Rudyard Kipling
Indische Erzählungen
Rudyard Kipling

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Verfehltes Leben.

Es ist durchaus nicht klug, einen Jungen nach dem sogenannten »Lebensbehütungssystem« zu erziehen, besonders, wenn der Junge in die Welt gehen und für sich selbst sorgen soll. Wenn er nicht eine Ausnahme bildet, so wird er gewiß viele unnötige Aergernisse durchzumachen haben, und vielleicht nur, weil er den eigentlichen Zustand der Dinge nicht kennt, wird ihm mancher schwere Kummer beschieden sein.

Man lasse einen jungen Hund im Badezimmer Seife fressen oder einen frischgewichsten Stiefel anknabbern. Er kaut und knabbert daran, bis er nach und nach herausfindet, daß Stiefelwichse und Windsorseife ihn sehr krank machen. Daraus schließt er, daß Seife und Stiefel nicht gesund sind. Ein alter Hund im Hause wird ihm bald zeigen, wie unklug es ist, große Hunde in die Ohren zu beißen. Da er jung ist, so merkt er sich das und geht zu 6 Monaten als ein manierliches kleines Tier mit vernünftigem Appetit in die Welt hinaus. Wäre er jedoch von großen Hunden, Stiefeln und Seife fern gehalten worden, bis er ins hohe Alter gekommen, und seine Zähne sich ausgebildet hätten, dann denke man nur, wie schrecklich krank und elend er sein würde. Man wende dieses Beispiel auf das »Behütungssystem« an, und sehe zu, wie es wirkt. Es klingt nicht hübsch, aber es ist doch von zwei Uebeln das kleinere.

Da war einmal ein Junge, der nach dem »Behütungssystem« aufgezogen worden war, und diese Theorie brachte ihn um. Er blieb sein Leben lang bei seinen Leuten, von der Stunde an, in der er geboren worden war, bis zu der Stunde, wo er nach SandhurstMilitärakademie. kam, wo er fast an der Spitze der Liste stand. Er wurde von einem Privatlehrer in allem unterrichtet und erhielt außerdem das lobende Prädikat, daß er »seinen Eltern nie eine ängstliche Stunde bereitet hatte.« Was er in Sandhurst außer den allgemeinen Lehrgegenständen lernte, war nicht gerade sehr hervorragend. Er hatte sich umgesehen und gefunden, daß Seife und Wichse sozusagen sehr gut schmeckten. Er aß ein bischen davon und verließ Sandhurst in nicht ganz so stolzer Stimmung, als wie er hineingekommen war. Dann trat eine Pause ein, und es folgte eine Scene mit seinen Leuten, die viel von ihm erwarteten. Das nächste Jahr verlebte er fern von der Welt in einer Bataillonsgarnison dritter Klasse, wo die jüngeren Offiziere Kinder, und die älteren alte Weiber waren. Schließlich kam er nach Indien, wo er dem Schutze seiner Eltern entzogen war und niemand als sich selbst hatte, an den er sich in schweren Stunden halten konnte.

Nun ist Indien aber ein Land, wo man noch weniger als anderswo die Dinge ernst nehmen darf, – die Mittagssonne ausgenommen. Zu viel Arbeit und zuviel Energie tötet einen Menschen ebenso sicher, als allzu viele Laster und allzu vieles Trinken. Der Flirt bedeutet nicht viel, weil ein jeder bald versetzt wird und »er« oder »sie« die Station bald verläßt, um nie dahin zurückzukehren. Tüchtige Arbeit bedeutet auch nicht viel, weil ein jeder nach seinem schlechtesten Können beurteilt wird, und ein anderer den Ruhm seiner Thätigkeit regelmäßig für sich in Anspruch nimmt. Schlechte Arbeit thut es auch nicht, weil andere Männer noch schlechtere verrichten, und sich unfähige Gesellen in Indien länger halten, als anderswo. Vergnügungen wollen auch nicht viel sagen, weil man sie meistens wiederholt, sobald man sie einmal durchgemacht hat, und die meisten Vergnügungen nur den Zweck haben, andere Leute um ihr Geld zu bringen. Krankheit bedeutet auch nicht viel, weil sie alle Tage vorkommt, und wenn man stirbt, so nimmt ein anderer in den 8 Stunden, die zwischen Tod und Begräbnis liegen, unsern Platz und unser Amt ein. Nichts bedeutet etwas, außer der Urlaub in die Heimat und die Gehaltsauszahlungen, und diese auch nur, weil sie selten sind. Es ist ein schlaffes, müdes Land, wo alle Menschen mit unvollkommenen Mitteln arbeiten, und das Klügste ist, nichts und niemand ernst zu nehmen, sondern, sobald wie möglich, sich nach einem Orte zu flüchten, wo Vergnügen Vergnügen ist, und ein guter Ruf des Besitzes wert ist.

