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Es ging in die Tiefe. So begann es – –
Ingeborg ist zurückgekehrt. Ist es möglich?
Ich saß im Zimmer und hörte weder den Wagen, noch Schritte. Da ging die Türe und Ingeborg stand auf der Schwelle.
Sie war in einen dicken Reisemantel gehüllt und ihr Gesicht verschwand fast ganz im Pelzkragen. Rot vor Frost war dieses Gesicht, ein kleines, erfrorenes, lächelndes Kindergesicht.
»Hahaha!« lachte Ingeborg. »Kennst du mich nicht mehr?« Ich begriff all das nicht. Ich stand auf und lächelte. Ich bewegte die Lippen, aber ich vermochte nicht zu sprechen.
Und Ingeborg lachte wieder und sagte, daß sie nun auf Besuch zu mir komme, wie sie es versprochen habe. Zwei Monate lang.
»Hahaha, ja, grüß Gott, Axel!«
Ich gebe ihr die Hand, ich kann noch nichts denken. Auf dem Pelze und den goldenen Locken Ingeborgs zerschmilzen kleine Schneesternchen. Ingeborgs Stimme ist kräftiger und tönender geworden.
»Grüß Gott! Ingeborg –«
»Ja, ja ja – Axel, Axel! Bekomme ich denn keinen Kuß? Küsse mich doch. Ich freute mich seit Wochen auf diesen Kuß.«
Mein Herz steht still. Ich küsse Ingeborg auf den Mund und verliere die Besinnung –
Da erwachte ich.
Ich lag im Zimmer auf der Ottomane. Es dämmerte. Auf den naßschwarzen Ästen der Kastanien lag Schnee, ein Sperling schaukelte auf einem Ästchen und Schnee stieb herab.
»Ich finde keine Ruhe mehr!« flüsterte ich. Ich war totmüde, einige Tage und Nächte hatte ich nicht mehr geschlafen. So heimtückisch arbeitete es in mir, am Tage konnte ich mich betäuben, solange ich wachte, aber im Traum, da war ich wehrlos. Ich sprach mit mir. »Ich finde selbst im Schlafe keine Ruhe mehr – es bleibt mir nichts anderes übrig. Nein, ein Fürst tut es nicht, ein Bankier kann es tun – ein Fürst nicht. Ach, das sind einfältige Redensarten. Nun hat der finstere Gedanke doch gesiegt!«
Ich stehe auf, krame im Schubfache des Schreibtisches und verlasse das Haus. Blaue Winterdämmerung ringsum. Alles schläft, Bäume, Tiere, nur ich kann nicht schlafen. Bald werde ich es können. Der Schnee leuchtet blau, wie Stahl fast, die Abendkälte hat ihn mit einer dünnen Eiskruste überzogen, die unter den Schritten kracht. Ich gehe an der Statue vorüber, einen Eisbärenpelz hat sie um die Schultern geschlungen, als ging sie ins Theater. Pst! hat sie nicht pst! gerufen? Im runden Brunnen sprudelt schwarze Tinte, die eiskalt glitzert. Der Brunnen ist mit dickem Eise bedeckt wie mit Aussatz.
Ich eile durch den Park, zur Grotte, wo der ewige Tropfen fällt. Kupferrot steigt der Mond hinter den Stämmen empor, in Dunst gepackt. Der Schnee ist mit schmutzigem Blute getränkt.
Die Grotte ist still. Der Tropfen schweigt, der Tümpel ist gefroren. Ein toter Frosch ist im Eise zu sehen, er zeigt den gelben Bauch. Die Grotte ist mit Eis überzogen und eine Säule aus Eis, einer großen geronnenen Kerze ähnlich, hängt vom Felsen zum Tümpel.
Ich setze mich in den Schnee. Ich berühre einen Busch und Schnee stiebt über mich und fällt mir ins Genick, sodaß ich zusammenschaure. Ich nehme den Revolver aus der Tasche.
Alles ist Schnee und Eis.
Umsobesser, geht es mir durch den Kopf, ich konserviere mich besser, übrigens liegt dort auch schon einer. Schade, daß ich keine gelbe Weste anhabe! Wer hätte gedacht, daß die Geschichte so leicht ist?
Ich setze den Revolver an die Schläfe und schließe die Augen.
Tick! Der Revolver versagte. Ich blicke in die Trommel. Ich sehe die Kugel.
Und ich setze wiederum den Lauf an die Schläfe. Da berührt jemand meine Schulter und ich blicke mich um. Das verhärmte Gesicht des glücklichen Wanderers nickt traurig über mir.
»Bruder, Bruder,« spricht er sanft und hebt den Zeigefinger mitleidig drohend empor, »es gibt weitaus schlimmere Dinge als ein Weib zu verlieren. Vier Jahre Kerker, Bruder, das ist hart. Ach, ohne frische Luft, ohne Himmel, ohne Freiheit, Bruder weitaus schlimmer ist dies!«
»Schere dich zum Teufel!« schreie ich und presse den Revolver auf das Herz. Aber der Wanderer wirft sich über mich und umklammert mein Handgelenk. Ich keuche.
