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Weit zurück, in den siebziger Jahren, bevor man noch in Simla Wirtshäuser gebaut hatte, wurde Miß Gaurey von ihren Eltern mit Oberst Schreiberling verheiratet. Er war höchstens 35 Jahre älter als sie, und da er ein Gehalt von 200 Rupien jeden Monat bezog und noch eigenes Vermögen hatte, so wurde er mit Freuden angenommen. Er gehörte zu den angesehenen Leuten und litt bei kaltem Wetter an Lungenkatarrh. Bei heißem Wetter neigte er eher zu einem Schlagfluß, aber ein solcher hatte ihn nie getroffen.
Man verstehe mich recht, ich will Schreiberling nicht etwa tadeln. Er war, je nach seiner Stimmung, ein guter Ehemann, und seine Laune verschlimmerte sich nur, wenn er der Pflege bedurfte, was in jedem Monat ungefähr 17 Tage der Fall war. In Geldangelegenheiten war er zu seiner Frau fast freigebig, und das wollte bei ihm schon etwas heißen. Trotzdem war Mistreß Schreiberling nicht glücklich. Man verheiratete sie, als sie kaum 20 zählte, und ihr armes kleines Herz schon an einen andern vergeben hatte. Seinen Namen habe ich vergessen, doch wir wollen ihn »den andern« nennen. Er hatte kein Geld, und auch keine Aussichten. Er sah sogar nicht einmal gut aus, und ich glaube, er war beim Kommissariat oder beim Transport angestellt. Doch trotz alledem liebte sie ihn sehr, und es hatte eine Art von Verlobung zwischen den beiden bestanden, als Schreiberling erschien und zu Mistreß Gaurey sagte, daß er ihre Tochter zu heiraten wünschte. Nun wurde die andere Verlobung aufgehoben, sozusagen von Mistreß Gaureys Thränen fortgewaschen, denn diese Dame beherrschte ihr Haus, indem sie über den Ungehorsam gegen ihre Autorität und über den Mangel an Respekt, der ihrem Alter zu teil wurde, weinte. Die Tochter artete nicht nach der Mutter, sie weinte nie, nicht einmal bei der Hochzeit. Der »andere« trug seinen Verlust ruhig und wurde nach einer so schlechten Station versetzt, wie sie sich nur auffinden ließ. Vielleicht tröstete ihn das Klima. Er litt am Wechselfieber, und das mochte ihn von andern Sorgen ablenken. Er war auch herzkrank. In beiderlei Hinsicht. Eine der Herzklappen war angegriffen, und das Fieber machte die Sache noch schlimmer. Doch das stellte sich erst später heraus.
Dann vergingen viele Monate, und Mistreß Schreiberling wurde krank. Sie siechte zwar nicht dahin, wie die Leute in den Romanbüchern, aber sie schien jede Krankheit in sich aufzunehmen, die in der Station auftauchte, vom einfachen Fieber aufwärts. Sie war in ihrer besten Zeit nicht außergewöhnlich hübsch gewesen, und die Krankheit machte sie häßlich. Schreiberling meinte das auch, und sprach sich sehr selbstbewußt darüber aus.
Als sie aufgehört hatte, hübsch zu sein, überließ er sie ihren eigenen Gedanken und kehrte zu den Freuden seines Junggesellenlebens zurück. Sie pflegte auf einem öden Wege bis zur Poststation Simla auf- und abzureiten, mit einem grauen Hut auf dem Hinterkopf und einem furchtbar schlechten Sattel unter sich. Schreiberlings Freigebigkeit hörte bei dem Pferde auf. Er meinte, für eine so nervöse Frau, wie es Mistreß Schreiberling war, würde kein Sattel passen. Sie wurde nie zum Tanzen aufgefordert, weil sie nicht gut tanzte, und war so griesgrämig und uninteressant, daß in ihrem Briefkasten selten Karten von Besuchern lagen. Schreiberling sagte, hätte er gewußt, daß sie nach der Ehe eine solche Vogelscheuche werden würde, so hätte er sie nicht geheiratet. Er sprach noch immer sehr selbstbewußt, dieser Schreiberling.
An einem Augusttage ließ er sie in Simla zurück, und ging wieder zu seinem Regiment. Nun erholte sie sich ein bischen, doch ihre Blicke hellten sich nie wieder auf. Ich erfuhr im Club, daß »der andere« krank, sehr krank, um sich zu erholen, zu uns käme. Das Fieber und das Herzleiden hatten ihn fast getötet. Sie erfuhr es auch, und sie erfuhr auch – was mich gar nicht interessierte – wann er kam. Ich vermute, er schrieb es jemand, der es ihr berichtete. Seit einem Monat vor der Hochzeit hatten sie sich nicht gesehen.