Doch dieser Junge – die Geschichte ist so alt, wie das »Hügelland« – kam hierher und nahm alles ernst. Er war hübsch und wurde verhätschelt. Er nahm die Verhätschlung ernst und grämte sich um Frauen, die nicht wert waren, daß man ein Ponny sattelte, um sie zu besuchen. Er fand sein neues, freies Leben in Indien sehr schön. Von dem Standpunkt eines Subalternoffiziers sah es ja auch zu Anfang sehr anziehend aus, mit den Spazierritten, den Abendgesellschaften, Tanzveranstaltungen u. s. w., u. s. w. Er kostete davon, wie der junge Hund die Seife kostet; aber er kam zu spät zum Essen, denn sein Gebiß war schon ausgewachsen. Er verstand es nicht, Unterschiede zu machen – genau wie der junge Hund – und konnte nicht begreifen, warum er nicht mit der Hochachtung behandelt wurde, die ihm unter seines Vaters Dach zu teil geworden war. Er zankte sich mit andern jungen Männern, und da er im höchsten Grade empfindlich war, so vergaß er diese Zänkereien nicht und regte sich deshalb auf. Er fand Whist und GymkhanasSpiel. und Spiele dieser Art (mit denen man sich nach der Arbeit amüsieren soll) gut; doch er nahm sie zu ernst, gerade wie er den »Kater« zu ernst nahm, der dem Trinken folgt. Er verlor beim Whist und Gymkhanas sein Geld, weil sie ihm neu waren.

Er nahm seine Verluste ernst und verschwendete an ein Wettrennen von Ekkaponystuten mit struppigen Mähnen, dessen Einsatz zwei Goldstücke betrug, eine Energie und ein Interesse, als wenn es sich um das Derby gehandelt hätte. Zum Teil war daran die Unerfahrenheit Schuld – gerade wie der junge Hund, der sich mit der Stubendecke herumzerrt – zum Teil der Schwindel, der ihn ergriffen hatte, als er aus seinem ruhigen Leben in den Glanz und die Aufregung eines ungebundenen Treibens trat. Niemand sagte ihm etwas von der Seife und der Wichse, weil ein Durchschnittsmensch es für feststehend annimmt, daß ein anderer Durchschnittsmensch darauf Acht giebt. Es that einem weh, wenn man sah, wie der junge Mensch sich selbst ruinierte, genau wie ein losgelassenes Füllen, das niederstürzt und sich selbst verletzt, wenn es dem Stallknecht fortgelaufen ist.

