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Man soll die Tage, die ohne Wunsch sind, die wunschlosen Tage soll man preisen und besingen. Sie sind wie ein stiller, stillschaffender Sommer im Herzen, überwuchern alles, lassen Rosenhecken auf Gräbern wachsen, sie sind stille Fruchtbarkeit und machen reich, und der Reiche ist gerecht. Darum soll man die wunschlosen Tage loben!
Man soll die Tage der heißen lodernden Wünsche loben, auch sie! Sie sind wie Sensenhiebe in schläfriges Unkraut, sie tragen den Samen glänzender fremder Blüten ins Herz, die Blut anstatt Honig haben und nach Mord und Vernichtung duften, sie sind wie ein schwarzes Wetter im schwülen Sommer, das Blitze sät und morsche Bäume fortlacht. Sie machen demütig und stolz, auch sie soll man loben.
Man soll das Leben in jeder Form loben, den Mord und die Liebe, heilig sind Mord und Liebe.
Meine wunschlosen Tage waren gekommen. Sie zogen still vorüber wie Leute, die aus der Kirche kommen. Mit einem warmen, weichen Herzen ging ich einher und oft habe ich in mich hineingekichert, wenn ich allein war im Walde.
Vor einigen Jahren war ich draußen in der weiten Welt. Ich tanzte. Über Menschen und heilige Bücher bin ich hinweggetanzt, gewiß habe ich manches Unheil angerichtet, hier und da habe ich auch einer armen Seele eine kleine Freude bereitet.
Nun lebte ich allein für mich, ich brauchte niemand, ich war mir allein genug.
Ich hatte nie Langeweile, nein, niemals.
Tag und Nacht flogen vorbei, und von vielen wußte ich nicht, wie sie vergingen.
Es gab keine Uhren in meinem Hause, in meiner Tasche. Es gab ohnedies genug Uhren, die Sonne, das Laub der Bäume, der Brunnen im Parke. Er rauschte am Tag anders als in der Nacht, um Mitternacht anders als gegen Morgen. Auch der Geruch des Waldes war eine Uhr. Auch die kleinen, kleinsten Geräusche, deren Ursache man nicht kennt, sie hatten ihre bestimmten Stunden. Übergenug Uhren gab es ohnehin.
Ich denke daran, wie diese Tage vergingen, da mein Herz ohne Wünsche war.
Ich pfiff Pazzo, und wir streunten im Walde umher. Zuweilen zog ich die hohen Stiefel an und ging mit dem Gesinde auf die Felder. Ich schaufelte und harkte. Hinter dem Pfluge ging ich einher, scherzte und schnupfte und trank aus irdenen Krügen. Ich ging in die Bibliothek, zog ein Buch heraus und las. Ich fand einen berückenden Gedanken, erschrak über seine Schönheit, seine Tiefe, stellte ihn mir vor, verfolgte ihn. Eine Krone diesem Mann! dachte ich, eine Krone und ein Kaiserreich. Es hat Köpfe in der Welt gegeben ...
Ich setzte mich ans Klavier und schlug eine Taste an und ließ den Ton durch mein Blut rieseln. Lange Stunden konnte ich damit verbringen. Dieser Flügel war ein allwissendes, allempfindendes Wesen. Des Menschen wildes, zuckendes Herz war darin verborgen, sein süßes Weinen und sein irrsinniges Lachen. Ich lauschte. Was ist das? dachte ich und erschrak. Und ich wagte es nicht, den folgenden Akkord anzuschlagen, ich wagte es nicht. Ich hatte soviel Schmerz in einem Auge gesehen und konnte dieses Auge nicht mehr vergessen.
Es wurde dunkel, die Welt verlor die Farben, und in meinem Kopfe erwachten sie. Korallenwälder und ein Meer aus Regenbogen, Wände von Katzenaugen und eine silberne Unendlichkeit. Kreisende Kometen an meinen Augendeckeln. Haha!
Ich konnte mir die Welt nach Gutdünken und Belieben zeichnen und malen. Kohlschwarze Flüsse, rote Himmel, grüne Menschen, wie ich wollte. Das Unmögliche konnte ich vollbringen. Es ist schwer, den Teufel auf eine Nadelspitze zu setzen, aber ich konnte es, und ich konnte mich ergötzen an seinem jämmerlichen Gesichte, ich konnte Jehovah vorüberwandeln lassen, die Sonne am Siegelring, ich konnte alles was ich wollte. So herrlich waren die Visionen hinter den geschlossenen Augenlidern, daß ich mir zuweilen wünschte, blind zu sein. Blind, so unsinnig der Gedanke ist.
