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In Neapel starb der Kommerzienrat Bruckner. An Typhus. Das ist die Krankheit, die in Neapel schon Scharen von Nordländern hingerafft hat. Mittelmeerfieber, Maltafieber. Die armen Leute bekommen es durch Ziegenmilch, die reichen durch Genuß von Austern, die von verseuchten Austernbänken zwischen Süditalien und der Insel Malta herstammen.
Ein italienischer Arzt unterrichtete Richard.
»Dünndarm durchfressen. Bauchfellentzündung, hoffnungslos.«
Irene sah ihren Vater noch. Mühsam sprach er: »Du bist mein geliebtes Kind. Berühre mich nicht; ich stecke an! Ich bin giftig. Verzeihe mir alles. Mache es gut mit den Brucknerjungen! Du hattest recht!«
»Lieber – lieber Vater!«
»Mein – mein liebes Kind!« Da war er hinüber.
*
Kommerzienrat Bruckner hatte noch vor Ankunft seiner Tochter seinen letzten Willen testamentarisch kundgegeben. Danach fiel sein ganzer Besitz an seine Tochter Irene. Die Schenkungen an Sabine Sabina waren ausdrücklich widerrufen. Sabine war bei den ersten Anzeichen von Bruckners Erkrankung abgereist. Sie ist in Deutschland nie wieder aufgetaucht.
*
Was war mit der Leiche zu tun? Einäscherung war nach dem letzten Willen des Verstorbenen ausgeschlossen, war auch ganz gegen den Willen der Tochter und ihrer Begleitung. Eine Überführung der Leiche nach Deutschland gestatteten die Behörden nicht. So wurde Kommerzienrat Bruckner auf dem Campo santo von Neapel beerdigt. Die Familie hatte sich an eine italienische Beerdigungsanstalt gewandt. Julia schrie auf, als eine Gesellschaft vermummter Männer in grauen Kapuzenmänteln erschien, die Gesichter gespensterhaft verhüllt, aus Maskenschlitzen kalte Augen. Eine schauerliche Gespensterkarawane. So ist's üblich in Neapel.
Einige Deutsche waren da, vom Konsulat benachrichtigt, der Konsul selbst. Auch ein gutes Männerquartett war aufgebracht worden. Sie sangen in deutscher Sprache auf dem Friedhof von Neapel: »Über den Sternen wohnt Gottes Friede« und das unsterbliche Lied: »Wie selig sind die Toten ...«. Am Grabe faßten sich Richard und Irene fest an der Hand.
Nun gehören wir fürs Leben zusammen! hieß das, ohne daß sie es aussprachen.
»Er ruhe in Frieden!« sagte der Geistliche und machte ein Kreuzlein über die Grube.
*
Als sie von Neapel abreisten, sang vor dem Bahnhof eine Musikbande:
Addio mia bella Napoli,
Addio, addio!
La tua soave imagine
Chi mai, chi mai scordar potra.
»Was singen sie?« fragte Julia.
»Sie singen: Lebe wohl, mein schönes Neapel, ich werde dein süßes Angesicht nie vergessen können.«
»Ich werde es vergessen,« sagte Julia. »Nicht begraben möchte ich sein in dem Lande, wo man kein Wort versteht. Der arme Herr Kommerzienrat! Nun, er ruht und wir werden ihn nie vergessen.« In Rom machten sie eine Reisepause. Richard hatte die ewige Stadt noch nicht gesehen und Irene hatte es notwendig, zu rasten und von ihrem Schreck und Schmerz abgelenkt zu werden. Der unerwartete Tod ihres Vaters hatte sie tieferschüttert. Julia war mit dem Reiseaufenthalt sehr unzufrieden. Die Alte hatte das Heimweh. Angesichts des Capitols seufzte sie:
»Ach, was mag bloß mein lieber Hund Argos machen!«
»Du meinst wohl, liebe Tante, was dein lieber Mann Augustus machen wird!«
»Ach was!« murrte Julia. »Der Racker! Ich hoffe, daß er sich nicht inzwischen einmal betrunken hat, denn er neigt dazu, der verdächtige Geselle, wenn ich nicht zu Hause bin.«