Dieses ungestüme Verlangen nach Vergnügungen, die nicht wert waren, darüber ein Wort zu verlieren, geschweige denn, sich aufzuregen, dauerte 6 Monate lang – die ganze kalte Jahreszeit hindurch; dann dachten wir, die Hitze und die Erkenntnis, seine Gesundheit verloren, sowie seine Pferde lahm gemacht zu haben, würden ihn ernüchtern und beruhigen. In 99 Fällen von 100 wäre das auch der Fall gewesen. Man kann sehen, daß dieses Prinzip auf jeder indischen Station zur Geltung gelangt. Aber in diesem besonderen Falle versagte es, weil der Junge empfindlich war und alles ernst nahm, wie ich wohl schon siebenmal vorher gesagt habe. Natürlich konnten wir nicht sagen, wie weit ihn seine Exzesse persönlich mitnahmen. Doch es war nichts sehr aufregendes, was das Durchschnittsmaß überschritten hätte. Er mochte sich finanziell ruiniert haben, und brauchte auch ein bischen körperliche Pflege. Die Erinnerung an seine Heldenthaten wäre vielleicht bei heißem Wetter erloschen, und über die Geldklemme hätte ihm wohl »sein Alter« hinweggeholfen. Er mußte aber wohl eine andere Auffassung von der Sache haben und sich auf immer für ruiniert halten. Außerdem sprach sein Oberst, als das kalte Wetter zu Ende ging, in ernsthaftem Tone mit ihm. Das machte ihn noch unglücklicher, und doch war es nur ein ganz gewöhnlicher »Oberstenanschnauzer«.

Was nun folgt, ist ein merkwürdiges Beispiel für die Art, wie wir alle miteinander verbunden sind und uns gegenseitig die Verantwortung für einander aufbürden. Diesen Jungen brachte eine Bemerkung zum äußersten, die eine Dame im Gespräch zu ihm machte. Es lohnt nicht der Mühe, sie zu wiederholen, denn es war nur eine grausame kleine Bemerkung, die gedankenlos ausgesprochen worden war, und ihn bis zu den Haarwurzeln erröten ließ. Er blieb drei Tage lang eingeschlossen und kam dann um einen zweitägigen Urlaub ein, um in die Nähe des Rasthauses der Kanalingenieure, etwa dreißig Meilen weit, auf die Jagd zu gehen. Er bekam seinen Urlaub und war an diesem Abend im Offizierskasino lauter und herausfordernder, als je. Er meinte, er wolle »großes Wild« schießen, und brach um halb elf Uhr in einer EkkaIndischer Wagen. auf. Rebhühner – das ist das einzige, was man in der Nähe des Rasthauses jagen kann, – ist aber kein »großes Wild«, und deshalb lachte ein jeder.

Am nächsten Morgen kam einer der Majore von kurzem Urlaub zurück und hörte, der Junge wäre fortgefahren, um »großes Wild« zu schießen. Der Major hatte Interesse für den Jungen und mehr als einmal versucht, ihm während der kalten Witterung Vernunft beizubringen. Der Major zog die Augenbrauen in die Höhe, als er von dem Ausflug hörte und ging in des Jungen Zimmer, das er durchsuchte.

Kurz darauf kam er wieder heraus, und da er nur mich im Vorzimmer des Offizierkasinos fand, so sagte er:

»Der Junge ist auf die Jagd gegangen. Schießt man mit einem Revolver und einer Schreibmappe Wild?«

»Unsinn, Herr Major,« versetzte ich, denn ich merkte, was er damit sagen wollte.

»Unsinn oder nicht Unsinn,« meinte er, »ich gehe sofort nach dem Kanal, denn ich bin unruhig.«

Dann dachte er eine Minute nach und sagte:

»Können Sie lügen?«

»Das wissen Sie ja am besten,« erwiderte ich, »es ist ja mein Beruf.«

»Sehr gut,« sagte der Major, »Sie müssen jetzt sofort mit mir in einer Ekka nach dem Kanal hinausfahren, um Schwarzwild zu schießen. Gehen Sie, ziehen Sie sich einen »Schikär«-Anzug an, und nehmen Sie eine Flinte mit.«

Der Major war ein Biedermann, und ich wußte, daß er nicht unnötiger Weise Befehle gab. Deshalb gehorchte ich, und bei meiner Rückkehr sah ich den Major in einer Ekka sitzen – Flinten und Proviant hinter sich; kurz, alles war zu einem Jagdausflug bereit. Er schickte den Kutscher fort und fuhr selbst. So lange wir in der Station waren, fuhren wir ruhig, doch sobald wir die staubige Landstraße der Ebene erreicht hatten, ließ er das Pony förmlich fliegen. So ein im Lande gezogenes Tier kann schon etwas leisten, wenn man es tüchtig antreibt. Wir legten die 30 Meilen in weniger als 3 Stunden zurück; doch das arme Tier war fast tot.

