Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Julia recherchiert

Hinter den Tennisanzug und die Nachmittagsausflüge mußte Julia kommen. Sie war wie eine Gluckhenne, der man junge Entlein zur Führung anvertraut. Gehen die Entlein in den Dorfteich und schwimmen munter drin herum, so steht die Henne, die kein Schwimmvogel ist, in Todesangst am Ufer, lockt, ruft, starrt mit den runden Äuglein auf etwas hin, was nach ihrem Empfinden lebensgefährlich ist.

Julia hatte in ihrem Leben nur einen einzigen Mann geliebt, August Breise. Treu, brav, bieder, ausschließlich hatte sie ihn geliebt. Aber selbst in ihrer Jugend hatte sie immer auch in der Liebe einen klaren Kopf behalten. Wenn's auf den leidenschaftlichen August, den Damenschneider, das Filou, angekommen wäre, dann, ach, Jungfernkranz! Aber sie hatte ihm die richtige Behandlung einer Jungfrau und Dame beigebracht. Und sie hatte ihm in ihrer Brautzeit ein Buch von Abraham a Sancta Clara geschenkt, in dem viel Deutliches über reine Menschen und Schweinehunde stand, die heftiger stinketen als Lazarus am vierten Tage. Sie war auf das Buch durch eine Predigt gekommen. August hatte sich damals über das Geburtstagsgeschenk gar nicht gefreut, ja er kriegte eine Wut darüber, weil er meinte, Julia sei ihm gegenüber so kalt wegen des groben Abraham a Sancta Clara. Später, als sie verheiratet waren, hat August die Meinung gewechselt, den Abraham so lieb gewonnen, daß er ihn nun ständig im Munde führte. Ist ganz gut, wenn ein Mann Religion hat, überhaupt wenn er von Haus aus Damenschneider und dann Hotelportier ist. Im übrigen sind alle Männer Lumpen ob mit oder ohne Abraham a Santa Clara. Das war Frau Julias feststehende Meinung, und sie hatte gewissermaßen recht.

Hinter die Tennisspielerei mußte sie kommen. Sie ging behutsam hinter Richard her. Zu Julias Ehre muß gesagt werden, daß sie sonst niemals nachschnüffelte. Sie las nicht einmal die offenen Postkarten, die an ihre jungen Herren kamen, geschweige, daß sie jemals in den Taschen herumgesucht hätte. Dann, sagte sie, müsse man sich die Hände verbrennen. Aber jetzt war es eben die Gluckensorge, der junge Enterich würde in einem Liebessee ertrinken.

Und es war so! Da stand das verführerische Weib und warf die Bälle. Und er – er war nicht mehr »Er«, nicht mehr der kühle, anständige Referendar Richard Bruckner, – ein Verrückter war er. So wie es ihr Mann vorgelesen hatte. Den lateinischen Spruch wußte sie nicht mehr, aber er bedeutete: »Verliebte sind Verrückte!«

Sie sah zehn Minuten unbeobachtet dem Spiele zu. Es war ein Spiel zu vieren. Der zweite Herr war von kostspieliger Gewandung und hatte etwas affig- vornehmes Getue. Die zweite Dame war ein häßliches Ding. Aber die Partnerin von Richard! Sie war das, was Julia eine polizeiwidrige Schönheit nannte. Und Richard war verrückt. Wenn er einen Fehler machte, lachte die schöne Gans, und wenn sie lachte, warf er ihr eine Kußhand zu und dann lachte sie noch mehr, und einmal – wahrhaftig – in den paar Minuten warf sie ihrerseits ihm eine Kußhand zurück, worauf der andere feine Herr mit den schwarzen langen Haaren Richard einen bösen Blick zuwarf. Nun, auf böse Blicke verstand sich Julia. Auf Blicke überhaupt verstand sie sich. Blicke sind Scheinwerfer, die ganz dunkle Gelände aufklären.

Die Glucke zitterte. – Er ertrinkt! – Julia ging in ein kleines Kaffeehaus, das in der Nähe des Spielplatzes lag. In Qualen sah sie dem Ballspiel des Sports und der Liebe zu. Sie wartete, bis das Spiel aus war. Freilich fürchtete sie, Richard könne mit seiner »Donnja« ins Lokal kommen. Deshalb bezahlte sie für jede Darreichung sofort, um im bedrohlichen Augenblicke durch eine Hintertür entweichen zu können und eine peinliche Begegnung zu vermeiden. –

Das Spiel war aus. Julia sah, wie der schwarze vornehme Herr und Richard sich um die polizeiwidrig Blonde bemühten, und Richard nach dem kleinen Kaffeehause zeigte. Aber die Blonde machte eine Abwehrbewegung, die voller Verachtung war. So ungefähr, als wenn sie sagen wollte: »Das ist nur für den Plebs!«

Jawohl, ich werde dich schon beplebsen! Bin ich Plebs? Ich bin kein Plebs! Du bist Plebs! Moralischer Plebs!

Sie hieb mit der Faust auf den Tisch. Ein Kellner stürzte herbei: »Wünschen gnä' Frau noch etwas?«

»Noch'n Kaffee!«

»Kaffee Nummer sieben,« sagte der Kellner zu sich und entfernte sich. Draußen auf der Straße stand ein Junge, ein munt'rer Bengel, der beim Tennisspiel Bälle aufgesammelt hatte. Julia machte den Finger krumm und winkte ihm. Der intelligente Bursche verstand das sofort und erschien. Julia bestellte ihm eine Tasse heißer Schokolade, die der Junge gern annahm.

»Na, mein Bürschchen! Bälle gesammelt? Bringt denn das was ein, das ewige Hin- und Herrasen?«

»Och! 's kommt drauf an. Heute waren vier. Der Graf Luwowsky, das Fräulein Stengel, der Herr Dr. Bruckner und Fräulein Margot Ungefähr.«

»Ist das Fräulein Ungefähr die Blonde?«

»Ja. Na sie ist doch die Tochter von dem reichen Bankier.«

»Und wie war's mit dem Trinkgeld?«

»Och – es ging! Fräulein Ungefähr eine Mark, Fräulein Stengel zehn Pfennig, Herr Graf einen leeren Händedruck, aber – aber Herr Dr. Bruckner zwei Mark. Der reißt immer das Ganze raus!«

»Wahrscheinlich hat er das meiste Geld übrig.«

»Ja, wahrscheinlich!« sagte der muntere Junge; »ich glaube, er wird Minister oder so!«

»Das wird er bestimmt!« sagte Julia. »Spielt der Herr Dr. Bruckner schon lange mit Fräulein Ungefähr?«

»Nee! Erst seit drei Wochen. Früher spielte sie mit ganz anderen. Sie war ja schon dreimal verlobt.«

»So, so! Dreimal verlobt? Und nun?«

»Na, jetzt wird sie den Dr. Bruckner heiraten, der Minister werden wird. Aber das kann ich Ihnen sagen – der Graf Luwowsky ist mächtig fuchtig auf den Doktor, der ist eifersüchtig.«

Julia wußte genug. Sie ging nach Hause.


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