Jetzt kommt der traurige Teil der Geschichte. Eines Abends hielt mich ein später Besuch bis zum Einbruch der Dunkelheit im Dovedell-Hotel zurück. Mistreß Schreiberling war den ganzen Nachmittag im Regen vor dem Posthause auf- und abgegangen. Gerade, als ich die Landstraße entlang kam, fuhr eine TongaKleiner Wagen. an mir vorüber, und mein Pony, das vom langen Stehen ungeduldig geworden war, setzte sich in Galopp. Gerade auf der Landstraße bei der Wagenstation wartete Mistreß Schreiberling, vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt, auf die Tonga. Da der Wagen mich nichts anging, so wandte ich mich hügelaufwärts, und jetzt begann sie plötzlich zu erschrecken. Ich drehte sofort um und sah beim Scheine der Postamtslampen Mistreß Schreiberling, die auf der feuchten Straße am Hintersitz der eben angelangten Tonga kniete und schrecklich schrie. Dann fiel sie mit dem Gesicht in den Schmutz, als ich gerade an Ort und Stelle kam.
Im Hintersitz saß, sehr fest und behaglich, mit einer Hand auf der Wagenlehne, während die Feuchtigkeit von seinem Schnurrbart und Hut heruntertropfte, »der andere« – und zwar tot. Die 60 Meilen hügelaufwärts mochten wohl für sein Herzleiden zuviel gewesen sein. Der Tongakutscher meinte: »Der Sahib ist zwei Stationen hinter Solon gestorben. Deshalb habe ich ihn mit einem Strick festgebunden, damit er nicht aus dem Wagen fallen sollte, und so bin ich nach Simla gekommen. Will der Sahib mir BakschischTrinkgeld. geben? Er – damit deutete er auf den »andern« – hätte mir eine Rupie gegeben.«
Der andere saß mit grinsendem Gesicht da, als wenn er sich über den Spaß seiner Ankunft freute, während Mistreß Schreiderling im Schmutz zu wimmern begann. Es waren nur wir vier im Postbureau, und es regnete stark. Das erste war, Mistreß Schreiderling nach Hause zu bringen, und das zweite, dafür zu sorgen, daß ihr Name nicht in diese Angelegenheit hineingezerrt wurde. Der Tongakutscher erhielt fünf Rupien, um für Mistreß Schreiderling vom »Bazar« einen Wagen herzuschaffen. Er sollte dann dem Tonga-BabuIndische Behörde. von »dem andern« erzählen, und der »Babu« sollte nach seinem Gutdünken seine Maßregeln treffen.
Mistreß Schreiderling wurde aus dem Regen unter Dach und Fach gebracht, und dreiviertel Stunden lang warteten wir beide auf den Wagen. Der »andere« wurde genau in derselben Verfassung gelassen, wie er gekommen war. Mistreß Schreiderling weinte nicht mehr, was ihr vielleicht Erleichterung verschafft hätte. Sie versuchte zu jammern, sobald sie wieder zu sich gekommen war, und begann dann, für das Seelenheil des »andern« zu beten. Wäre sie nicht so ehrenhaft wie der Tag gewesen, so hätte sie auch für ihr eigenes Seelenheil gebetet. Ich wartete darauf, doch sie that es nicht. Nun versuchte ich, ihr Kleid einigermaßen von dem Schmutz zu befreien. Schließlich kam der Wagen, und ich brachte sie fort, fast mit Gewalt. Es war eine schreckliche Arbeit, von Anfang bis zu Ende; doch das Schlimmste war, als sich der Wagen zwischen der Mauer und der Tonga durchdrängen mußte, und sie beim Lampenlicht diese dünne, gelbe Hand erblickte, die sich um die Wagenlehne krampfte.
Sie kam gerade nach Hause, als alles sich zum Ball in die Behausung des Vicekönigs begab – er wohnte damals in Peterhoff. Der Arzt stellte fest, daß sie vom Pferd gefallen war, daß ich sie in der Nähe von Jakko aufgefunden hatte und wirklich großen Dank verdiente für die schnelle Manier, mit der ich ihr ärztliche Hilfe geleistet hatte. Sie starb nicht – Leute von Schreiderlings Kaliber heiraten keine Frauen, die leicht sterben. Sie bleiben leben und werden häßlich.
Sie erzählte nie etwas von dieser einzigen Zusammenkunft, die sie mit »dem andern« seit ihrer Verheiratung gehabt, und als das Fieber und der Husten, die jenem gefährlichen Abend gefolgt waren, sich gelegt hatten und sie ausgehen durfte, machte sie nie durch Zeichen oder Worte eine Anspielung, daß sie mich beim Tongapostamte getroffen hatte. Vielleicht wußte sie es auch gar nicht.
Sie ritt noch immer bis zur Post hin und zurück, auf demselben furchtbar schlechten Sattel, wobei sie Ausschau hielt, als wenn sie in jeder Minute erwartete, jemanden um die Ecke kommen zu sehen. Zwei Jahre später fuhr sie in die Heimat und starb; ich glaube, in Bournemouth.
Wenn Schreiderling im Offizierskasino sich betrunken hatte, dann pflegte er von »meiner armen, lieben Frau« zu sprechen. Er legte noch immer großes Gewicht darauf, seine Meinung zu äußern, dieser Schreiderling.