Zum Beispiel, ja, gut, ich schließe die Augen und warte. Ich sehe eine bronzegrüne Luft. Etwas Weißes erscheint. Es ist der Leib eines Weibes, eines schlanken Mädchens. Das Mädchen richtet seine sanften, warmen Blicke auf mich, still und steif steht es, die Hände leicht gegen die Brüste gedrückt. Ich lasse sie nicht aus den Augen und warte. Da beginnen die Brüste zu blühen, ihre Knospen springen auf und durchsichtige Blumenkelche wachsen heraus. Die Finger des Weibes blühen und kleine weiße Blüten liegen wie Milchtropfen auf ihnen. Feine Korallenästchen sind die Adern der Hände und Arme. Die Lippen des Weibes blühen purpurrot, die Haare verwandeln sich in goldene Blütengehänge und fallen über Schultern und Leib. Eine kristallhelle blaue Tulpe wächst aus der Stirne, aus den Knien wächst eine kristallhelle blaue Tulpe. Das Weib bewegt die Lippen und öffnet sie und flüstert, ein winziger Schmetterling schwebt aus dem Munde, wieder einer, ein Schwarm in allen Farben, und sie umgaukeln das blühende Weib gleich fliegenden Blüten. Das Weib schließt die Lider, da erscheinen in diamantener Schrift rätselhafte Zeichen auf den Lidern, das Weib öffnet die Augen und die Augen sind strahlend weiß wie Lichter. Nun fangen auch die Wimpern zu blühen an .....
Manche Nacht habe ich mit solchen Träumen verbracht. Sollte ich Langeweile haben? Nein, meine Tage vergingen. –
Ich bekam eine Einladung zu einer Abendgesellschaft von Graf Flüggen zugeschickt.
Papa erwartet Sie bestimmt, stand darunter geschrieben.
Soll er warten. Ich habe keine Zeit.
Harry Usedom ging an meinem Hause vorüber, in einen phantastischen Mantel eingehüllt, es regnete. Er hatte es sehr eilig. Ich saß am Klavier und sah ihn die Straße heraufkommen. Ich hielt inne im Spiel. Denn gewiß horchte er mit seinen feinen Ohren, er wollte mein Herz belauschen. Ein wunderlicher Gedanke war dies, aber er zwang mich innezuhalten.
Viele Grüße! dachte ich und lächelte. –
Ich erinnere mich so deutlich an die Nächte dieses Frühlings. Sie waren so wunderbar still, so still, daß man auf die Stille horchen mußte. Sie waren schwarz wie Samt mit vielen, vielen Sternen. Ich lag häufig vor meinem Hause im Grase und sah in die Sterne empor. Ein herber Duft fiel aus den Kastanien. Sie standen in Blüte, wie große Christbäume sahen sie aus und ihre Kerzen erschienen wiederum wie Christbäumchen, ganz aus Licht. Ich roch Wiesensalbei und Waldmeister.
Da lag ich, auf dem Rücken, und sah in den Himmel hinein. Das Hirn Gottes mit seinen Gedanken? Sah ich in Gottes Hirn hinein und sah seine Gedanken brennen? Die Sterne blickten mich an und es rieselte durch meinen Leib. Soll ich in die Knie sinken? dachte ich. Und ich wünschte ein Pfeil zu sein, hineingeschossen zu werden in den Himmel, und eine Sekunde da droben stille zu stehen und mich zu drehen und umzublicken, bevor ich wieder zur Erde fiel. Und ich sah solange in die Sterne hinein, bis sie auf mich heruntertropften, und ich zusammenschrak. Ein Hirn voller Sterne trug ich ins Haus und dann träumte ich, daß ich im Grase läge und in die Sterne blickte.
Ich war reich und glücklich.
Meine wunschlosen Tage waren dies.
Die Abendgesellschaft bei Graf Flüggen fand an einem Sonntage statt. Am Nachmittage jenes Sonntags fuhr Ingeborg im offenen Jagdwagen am Schlosse vorüber. Sie kutschierte selbst, knallte mit der Peitsche und nickte zu mir herauf.
Es war ganz eigentümlich. Ich träumte zuerst von ihr. Da stand ich im Hofe, in Hemdärmeln und schraubte an einem Pfluge, an dem einige Schrauben locker geworden waren. Der Hof lag zwischen dem Schlosse und den Wirtschaftsgebäuden und hatte ein breites Tor zur Bergstraße. Es war Sonntag, alles ruhig und leer. Die Sonne schien, so daß die Pflugschar gleißte und mir zuweilen in die Augen schnitt.
Pazzo lag in der Sonne, die Füße steif von sich gestreckt, weiß und blau sah er aus, er warf einen hellblauen schmalen Schatten, der jedes abstehende Härchen wiedergab. Er blinzelte und schien zu lächeln, weil ich mich ungeschickt anstellte. Und wenn ich ihn anblickte, so schlug er mit dem Schwanz auf den Boden, als wolle er sich für dieses Lächeln entschuldigen und mich milde stimmen.
