welt und Erfahrung. Nach und nach fiel Pluffles von seiner alten Bundesgenossin ab und ging zum Feinde über, der so große Stücke auf ihn hielt. Er wurde jetzt nicht mehr auf Posten geschickt, um Kutschen ausfindig zu machen; auch wurden ihm nie Tänze zugesagt, die man nachher nicht hielt, und ebenso wenig legte man auf seine Börse Beschlag. Mistreß Hauksbee hielt ihn an der Trense, und nach der Behandlung, die er in Mistreß Reivers Händen erfahren hatte, wußte er diese Veränderung zu schätzen.
Mistreß Reivers hatte es ihm abgewöhnt, von sich selbst zu sprechen und veranlaßte ihn, von ihren eigenen Talenten zu reden. Mistreß Hauksbee handelte anders und gewann sein Vertrauen, bis er ihr eines Tages seine Verlobung mit dem jungen Mädchen in der Heimat erzählte, die er verächtlich als »knabenhafte Tollheit« bezeichnete. Das geschah, als er eines nachmittags bei ihr den Thee einnahm und ein seiner Ansicht nach anregendes Gespräch mit ihr führte. Mistreß Hauksbee hatte schon eine frühere Generation seines Kalibers grünen und blühen und sich zu fetten Hauptleuten und aufgeschwemmten Majoren entwickeln sehen. Nach mäßiger Schätzung hatte der Charakter dieser Dame 23 Seiten, einige behaupteten sogar, noch mehr. Sie begann, mit einer Art Kehltriller in der Stimme, die eine schmeichelhafte Wirkung hatte, zu ihm zu reden, obwohl das, was sie sagte, nichts weniger als schmeichelhaft war. Sie begann, mit Pluffles im Tone einer Mutter zu sprechen, und als wenn der Altersunterschied zwischen ihnen nicht 15, sondern 300 Jahre betragen hätte. Sie deutete auf die außergewöhnliche Thorheit, um nicht zu sagen Verrücktheit von Pluffles' Benehmen, und auf die Beschränktheit seiner Ansichten hin. Dann stotterte er etwas, als »Mann von Welt« müsse er sich auf »sein eigenes Urteil verlassen«, und das ebnete ihr den Weg zu dem, was sie zunächst zu sagen hatte. Pluffles würde aufgefahren sein, hätte eine andere Frau so zu ihm gesprochen; doch in der sanften, säuselnden Manier, in der Mistreß Hauksbee es that, machte es ihn nur reumütig und zerknirscht, gerade als wenn er sich in einer Kirche befunden hätte. Nach und nach befreite sie ganz sanft und freundlich Pluffles von seinem Dünkel, gerade so wie man die Stangen aus einem Regenschirm nimmt, bevor man ihn neu überzieht. Sie sagte ihm, was sie von ihm, seinem Urteil und seiner Menschenkenntnis hielte; wie sein Benehmen ihn bei andern Leuten lächerlich mache; und wie er auf dem Sprunge stände, sich in sie zu verlieben, wenn sie ihm nur Gelegenheit dazu gäbe. Dann sagte sie, was die Ehe aus ihm machen würde, und entwarf ein hübsches, kleines Bild in rosenroten Farben von der künftigen Mistreß Pluffles, die sich, auf das Urteil und die Menschenkenntnis eines Gatten verlassend, der sich nichts vorzuwerfen hatte, durchs Leben gehen würde. Wie sie diese beiden Punkte miteinander in Einklang brachte, wußte nur sie allein. Jedenfalls aber hatte Pluffles nichts dagegen einzuwenden.
Es war eine vollendete kleine Predigt – weit besser, als sie ein Geistlicher hätte halten können –, die mit rührenden Anspielungen auf Pluffles' Mama und Papa und der weisen Mahnung endigte, die Braut aus der Heimat zu nehmen.
Dann schickte sie Pluffles zu einem Spaziergang fort, damit er sich das, was sie gesagt, überlegen konnte. Pluffles entfernte sich mit strammem Gange, heftigem Räuspern und hocherhobenem Haupte. Mistreß Hauksbee lachte.
Was Pluffles in Sachen der Verlobung zu thun gedachte, wußte nur Mistreß Reivers allein, und diese hielt es bis zu ihrem Tode geheim. Ich glaube, sie hätte es als ein Kompliment aufgefaßt, wenn die Verlobung in die Brüche gegangen wäre.
Pluffles hatte in den nächsten Tagen noch viele Unterredungen mit Mistreß Hauksbee. Sie hatten alle denselben Schluß und führten Pluffles auf den Pfad der Tugend.
Mistreß Hauksbee wollte ihn bis zuletzt unter ihren Fittichen behalten, und darum riet sie ihm auch ab, zur Heirat nach Bombay zu fahren. »Gott allein mag wissen, was ihm unterwegs passieren mag,« sagte sie sich. »Pluffles wird von dem Fluche Rubens verfolgt, und Indien ist kein geeignetes Land für ihn.«
Schließlich kam die Braut mit ihrer Tante, und Pluffles, der seine Angelegenheiten so ziemlich in Ordnung gebracht hatte – auch hierbei war ihm Mistreß Hauksbee wieder behilflich – verheiratete sich.
Mistreß Hauksbee stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als beide das »Ja« gesprochen hatten, und ging ihrer Wege.
Pluffles befolgte ihren Rat und kehrte in die Heimat zurück. Er gab den Dienst auf und züchtet jetzt irgendwo in England hinter grün angestrichenen Zäunen geflecktes Rindvieh. Ich glaube, er thut das sehr gewissenhaft; hier hätte er nur große Unannehmlichkeiten zu erleiden gehabt.
Aus diesen Gründen erzähle man jedem, der etwas außergewöhnliches über Mistreß Hauksbee spricht, die Geschichte von Pluffles' Rettung.