Unterwegs fragte ich:

»Weshalb diese furchtbare Eile, Herr Major?«

Ruhig versetzte er:

»Der Junge ist ein, zwei, ja jetzt sogar 14 Stunden allein geblieben; ich sage Ihnen, ich bin unruhig.«

Diese Unruhe steckte mich an, und ich half ihm das Pony antreiben.

Als wir nach dem Rasthause der Kanalingenieure kamen, rief der Major nach dem Diener des Jungen, doch er erhielt keine Antwort. Nun gingen wir nach dem Hause und riefen den Jungen beim Namen, doch auch jetzt erhielten wir keine Antwort.

»Oh, er ist auf die Jagd gegangen,« meinte ich.

Gerade in diesem Augenblick erblickte ich durch eins der Fenster eine kleine brennende Sturmlampe. Es war vier Uhr nachmittags. Wir blieben beide stumm in der Veranda stehen und hielten den Atem an, um jeden Ton aufzufangen, und hörten im Innern des Zimmers das Summen zahlreicher Fliegen. Der Major sprach kein Wort, nahm aber seinen Helm ab, und wir traten ganz leise ein.

Der Junge lag tot auf dem »Tscharpoy« mitten in dem kahlen, mit Kalk geweißten Zimmer. Das Bett war unberührt, und auf dem Tisch lag des Jungen Schreibmappe mit Photographien. Wie eine vergiftete Ratte war er gestorben!

Leise sprach der Major vor sich hin:

»Armer Junge, armer, armer Teufel!«

Dann wandte er sich von dem Bett fort und meinte:

»Ich brauche Ihre Hilfe bei diesem Geschäft!«

Da ich wußte, daß der Junge sich selbst umgebracht hatte, so begriff ich vollkommen, worin diese Hilfe bestehen sollte; deshalb ging ich an den Tisch, nahm einen Stuhl, steckte mir eine Cigarre an und begann die Schreibmappe durchzusehen; der Major blickte über meine Schulter und sprach wieder vor sich hin:

»Wir sind zu spät gekommen. – Wie eine Ratte in einem Loch! Armer, armer Teufel!«

Der Junge mußte wohl die halbe Nacht damit zugebracht haben, um an seine Leute, seinen Oberst und ein junges Mädchen in der Heimat zu schreiben; sobald er fertig war, mußte er sich erschossen haben, denn er war schon längere Zeit tot, als wir eintraten.

Ich las alles, was er geschrieben hatte und reichte jedesmal, wenn ich fertig war, das Blatt dem Major. Aus seinen Aufzeichnungen ersahen wir, wie bitter ernst er alles genommen hatte. Er schrieb von der »Ungnade«, die er außer Stande wäre, zu ertragen – von »unauslöschlicher Scham«, »verbrecherischer Thorheit«, »verpfuschtem Leben« und so weiter; außerdem noch eine Menge Privatdinge für seinen Vater und seine Mutter, die zu geheiligt sind, um sie hier abzudrucken. Der Brief an das junge Mädchen in der Heimat war der rührendste von allen, und ich war tief bewegt, als ich ihn las. Der Major machte gar keine Anstrengung, nicht zu weinen, und ich achtete ihn deshalb hoch. Er las, und taumelte dabei hin und her, und weinte wie ein Weib, ohne seine Betrübnis verbergen zu wollen. Die Briefe waren so traurig, hoffnungslos und rührend. Wir vergaßen die Thorheiten des Jungen vollständig und dachten nur an den armen Kerl auf dem »Tscharpoy« und an die bekritzelten Blätter, die wir in Händen hielten. Es war einfach unmöglich, die Briefe in die Heimat zu schicken. Sie hätten seinem Vater das Herz gebrochen und seine Mutter getötet, nachdem sie allen Glauben an ihren Sohn in ihnen zerstört.