Unvermittelt mußte ich an Ingeborg denken. Gewiß, dachte ich, hat sie dies vom Weißbrot und dem Karpfenteich irgendwo gelesen. Oder wenigstens schon oft gesagt und nicht erst in jenem Augenblicke erfunden. Nein, sicher hat sie es gelesen. Kam es mir nicht gleich bekannt vor? Ich werde sie fragen.
Haha, werde ich zu ihr sagen, Fräulein Giselher, diese Geschichte vom Weißbrot und dem Karpfenteich habe ich nun in einem Buche entdeckt. Was sagen Sie dazu?
Gewiß wird sie dann nicht leugnen.
Ich werde ihr sagen, daß ich mich freuen würde, sie öfters zu sehen. Ich habe vier junge Füchse, kleine drollige Spitzbuben – die Knechte nahmen einen Bau aus – kommen Sie und schauen Sie sich diese Füchse an, Fräulein Giselher.
Der Schweiß rann mir über das Gesicht und tropfte auf meine Hand, die schon schmutzig und fettig geworden war. Das Gewinde der Schraube schien verdorben zu sein.
Alles Ernstes, ich würde ein langes Gespräch mit ihr führen!
Fräulein Giselher, so würde ich beginnen, ich habe lange Jahre auf Sie gewartet, ohne es zu wissen.
Hahaha!
Weshalb sie nun lache? – Ohne es selbst zu wissen auf Sie gewartet. Sehnsucht und Träume viele Jahre. Ich strecke meine Arme des Nachts zum Fenster hinaus, um einen Nacken zu umschlingen – niemand ist da. Es pocht an meine Türe. Herein! rufe ich und erschrecke, denn endlich kommt sie. Aber niemand ist da. Nun aber – –
Ja, das sind lauter Lügen, gewiß Fräulein Giselher. Ich liebe es zu lügen und ich habe ein großes Geschick dazu. Die Kinder und ich, was lügen wir doch zusammen! Aber eines sage ich Ihnen – Sie kennen mich nicht, meine Freundin. Nein. Ich rauche meine Pfeife und lächle vor mich hin, niemand weiß, was ich denke. Niemand weiß, was ich zuweilen denke, wenn der Wald wehklagt. Wäre es nicht möglich, daß ich ein Herz hätte? Ich sehe die Leute an und denke: sie kennen dich nicht und das stimmt mich heiter.
Da hob Pazzo den Kopf und zuckte mit den Ohren.
Ein Wagen rasselte die Straße herauf und flog am offenen Tor vorüber.
Ingeborg kutschierte. Niemand saß sonst im Wagen, den zwei glänzende Füchse zogen.
Ich grüßte, und Ingeborg neigte den Kopf, kühl und zurückhaltend, als kenne sie mich gar nicht.
Mußte ich aber auch gerade in Hemdärmeln im Hofe stehen. In Hemdärmeln, hohen Stiefeln, und dazu hatte ich schmutzige aufgequollene Hände.
Ich hatte kein Glück ...
Da empfand ich, daß ich träumte, und ich erwachte! Es knatterte in der Ferne. Es klang, als würden Nüsse aus einem Sack auf die Erde geschüttet und zerschlagen.
Ich lag in meinem Zimmer. Was träumte ich doch! dachte ich.
Das Knattern aber verstärkte sich, und nun hörte ich, daß ein Wagen die Straße herauf kam. Die Pferde mußten scharf in den Boden einschlagen, da die Straße steil anstieg.
Ingeborg flog in einem Jagdwagen heran. Hinter ihr saß steif, die Arme verschränkt, ein Lakai.
Ingeborg hielt die Zügel und knallte mit der Peitsche.
Sie blickte an den Fenstern entlang und lächelte, als sie mich gewahrte. Die Peitsche knallte, so daß es klang wie feine Schüsse.
Ich verneigte mich und lächelte. Ich dachte an den sonderbaren Traum.
Aber am Abend blieb ich zu Hause. Ich hatte keine Lust, unter Menschen zu gehen. Dieser Abend war ein einziger, schöner Traum und ich schlief erst ein, als die Hähne krähten. Ich dachte an Liselotte.
Rothaarige Liselotte, geborene Weikersbach, was ist mit uns beiden? Wir sehen uns an, lächeln, haben verborgene dunkle Sünde in den Augen. Was wird wohl dein Ehegemahl sagen?
Ich ging hinunter in die Dorfkirche von Hohenficht und besah mir Liselottes Epitaphium. Ich las die wenigen Daten, las den Namen, Liselotte, geborene Weikersbach, und ward traurig und dunkel in der Seele.
Liselotte, dich würde ich lieben, wenn du lebtest! Ja, das weiß ich!
Wunderbare Abenteuer habe ich mit Liselotte erlebt.
Sie gäben ein dickes Buch, wollte ich sie aufschreiben. Ein Buch, über das man viel lachen müßte. Alle meine Abenteuer mit Liselotte sind heiterer Natur. – Habe ich giftige Beeren gegessen?