»Laß los!« Ich ringe mit ihm. Ich nehme alle Kraft zusammen, ein Ruck noch und mein Arm ist frei –
»Laß los.«
Ich erwachte.
Ich lag immer noch auf der Ottomane. Ich schauderte zusammen.
Aber jemand stand im Zimmer, in einen dicken Mantel eingehüllt, einen großen Hut auf dem Kopfe. Er hatte ein rotes aufgeblasenes Gesicht mit heimtückischen kleinen Chinesenaugen. Er stand am Flügel, nahm das grüne Väschen in die Hand, steckte es ein und schlich sich hinaus.
Ich fuhr auf. Ich hörte wie eine Türe vorsichtig zugemacht wurde.
Jemand war eben im Zimmer gewesen. Der Knecht, den sie den Mönch nennen. Ja! Er hatte das Väschen gestohlen.
Ich blickte auf den Flügel: das Väschen war fort!! Träumte ich? Nein, ich träumte nicht mehr. Ich hatte zwei Träume hintereinander geträumt, den von Ingeborg, den von der Grotte. Das wußte ich genau und ich würde es nicht wissen, träumte ich noch. Ich sah ja, konnte mich anfassen, fühlen.
Das Väschen war fort! Lange Wochen stand es doch auf dem Flügel!
Ich rannte aus dem Zimmer, die Treppe hinab, über den Hof. Groß und messinggelb stand der Mond über dem Walde in einem violetten Himmel. Der gelbe Schnee knarrte unter meinen flüchtigen Schritten. In den Ställen klirrten Ketten und die Pferde stampften.
Ich eilte ins Haus und riß die Türe zur Gesindestube auf. Da saßen sie alle im Tabaksqualm, Knechte und Mägde und flochten Strohbänder. Sie rauchten, lachten und erhoben sich, als ich eintrat.
Ich warf die Türe ins Schloß. Es wurde so stille, daß man hörte, wie die Kühe nebenan das Heu aus dem Barren rupften.
Dort stand auch er, der Mönch, im dicken Mantel, den er Sommer und Winter trug, und den großen Hut auf dem roten Kopfe. Wie immer schlug er den Blick zu Boden. Ich trat auf ihn zu und schüttelte ihn leicht am Arme.
»Da bist du ja!« sagte ich und lachte höhnisch.
Der Knecht hob furchtsam die Lider und blickte erschrocken auf mich. Die Röte wich aus seinem Gesichte und die dicken Backen zitterten. Er senkte die Lider, schneeweiß lagen sie in seinem fahlen Gesichte.
»Schon lange habe ich ein Auge auf dich, du!« sagte ich. Alle standen sie ringsumher erschrocken, mit großen Augen und geöffneten Mäulern.
»Ja ja,« murmelte der Mönch. »Hole den Schandarm!«
»Du hast es getan? Wie?«
Der Knecht fiel in die Knie und sagte: »Ich habs getan. Ich bereue es. Zehn Jahre habe ich dran gewürgt.«
»Was tat der Mönch?« fragte einer.
»Er hat gestohlen!« rief ich. »Ein Väschen.«
Gestohlen? Nichts habe er gestohlen.
»Jetzt leugnet er wieder, hoho!« rief ich und ich bewegte die Hand so schnell vor dem Gesichte des Knienden, daß sie dreißig Finger bekam. »Eben gestand er es ein, jetzt lügt er frech. Höre, du, ich lasse dich auspeitschen, daß dir Hören und Sehen vergeht!«
Aber da bekam ich Mitleid mit dem Knechte, der in seinem dicken Mantel vor mir kniete und den Kopf neigte. Er hatte sogar den Hut abgenommen, seine Haare waren weiß wie Mehl.
Ein armer Mensch war das. Wie schlecht bin ich doch geworden, daß ich ihn so anschreien konnte. Wie schlecht! Schlecht mußte ich also auch noch werden!
»Höre,« sagte ich, »was fällt dir ein. Ich tue dir nichts. Gib nur das Väschen her. Hast du es vergraben? Sag es?«
»Ich habe das Ding nicht gestohlen.«
»Vor einer Minute hast du es aus meinem Zimmer gestohlen.«
»Herr, er war diesen ganzen Nachmittag und Abend mit keinem Fuß aus der Stube.«
Alle sagten es.
»Nicht? Nicht?«
Also hatte ich doch geträumt. Aber das Väschen stand ja nicht mehr auf dem Flügel.
Der Knecht erhob sich und setzte den Hut wieder auf den Kopf.
Und mir fiel ein, daß ich das Väschen heute morgen in den Schreibtisch geschlossen hatte, damit es die Magd nicht unglücklicherweise zerbräche.
Ich erbleichte. Stille war es.
»Verzeihe mir,« sagte ich zu dem Knechte und verließ die Stube. Alle Augen folgten mir.
Ich stand im Hofe unter dem dunklen Himmel, aus dem die Sterne wie Eis heruntertropfen.
Meine Füße zitterten.
»Was ist das? Was ist das?« flüsterte ich und ging müde ins Haus zurück. –