Schließlich trocknete der Major seine Augen und meinte:

»Nette Mitteilungen für eine englische Familie! Was sollen wir thun?«

Da ich wußte, was der Major vorher gesagt hatte, so versetzte ich:

»Der Junge ist an der Cholera gestorben; wir waren gerade bei ihm. Wir dürfen keine halben Maßregeln treffen; kommen Sie!«

Nun begann eine der gräßlichsten und dabei komischen Scenen, an der ich je Teil genommen; die Ausführung einer großen geschriebenen, mit Beweisstücken ausgestatteten Lüge, um des Jungen Familie zu Hause zu beruhigen. Ich begann, den Brief zu entwerfen; der Major warf hier und da ein Wort ein, während er all' das Zeug zusammensuchte, das der Junge geschrieben hatte, und im Kamin verbrannte. Es war ein heißer, ruhiger Abend, als wir anfingen, und die Lampe brannte sehr schlecht. Nach kurzer Zeit hatte ich einen Entwurf, der mich befriedigte, fertig; ich erzählte, wie der Junge das Muster aller Tugenden, wie beliebt er bei seinem Regiment gewesen, eine große Carrière vor sich gehabt hätte u. s. w., u. s. w.; wie wir ihm in seiner Krankheit beigestanden – man begreift, es war keine Zeit für kleine Lügen – und wie er schmerzlos gestorben war. Ich schluchzte, während ich diese Zeilen niederschrieb und an die armen Leute dachte, die sie lesen würden. Dann lachte ich über das Groteske der Angelegenheit; das Lachen vermischte sich mit dem Schluchzen – und der Major meinte, wir müßten beide etwas trinken.

Ich fürchte mich zu sagen, wieviel Whisky wir tranken, bevor der Brief zu Ende war; doch er übte nicht die geringste Wirkung auf uns aus. Dann steckten wir des Jungen Ringe, Medaillon und Uhr zu uns, und schließlich sagte der Major:

»Wir müssen auch eine Haarlocke abschicken; eine Frau weiß so etwas zu schätzen.« Es waren aber Gründe vorhanden, weshalb wir keine Locke fanden, die wir hätten abschicken können. Der Junge hatte schwarzes Haar, und der Major glücklicherweise auch. Ich schnitt ein Büschel von des Majors Haaren an der Schläfe ab und legte es in das Paket, das wir fertig machten. Wieder packte mich der Lachkrampf und das Schluchzen, und ich mußte inne halten. Dem Major ging es ebenso, und wir beide wußten, daß der schlimmste Teil der Arbeit jetzt erst kam. Wir versiegelten das Paket, Photographien, Medaillon, Siegelringe, Brief und Haarlocke mit des Jungen Petschaft und Siegellack, dann sagte der Major:

»Lassen Sie uns um Gottes Willen aus diesem Zimmer hinausgehen und nachdenken.«

Wir gingen hinaus und wanderten eine Stunde hindurch am Kanal entlang, wobei wir das, was wir bei uns hatten, aßen und tranken, bis der Mond aufging. Ich weiß jetzt genau, welche Gefühle einen Mörder beschleichen. Schließlich wanderten wir doch wieder in das Zimmer mit der Lampe und dem – andern Gegenstand zurück und begannen, die weitere Arbeit vorzunehmen. Ich will das nicht beschreiben, denn es war zu schrecklich. Wir verbrannten die Bettstelle und streuten die Asche in den Kanal, nahmen die Matten des Zimmers und verfuhren damit in derselben Weise. Ich ging nach einem Dorf und borgte mir zwei Spaten; den Beistand der Dorfbewohner lehnte ich ab, während der Major das andere arrangierte. Wir brauchten 4 Stunden schwerer Arbeit, um das Grab fertigzustellen. Während wir arbeiteten, überlegten wir uns, in welcher Weise wir das Begräbnis des Toten vornehmen sollten. Schließlich einigten wir uns, das Vaterunser und ein einfaches Gebet für das Seelenheil des Jungen zu sprechen. Dann warfen wir das Grab zu, gingen in die Veranda – nicht in das Haus – um uns schlafen zu legen, denn wir waren todmüde.

Als wir erwachten, sagte der Major schläfrig:

»Vor morgen können wir nicht zurück, wir müssen ihm genügend Zeit zum Sterben lassen. Vergessen Sie nicht, er ist heute Morgen gestorben, das wird natürlicher erscheinen.«

Der Major mußte wohl die ganze Nacht wach geblieben sein, um sich die Sache auszudenken.

»Warum haben wir aber die Leiche nicht nach der Station zurückgebracht?« versetzte ich, »danach wird man uns sicherlich fragen.«

Der Major dachte einen Augenblick nach und erwiderte:

»Weil die Leute flüchteten, als sie von der Cholera hörten, außerdem ist ja auch der Wagen fort!«

Das war durchaus richtig. Wir hatten das Pony ganz vergessen, und dieses war nach Hause gelaufen.

So waren wir denn den ganzen drückend-heißen Tag allein im Rasthause am Kanal, wo wir unsere Geschichte von des Jungen Tod immer wieder und wieder durchgingen, um zu sehen, ob sie auch nicht etwa Mängel aufwies. Am Nachmittag erschien ein Eingeborener, doch wir sagten ihm, ein »Sahib« wäre an der Cholera gestorben, und er rannte schleunigst fort. Als die Dämmerung hereinbrach, erzählte mir der Major alle Befürchtungen, die er wegen des Jungen gehegt; auch berichtete er schreckliche Geschichten von Selbstmord oder Selbstmordversuchen, bei denen einem das Haar zu Berge stand. Er sagte, er wäre selbst einmal beinahe in dasselbe Schattenthal gegangen, wie der Junge, als er jung und selbst noch ein Neuling in dem Lande war; deshalb könne er begreifen, wie es in dem armen, verdrehten Kopf des Jungen getobt haben mochte. Er sagte auch, daß die jungen Leute in den Augenblicken der Reue ihre Sünden viel ernster und unverzeihlicher halten, als sie wirklich sind. Wir unterhielten uns den ganzen Abend über und gingen die Geschichte von dem Tode des Jungen noch einmal durch. Sobald der Mond aufging und der Junge »theoretisch« eben begraben worden war, brachen wir nach der Station auf. Wir wanderten von 8 bis 6 Uhr morgens, und obwohl wir todmüde waren, vergaßen wir doch nicht, nach des Jungen Zimmer zu gehen und den Revolver mit der vollständigen Anzahl von Patronen in den Revolverbeutel zu legen. Wir legten auch die Schreibmappe auf den Tisch. Dann suchten wir den Oberst auf und berichteten ihm den Todesfall, wobei wir uns mehr wie je als Mörder vorkamen. Darauf gingen wir zu Bett und schliefen den ganzen Tag hindurch, denn wir hatten nicht mehr die geringste Kraft in den Gliedern. Die Geschichte wurde geglaubt, so lange es eben erforderlich war; denn ehe 14 Tage um waren, war der Junge von allen vollständig vergessen. Indessen bemerkten doch manche Leute, der Major habe skandalös gehandelt, daß er den Leichnam nicht zu einer Bestattung mit militärischen Ehren zurückgebracht hatte. Das traurigste aber war der Brief von des Jungen Mutter an den Major und mich, der auf der ganzen Seite mit großen Tintenflecken beklext war. Sie schrieb die liebenswürdigsten Dinge über unsere Freundlichkeit, und wie sehr sie sich ihr ganzes Leben uns verpflichtet fühlen würde.

Im Grunde genommen, war sie uns ja auch verpflichtet, aber nicht so, wie sie es meinte.

 


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